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Kooperation - Mein Kind will nicht kooperieren

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Teil 1: Warum unsere Kinder scheinbar nicht kooperieren wollen

 
Kinder wollen kooperieren. Dieser Satz, so nonchalant von Familientherapeut Jesper Juul in fast jedem seiner Interviews dahingeworfen, bringt uns Eltern nicht selten an den Rand der Verzweiflung. Denn ausgerechnet unsere Kinder scheinen eben nicht kooperieren zu wollen, ja, sie scheinen es sich sogar in den Kopf gesetzt haben, genau das Gegenteil vom dem zu tun, was wir uns wünschen. Da werden Teller vom Tisch gefegt, Spielzeuge gefährlich in der Wohnung umhergeworfen, im dichten Straßenverkehr weggelaufen und sich morgens partout nicht allein angezogen.
Dass das so ist, liegt meines Erachtens an fünf  Dingen:
  1. an der falschen Vorstellung der Erwachsenen von Kooperation,
  2. der Unwissenheit über neuronale Grundlagen der Kooperation (also darüber, wann und welche Kooperation altersangemessen ist),
  3. dem Übersehen von kindlichem Kooperationswillen,
  4. an der Macht der inneren Erwartungshaltung der Erwachsenen und
  5. an dem frühen (unabsichtlichen) Abgewöhnen des kooperativen Verhaltens.
In diesem Artikel möchte ich auf diese fünf grundlegenden Punkte eingehen und erklären, warum unsere Kinder scheinbar nicht kooperieren wollen. In Teil 2 dieser Artikelserie werde ich aufzeigen, wie man die Kooperationsbereitschaft der Kinder wieder erhöhen kann, Teil 3 wird sich damit beschäftigen, wie man es mithilfe kleinerer Tipps und Tricks schafft, dass Kinder im Alltag notwendige Dinge zügig erledigen.

Die falsche Vorstellung der Erwachsenen von Kooperation


Kooperation bedeutet zweckgerichtete Zusammenarbeit, auf ein gemeinsames Ziel hin. Die Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie  definieren den Begriff wie folgt:
"Neben dem gegenseitigen Eingehen aufeinander (1) sind die Beteiligten durch ein gemeinsames Ziel verbunden, und (2) die Akteure stimmen ihre Rollen miteinander ab, wozu auch die Unterstützung des Anderen in seiner Rolle gehört."
Und hier liegt schon die Krux der falschen Vorstellung der Erwachsenen: Wir haben meist ein bestimmtes Ziel vor Augen. Wir wollen zum Beispiel unser Kind morgens schnell fertig machen, um pünktlich in der Kita und auf der Arbeit zu erscheinen. Wir wollen demnach, dass unser Kind sich zügig anzieht, sich die Zähne putzt (oder putzen lässt), Frühstück isst und wir dann alle harmonisch und ohne Streit losgehen können.

Schon beim Lesen dieser Zeilen wird euch die Absurdität dieses Wunsches auffallen - denn selbstverständlich haben unsere Kinder am Morgen überhaupt nicht das selbe Ziel wie wir! Deshalb kooperieren sie natürlich auch nicht.

Ihr Ziel am Morgen ist, in Ruhe im Kinderzimmer zu spielen, irgendwann mal einen kleinen Happen zu essen, um sich dann möglicherweise anzuziehen, aber nur, um dann unten im Hof in Ruhe weiterspielen zu können. Vom Wunsch, pünktlich in der Kita erscheinen, gibt es keine Spur und dass Mama oder Papa pünktlich auf der Arbeit sein können, wird bis zu einem bestimmten Alter niemals Hauptziel eines Kindes werden. Ihr Hauptziel, auf das sie hinarbeiten, ist, dass Mama und/oder Papa mit ihnen gemeinsam in Ruhe spielen. Aus ihrer Sicht kooperieren wir Erwachsenen einfach nicht!

Wenn wir uns also wünschen, dass unsere Kinder kooperieren, sollte unser Blick als erstes zum Ziel wandern - ist es auch das gemeinsame Ziel des Kindes? Oder reden wir eigentlich gar nicht von Kooperation? Wollen wir nicht eigentlich, dass unsere Kinder morgens schlicht und einfach funktionieren?

Da das Wort "Kooperation" im allgemeinen Sprachgebrauch von Eltern also nicht meint "auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten", sondern eher "jemand tut ohne zu murren das, was ich mir von ihm wünsche", werde ich im weiteren Verlauf des Artikels eher auf diese Art der Kooperation eingehen.

 

Unwissenheit über neuronale Voraussetzungen für Kooperation


Zur falschen Vorstellung über Kooperation gehört auch, dass Eltern das kindliche Gehirn oftmals überschätzen bzw. einen zu erwachsenen Blick auf Situationen haben. Ich sprach einmal mit einem Elternpaar, die mir verzweifelt erzählten, dass ihre 19 Monate alte Tochter bei Spaziergängen immer nach spätestens zehn Minuten ihren Puppenwagen stehen lassen würde und sich dann weigerte, nur einen Schritt weiter zu gehen. Das Mädchen wollte gern getragen werden, aber da es sich vor dem Spaziergang für den Puppenwagen entschieden hatte, wollten die Eltern ihr den Gefallen nicht tun, weil sie, O-Ton, ja nun einmal lernen müsse, ihre Entscheidungen vorher zu bedenken. 

Leider spitzte sich durch die Verweigerungshaltung der Eltern die Situation jedes mal sehr zu. Das Mädchen stand auf einem Fleck und weinte, streckte ihre Arme aus, weil sie getragen werden wollte. Die Eltern standen ein Stück entfernt und riefen (zunächst freundlich), sie solle kommen, da sie weitergehen wollen. Ging das Mädchen hinter ihnen her, riefen die Eltern ihr zu, sie solle aber den Puppenwagen mitnehmen. Das tat das Mädchen nicht. Stattdessen lief sie weinend hinter den Eltern her oder warf sich wütend auf den Boden und "trotzte". Die vermeintlich fehlende Kooperation machte die Eltern wütend - ihr Kind sollte doch den Puppenwagen mitbringen!

Mädchen mit Puppenwagen

Weil sie so ärgerlich waren, fingen die Eltern an, dem Kind zu drohen: "Gut, lass die Karre stehen, da freut sich bestimmt ein anderes Kind drüber", meinte die Mutter.  Zur Überraschung der Eltern half auch diese Drohung nicht - ihre Tochter kümmerte das nicht, sie streckte weiter weinend die Arme nach ihren Eltern aus und guckte nicht einmal nach ihrem Wagen. Am Ende standen sich meist ein völlig aufgelöstes, kreischendes Kleinkind und zwei hart bleibende, vor innerer Wut fast überschäumende Erwachsene gegenüber - Eskalation pur.

Wirklich außer sich über ihr bockiges Kind wandten sich die Eltern an mich - was man da machen kann bei so einem Sturkopf? Es ginge doch nicht, dass sie nun ihren Willen bekäme? Aber den Puppenwagen wirklich stehen lassen wollten die Eltern auch nicht, schließlich war er fast neu. Sie wollten einfach, dass ihr Kind auf seine Sachen aufpasst und sie nirgendwo stehen lässt, wenn sie sich vorher dazu entschieden hat, sie mitzunehmen.

Ich versichere euch, dass dieses Beispiel nicht ausgedacht ist und sich diese Situation und der Wortlaut der Eltern haargenau so abgespielt hat. Sie haben es nicht einmal böse gemeint - sie haben das Geschehen einfach nur aus den Augen von Erwachsenen betrachtet, nicht aus den Augen ihres Kindes.

Denn das Mädchen war 19 Monate alt. Sie weiß noch nichts vom Wert des Geldes und dass ein Puppenwagen gekauft werden muss. Für sie "erscheinen" Geschenke noch auf ganz magische Weise. Sie weiß noch nichts davon, dass Dinge verloren gehen können. Sie weiß noch nicht, dass ein Ding, dass sie an dieser Stelle stehen lässt, nicht automatisch am nächsten Morgen wieder in ihrem Zimmer ist. Sie weiß noch nichts von Verantwortung. Sie kann auch noch nicht sehr weit in die Zukunft denken - sich nicht für den Puppenwagen zu entscheiden, weil sie nach zehn Minuten dessen überdrüssig sein wird - das liegt noch nicht in ihrer kognitiven Kompetenz. Sie kann es nicht! Da sind noch keine Nervenbahnen für angelegt, das kommt alles erst viel, viel später!

Was sie weiß ist, dass sie müde ist, und nicht mehr schieben und laufen kann. Dass sie ein bisschen Nähe braucht und gern auf den Arm möchte. Das kommunizierte sie ja auch auf eindrückliche Art und Weise. Leider wurde sie trotzdem nicht von den Erwachsenen verstanden - weil diese einen zu hohen Maßstab an ihr vorausschauendes Denken und ihr Durchhaltevermögen stellten. Dem Kind war Kooperation in diesem Augenblick schlichtweg nicht möglich.

Es ist leider ein häufiger Fehler von Erwachsenen, auf Kooperation zu pochen, die das Kind nicht leisten kann und dann von der Forderung nicht zurückzutreten, aus Angst, das Kind würde sonst lernen, dass es mit Weinen und Trotzen seinen Willen bekäme. Ich werde im dritten (praktischen) Teil dieser Artikelserie auf einige Situationen eingehen, in welchen Kooperation zu viel verlangt sind.

 

Das Übersehen von kindlichem Kooperationswillen


Wenn ihr es schafft, genau hinzusehen, werdet ihr bei euren Kindern sehr wohl Kooperation erkennen. Wenn ich meinen 15 Monate alten Sohn morgens einen Body anziehe, dann hilft er mit, indem er mir seine Arme entgegenstreckt, oder auch erst einmal den Ball aus der Hand legt, mit dem er gerade spielt. In diesem Moment ist unser Ziel gleich: Wir wollen (offenbar) beide, dass er angezogen ist.

In meinem Lieblingscafé verschüttet er manchmal aus Versehen etwas Wasser und immer, wenn ich mir dann eine Serviette nehme, um den Boden zu trocknen, hockt er sich neben mich und wischt auf seine Art und Weise mit. Einmal hatte ich nicht bemerkt, dass er gekleckert hatte, weil ich Zeitung las. Ich merkte aber sehr wohl, dass er etwa zehn Servietten auf den Boden warf. Ich war verwundert, weil das Herunterwerfen von Dingen nicht seine Art ist und sah dann den winzigen Wasserfleck neben den Servietten. Er wusste, dass es üblich ist, Flecken aufzuwischen und wollte es deshalb selbst tun, weil ich keine Anstalten dazu machte.
 
Kind wischt Tisch ab

Diese Situation hätte übrigens auch von mir falsch interpretiert werden können, nämlich auf negative Art und Weise. Wenn ich erwartet hätte, dass mein Sohn, weil er noch ein halbes Baby ist, Sachen vom Tisch fegt (die Servietten) hätte ich vermutlich mit ihm geschimpft und gesagt, dass "man das nicht macht". Zu diesem Punkt der negativen Erwartungshaltung schreibe ich weiter unten ausführlicher.

Im Alltag gibt es viele, viele Situationen, in denen unsere Kinder ohne zu murren kooperieren, doch oftmals werden sie von den Erwachsenen übersehen. Ein Kind, das den Mund aufmacht, damit ihm die Zähne geputzt werden können, kooperiert. Ein Kind, das sitzen bleibt, wenn ihm die Haare gekämmt werden, kooperiert. Ein Kind, das sich die Schuhe anzieht, wenn die Eltern sagen, dass die Familie nun raus geht, kooperiert. Ein Kind, dass sich im Fahrrad oder Buggy anschnallen lässt, kooperiert. Ein Kind, das liegen bleibt, damit ihm die Windel gewechselt werden kann, kooperiert.

Ich könnte nun hunderte solcher Beispiele aufführen, doch ich denke, ihr versteht auch so, was ich meine: Unsere Kinder kooperieren tagtäglich sehr, sehr oft, doch weil das für uns Großen selbstverständliche Dinge sind, dringt diese Art der Mitarbeit nicht in unser Bewusstsein vor.  Wir müssen dringend unseren Blick schärfen für die Bemühungen unserer Kinder, mit uns zusammenzuarbeiten. Das wird eine der schwersten Übungen sein, die ihr je versucht habt. Denn unser verwöhntes Erwachsenengehirn registriert nicht (mehr) Dinge, die "normal" laufen. Wir sehen also die Kooperation nicht, wenn unser Kind beim Windelwechsel ruhig liegen bleibt, denn unser Gehirn erwartet diese Reaktion vom Kind. Es spart sich die Energie des Registrierens des Liegenbelieben lieber für die Konzentration auf das Saubermachen des Pos.

Wir sehen aber sehr wohl, wenn die Reaktion des Kindes nicht "normal" abläuft, wenn es kreischt und sich windet und ganz und gar nicht die Windel gewechselt bekommen will. Dieses Verhalten fällt unserem Gehirn sehr wohl bewusst auf, und noch mehr: Es wird abgespeichert, d. h. wir erinnern uns, dass unser Kind gestern, vorgestern oder vor 3 Wochen ebenso unkooperativ beim Windelwechsel war. Dass es dazwischen vielleicht mehrere ereignislose Windelwechsel gab, merkt das Gehirn sich nicht. Lediglich - vielleicht - der erste ruhige Windelwechsel nach einer Reihe von widerstandsvollen wird von den Eltern mit Erleichterung registriert. Das bedeutet natürlich, dass wir zunehmend genervter auf das Weigern reagieren, einfach, weil wir schon so viele Situationen davon abgespeichert haben und es uns so vorkommt, als würde das Kind das immer tun. Unser Blick ist, durch die Arbeitsweise des Gehirns bedingt, defizitorientiert. Es erfordert erhöhte Aufmerksamkeit und Achtsamkeit, um die vom Gehirn ignorierten "normalen" positiven Verhaltensweisen des Kindes zu sehen.

Frau tippt im LaptopEin gutes Beispiel dafür war eine Situation bei Severine vom Blog "Mama on the Rocks". Sie hatte mit ihrer fünfjährigen Tochter abgemacht, dass sie einen tollen Mutter-Tochter-Tag zusammen verbringen würden. Severine wollte nur morgens etwa eine Stunde im Homeoffice arbeiten und sagte ihrer Tochter, in dieser Stunde müsse sie sich selbst beschäftigen, danach würden sie dann gemeinsam spielen.

Am besagten Tag wachte die Tochter schon sehr früh auf und spielte 1,5 Stunden allein und ruhig in ihrem Zimmer. Severine, die wegen der schlechten Nacht des Babys noch müde war, schlief mit selbigem noch einmal ein, während die Tochter spielte. Als sie 1,5 Stunden später aufwachte, wollte sie mit ihren wichtigen Erwachsenenaufgaben beginnen. Doch plötzlich kooperierte die Tochter, obwohl sie das am Abend ja so ausgemacht hatten, überhaupt nicht mehr. Nicht nur, dass sie Severine die versprochene Stunde Homeoffice nicht gewährte, sie konnte sich plötzlich nicht mehr allein anziehen und stellte andauernd mehr Forderungen. Dabei hatte sie eine so schlechte Laune, dass Severine ob der patzigen Aussagen beinahe der Kragen platzte. Hier könnt ihr das genauer nachlesen und auch meinen ausführlichen Kommentar dazu.

Das Ding ist - Severins Tochter hatte sehr wohl kooperiert, nur war das ihrer Mama gar nicht aufgefallen: Das Mädchen hatte ja 1,5 h allein gespielt und zwar so leise, dass Mutter und Bruder noch schlafen konnte. Das ist doch eine enorme Leistung! Aus der Sicht des Kindes hatte es die Abmachung, die sie abends mit ihrer Mutter gemacht hatte, damit erfüllt - denn sie sollte sich eine Stunde lang allein beschäftigen. Dieser Fakt ist Severine jedoch gar nicht aufgefallen, zumindest nicht so bewusst, dass sie ihn positiv bewertet hätte (aber immerhin so weit, dass sie ihn in ihrem Text erwähnte). Aus Sicht der Mutter kooperierte die Tochter eben nicht, sondern stellte maulige Forderungen. Aus Sicht der Tochter wurde die Kooperation nicht genügend wertgeschätzt, so dass sich schlechte Laune einstellte und alle weiteren Forderungen seitens der Mutter nach Kooperation niedergeschmettert wurden.

Hätte Severine damals schon den geschärften Blick für Kooperation gehabt (mittlerweile hat sie ihn), wäre der gesamte Tag vermutlich nicht so aus dem Ruder gelaufen. Dann hätte sie sich bei ihrer Tochter dafür bedankt, dass sie sich so wunderbar lange allein beschäftigt hat, so dass die Mama noch einmal schlafen konnte. Und mit dieser Wertschätzung und ein wenig Entgegenkommen bei der Hilfe zum Anziehen, wäre das Mädchen vielleicht sogar bereit gewesen, sich noch einmal für eine Weile allein zu beschäftigen, während ihre Mutter wichtige Telefonate führt.

In meinem Zusatzstudium für den Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern wurde mir eingeschärft, dass das Sehen von angemessenem ("gutem") kindlichen Verhalten und das Rückmelden darüber zu den wichtigsten und vor allem grundlegenden Voraussetzungen gehört, um eine positive, tragfähige Beziehung zu den Kindern aufzubauen. Das Motto ist: "Catch them at being good!" ("Erwische sie dabei, wenn sich "gut" verhalten!"). Das bedeutet nicht, dass man die Kinder andauernd für jede Kleinigkeit loben soll! Es bedeutet, dass Anstrengungen des Kindes nicht ungesehen verhallen. Dazu reicht ein freundlicher Blick, ein dankbares Lächeln oder manchmal auch einfach ein "Ich sehe, du hast das gemacht".

Unterhalten sich zwei Erwachsene und das Kind platzt mit einer Frage dazwischen, wartet dann aber, nachdem die Erwachsenen darum gebeten haben, das Gespräch ab, könnte die erste Reaktion der Großen, wenn sie fertig sind und sich dem Kind zuwenden, ein freundliches "Du hast abgewartet." sein. 

Krakeelt ein Kind übermütig am Essentisch herum und der Erwachsene ermahnt: "Nicht so laut!" und das Kind krakeelt danach wirklich etwas leiser weiter, dann sollte der Erwachsene das unbedingt erwähnen: "Ok, das war jetzt wirklich etwas leiser." Es ist dabei egal, dass das Kind nicht gänzlich verstummt ist, wie der Erwachsene vermutlich hoffte - wichtig ist, zu bemerken, dass das Kind kooperiert hat - es war nicht mehr "so laut".

Zieht ein Baby an den Kabeln des Fernsehers und der Erwachsene ruft laut "Stopp" und das Baby hält tatsächlich (erschrocken) inne, dann ist es gut, wenn seine Reaktion Wertschätzung erhält ("Ich habe Stopp gesagt und du hast gleich aufgehört."), während man es vom Fernseher wegträgt.

Das Ziel ist, die vielen, vielen Kooperationsbemühungen unserer Kinder zu erkennen. Unsere Wertschätzung für ihr Tun macht sie glücklich und zufrieden - so, wie uns selbst auch die Wertschätzung anderer für unser Tun glücklich macht. Je öfter wir  dass wir sehen, dass sie kooperieren, desto aufgeschlossener werden sie für unsere Wünsche, wenn die Situation es verlangt, dass sie funktionieren. Ich schreibe dazu weiter im zweiten Teil der Serie mehr.

Weil es so wichtig ist, schreibe ich hier noch einmal explizit: Es ist unabdingbar, die Kooperation nicht zu loben, sondern nur (positiv) wahrzunehmen und ja, da gibt es einen kleinen, aber feinen Unterschied. Ein freundliches Kopfnicken oder ein Lächeln ist kein Lob, sehr wohl aber eine Rückmeldung, dass das Kind sich gesellschaftsadäquat verhalten hat. Wird ein Kind in einer solchen Situation jedoch überschwänglich gelobt, vermittelt der Erwachsene (unbewusst), dass dieses kindliche, kooperativ-gesellschaftsadäquate Verhalten irgendwie unerwartet war. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass der Erwachsene eigentlich egoistisches und anti-soziales Verhalten erwartete. Womit wir bei meinem dritten Argumentationspunkt angelangt sind.
 

Die Macht der inneren Erwartungshaltung

 
Die Macht der inneren Erwartungshaltung ist euch vielleicht schon unter dem Stichwort "selbsterfüllende Prophezeiungen" untergekommen. Ganz grob erklärt ist es so, dass die innere Erwartungshaltung der Eltern gegenüber dem Kind so (unterschwellig, aber mächtig) wirkt, dass sich das Kind genau in diese Richtung entwickelt.

Das vorgefertigte Bild des Kindes aus dem Uterus heraus


SchwangerschaftsbauchIch habe in meinem Artikel über Bindung schon kurz angerissen, dass Eltern schon während der Schwangerschaft beginnen, sich ein Bild über ihr Kind zu bilden. Wenn es kräftig tritt oder sich oft dreht, meinen die werdenden Eltern, dass es bestimmt ein aktives, waches Baby wird und vielleicht ja sogar ein Fußballer? Sie sehen nach der Geburt, dass ihr Kind unablässig Arme und Beine bewegt und sorgen sich, dass es vielleicht ein "Zappelphillip" ist, weil sie nicht wissen, dass das alle Babys tun, um ihre Körpermitte in der ungewohnten Schwerkraft neu zu stabilisieren. Fortan betrachten sie es unbewusst mit problematisierender Grundhaltung. Wächst sich das aus? Braucht das Kind vielleicht Ergotherapie?

Das menschliche Gehirn ist gemein: Alle Vorkommnisse, die die Ängste der Eltern bestätigen, werden sie bemerken. Die Vorkommnisse, die jedoch nicht ihrem Bild vom Kind entsprechen, werden (unbewusst) übersehen, so dass sich in ihren Gedanken immer weiter verfestigt: "Mein Kind kann sich nicht richtig konzentrieren, es ist motorisch unruhig - das war ja schon im Bauch so!" Ein Kind, dass mit einem solchen vorurteilsbehafteten Blick angesehen wird, wird sich in genau diese Richtung entwickeln. Einfach, weil in uns die naturgegebene Veranlagung steckt, unser "Ich" so lange zu verbiegen, bis wir auf Resonanz bei unseren Eltern stoßen.

Es ist natürlich gut und wichtig, wenn Eltern sich schon in der Schwangerschaft Gedanken darüber machen, wie ihr Baby sein wird, denn es erhöht die Vorfreude und stärkt schon perinatal die Bindung zwischen Eltern und Kind. Es ist aber wichtig, diese mit der Geburt ad acta zu legen und sich ohne vorgefertigte innere Bilder auf das neue Menschlein einzulassen. Denn sonst unterstützt man eben unbewusst alle Handlungen, die das Bild des "kleinen Zappelphillip" (beispielsweise) verstärken und dem Kind wird wirklich, irgendwann, die Diagnose ADHS aufgestempelt.

Das vorgefertigte Bild von Kindern bei Eltern


Ich war einmal Beobachterin einer Szene auf dem Spielplatz, in der eine Mutter sehr eindrücklich demonstrierte, wie selbsterfüllende Prophezeiungen funktionieren. Sie kam mit ihrem etwa zweieinhalbjährigem Sohn und einer Freundin ebenfalls mit kleinem Kind an. Das erste, was sie tat, war, sich am Spielplatzrand vor ihren Sohn zu hocken und zu sagen: "Ruben, wenn du nicht lieb spielst, gehen wir gleich wieder nach Hause!" Ihr Sohn nickte brav und trottete davon. Seine Mutter setzte sich auf die Bank und begann, mit ihrer Freundin zu quatschen.

Ich saß auf der Nebenbank und schaute Ruben interessiert nach. Er stellte sich an der übervollen Rutsche an und wartete geduldig ab, bis er endlich fast ganz oben angelangt war. Vor ihm saß nur noch ein etwa dreijähriges Mädchen auf der Rutsche, die sich in dem Moment jedoch nicht traute, zu rutschen. Ruben wartete noch etwa eine Minute, dann begann er sanft (!), das Mädchen am Rücken zu drücken. Es war klar, dass er sagen wollte. "Nun rutsch endlich, ich will auch." Er schob sie nicht die Rutsche runter, er hatte ihr mit der Geste nur bedeutet, dass hinter ihr andere Kinder warten. Das Mädchen fing laut an zu weinen und rutschte die Rutsche runter. Weil sie so laut dabei war, schaute Rubens Mutter zu Rutsche, sah das weinende Mädchen unten und ihren Sohn oben. Ihre Schlussfolgerung war, dass Ruben Schuld am Weinen des Mädchens war. Sie hatte es zwar nicht beobachtet, und im Prinzip hatte sie auch recht mit ihrer Annahme, aber eben nicht ganz so krass, wie sie dachte.

Laut rief sie: "Ruben! Komm mal ganz schnell hier her!" Ihr Sohn kam freudestrahlend auf sie zugerannt und bekam sofort eine Anfuhr zu hören: "Hast du das Mädchen geschubst?" Er guckte verwirrt und war scheinbar sprachlich noch nicht so fit, also antwortete er nicht. Die Mutter fuhr fort: "Freundchen, ich habe gesagt, wir gehen sofort nach Hause, wenn du andere Kinder ärgerst. Du sollst lieb sein!" Ruben dackelte wieder ab.

Kind schaut ärgerlichIch hatte Mittagspause, und noch etwas Zeit, also beobachtete ich ihn weiter. Er rannte über den Spielplatz und sah einen tollen, pinken Roller. Dieser gehörte einem 5-jährigen Mädchen, dass das Interesse in Rubens Augen sah. Sie sprach ihn an und hielt ihm den Roller hin: "Willst du mal rollern?" Ruben guckte das Mädchen fragend an, dann griff er langsam nach dem Lenker. Blitzschnell zog das Mädchen ihn weg und lachte. Rucken guckte fragend, ich denke, er verstand das Spiel nicht ganz. Das Mädchen hielt den Roller wieder hin und fragte: "Willst du rollern?" Diesmal antwortete Ruben sogar, er sagte "Ja", und griff wieder nach dem Roller. Natürlich zog das Mädchen den Roller wieder weg. Doch nicht schnell genug, Ruben machte einfach ein paar weitere Schritte auf den Roller zu, schon hatte er den Lenker in der Hand. Damit hatte das große Mädchen nicht gerechnet, sie schrie erbost auf: "Das ist MEIN ROLLER!" In diesem Augenblick - ihr ahnt es vielleicht schon - blickte Rubens Mutter von ihrem Gespräch auf und sah ihren Sohn, der vermeintlich einem Mädchen den Roller weggenommen hatte. Erbost sprang sie auf, zog ihn am Arm zu Ausgang des Spielplatzes und schimpfte dabei: "Nun hab ich aber genug! Jetzt gehen wir nach Hause! Immer ärgerst du auf dem Spielplatz. Ich habe es so satt!"

Die Mutter hatte sich (unbewusst) so verhalten, dass ihre Erwartungshaltung, das Verhalten ihres Sohnes betreffend, erfüllt wurde - sie hatte nämlich unglücklicherweise immer so spät zu Ruben geguckt, dass sie nur noch das Ergebnis der Situation sehen konnte (Mädchen weint, Ruben steht daneben). Das, was sie sah, bestätigte sie in ihrer Vermutung, Ruben würde "immer nur ärgern".

Ich bin ziemlich sicher, dass Ruben in beiden Fällen nicht verstanden hat, warum er von seiner Mutter ausgeschimpft wurde, aber es wird sich in seinem Gehirn festsetzen, dass er irgendwie ein böser Junge sei, obwohl mein neutraler eingestelltes Augenpaar diese Einschätzung nicht teilte. Ich fürchte, dass, wenn der Blick seiner Mama sich nicht ändert, er in Kita und Schule eine Karriere als "Störer" vor sich hat, denn sein Selbstbild wird (von anderen) in diese Richtung geprägt.

Dabei hat Ruben auf dem Spielplatz ja viele Dinge sehr sozial geregelt. Zum Beispiel hat er an der Rutsche ganz wunderbar abgewartet. Das hätte man ihm positiv rückmelden können. Er war sanft mit dem nicht rutschenden Kind umgegangen, auch das war eine positive Rückmeldung wert. Er ist sofort zu seiner Mutter gestürmt, als diese ihn gerufen hat.... Es gab wirklich viele kleine Dinge, die Ruben gut gemeistert hatte!

Bitte versteht mich nicht falsch, ich verurteile diese Mama nicht. Es war ja nur ein sehr, sehr kleiner Ausschnitt, den ich da aus ihrem und Rubens Leben gesehen habe. Sie tat das, was in ihren Augen das beste für Ruben war, denn indem sie den Spielplatzbesuch abbrach, versuchte sie ihn ja dazu zu erziehen, andere nicht zu ärgern. Auch, wenn ich diese Methode für unglücklich und wenig zielführend halte, erkenne ich an, dass sie ihren Sohn so sehr liebt, dass sie ihn gern gesellschaftliche Normen und Regeln lehren möchte. Ich habe euch dieses Beispiel nur aufgeschrieben, weil ich erläutern wollte, was es mit der Macht der inneren Erwartungshaltung auf sich hat. Irgendwann sind Kinder wie Ruben nämlich nicht mehr so unschuldig, wie in dieser Geschichte, sondern sie ärgern wirklich gezielt, einfach, weil sie wirklich denken, dass sie "böse" sind, weil es ihnen so oft von den sie umgebenden Erwachsenen rückgemeldet wurde.

Ich will auch gar nicht sagen, dass ich frei von solchen Erwartungshaltungen bin - es gab einmal eine Situation mit meinen Töchtern, die mich gelehrt hat, genauer hinzusehen. Ich möchte sie euch erzählen, auch, wenn sie nicht sehr viel mit dem Thema Kooperation zu tun hat. Es geht aber darum, dass meine Erwartungshaltung mir ein falsches Bild vermittelt hatte: Es war Weihnachtszeit, meine Kinder waren etwa drei Jahre alt. Sie hatten jeder einen Keks bekommen und spielten. Am liebsten spielten sie zu der Zeit "Nikolaus", d. h. sie steckten mir tausende kleine Dinge in den Schuh und riefen dann: "Der Nikolaus war daaaaaa!"

Ich kam also zu meinem Schuh und sah noch, wie Fräulein Ordnung ihren Keks in meinen Schuh warf. Ich bemerkte auch, dass sie kaute, aber das erschien mir so unwichtig, dass ich es nur nebenbei wahrnahm und nicht beachtete. Ich suchte in meinem Schuh, fand einen Keks und strahlte Fräulein Ordnung an: "Oooooh, der Nikolaus hat mir einen Keks gebracht!" In diesem Moment fing Fräulein Chaos aus heiterem Himmel an, ihre Schwester zu hauen und sie sah dabei sehr, sehr böse aus. Ich stoppte sie und wollte gerade anfangen zu schimpfen, da fiel mir das Kauen von Fräulein Ordnung wieder ein und der Groschen fiel: Fräulein Chaos hatte ihren Keks zuerst in meinen Schuh gesteckt und war dann zu mir gelaufen, um mich zu holen. In der Zeit aß Fräulein Ordnung den Keks aus dem Schuh aus und legte ihren eigenen Keks hinein. Da ich gerade ankam, sah ich nur noch diesen Teil der Handlung - und gab ihr eine freudige Rückmeldung.

Meine Erwartungshaltung war gewesen, dass Fräulein Chaos, die sehr gerne Süßes isst, ihren Keks selbst gegessen hatte (ihr gutes Recht), Fräulein Ordnung, die Süßes nur bedingt mag, ihren mir geschenkt hatte. Diese Erwartungshaltung hat mich die Situation völlig falsch einschätzen lassen, denn eigentlich hatte Fräulein Chaos ihren Keks selbstlos an mich abgetreten!
 

Das vorgefertigte Bild von Kindern in der Gesellschaft

 
In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass auch gesellschaftlich etablierte Bilder von Kindern machtvoll wirken. Kinder, die von der Gesellschaft als störend, laut und ungezogen gesehen werden, welchen man durch Erziehung die richtige Richtung weisen muss, weil sie sonst zu Tyrannen mutieren, werden in der Tat "schwieriger" als solche, die in einer Umgebung aufwachsen, in denen Kinderlärm als normal und schön angesehen wird und in der der Gedanke herrscht, dass Kinder per se "gut" sind, und die Reaktion, die sie zeigen, die momentan beste ist, die sie in diesem Augenblick zeigen können.
 
Die Erwartungshaltung der Erwachsenen in unseren zivilisierten Gesellschaften, dass ihren Kindern etwas zustoßen könnte oder dass die Kinder "etwas anstellen" könnten wirkt stärker auf unseren Nachwuchs, als alles, was wir ihnen sagen. Das kindliche Unbewusste beobachtet viel schärfer, als die Augen es tun. Es lässt sich leider nicht einreden, dass wir dem Kind vertrauen, wenn eigentlich das Gegenteil der Fall ist.
 
Das Kind mag vernunftsmäßig verstehen, warum wir nicht wollen, dass es wegläuft, oder Steine nach Tauben wirft und selbst auch in einer ruhigen Minute erklären können, was die erwünschten gesellschaftlichen Regeln sind. Trotzdem wird es normalerweise das tun, von dem es spürt, das wir (oder andere wichtige Personen in seinem Leben, z. B. die Erzieher im Kindergarten) von ihm erwarten. Wenn wir erwarten, dass ein Junge auf dem Spielplatz andere ärgert, wird diese Erwartungshaltung nicht an ihm vorbeigehen - er wird sie getreulich erfüllen. Der Gesichtsausdruck der Eltern hinterher, der impliziert, dass das schlechte Benehmen keine Überraschung war oder auch der Ausspruch: "Immer musst du..." verstärkt das von den Erwachsenen eingepflanzte anti-soziale Selbstbild des Kindes.

Im Gegensatz dazu werden Kinder, von denen ganz selbstverständlich angenommen wird, dass sie sich sozial verhalten, sich tatsächlich auch in diese Richtung entwickeln. Auch hier wirkt die Macht der inneren Erwartungshaltung - allerdings eben in eine andere Richtung,

Die Autorin Jean Liedloff lebte einige Jahre in völliger Abgeschiedenheit beim Stamm der Yequana, die einen solch positiven Blick auf Kinder haben. Sie kommt zu dem Schluss:
"Ein gesundes Kontinuum-Kind verfügt über eine funktionierende Reihe von angeborenen Tendenzen, das Passende zu tun, wie z. B. nachahmen, erforschen, prüfen, sich und andere nicht verletzen, hereinkommen, wenn es regnet, angenehme Laute von sich geben und ein freundliches Gesicht machen, wenn sich andere Menschen richtig verhalten, auf Zeichen von jüngeren Kindern zu reagieren usw. Ein Kind hingegen [...] von dem man gemeinschaftsfeindliches Verhalten erwartet, kann gegen sein angeborenes Gefühl für Richtigkeit in dem gleichen Maße verstoßen, in dem man gegen seine Bedürfnisse und seine Empfindlichkeit für die Erwartungen anderer verstoßen hat. Die gängigen Mittel von Lob und Tadel sind absolut zerstörerisch gegenüber den Motiven von Kindern, besonders der kleinsten. Wenn das Kind etwas Nützliches tut, wie sich selbst anziehen oder den Hund füttern, ein Sträußchen Feldblumen hereinbringen oder aus einem Tonklumpen einen Aschenbecher machen, so kann nichts entmutigender sein, als ein Ausdruck der Überraschung darüber, dass es sich sozial verhalten hat: "Oh, was für ein liebes Mädchen!", "Seht mal, was Stefanie ganz alleine gemacht hat!" und ähnliche Ausrufe deuten an, dass soziales Verhalten bei dem Kind unerwartet, uncharakteristisch und ungewöhnlich ist. Sein Verstand mag sich darüber freuen, doch sein Gefühl wird voll Unbehagen darüber sein, dass es gegenüber dem von ihm Erwarteten, dem, was es zu einem wahren Bestandteil seiner Kultur, seines Stammes, seiner Familie macht, versagt hat.  [Liedloff, J., 1998: 117ff]
Wird ein Kind öfter für eigentlich normales, soziales Verhalten gelobt, dann verstärkt sich sein Unbehagen über seinen vermeintlichen Fauxpas  und es wird seine natürlichen Tendenzen zur Kooperation und zum Sozialtrieb einstellen, da es unbewusst registriert, dass die Erwachsenen eigentlich eine andere Erwartungshaltung haben. Wir haben darüber in unserem Artikel über das Loben von Kindern ausführlicher geschrieben.

Für die Yequana ist klar, dass ein jedes Mitglied des Stammes - egal welchen Alters - ganz selbstverständlich alles dafür tun wird, dass es der Gemeinschaft gut geht. Jedoch wird niemand dazu gezwungen, etwas zu tun, was nicht seinen Neigungen entspricht,  auch Kinder nicht.
"Einem Kind werden keine Befehle erteilt, die seinen eigenen Neigungen, wie es spielen, wie viel es essen, wann es schlafen möchte etc., zuwiderlaufen. Wo jedoch seine Hilfe benötigt wird, erwartet man von ihm, dass es auf der Stelle Folge leistet. Befehle wie "Bring mir Wasser!", "Hack etwas Holz!", "Reich mir das mal!" oder "Gib dem Baby eine Banane!" werden aufgrund eben dieser Annahme eines angeborenen Gemeinschaftsgeistes erteilt, in der Gewissheit, dass ein Kind nützlich sein und an der Arbeit der Seinen teilnehmen möchte. Niemand überwacht, ob das Kind gehorcht - es besteht kein Zweifel an seinem Willen zur Zusammenarbeit. Als das "soziale Tier", das es ist, tut es das von ihm Erwartete ohne Zögern und so gut es kann"  [Liedloff, J., 1998: 120f].
Und hier sind wir bei meiner fünften These angelangt - ich denke, dass wir westlichen Eltern aus Unwissenheit und Bequemlichkeit unseren Kinder die Kooperation früh regelrecht abgewöhnen. Wie man an Jean Liedloffs Beispiel der Yequana erkennen kann, scheint der Mensch, wie Jesper Juul behauptet, wirklich von Geburt an zu kooperieren und sich in die Gemeinschaft einordnen zu wollen. Was geht da, um Himmels Willen, bei unseren Kinder schief?
 

Das (unbewusste) Aberziehen von Kooperation

 

Kooperation versus Konkurrenz - Aberziehen durch die Gesellschaft

 
Es gibt eine Untersuchung des Center for Infant Cognition der Universität British Columbia (Vancouver), in der Babys im Alter von sechs Monaten eine Art Puppentheater-Szene vorgespielt wurde, in der ein roter Kreis versucht, einen Berg hinaufzurollen, es allein aber nicht schafft. Er rollt immer wieder hinab. Es kommt ein gelbes Dreieck hinzu, welches von unten schiebt, so dass der Kreis es mit der Hilfe auf den Berg hinauf schafft. Sichtlich erfreut hüpft der rote Kreis auf und ab, als er am Ziel angelangt ist.  In einer anderen Sequenz kommt statt des Dreiecks ein blaues Quadrat, welches schon auf dem Berg steht und den Kreis von oben so drückt, dass dieser wieder hinunterrollt.

Kreis Quadrat und DreieckAnschließend wurden den Babys sowohl das Quadrat, als auch das Dreieck vorgelegt. 99% der  Babys griffen zum helfenden Dreieck, was die Forscher zu der Vermutung führte, dass dem Menschen der Wunsch zur Kooperation angeboren ist.

Das Experiment ging jedoch weiter - nach noch einmal sechs Monaten, also im Alter von einem Jahr, wurden die gleichen Kinder noch einmal eingeladen und wieder wurden die Sequenzen mit Kreis, Quadrat und Dreieck vorgespielt. Diesmal griffen rund 20% der Kinder auch zum Quadrat, welches ja den Kreis vom Berg gestoßen hatte.

Was war in der Zwischenzeit passiert? Diese Kinder hatten in den letzten Monaten in der Gesellschaft oder ihrer Familie beobachtet, dass Wettbewerb zu mehr Erfolg als Kooperation führt. Das wettbewerbsorientierte Quadrat war als "Sieger" aus der Sequenz hervorgegangen und die Einjährigen wollten mit diesem Siegertypen spielen [vgl. Wagenhofer, E., Kriechbaum, S., Stern. A.: Alphabet - Angst oder Liebe, 2013, 148ff].
"Am Anfang haben sie sich alle mit diesem Unterstützer identifiziert. [Konkurrenz] kann also gar nicht genetisch sein, sondern muss eine Erfahrung sein, die diese Kinder in ihren jeweiligen Familien gemacht haben. Es gab da irgendjemanden, der sich sehr erfolgreich auf Kosten der anderen durchgesetzt hat - und die Kinder wären bescheuert, wenn sie sich nicht mit dem identifizieren würden, der erfolgreich durchs Leben kommt! Wenn also Kinder andere wegschieben, wenn Kinder versuchen, sich auf Kosten anderer durchzusetzen, dann liegt das nicht am Gehirn dieser Kinder, auch nicht an ihren Erbanlagen, sondern es liegt an uns, dass wir es ihnen so vorleben. Und wenn sich das ändern soll, dann müssen wir nicht versuchen, die Kinder zu ändern, sondern die Art und Weise, wie wir zusammenleben und miteinander umgehen" [Hüther, G., in: Wagenhofer, E., Kriechbaum, S., Stern. A.: Alphabet - Angst oder Liebe, 2013, 150].
Wenn ihr euch in unserer Welt umschaut, werdet ihr feststellen, dass sie in einem hohen Maße auf Wettbewerb ausgelegt ist. Kinder wie Erwachsene werden dazu angehalten, schneller, höher, weiter zu streben und als Sieger aus der Gruppe der Peers herauszutreten. In der Schule wird benotet, im Sport gibt es Medaillen, im Beruf Prämien für gute Arbeit. Schon Babys werden verglichen und in Tabellen eingeordnet, auch wenn ihnen das noch nicht bewusst ist. Ist es zu klein oder zu groß, zu dick, oder zu dünn, motorisch langsam oder sprachlich verzögert, schon bekommt es einen Eintrag in sein U-Heft und es wird ab diesem Zeitpunkt genauer beobachtet.

Kinder bekommen Noten in der Schule und werden, manchmal schon ab der 4. Klasse, nach Leistung getrennt auf verschiedene Schultypen geschickt. Und auch dort geht der Wettbewerb weiter - wer Abitur hat, wird vermutlich einen Studien- oder Ausbildungsplatz erhalten, aber was ist mit den jungen Leuten, die "nur" Mittlere Reife haben? Und auch bei den Abiturienten trennt sich bald, ganz wettbewerbsorientiert, die Spreu vom Weizen. Abitur mit 1,0, prima, du darfst Medizin studieren. Du hast dich seit Kindesbeinen an für die Heilung von Mensch und Tier interessiert, aber im Abi nur eine 3? Pech gehabt.

So kommt es eben, dass unsere Kinder von Geburt an quasi getrimmt werden auf das Bestehen in der Marktwirtschaft. Nicht ihr eigenes Tempo und ihre Vorlieben bestimmen ihren spielerischen "Arbeitsplan", sondern die Förderung von Kompetenzen, die ihnen später nützlich sein könnten. Sie nehmen überall wahr, dass Kooperation zwar offiziell erwünscht ist, inoffiziell jedoch aber immer der schnellste Sprinter, der harmonischste Sänger oder der klügste Aufgabenrechner die größte Beachtung erhält. Kein Wunder, dass sie sich schon im Kindergartenalter anfangen, sich eher miteinander zu messen, als Aufgaben zu suchen, die nur gemeinsam gelöst werden können.

Anders wachsen Kinder in sogenannten Naturvölkern wie den Yequana auf:
"Ich war Zeugin der ersten Augenblicke im Arbeitsleben eines kleinen Mädchens. Die Kleine war ungefähr zwei Jahre alt. Ich hatte sie bei den Frauen und Mädchen gesehen; während diese Maniok in einen Trog rieben, spielte sie. Jetzt nahm sie ein Stück Maniok vom Haufen und rieb es an dem Reibholz eines Mädchens in ihrer Nähe. Das Stück war zu groß; sie ließ es bei dem Versuch, es über das raue Brett zu führen, mehrmals fallen. Von ihrer Nachbarin erhielt sie ein liebevolles Lächeln und ein kleineres Stück Maniok, und ihre Mutter, auf das Auftauchen des unvermeidlichen Impulses schon vorbereitet, reichte ihr ein winziges Reibholz für sich allein. das kleine Mädchen hatte die Frauen beim Reiben gesehen, solange es zurückdenken konnte, und so rieb es sofort das Klümpchen an seinem Reibebrett auf und ab wie die anderen. In weniger als einer Minute verlor es das Interesse und rannte weg; ohne dass das Maniokstück merklich kleiner geworden wäre, wobei es sein kleines Reibholz im Trog ließ. Niemand gab ihm zu verstehen, dass seine Geste komisch, oder eine "Überraschung" sei; in der Tat erwarteten die Frauen sie früher oder später; sind sie doch alle vertraut mit der Tatsache, dass Kinder an der jeweiligen Kultur teilnehmen, wenngleich dabei Methode und Tempo von Kräften in ihnen selbst bestimmt werden. Es steht außer Frage, dass das Endergebnis im Einklang mit der Gesellschaft stehen und auf Zusammenarbeit und völliger Freiwilligkeit beruhen wird"  [Liedloff, J., 1998: 111f].
Familie Naturvolk

Leider steht die Annahme eines angeborenen Sozialtriebes im direkten Gegensatz zur allgemeinen Überzeugung in der zivilisierten westlichen Welt, dass soziales Verhalten anerzogen werden muss. Schon allein die simple Frage, ob ein Kind allein durch das Vorbild der Eltern lernt, "Bitte" und "Danke" zu sagen, oder ob es darauf immer wieder hingewiesen werden muss, beispielsweise durch ein "Wie sagt man?" oder "Wie heißt das Zauberwort?", führt zu einem erbitterten Glaubenskampf unter Eltern.

Allgemeiner Tenor der meisten Erwachsenen ist, dass Kinder egozentrisch denken und daher durch liebevolle "Triebbändigung" für die Gesellschaft akzeptabel gemacht werden müssen. Und hier kommt dann auch wieder Punkt 4 meiner Ausführungen ins Spiel - die Macht der Erwartungshaltung der Erwachsenen. Da bei uns immer noch dieses defizitorientierte Bild von Kindern üblich ist, und unsere Gesellschaft auf Konkurrenzdenken aufgebaut ist, entwickeln unsere Kinder ganz automatisch anti-soziale Tendenzen. Selbst, wenn wir als Eltern versuchen, dem gegenzusteuern, bleibt immer noch der ungeheure Einfluss der restlichen Umgebung, dem wir uns schwerlich entziehen können.

Mir ist bewusst, dass meine Gesellschaftskritik hier nichts bewirken wird, und ich schreibe das auch nur, um euch aufzuzeigen, dass es für uns Eltern höllisch schwer ist, ein Kind zu einem sozialen, kooperativen Wesen aufwachsen zu lassen, wenn der äußere Einfluss so massiv auf es hereinbricht. Wir können leider nicht alle zu den Yequana ziehen, wir müssen mit der Gesellschaft leben, in die wir hineingeboren werden. Wir können aber versuchen, diese Gesellschaft Stück für Stück zu verändern, mit unseren begrenzten Mitteln. Vielleicht schaffen wir es dann, dass die westliche Menschheit mit jeder Generation an Kindern, die ein wenig freier und selbstbestimmter aufwächst, als die vorherige, wieder zurückfindet zu ihren gemeinschaftlichen, kooperativen Ursprüngen.
"Die größte Irrlehre, die je auf dieser Erde verbreitet wurde, ist, dass Konkurrenz notwendig ist für die Weiterentwicklung. Was wir für die Weiterentwicklung der Lebensform brauchen, ist Begegnung und Austausch, und das hat nicht erst beim Menschen stattgefunden, sondern schon bei den Bakterien. Bakterien tauschen Informationen aus. Sie treffen sich und bilden einen Schlauch und dann tauschen sie über diesen Schlauch die Erbinformationen aus. Das ist der Anfang des Lebens. [...] Konkurrenz führt lediglich dazu, dass das, was schon da ist, so verstärkt wird und einzelne Fähigkeiten immer besser ausgebaut werden. Das hat aber  mit Entwicklung, mit Weiterentwicklung nichts zu tun. Die Konkurrenz bewirkt, dass wir zu Spezialisten werden. Schneller, höher, weiter! Wenn man sich weiterentwickeln will, muss man sich miteinander austauschen" [Hüther, G., in: Wagenhofer, E., Kriechbaum, S., Stern. A.: Alphabet - Angst oder Liebe, 2013, 151].

"Dafür bist du noch zu klein" - Aberziehen durch die Eltern


Doch nicht nur der uns überall umgebende Wettbewerb gewöhnt unseren Kindern die Kooperation ab, es sind auch wir selbst, allerdings sicher unbewusst.

Es ist unseren Kindern ein angeborener Wunsch, ja, sogar eine Überlebensstrategie, die Menschen in ihrer Umgebung  zu imitieren. Doch weil wir ihnen bestimmte Handlungen noch nicht zutrauen oder sie uns zu lange dauern, nehmen wir ihnen diese ab. Will ein Einjähriger, der gerade so laufen kann, ein Glas vom Wohnzimmer in die Küche bringen, nehmen wir es ihm meist aus der Hand, aus Angst, es könnte herunterfallen und er sich schneiden.

Möchte ein Zweijähriger uns beim Wischen des Bades helfen, ist uns das meist nicht recht, denn er benutzt natürlich zu viel Wasser und Seife und könnte darauf ausrutschen. Außerdem macht uns seine Hilfe noch mehr Arbeit, und wer will das schon?

Will sich ein Dreijähriger morgens allein die Jacke anziehen und den Reißverschluss zumachen, aber die Zeit drängt, dann machen wir das schnell an seiner Stelle, einfach, weil wir nicht zu spät kommen wollen.

Wenn ihr euch umguckt, werdet ihr bei Freunden oder auch selbst viele kleine Situationen erleben, die als Einzelfall vielleicht nicht negativ wirken. Nehmen wir dem Einjährigen aber wieder und wieder das Glas ab, weil doch "etwas passieren" könnte, stutzen wir aus Überfürsorge und Bequemlichkeit den natürlichen Kooperationswunsch und brauchen uns nicht wundern, wenn das gleiche Kind mit 5 Jahren nicht beim Abräumen des Abendbrottisches hilft.
"Antonin isst seit jeher mit denselben Tellern, Gabeln und Löffeln, wie wir. Sein Gefühl der Zusammengehörigkeit mit der restlichen Tafel wird niemals durch Sonderbesteck verletzt. Er trinkt schon immer aus echten Gläsern. Lerntassen und derlei völlig Überflüssiges und Irritierendes verleihen dem Kind - auch in seinen eigenen Augen - einen Sonderstatus und schieben es in die Ecke derjenigen, die zu Besserem noch nicht fähig sind. Dabei will jedes Kind mit den Menschen verbunden sein, die aus "normalen" Tassen trinken. [...] Mit [...] Lerntassen und [...] Kunststoffbesteck [...] kann man nichts lernen, das man später brauchen kann. Haben Sie schon versucht, aus der Flasche in einen Kinderplastikbecher zu gießen? Es kann nicht gut gehen, weil der leichte Becher vom Wasserstrom weggeschoben wird - vor allem, wenn die kleinen Hände logischerweise beide im Einsatz sind, um die schwere Flasche zu halten" [Stern,  A.: Alphabet - Angst oder Liebe, 2013, 152]
Der allerwichtigste Punkt, die Kooperation seiner Kinder zu "fördern" ist demnach, sie ihnen gar nicht erst abzugewöhnen. Alles, was ein Kind allein machen möchte, sollte es tun dürfen. Ich selbst hatte das bei meinen beiden großen Töchtern noch nicht wirklich verinnerlicht. Sie durften viel, verglichen mit anderen, aber ich habe ihnen trotzdem aus Vorsicht noch viel zu viel Eigenverantwortung und Mitarbeit abgenommen. Erst bei meinem dritten, letzten Kind, bin ich nun angekommen. Mein 15 Monate alter Sohn darf all das selbst ausprobieren, was er signalisiert tun zu wollen.

Er läuft zwar noch nicht allein (er beginnt gerade erst), möchte aber trotzdem vehement die Treppen selbst laufen. Er krabbelt sie nicht rauf oder runter, er geht - so, wie er es bei uns, seiner Familie, sieht. Er hält sich dabei selbstverständlich am Geländer fest, denn er hat ja einen natürlichen Instinkt, sich selbst zu schützen. (Beachte: Ich denke zwar, dass eigentlich jedes Kind sich ganz selbstverständlich vorsichtig die Treppe hinunter bewegen würde, aber ihr kennt eure Kinder natürlich besser. Wenn ihr selbst einschätzt, dass diese "Übung" zu gefährlich ist, dann bleibt nah bei euren Kindern stehen und fangt sie auf, falls sie fallen. Ich habe am Anfang natürlich auch sehr eng bei ihm gestanden, bis ich merkte, dass er wirklich gut auf sich acht gibt.) 

Ich stehe in seiner Nähe, um zu beobachten, wie er jeden Tag auf  dieser Treppe neue Kleinigkeiten ausprobiert und dazulernt. Manchmal läuft er am Geländer, dann wieder hält er sich an der Wand fest. Manchmal nutzt er den Wechselschritt, manchmal den Nachstellschritt. Manchmal versucht er, eine Stufe auszulassen, manchmal wippt er beim Gehen in den Knien, manchmal streift er mit seinen Zehen bewusst langsam über die Stufen hinweg - er spielt mit der Treppe, er experimentiert.

Kind steigt Treppe hinaufKind steigt Treppe hinaufKind steigt Treppe hinauf

Wenn ich ihn so sehe, frage ich mich, warum ich damals bei meinen Töchtern so starr darauf beharrt habe, dass sie an meiner Hand gehen. (Aus Angst, ihnen passiert etwas, natürlich.) Denn wenn ich ihn so beobachte, sehe ich, wie genial seine Experimente sind. Sie sind immer sicher, er bringt sich damit niemals in Gefahr. Und doch probiert er so viel aus, dass ich sicher bin, dass in dem Moment, in dem er wirklich laufen kann, er ohne Probleme im Wechselschritt und ohne Festhalten die Treppe hinabsteigen kann. Er legt jetzt die Voraussetzungen dazu und es macht ihm auch noch Spaß!
Natürlich ist es für ihn wahnsinnig anstrengend, wir wohnen immerhin im zweiten Obergeschoss, d. h. er hat 5 Treppen a 11 Stufen zu überwinden. Dier Stufen sind etwa so hoch, wie ein Drittel seines Körpers. Er braucht enorm Kraft und Durchhaltevermögen, und doch lächelt er dabei - jeden Tag. Ich glaube nicht, dass es bei ihm zukünftig je eine Phase geben wird, in der er unkooperativ ist im Bezug auf das Treppensteigen, also verweigert, sie selbst hochzulaufen. Natürlich ist er noch nicht in diesem Alter - ich kann es also nicht beweisen. Ich werde es in diesem Text nachtragen, wenn es soweit ist.
 
Kind reinigt Meerschweinkäfig
Hilfe beim Gehege-Reinigen
Doch das Treppensteigen ist nicht das einzige Gebiet, in welchem ich seine Kooperationsbereitschaft und sein soziales Wesen erkennen kann. Er hilft mit, die Geschirrspülmaschine auszuräumen. Er sortiert mit mir Wäsche. Er hilft mit, das Meerschweinchengehege zu reinigen. Er gießt mit mir Blumen im Garten. Er wirft Dinge in den Müll (nicht immer die richtigen...). Er reinigt die Toilette mit der Klobürste. Er wischt Wasserlachen auf. Er macht auf dem Spielplatz an der Rutsche Platz, wenn er sieht, dass ein Kind rutschen will. Er lässt auf dem Klettergerüst andere Kinder durch, wenn sie schneller sind, als er. Er teilt sein Essen mit anderen.

Gestern, als es sehr heiß war, lief ich im Hinterhof auf und ab und holte mit zwei kleinen Buddeleimern Wasser für das Planschbecken. Er schaute mir dabei zwei Runden zu, bis er den Sinn verstanden hatte, dann bedeutete er mir, dass er auch einen Eimer tragen wolle und lief mit mir mit. Fortan trug er ebenso einen kleinen Eimer vom Wasserhahn zum Planschbecken - er arbeitete mit mir zusammen auf ein gemeinsames Ziel hin. Dass der Eimer viel zu schwer für ihn war und das Wasser überschwappte und ihn durchnässte, störte ihn nicht im Geringsten. Er war freudig und ausdauernd bei der Sache.
Ich bin sicher, ihr habt solche Situationen bei euren Kindern ebenso beobachten können und einiges davon unterstützt (das Essen-Teilen, das Platz-Machen auf dem Spielplatz), anderes vielleicht unterbunden oder ihnen abgenommen, wie ich bei meinen Töchtern.

Kind trägt Wasser
gemeinsames Wassertragen im Hof

 

Ausblick auf Teil 2


Im kommenden zweiten Teil der Artikelserie zum Thema Kooperation werde ich ausführlich aufzeigen, wie man Kinder, die keine Babys mehr sind und denen wir unabsichtlich die Bereitschaft zur Kooperation schon aberzogen haben, wieder dazu bringt, im Alltag mitzuhelfen. Ich werde dabei auch berichten, bei welchen Punkten es in meiner Familie hakt, welche Zweifel mich dabei befallen und wie meine persönliche Lösung dafür aussieht. Coming soon!

© Snowqueen
 

Literatur

 
 

Gehfrei und Türhopser sind ungesund und gefährlich

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Zwei sehr häufige Suchanfragen, durch die Leser über Google auf unseren Blog gelangen, sind "Gehfrei gefährlich" und "Türhopser schädlich". Wir haben zwar im Artikel Lebensgefährlich, gesundheitsgefährdend und ungesund schon kurz erwähnt, warum von diesen Geräten dringend abzuraten ist, da sich jedoch viele offenbar umfassend zu diesem Thema informieren wollen, möchten wir dazu eine etwas ausführlichere Zusammenfassung schreiben.

Warum Eltern Lauflerngeräte und Türhopser kaufen wollen


Dass Kinder endlich laufen können, ist für die meisten Eltern ein erstrebenswertes Entwicklungsziel - nach etwa einem Jahr, in dem sie das Kind unermüdlich hin- und hergetragen haben, ist der Gedanke, dass es endlich auch mal alleine läuft, sehr verlockend. Darum fragen sich einige, warum man den Prozess nicht spielerisch unterstützen und damit ein kleines bisschen beschleunigen sollte. Auch Omas hoffen häufig, durch das Schenken eines Lauflerngerätes oder eines Türhopsers die Entwicklung der Enkel positiv zu beeinflussen.
 
Schließlich bewerben die Hersteller ihre Lauflerngeräte, auch Gehfrei oder Babywalker genannt, mit Aussagen wie "um das Laufen richtig zu beherrschen, ist ein Lauflernwagen eine gute Starthilfe" oder "spielerisch laufen lernen, mit Spaß zum Erfolg". Sie versuchen damit, sich den Wunsch aller Eltern zu nutze zu machen, das Beste für ihr Kind zu wollen und bieten als vermeintliche Unterstützung des Laufenlernens klobige Plastikgestelle auf Rädern an, die über einen integrierten Sitz (und manchmal allerlei blinkendes und lärmendes Beiwerk) verfügen. Die Kinder stoßen sich darin mit den Füßen ab und können mit etwas Geschick relativ frei durch die Wohnung fahren oder fröhlich im Türrahmen auf uns ab hüpfen.


Lauflernwagen - also Wägelchen, die das Kind wie einen Puppenwagen durch die Gegend schiebt, sind hier übrigens nicht gemeint, sondern nur die Gehfreis, in die die Kinder hinein gesetzt werden.

Lauflerngeräte behindern die motorische Entwicklung


Die motorische Entwicklung von Kindern ist sehr komplex und verläuft bei jedem Kind nach einem ganz speziellen Bauplan, der genetisch festgelegt und nicht beeinflussbar ist. Auf einen solchen Entwicklungsprozess Einfluss zu nehmen, kann sich sogar schädigend auswirken, weil in einen hochkomplexen, über Jahrtausende von der Natur perfektionierten Prozess eingegriffen wird. Kinder müssen nicht laufen "lernen" - ebenso wenig, wie sie lernen müssen, sich zu drehen, zu sitzen, zu krabbeln oder zu sprechen. Sie tun es einfach. Dann, wenn sie soweit sind. Und dieser Zeitpunkt kann bei gesunden Kindern durch gezielte Förderung nicht vorverlegt werden.

Im ersten Lebenshalbjahr verfügen Babys über angeborene Greifreflexe. Streicht man über ihre Hände oder Fußsohlen, ziehen sich diese automatisch zusammen. Dieser Reflex ist ein Überbleibsel der Evolution und diente dazu, dass sich das Baby möglichst effektiv am Fell der Mutter festklammern kann. Der Fußgreifreflex verschwindet nach und nach während das Kind Laufen lernt und seine Füße zunehmend mehr belastet. Denn um sicher zu Laufen wäre es sehr hinderlich, wenn sich die Fußsohlen bei der Berührung mit dem Boden zusammenkrallen würden.

Gehfreis werden üblicherweise von Kindern verwendet, die noch nicht laufen können. Denn wenn sie es schon gelernt haben, lassen sie sich dann auch nur noch sehr ungerne hinein setzen und erkunden die Welt viel lieber auf eigenen Füßen. Bei nicht laufenden Kindern ist der Fußgreifreflex in aller Regel noch vorhanden. Berühren die Füße im Türhopser oder Gehfrei den Boden, dann krümmen sie sich also noch unwillkürlich zusammen, auch weil sie dabei nicht mit dem gesamten Körpergewicht belastet werden. Man beobachtet dann oft, dass die Kinder in den Gerätschaften nur auf den Zehenspitzen stehen oder sogar noch die Füße komplett zusammenkrümmen.

Dem Gehirn wird dann in dieser Position signalisiert: "Schau - ich stehe! So geht das!" - so dass der Körper die Fußhaltung später beibehält, weil das Gehirn Stehen mit den spitzen Füßen verknüpft hat. Das kann zu recht schwierig korrigierbaren Fehlstellungen ("Spitzfuß") führen, bei denen sich unter Umständen sogar die Wadenmuskulatur verkürzt. Dadurch wird dann die Gangart längerfristig auch außerhalb des Gehfreis beeinflusst und viele Kinder haben dann beim Laufenlernen Schwierigkeiten mit dem Abrollen des Fußes und verharren für längere Zeit im Zehenspitzengang. Diese Untersuchung zeigt, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen einem Zehengang und der Verwendung von Lauflerngeräten besteht.

Gehfreis und Türhopser unterstützen nicht nur das Laufenlernen nicht, sie behindernes sogar, weil sie den wichtigen Entwicklungsschritt der Gleichgewichtsentwicklung negativ beeinflussen. Vor dem Laufen lernen Kinder üblicherweise zunächst das Stehen. Bei den meisten Kindern dauert dieser Prozess recht lange. Unermüdlich ziehen sich die Kinder in den Stand und versuchen, sich auszubalancieren. Sie müssen dafür ihr Gleichgewicht bewahren und trainieren die komplette Muskulatur dabei. Ermüden die kleinen Beinchen, fällt das Kind um - beim nächsten Mal kann es aber schon ein paar Sekunden länger stehen. Die meisten Kinder fallen hunderte Male um, bevor sie sicher stehen können.

Mit Hilfe von Hopsern oder Lauflernern "stehen" Kinder plötzlich sicher aufrecht, ohne dass sie sich dafür hochgezogen hätten oder sich dabei ausbalancieren zu müssen. Kommt der Erfolg (zu stehen) zunächst völlig mühelos zustande, ist die Frustration groß, wenn es beim Ausprobieren ohne Hilfe dann nur mühsam oder gar nicht klappt. Kinder, die ohne Hilfe Stehen lernen, sind hingegen meist motiviert und erfreuen sich an den kleinsten Fortschritten.

Versuche mit Zwillingen haben gezeigt, dass die Kinder, die in einem Gehfrei saßen, später liefen, als ihre Geschwister, die keine Bekanntschaft mit einem solchem Gerät gemacht hatten. Dies bestätigt auch diese Studie aus Irland, die zeigte, dass je 24 Stunden, die (zusammengerechnet ;-) in einem Lauflerngerät verbracht wurden, das freie Laufen durchschnittlich um 3,3 Tage und das freien Stehen um etwa 3,7 Tage verzögert wurde.

Warum Lauflerngeräte und Türhopser gesundheitsschädlich sind


Übermäßige Belastung des Haltungsapparates


Problematisch ist, dass Kinder, die noch nicht Laufen können, es ganz wunderbar finden, aufrecht positioniert zu sein. Sie lieben die neue Perspektive und sind daher überaus gern in Lauflerngeräten und Türhopsern oder genießen es, wenn man sie einfach hinsetzt, ohne dass sie das schon selbst können. Eltern quengligerer Exemplare sind oft dankbar, dass das Kind so zufrieden ist und genießen die kleine Verschnaufpause. Das führt jedoch unter Umständen dazu, dass die Verweildauer in den Gerätschaften deutlich länger ausfällt, als empfohlen. Kinder setzen sich im Rahmen ihrer natürlichen Entwicklung erst dann selbst hin, wenn ihr Haltungsapparat - also das Zusammenspiel aus Muskeln, Sehnen und Knochen - so weit trainiert und entwickelt ist, dass er keinen Schaden nimmt. Ein Kind wird immer nur so lange stehen oder sitzen, wie es seine Entwicklung zulässt - es wird also immer instinktiv die Position wechseln, wenn es zu einseitig belastet ist.

In einem Gehfrei oder Türhopser ist es für das Kind jedoch nicht möglich, seine Position nach seinen Bedürfnissen zu verändern. Die Babys sind in den Gerätschaft quasi "gefangen" und sie können keine andere Körperhaltung einnehmen. Die Muskulatur ist - so lange Kinder nicht selbst sitzen oder stehen - noch nicht auf die aufrechte Haltung eingerichtet - die Wirbelsäule wird daher nur sehr unzureichend gestützt.

Dazu kommt, dass das Kind durchaus großen Spaß hat, wenn es mit dem Gehfrei umher fährt oder an der Tür hopst, so dass es bereit ist, die eigentlich unangenehme Haltung über längere Zeit in Kauf zu nehmen. Die wenigsten Kinder quengeln daher, wenn die Muskulatur eigentlich schon längst überlastet ist. Das kann dazu führen, dass das Kind eine entlastende, aber für die Entwicklung des Halteapparates ungünstige Haltung einnimmt. Im schlimmsten Fall wirkt sich die physiologisch ungünstige Haltung auf die Hüfte aus, was zu dauerhaften Fehlbildungen - wie zum Beispiel Verschiebungen - führen kann. Diese ungünstige Entwicklung kann sich auch erst Jahrzehnte später zeigen. Lässt sich ein Erwachsener jedoch später wegen orthopädischer Probleme behandeln, wird niemand auf die Idee kommen, dass Lauflerngeräte oder Türhopser mit Ursache des Problems sein können.

Beim Türhopser kommt neben der unnatürlichen Haltung noch die Belastung des gesamten Haltungsapparates durch das Hopsen hinzu. Das gesamte Gewicht des Kindes lastet auf dem Schambein (und damit bei Jungen auf dem Hoden) und der Rücken ist für das Alter untypisch über längere Zeit stark gestreckt. Durch das Abspringen wird die Wirbelsäule immer wieder gestaucht. Auch die Gelenke werden überlastet, weil sie für so eine unnatürliche Bewegung noch nicht stabil genug sind. Die Fußgelenke werden ebenfalls stark belastet. So viel Spaß das Kind auch zu haben scheint - für seinen kleinen Körper ist das alles andere, als gesund!
 

Lauflernhilfen sind lebensgefährlich!


Leider denken viele Eltern (und nicht wenige Großeltern), dass Produkte, die es im Babyfachgeschäft zu kaufen gibt, gar nicht gefährlich sein können. Außerdem prangen auf den Geräten tatsächlich GS-Siegel und oft auch ein DIN-Prüfsiegel. Es gibt eine Europäische Norm (EN 1273:2005), die Anforderungen an die Sicherheit von Lauflernhilfen enthält, so dass sich Eltern in vollkommen falscher Sicherheit wiegen. Die EU-Norm bspw. sieht als größtes Problem das Kippen des Gehfreis und sorgt dafür, dass er möglichst kippsicher konstruiert ist - die Gefahren lauern jedoch ganz woanders. In der Pressemitteilung, die bei der Veröffentlichung der EU-Norm herausgegeben wurde heißt es übrigens sogar:

"Lauflernhilfen sind zudem kein Gerät zum Laufenlernen, und die Benutzung über längere Zeit kann das normale Laufenlernen des Kindes beeinträchtigen".

Leider sind Lauflernhilfen das größte Unfallrisiko im ersten Lebensjahr - pro Jahr gibt es laut des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland etwa 6.000 (!) behandlungsbedürftige Unfälle damit. Am häufigsten verletzen sich Kinder im Alter zwischen sieben und vierzehn Monaten - die meisten in dem Monat, bevor sie frei laufen können. Eine australische Studie zeigte, dass etwa jedes dritte Kind im Laufe der Benutzung eines Babywalkers zu Schaden kommt.

Besonders gefährlich sind Treppen - etwa 83 % der Gehfrei-Unfälle sind Treppenstürze. In 82% dieser Unfälle kommt es zu schweren Schädel-Hirn-Traumen, in 11 % der Unfälle sogar zur Schädelfraktur. Dadurch, dass das Kind im Gehfrei fixiert ist, schlägt es zwangsläufig mehrfach mit dem Kopf auf die Stufen - ohne das Lauflerngerät würde es sich abrollen und der Kopf wäre deutlich besser geschützt.

Aber auch auf der Ebene können die Geräte umfallen, denn Kinder erreichen ohne weiteres bis zu 10 km/h mit Babywalkern. Wenn Kinder in diesem Tempo an Schränke, Tische oder andere Ecken stoßen, drohen schwere Verletzungen. Durch ständiges Anstoßen wird auch die Wirbelsäule besonderen Belastungen ausgesetzt. Gefahren lauern außerdem bei Türschwellen und auf dem Boden liegenden Gegenständen (die das Kind unter Umständen selbst dort hingeworfen hat). In Gärten ist es bereits zu Ertrinkungsunfällen gekommen, weil Kinder mit dem Walker stürzten und sich festgegurtet nicht aus der gefährlichen Lage befreien konnten.

Aber auch die Bewegungsfreiheit im Gehfrei birgt viele Gefahren. Normalerweise haben Kinder nur einen ihrer Entwicklung angemessenen Bewegungsradius. Das Neugeborene kann sich überhaupt nicht bewegen und sich dadurch nicht aus eigener Kraft in Gefahr begeben. Ein Krabbelkind ist in seinen Tätigkeiten auf eine bestimmte Höhe beschränkt. Dadurch, dass das Kind im Lauflerngerät vermeintlich fixiert ist, unterschätzen viele Eltern die Erreichbarkeit von Unfallquellen. Plötzlich kommen die Kinder an Kabel, an denen sie Dinge herunterziehen könne oder heiße Tassen auf dem Tisch oder Schubladen, in denen sich Gegenstände befinden, die nicht in Kinderhände gehören.

Aus diesen Gründen ist der Verkauf von Lauflerngeräten in Skandinavien und Kanada bereits verboten. Auch in Deutschland gibt es Forderungen der Ärzteschaft, ein Verkaufsverbot auszusprechen. Und auch Stiftung Warentest rät schon seit 1997 vom Kauf dieser Geräte komplett ab.

Beim Türhopser besteht die Gefahr, dass sie sich vom Türrahmen lösen, das Kind (wenn es etwas älter und mobiler ist) so weit beugt, dass es heraus fällt oder sich sogar mit den Seilen/Gurten stranguliert. 

Fazit


Lauflerngeräte und Türhopser erfüllen den versprochenen Nutzen nicht. Sie behindern vielmehr sogar die motorische Entwicklung, überlasten den Haltungsapparat und können sehr gefährlich - sogar lebensgefährlich sein. Es ist daher dringend vom Kauf solcher Gerätschaften abzuraten!
 
© Danielle

 

Quellen








Wie man es schafft, dass Kinder mehr kooperieren

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Teil 2: Wie wir die Kooperationsbereitschaft (wieder) erhöhen können


Kinder wollen kooperieren. Dieser Satz, so nonchalant von Familientherapeut Jesper Juul in fast jedem seiner Interviews dahingeworfen, bringt uns Eltern nicht selten an den Rand der Verzweiflung. Denn ausgerechnet unsere Kinder scheinen eben nicht kooperieren zu wollen, ja, sie scheinen es sich sogar in den Kopf gesetzt haben, genau das Gegenteil vom dem zu tun, was wir uns wünschen. Da werden Teller vom Tisch gefegt, Spielzeuge gefährlich in der Wohnung umhergeworfen, im dichten Straßenverkehr weggelaufen und sich morgens partout nicht allein angezogen.

Im Teil 1 der Artikelserie habe ich ausführlich dargestellt, welche fünf Punkte dazu führen (können), dass Kinder nicht kooperieren. Im heutigen zweiten Teil möchte ich nun der Frage nachgehen, wie wir es schaffen, den Kooperationswillen unserer Kinder wieder aufleben zu lassen.
 
Wenn euer Kind noch ein Baby ist, dann ist das leicht - ihr gewöhnt ihm, wie im ersten Artikel beschrieben, die Kooperation einfach nicht ab. Sind eure Kinder, wie meine Töchter, schon größer (meine sind gerade 5 geworden), dann bedarf es etwas mehr Engagement eurerseits.
 

Kooperationsbemühungen sehen und rückmelden

 
Zu diesem Punkt habe ich im ersten Artikel schon viel geschrieben - auch bei älteren Kindern ist sehr wichtig, jede noch so kleine Kooperation zu sehen und kurz zu bestätigen - die Wertschätzung ihrer Bemühungen motiviert sie und macht sie glücklich.

Ihr werdet feststellen, dass es nicht so leicht ist, Kinder quasi beim "Gut-Sein" zu "erwischen", weil unser Gehirn nicht darauf trainiert ist, scheinbar Normales zu registrieren. Nur Abweichungen vom Normalen (also die Situationen, in denen die Kinder sich weigern zu kooperieren) werden gesehen, weil sie für das Gehirn unerwartet und störend sind. Zusätzlich ist es für uns dann schwierig, spontan eine positive, aber nicht lobend-wertende Rückmeldung zu geben.

Eine sehr geschätzte Referendarin von mir holte mich einmal zur Hilfe in ihren Unterricht. Sie hatte einen Schüler, dessen Aufmerksamkeitsspanne nur sehr kurz war und welcher jede Stunde massiv störte. Sie wollte gern das "Catch them at being good" ausprobieren und bat mich, ihr dabei zuzuschauen.

Sie gab dem Jungen ein Arbeitsblatt, über das er sich sofort beugte und mit der ersten Aufgabe begann. Nach etwa einer Minute wurde er unruhig und schaute zu ersten Mal hoch und in der Klasse umher. Dann schaute er wieder auf das Blatt und begann die zweite Aufgabe. Sein Körper wurde immer unruhiger. Während der Arbeit hob sich schon der Po vom Stuhl, trotzdem schrieb er noch. Nach einer weiteren Minute war es dann vorbei: Er sprang auf und hüpfte durch die Klasse zu seinem Freund. In diesem Moment sagte die unglückliche Referendarin zu ihm: "Ich würde dir so gern ein Lob in dein Hausaufgabenheft einschreiben, guck ich habe den Stempel schon hier liegen. Aber dafür musst du an deinem Platz bleiben."

Natürlich ging der Junge nicht zurück an seinen Platz - im Gegenteil, er wurde lauter und streckte ihr die Zunge heraus und war für den Rest der Stunde kaum noch dazu zu bewegen, sich in irgendeiner Weise mit dem Unterrichtsstoff zu beschäftigen. Er hatte also nur knapp 5 Minuten gut gearbeitet und den Rest der Zeit zunehmend massiv gestört. Kein Wunder, dass die junge Lehrerin genervt war.

Kind schreibt in ein HeftIm anschließenden Auswertungsgespräch war die Referendarin sehr frustriert und meinte entschieden, dass das "Catch them at being good" bei ihrem Schüler ja offensichtlich versagt hatte. Ich antwortete: "Frau X, Sie haben es gar nicht angewandt." - "Aber ich habe ihm doch vor der Stunde gesagt, dass er einen Stempel bekommt, wenn er ruhig sitzen bleibt! Und in der Stunde habe ich in noch einmal daran erinnert. Ich wollte ihn wirklich, wirklich gern loben, aber es ging ja gar nicht!"

Euch als aufmerksamen Lesern wird sicherlich aufgefallen sein, dass es sehr wohl angemessene Reaktionen seitens des Schülers gab, die sie hätte dringend rückmelden sollen:
1. Er hatte sofort mit dem Arbeiten begonnen, als sie ihm das Arbeitsblatt gab: Rückmeldung: Kopfnicken in Richtung Schüler und ein freundliches "Du hast sofort begonnen, zu arbeiten." (Beim Kind kommt an: Ich sehe, dass du anstrengungsbereit bist und dich mit der Aufgabe beschäftigst.).
2. Nach einer Minute schaute er auf: Rückmeldung: In seine Blickrichtung stellen und ihm aufmunternd  lächelnd zunicken. (Beim Kind kommt an: Ich sehe, dass du konzentriert arbeitest. Ich freue mich mit dir über deinen Erfolg.)
3. Er schrieb weiter, Po schon angehoben: Rückmeldung: Hand leicht auf die Schulter des Kindes legen: "Ich sehe, dass du weiterarbeitest, obwohl du gern aufstehen möchtest. Du hast jetzt schon zwei Aufgaben geschafft. Reicht deine Kraft noch für Aufgabe 3?" (Beim Kind kommt an: Ich sehe, wie schwer es dir jetzt fällt und dass du bis an deine Grenzen gehst, um zu kooperieren. Entscheide, ob du eine kurze Pause brauchst.)
4. Er sprang auf  und lief in Richtung Freund: Hier kann man im Prinzip keine positive Rückmeldung geben, aber man kann seine Handlung verbalisieren, umlenken und ihn an seinen Erfolg erinnern: "Du scheinst eine Pause zu brauchen? Du hast jetzt 5 Minuten sehr konzentriert gearbeitet und zwei Aufgaben geschafft. Du kannst dich im Nebenraum kurz erholen. Ich bin sicher, danach schaffst du noch zwei Aufgaben!" (Beim Kind kommt an: Ich habe gesehen, wie hart du gearbeitet hast. Ich verstehe, dass du eine Pause brauchst und habe nichts dagegen. Ich glaube an deine Kraft, heute noch mehr Aufgaben zu schaffen, weil ich gesehen habe, mit wie viel gutem Willen du bisher dabei warst.)
Die Referendarin aber war auf diese vielen Kooperationsbemühungen nicht eingegangen, weil sie sie übersehen hatte und reagierte erst beim ersten Fehlverhalten des Kindes. Ihr Satz: "Ich würde dir so gern ein Lob geben, aber..." kam beim Kind natürlich nicht als positive Rückmeldung an, sondern klang nach: "Ich bin so eine liebe Lehrerin und würde dich wirklich gern loben, aber schon wieder schaffst du es nicht, dich soweit zusammenzureißen, dass ich dir den Stempel geben kann." Dass er nach einem solchen Satz nicht gewillt war, weiter zu kooperieren, ist, glaube ich, jedem klar. Er war kein Lob, sondern eine indirekte Rüge.

Natürlich ist das ein Extrembeispiel. Kein normal entwickeltes Kind braucht durchgängig drei positive Rückmeldungen in fünf Minuten. Dieser Junge ist jedoch nicht umsonst an einer Schule für sozial-emotionale Entwicklung - er hat zehn Jahre seines Lebens rückgemeldet bekommen, dass er sich nicht konzentrieren kann, er ein "Störer" ist und war deshalb von zwei Grundschulen geflogen.

Aber auch unsere Kinder profitieren davon, wenn man ihre Anstrengungsbereitschaft und ihren Kooperationswillen bemerkt und ihnen das zeigt. Das "funktioniert" auch gut bei erwachsenen Mitmenschen, wie Kollegen oder der Frau hinterm Postschalter. Versucht es mal - sobald ihr (ohne zu loben) einem anderen Menschen rückmeldet, dass ihr seine kleine freundliche Geste oder sein Entgegenkommen gesehen habt und ihr euch darüber freut, bringt ihr ein Lächeln in den grauen Alltag der Stadt.

 

Kooperation vorleben


Eltern vergessen das gern, aber Kooperation bedeutet nicht nur, dass die Kinder daran mitarbeiten, die Ziele im Alltag gemeinsam und ohne Streit zu erreichen, sondern es eben auch von der Seite der Großen Zugeständnisse geben muss. Wenn ich es morgens eilig habe und alle meine drei Kinder ziehen sich in Windeseile an und wir kommen pünktlich los, dann haben sie ganz wunderbar kooperiert. Wir alle haben dann gemeinsam so zusammengearbeitet, dass mein Bedürfnis nach Pünktlichkeit erfüllt wird.

Habe ich es nicht eilig, dann ist es an mir, mich so zurückzunehmen, dass ihre Bedürfnisse am Morgen berücksichtigt werden. Das heißt, ich wecke sie so, dass sie zwar ausgeschlafen sind, aber noch ein wenig Zeit zum Spielen und Chillen haben. Ich richte mich dann nach ihnen, ob sie zuerst Hilfe beim Anziehen und dann beim Zähneputzen benötigen oder anders herum. Mir ist auch ziemlich egal, wo  und wann ich ihre Haare kämme - ob das noch im Bett ist, während sie einem Aufwach-Hörspiel lauschen oder ob das auf dem Kinderzimmerfußboden ist, während sie ein Duplo-Gebäude aufbauen, macht für mich keinen Unterschied. Für sie aber schon. Für sie ist es angenehmer, während des Haarekämmens spielen zu können, als im Bad auf dem Hocker zu sitzen und zum Nichtstun verdonnert zu sein, weil Mama unbedingt dort die Haare bürsten will. Zu unseren Kooperationsbemühungen am Morgen werde ich im Teil 3 der Serie mehr schreiben. Ich werde euch vier exemplarische Morgen bei uns in der Familie tagebuchartig aufschreiben, um aufzuzeigen, wie viel ich kooperiere und wie viel meine Kinder kooperieren.

Ich plane am Morgen auch mindestens zehn Minuten für das Hinunterlaufen der Treppen ein, da ich weiß, dass mein Sohn diese allein laufen will - in dieser Zeit haben die Mädchen die Möglichkeit, unten im Hinterhof mit Kreide zu malen, Blumen zu gießen oder mit Pfeil und Bogen auf eine Zielscheibe zu schießen.

Kind putzt Toilette
Ich lasse ihn im Kindergarten, während ich seine Schwestern in der Garderobe beim Umziehen begleite, im Bad stehen und mit der Klobürste die Toiletten saubermachen - weil er das spannend findet und ich keinen triftigen Grund habe, ihn davon abzuhalten. Wäre mir wichtig, dass er an einem bestimmten Tag sauber und trocken bleibt, würde ich  in Bezug auf das Toilettenspiel nicht kooperieren, aber an 9 von 10 Tagen ist dem nicht so.

Ich stehe auch, nachdem wir seine großen Schwestern im Kindergarten abgegeben haben, noch eine halbe Stunde vor dem Gebäude, weil es dort viele Steinchen gibt, die natürlich Tag für Tag sortiert werden müssen, obwohl ich eigentlich gern schnellstens in mein Lieblingscafé möchte, um mit dem Bloggen zu beginnen. Aber ich kooperiere, denn unsere Kinder lernen durch das Vorleben von Werten am allerbesten. Die Kooperationsbereitschaft wird maßgeblich erhöht, wenn Kinder die Erfahrung machen, dass andere (z.B. ihre Eltern) ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen gegenüber aufgeschlossen sind und diese, solange dabei nicht die Grenzen anderer Familienmitglieder verletzt werden, erfüllt werden.

Kurzer Einschub: Das heißt natürlich nicht, dass man möglichst jeden Wunsch des Kindes erfüllen sollte, damit es kooperiert. Ein Kind, das absolut jeden seiner Wünsche sofort erfüllt bekommt, wird sich für den Mittelpunkt des Universums halten und das Prinzip des Kooperierens nicht verstehen, weil es nie die Wünsche eines anderen berücksichtigen musste. Es ist schädlich für ein Kind, immer alle seine Wünsche erfüllt zu bekommen!

Ebenso schwierig wird es allerdings, wenn die Wünsche und Bedürfnisse eines Kindes kaum eine Rolle im Familienalltag spielen. Bestimmen Mama und Papa fast ausschließlich über die kindlichen Belange, erzeugt das vor allem Frustration. Kinder, die sich machtlos fühlen, sind kaum geneigt, in einer Situation, die Kooperation braucht, von ihren Wünschen Abstand zu nehmen und Kompromisse zu suchen, weil das für sie sonst auch niemand tut.

Der beste Weg, kontinuierlich die Bestrebungen zu Kooperation zu fördern besteht darin, so oft wie möglich "Ja!" zu sagen. Das Kind will Nudeln aus dem Glas statt vom Teller essen? Warum nicht? Das Kind will Winterstiefel im Hochsommer anziehen? Warum nicht? Es will heute auf dem Boden statt im Bett schlafen? Warum nicht! Fräulein Chaos hatte sich einmal ein "Bett" aus Kappla-Steinen gebaut und hat sage und schreibe drei Nächte hintereinander darauf geschlafen. Es sah nicht bequem aus, aber es war ihr Wunsch und es gab keinen Grund, sie davon abzuhalten.

Eine Freundin von mir fragte mich einmal verzweifelt, ob es okay wäre, dass sie ihre dreijährige Tochter beim Abendbrot unterm Tisch sitzen lasse, weil diese das so wolle. Ich fragte sie: "Ja, warum denn nicht?" Meine Freundin sagte, sie hätte Angst, dass sich das einbürgere und das Kind von da ab immer und überall unter dem Tisch essen wolle.

Ich konnte diese Angst natürlich verstehen. Dennoch: Unsere Kinder sehen doch, dass niemand von uns, von ihrer Familie, unter dem Tisch sitzt. Sie mögen ein momentanes Bedürfnis oder den Wunsch haben, unter dem Tisch zu essen (bzw. meine Töchter wollten eine Zeit lang am Tisch stehend essen, nicht auf dem Stuhl sitzen), aber ultimatives Ziel eines jeden Kindes ist, in seine soziale Umgebung zu passen. Der Wunsch nach Individualität kommt erst viel später (in der Pubertät), das heißt, wir können ruhigen Gewissens davon ausgehen, dass solche Wünsche, wie unter dem Tisch zu sitzen beim Essen, nur eine Phase sind. Ein Ausprobieren von Möglichkeiten. Wir sollten uns diesem Experimentieren nicht aus Angst entgegenstellen, denn es verschwindet von ganz allein und hat keinen negativen Effekt.

Eltern sagen viel zu häufig "Nein" - zwar immer in guter Absicht, aber häufig vom Kind einfach nicht verstanden. Dabei ist es für alle insgesamt viel leichter, die Wünsche unserer Kinder nicht sofort abzulehnen, weil sie uns unsinnig erscheinen, sondern immer erst einmal zu fragen "Warum nicht?" Fallen uns wirklich wichtige Gründe ein, warum bestimmte Dinge nun gerade wirklich nicht gehen, dann ist ein "Nein!" auch vollkommen in Ordnung.

Aber in den aller-, allermeisten Fällen entspringt unsere Ablehnung aus Pauschalurteilen ("Das macht man doch nicht!") oder unserer eigenen Bequemlichkeit.

Mein Sohn möchte zum Beispiel morgens oft gern den Regenschirm mitnehmen. Wir brauchen ihn natürlich nicht - es scheint momentan die Sonne. Aber er liebt den Schirm und ich denke: "Warum nicht!?" Natürlich macht es mir mehr Arbeit - irgendwann muss ich den Schirm nämlich immer tragen. Ich könnte also aus Bequemlichkeit "Nein" sagen, weil es für mich eine Einschränkung bedeutet. Manchmal tue ich das auch, meist dann, wenn ich selbst viel Zeug mitnehmen muss. Aber oft nehmen wir den Schirm einfach mit und er ist glücklich. Wenn wir die Wünsche unserer Kinder aktiv abwägen, lernen sie von uns. Sie schauen sich unsere Grundhaltung des "Warum denn eigentlich nicht?" ab und übernehmen sie häufig.

 

Zwang vermeiden

 
Kooperation fußt immer auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Ein Kind (oder Partner), der nur durch Druck dazu gebracht wird, mitzuarbeiten, kooperiert nicht, sondern gehorcht. Zwang hat, meines Erachtens, in einer guten Beziehung nichts zu suchen. Weder in einer Beziehung zu Kindern, noch in einer Beziehung zum Partner, noch in anderen Beziehungen.
 
Ich beobachte ab und zu Eltern, die ihre Kleinkinder auf dem Spielplatz sehr gut verbal darauf vorbereiten, dass die Spielzeit gleich vorbei ist und dann ein paar Minuten später ihr Kind hochheben und wegtragen, weil sie losgehen wollen. Selbstverständlich fangen diese Kinder dann (meist) höllisch an zu schreien und zu strampeln. Sie winden sich in den Armen oder werden ganz schlapp und gleiten aalgleich aus den elterlichen Händen. Den ganzen langen Weg hört man das Kind dann meist noch kreischen und zurück zum Spielplatz streben. Obwohl die Erwachsenen das Gehen angekündigt hatten, kooperieren die Kinder kein Stück. Was ist da los?

Ganz klar - die Eltern haben nicht abgewartet und deshalb Zwang ausgeübt. Sie haben das Gehen verbal angekündigt - gut so. Wenn die 5 Minuten dann aber um sind, sollten sie nicht einfach das Baby oder Kleinkind hochheben! Es ist wichtig, den Kindern Gelegenheit zu geben, freiwillig zu kooperieren. Ich stelle mich meist vor mein Kind und sage: "Sohn, ich möchte jetzt losgehen" und strecke ihm meine Arme entgegen. Oft genug reicht das schon und er steht auf und wirft sich in meine Arme.

Kind buddelt im BuddelkastenManchmal ist er aber noch nicht fertig. Vielleicht will er noch einen weiteren Stein in den Eimer legen oder eine Schippe Sand kosten - egal was, er ist noch nicht bereit. Dann wendet er sich ab, und spielt weiter. Ich warte dann kurz, wiederhole nach einer Minute noch einmal, dass ich los möchte. Ich übe aber keinen Druck aus, schon gar nicht sage ich: "Wenn du jetzt nicht kommst, gehe ich allein". Ich warte. Wenn er dann nämlich aufsteht und sich mir zuwendet (und ich habe noch nie länger als 5 Minuten darauf warten müssen), dann gibt es kein Geschrei oder Zappeln in meinen Armen. Er kämpft nicht den ganzen Nachhauseweg mit mir, denn ich habe sein Mitkommen nicht erzwungen.

Dass es manchmal Situationen gibt, in denen es nicht anders geht, als ein Kind grenzüberschreitend hochzunehmen und einfach wegzutragen, ist klar. Ich war einmal im Bus und merkte erst, als die Türen schon auf waren, dass ich eigentlich aussteigen musste. Also schnappte ich mir meinen Sohn, der gerade verträumt am Busfenster stand und rannte nach draußen. Er fand das natürlich nicht so prickelnd und war sauer - klar.

Ich würde ihn auch jederzeit von einer Gefahrenquelle wegreißen, um ihn zu schützen - körperliche Unversehrtheit geht natürlich vor. Jederzeit. Aber ich denke, ihr versteht, was ich meine: Ein Kind mag kein kleiner Erwachsener sein, aber es ist eine eigenständige Persönlichkeit und hat als solche das grundlegende Recht, selbst zu entscheiden, ob es kooperieren möchte oder nicht.
 
Mal abgesehen von "beschützender Machtausübung" (Ich verbiete dem Kind, Nüsse und Nutella zu essen, weil es eine Nussallergie hat. Ich entscheide, dass das Kind den Kindergarten wechselt, weil das für seine Zukunft wichtig ist. Ich lasse das Kind nicht entscheiden, ob es auf die Straße rennen möchte, oder nicht.) sollten wir versuchen, unser Kind nicht zu Kooperation zu zwingen. Denn je öfter ein Kind kooperieren muss (also eigentlich gehorchen muss), desto stärker wird sein natürlicher Kooperationswillen durch Unwillen überlagert und es werden im Gehirn die "falschen" Nervenbahnen verstärkt.

Zwang vermeiden - aber ist es okay, wenn Kinder dann einfach nicht mitmachen?


Mir ist bewusst, dass dies der schwierigste Punkt ist - er wirft die Frage auf, ob es ok ist, wenn Kinder einfach nicht mitmachen. Ich muss zugeben, dass es genau diese Frage ist, die mich in Bezug auf meine Töchter gerade am meisten verunsichert. Denn ihnen habe ich die frühkindliche Kooperation leider aus Unwissenheit abgewöhnt. Sie durften nicht immer, wenn sie wollten, im Haushalt mithelfen, einfach auch, weil das für mich Mehrarbeit bedeutete. Nun habe ich den Salat. Sie räumen nicht gern auf und wenn sie in ihrem Zimmer basteln und malen, liegt hinterher alles breit gestreut in der Gegend rum. Oder wenn sie Bonbons essen, werfen sie das Papier manchmal achtlos auf den Boden, statt gleich in den Mülleimer. Argh!!! Das treibt mich in den Wahnsinn!

Was mache ich nun mit ihnen? - Erst einmal nichts. Das hier ist mein Problem, und gar nicht mal so sehr ihres. Ich finde es unschön, wenn ihr Zimmer chaotisch aussieht, sie selbst kommen damit gut zurecht. Sie stört es nicht. Ich erinnere mich, dass mein Zimmer als Kind ebenso unaufgeräumt aussah und das mich das ebenfalls nicht störte. Trotzdem ist aus mir ein halbwegs ordentlicher Mensch geworden. Allerdings räume ich wirklich ungern auf - es macht mir keinen Spaß. Daher bin ich sicher auch nicht das beste Beispiel für meine Kinder.... Ich mische mich also nicht versuche also, mich nicht in das Chaos ihres Zimmers einzumischen (und ja, das fällt mir manchmal schwer). Der Rest der Wohnung liegt in der Verantwortung von uns Erwachsenen. Sollte dort irgendwo ein Bonbonpapier auf dem Boden liegen, bitte ich das entsprechende Kind,  es aufzuheben und wegzuwerfen. Wenn das nicht sofort passiert (was öfter vorkommt), warte ich ab und wiederhole meine Bitte nochmal eine Minute später. Bisher bin ich mit dieser Taktik gut gefahren. Danielle wiederum löst das bei ihren Kindern so, dass sie klar die Aufgabe benennt (Papier aufheben), aber die Kinder entscheiden und sagen lässt, bis wann sie sie erledigt haben wollen (z.B. bis zum Abendbrot). Das klappt wunderbar - eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.
 
Und während ich das schreibe, fallen mir zwei Situationen ein, in denen meine Töchter ihr Zimmer von ganz allein aufräumten. Die eine Situation war kurz vor Weihnachten, die Töchter waren 4,5 Jahre alt und wir hatten den Weihnachtsbaum gerade aufgestellt, aber bis auf die Lichterketten noch nicht geschmückt, weil ich einfach zu kaputt vom Tag war.

geschmückter Weihnachtsbaum
An diesem Abend entschieden sich meine Mädchen kichernd, dass sie nicht im Familienbett einschlafen wollen, sondern allein in ihrem Zimmer (sprich: sie wollten noch spielen). Ich hörte sie bis 23 Uhr rumoren (ohje!), dann ging das Licht aus, und es wurde still. Etwas später ging ich zu ihnen, um sie zu küssen und vielleicht noch einmal zuzudecken. Da sah ich, dass ihr gesamtes Zimmer tiptop aufgeräumt war und sie den Weihnachtsbaum mit selbst gebasteltem Schmuck zuckersüß geschmückt hatten!  Sie hatten sich Stühle zurechtgerückt, um auch an die oberen Äste heranzukommen. Daher kam das Rumoren, das ich gehört hatte. Ich schmolz innerlich dahin, das könnt ihr euch sicher vorstellen.

Die andere Situation war gerade erst vor ein paar Tagen. Auch hier räumten sie ihr Zimmer abends wieder "heimlich" auf, unter dem Vorwand, noch spielen zu wollen, während wir Eltern schon mal duschten und Zähne putzten. Das Zimmer vorher war wirklich ein heilloses Durcheinander und ich war dementsprechend echt überrascht, wie gründlich sie es in der kurzen Zeit aufgeräumt hatten.

Zwang vermeiden - schön und gut, aber das Leben ist nun einmal kein Ponyhof


Ihr werdet vielleicht einwenden, dass es doch aber wichtig ist, dass ein Kind lernt, sich auch mal zu überwinden, wenn es keine Lust hat. Schließlich ist das Leben kein Ponyhof und in der Schule oder später bei der Arbeit kann es sich auch nicht nur die Sachen rauspicken, die es gern macht.

Meine Antwort darauf ist - stimmt, das Leben ist kein Ponyhof und oft werden sich unsere Kinder in ihrem Leben zu Dingen motivieren müssen, die sie eigentlich doof finden. Die Frage ist - wie bringen wir ihnen das am besten bei? Dass es wichtig ist, sich manchmal zu überwinden, weil es sich ultimativ lohnt?
Es gibt zwei Arten, das Kindern beizubringen. Die erste ist, darauf zu pochen, dass sie mithelfen, auch wenn sie keine Lust haben. Man kann das Ganze verschönern, indem man mithilft und Musik anmacht und ein Aufräumlied singt und das kann tatsächlich auch irgendwie ganz schön sein und manchmal macht das sogar so großen Spaß, dass die Kinder für einen Moment Lust am Aufräumen haben. Das ist dann perfekt.

Aber in der Quintessenz bleibt der Fakt, dass bei dieser Art in 90% der Fälle die innere Motivation fehlt und das Aufräumen so zu einem mehr oder minder unschönen Akt wird, der wieder und wieder durchgeführt werden muss. Dadurch mag ein Kind lernen, dass das Leben kein Ponyhof ist und man im Leben Aufgaben bekommt, die einem keinen Spaß machen und die man trotzdem machen muss. Aber das Ziel, ihm beizubringen, dass es sich lohnt, sich zu überwinden, um etwas Anstrengendes zu meistern, wird nicht erreicht. Eher pflanzt man so eine lebenslange Abneigung gegen Aufräumen.

Die zweite Möglichkeit ist, Zwang zu vermeiden und gutes Vorbild zu sein. Einfach selbst aufzuräumen, die Kinder bitten mitzuhelfen, aber nicht enttäuscht sein, wenn sie es nicht tun (ganz wichtig - eure innere Erwartungshaltung sollte tatsächlich neutral sein). Die Zeit spielt da in eure Hände, denn die Kinder werden immer älter und verständiger. Während meine Kinder mit 3,5 oder 4 Jahren noch meist auf dem Bett lagen und mir beim Aufräumen zuschauten (und ja, ich fand das doof), fassen sie jetzt, mit 5, ganz selbstverständlich mit an und helfen mir freiwillig. Weil sie verstanden haben, dass mir das Aufräumen Mühe bereitet und es schneller geht, wenn sie mithelfen. Weil sie verstanden haben, dass es mir Freude bereitet, wenn sie mithelfen. Weil sie verstanden haben, dass es sich schöner spielt in einem Zimmer, das aufgeräumt ist. Dieses Verstehen war aber ein langer Lernprozess, der eigentlich erst richtig einsetzen konnte, als sie meine Perspektive einnehmen konnten.

Wenn sich unsere Kinder dannüberwinden und mithelfen, ist es aus innerer Motivation heraus und es baut sich keine innere Gegenwehr auf. Dann wird das "Sich-Überwinden" und das "Etwas tun, auch wenn man keine Lust hat" verknüpft mit der Freude darüber, dem anderen geholfen zu haben, Teil der Gemeinschaft zu sein und den "Lohn der Arbeit" (das aufgeräumte Zimmer) zu sehen. Langfristig gesehen halte ich das für den lohnenderen Weg, denn dann fällt es ihnen auch in der Schule oder auf der Arbeit leichter, sich für dröges Vokabelpauken zu motivieren - einfach, weil es in ihrem Gehirn positive Verknüpfungen mit dem Sich-Überwinden gibt.

Dieses Warten darauf,  dass bei unseren Kindern der Verstehensprozess einsetzt, ist ein schwerer Weg, weil einem immer wieder von außen eingeredet wird, dass man sich so Kinder heranzieht, die immer den leichteren Weg wählen werden und daher im Leben nicht bestehen können. Es ist schwer, hier seine eigenen Zweifel abzulegen und zu vertrauen. Denn es gibt sie natürlich, die egoistischen Kinder - ich denke, wir haben alle schon welche von dieser Sorte getroffen.

mehrere gebaute SandburgenLetztens saß ich beispielsweise auf dem Spielpatz neben einer Mutter mit ihrem etwa achtjährigen Kind. Der Sohn stand die ganze Zeit neben der Mutter und gab (herrische!) Anweisungen, wie sie seine Sandburg bauen solle. Und die Mutter baute. Eifrig. War dem Jungen etwas nicht genehm, wurde es sogleich wieder eingerissen und neu gebaut. Ich traute meinen Augen nicht, aber es war tatsächlich so. Die erwachsene Frau kniete im Sand und buddelte, während das Kind untätig daneben stand. Da ich nur diese eine Situation zwischen beiden beobachten konnte, weiß ich natürlich nicht, ob der Sohn tatsächlich immer so agiert. Vielleicht war es eine Art Spiel zwischen ihnen. Ich fand es nur wirklich schade, dass hier eine tolle Möglichkeit für Kooperation vergeben wurde : Hätten sie beide gemeinsam gebuddelt und gegenseitig Anweisungen gegeben, was wohin gebaut werden soll, hätte es dem Jungen vermutlich mehr genützt, als sein tatenloses Anweisen. 

Und hier ist der Punkt, an dem der Weg, Zwang zu vermeiden und ein gutes Vorbild zu sein, total schief laufen kann. Aus falsch verstandener Liebe nämlich. Wenn man, weil man Zwang vermeiden möchte, seine eigenen Grenzen nicht mehr klar kommuniziert, sondern diese immer wieder von anderen überschreiten lässt, weil man denkt, das wäre bedingungslose Liebe, dann zieht man in der Tat egoistische, unkooperative Tyrannen heran. Es ist unabdingbar, immer die eigenen Grenzen klar zu kommunizieren und sich nicht aus Angst, die Liebe des eigenen Kindes zu verlieren, immer seinem Willen zu beugen. Sollte eure Grenze also beim Aufräumen liegen, dann solltet ihr in diesem Punkt einen anderen Weg wählen, als ich.  Zu dem wichtigen Unterpunkt "Klar sein" schreibe ich übrigens weiter unten noch mehr.

Zwang vermeiden - vor allem bei persönlichen Bereichen des Kindes

 
Ich versuche also weiterhin, Zwang zu vermeiden, vor allem bei Dingen, die ihren eigenen Bereich/ihren eigenen Körper betreffen. Wollen sie keine Jacke anziehen, ziehen sie keine Jacke an. - Ich nehme aber eine mit, falls sie sich umentscheiden. Ich habe sie niemals dazu angehalten, auf Toilette zu gehen, z. B. vorm Losgehen oder in der ersten windelfreien Zeit. - Ich mache sie aber darauf aufmerksam, wenn wir eine lange Zeit mit der Bahn fahren und dort keine Toilette sein wird. Ich mache keine Vorschriften, wie viel ein Kind zu essen hat. - Ich achte aber darauf, dass das Essen, welches ich anbiete, gesund ist.

Es ist nicht so, dass es mir leicht fiel, ihnen von Anfang an diese Autonomie zu geben. Ich hatte im letzten Herbst etliche Kämpfe mit Fräulein Chaos, weil sie unbedingt weiterhin nur in Sandalen und Flatterkleidchen herumlaufen wollte, obwohl es schon empfindlich kalt wurde (hier habe ich ausführlicher darüber geschrieben). Ich hatte irgendwie immer im Hinterkopf, dass ich doch die Mutter sei, die entscheiden müsse, was gut für die Kinder ist.

Mich schlauchten diese Kämpfe aber so - sie störten unser Miteinander und verpesteten jeden Tag die Luft. Bis es endlich bei mir Klick machte. Ich kann gar nicht für sie entscheiden - Mutter hin oder her - weil es nicht mein Körper ist. Ich mag von außen sehen können, dass ihnen kalt ist, ich mag am Grad der schlechten Laune erkennen, dass sie hungrig sind oder an der Blase, dass die Schuhe drücken. Ich mag ihnen ansehen, dass sie pullern müssen. Aber  es ist ihr Körper und sie müssen lernen, all diese Zeichen selbst zu deuten. Sie müssen Eigenverantwortung übernehmen und ich muss ihnen vertrauen. Denn es ist wichtig, dass ein Kind auch mal in die Hose macht, um selbst zu merken, wie viel Fassungsvermögen seine Blase hat und zu erkennen, wann es "zu spät" ist, um es noch auf die Toilette zu schaffen. Es ist wichtig, dass es lernt, dass Schuhe nicht unbedingt die Eiskönigin aufgedruckt haben müssen, sondern zu aller erst einmal gut passen müssen.

Und erst, wenn ihre Entscheidung wirklich frei ist, also auch ohne heimlichen Druck  (z. B. wenn ich sie ohne Jacke gehen lasse, weil ich denke, sie ziehen sie bei der Kälte sowieso bald an und dann aber innerlich sauer werde, wenn sie es nicht tun), ist der Weg frei für die echte Kooperation. Druck - auch heimlicher- verursacht immer Gegendruck. Ich habe das im letzten Jahr am eigenen Kind erfahren. Es ist wirklich immens wichtig, dass ihr, wenn ihr euren Kindern die Wahl lasst, wirklich keine heimliche Agenda im Hinterkopf habt. Gerne lassen Eltern ihre Kinder zum Beispiel im Schlafanzug in den Kindergarten gehen, weil sie hoffen, dass sie dort von den anderen ausgelacht werden. Das ist wirklich ein absolutes No-Go! Man kann aber sein Kind darin unterstützen, im Schlafi in den Kindergarten zu gehen, wenn das der ehrliche Wunsch des Kindes ist. Dann muss man aber hinter der Entscheidung des Kindes stehen und es darin bestärken, seinen Weg zu gehen, auch wenn andere den seltsam finden.

Kind mit Schirm und Gummistiefeln in PfützeIch weiß, was ihr jetzt sagen wollt. ich weiß es, weil ich das vor einem Jahr ebenfalls im Kopf hatte. Ihr möchtet mir entgegnen, dass es ja nicht nur das Kind betrifft, wenn es im Herbst oder Winter keine Jacke anzieht. Denn wenn es dadurch krank wird, dann müsst ihr ja zuhause bleiben und es pflegen. Es ist euer (möglicher) Verdienstausfall und es sind eure Nerven, während das Kind relativ glücklich im Bett liegt, Hustenbonbons lutscht und Heidi guckt. Ja, das stimmt. Daran gibt es nichts zu rütteln - es betrifft auch euch, wenn euer Kind krank wird und deshalb wäre es besser, wenn es sich dem Wetter entsprechend kleiden würde.

Nun kommen meine "Aber" zu diesem Punkt: Erstens ist bei uns noch nie der Fall eingetreten, dass sie krank wurden, weil sie sich falsch kleideten. Ich muss ehrlich zugeben, dass der Instinkt meiner Kinder, was das Wetter angeht, besser ist als mein Aus-dem-Fenster-und-auf-die Wetter-App-Gucken. Denn ich war schon etliche Male zu kalt oder zu warm angezogen (meist zu warm), aber meine Töchter nie. Selbst, wenn es nach Regen aussah und ich in Regenjacke losstiefelte, brach nach spätestens zehn Minuten die Sonne durch und meine Töchter in ihren Kleidchen waren perfekt angezogen, während ich fluchend meine Jacke tragen musste.

Zweitens können Kinder nicht richtig lernen, wie der Zusammenhang zwischen Kleidung, Wetter und Krankheit ist, wenn wir ihnen andauernd vorgeben, was sie anzuziehen haben. Wenn ihnen nie zu kalt ist - wie sollen sie dann die Notwendigkeit einer Jacke erkennen? Erst, wenn sie selbst verstanden haben, dass eine Jacke vor Kälte und ultimativ vor Krankheit schützt, werden sie sie freiwillig und ohne Zwang anziehen - und ihr müsst nicht mehr wegen kranker Kinder zuhause bleiben. Das bedeutet aber, dass sie das Ganze erst einmal mindestens einmal durchmachen müssen. Sie diesen Zusammenhang lernen zu lassen ist jedoch meines Erachtens einfacher, als jeden Tag darum zu kämpfen, dass sie sich ordentlich anziehen.

Kindern Zeit lassen


Ich konnte einmal beobachten, wie ein (mir bekannter) viereinhalbjähriger Junge seinem Freund aus Quatsch auf dem Spielplatz den Spielbagger wegnahm und damit herausfordernd herumrannte. Der Freund reagierte wie gewünscht: Er rannte jammernd hinterher und wollte den Bagger wieder haben. Als das nichts half, wandte er sich an die Mutter des Wegnehmers. Diese reagierte ziemlich cool, wie ich fand: Sie rief ihrem Sohn zu, er solle im Gesicht seines Freundes nachforschen, ob er dort Freude an dem Spiel erkennen könne.

Der Wegnehmer guckte tatsächlich zu seinem Freund, hörte aber zunächst nicht mit dem Herumrennen auf, er gab den Bagger auch nicht prompt zurück, sondern versuchte noch ein paar Minuten lang, seinen Freund zu diesem "lustigen" Spiel zu überreden. Nach etwa fünf Minuten (die  mir allerdings vorkamen, wie eine Ewigkeit), ging ein kleiner Ruck durch den wegnehmenden Jungen. Er hielt an, guckte zu seinem Freund und fing gerade an, die Hand mit dem Bagger zu heben. Er wollte ihn tatsächlich freiwillig zurückgeben.

Ich sah es, seine Mutter sah es und die Mama des Baggerbesitzers sah es auch. Leider nicht eine Nachbarin, die die Szene beobachtet hatte. Sie stürzte, als er anhielt, auf den Jungen zu und entriss ihm den Bagger gerade in dem Moment, als er ihn zurückgeben wollte, mit den Worten: "Hast du nicht gehört? Du sollst den Bagger zurückgeben!"

Das war natürlich gut gemeint von ihr. Trotzdem hatte sie ihm durch ihre (körperliche) Einmischung die Chance genommen aus dem Grund heraus freiwillig zu kooperieren, weil er erkannt hatte, dass er damit einem anderen Kind Unbehagen beschert hatte. Seine Empathie, seine Fähigkeit, Gefühle bei anderen zu erkennen, sein moralisches Verständnis, sein Selbstbildnis als Kind, das sich für "das Richtige" entscheidet - all das hätte in diesem Moment wachsen können, wenn sie ihm noch eine halbe Minute mehr Zeit eingeräumt hätte.

Deshalb ist mein Appell an euch: Wenn ihr von euren Kindern Kooperation erwartet, dann gebt ihnen ein bisschen Zeit, sich für das Richtige zu entscheiden. Steht kein Druck hinter eurer Bitte nach Mitarbeit, sondern echte Freiwilligkeit, werden sie oft (nicht immer) nach einem kurzen Moment des "Gesicht-Wahrens" doch mitarbeiten.

Das "Gesicht-Wahren", also diese kurze Zeit des Zögerns, ist ihnen aber wichtig, weil sie damit zeigen, dass sie ein eigenständiger Mensch mit eigenen Gedanken sind. Ihr könnt das sicher nachvollziehen - auch wir Erwachsenen kooperieren nicht immer sofort. Werden wir zum Beispiel gebeten, den Müll weg zu bringen oder den Abwasch zu machen, dann stürzen wir uns nicht sofort auf diese Aufgabe, sondern beenden erst einmal das, was wir gerade tun. Manchmal bringen wir den Müll erst eine halbe Stunde später hinaus, weil wir dann sowieso losgehen und uns das zeitlich besser passt.

Sicher, bei "akuten" Situationen greifen wir sofort zu, z. B. wenn wir eine Mutter mit Kinderwagen sehen, die an einer Treppe steht und Hilfe braucht. Aber das ist eben ein Lernprozess, den wir damals, als wir Kinder waren, auch erst einmal durchlaufen mussten. Genauso geht es unseren Kindern. Geben wir ihnen also die Zeit.

Vertrauen in Kinder haben


Das Vertrauen, von dem ich hier spreche, hat viel mit der Macht der inneren Erwartungshaltung zu tun, die ich im ersten Teil der Kooperations-Serie beschrieb. Wir müssen lernen, unseren Kindern ganz selbstverständlich zu vertrauen. Wir müssen darauf vertrauen, dass sie sehen können, wie sich die Menschen in ihrem sozialen Umfeld verhalten und das sie dieses Verhalten annehmen werden, früher oder später, einfach, weil sie eine angeborene Tendenz dazu haben, sich sozial zu verhalten.

Dementsprechend wird es in vielen Fällen ganz und gar unnötig, zu erziehen. Es reicht, den Kindern soziales Verhalten vorzuleben. Wenn ihr selbst höflich Bitte und Danke sagt, alten Menschen in der Bahn euren Platz anbietet, einer Mutter helft, den Kinderwagen die Treppe hochzutragen oder jemandem die Tür aufzuhalten, der gerade etwas schweres trägt.

zwei Schippen im SandIch hatte zu dem Punkt einmal ein sehr erhellendes Erlebnis mit meinen Töchtern. Sie waren damals noch klein, etwa 14 Monate alt. Sie hatten die Angewohnheit, Dinge nicht zu übergeben, sondern dem anderen Menschen einfach zuzuwerfen. Wenn sie also der Oma einen Baustein bringen sollten, liefen sie auf sie zu und warfen den Stein dann aus etwa einem Meter Entfernung in ihre Hände. Ihr könnt euch vorstellen, dass das völlig inakzeptabel war. Ich war ziemlich verzweifelt, da nichts, was ich probierte, sie wirklich davon abhielt. Ich übte mit ihnen immer wieder das Übergeben und immer, wenn sie wieder geworfen hatten, wiederholte ich gebetsmühlenartig, aber freundlich: "Bitte übergib es vorsichtig!"

Irgendwann saß ich mit ihnen im Buddelkasten, es war ein schöner Nachmittag und ich hatte einen leckeren Kaffee neben mir stehen. Etwa drei Meter von mir entfernt buddelten die Töchter. Neben mir lag eine Schippe, die Fräulein Ordnung gerne haben wollte. Sie streckte ihre Hand danach aus und bedeutete mir, ich solle sie ihr bringen. Da ich ziemlich geschafft war, wollte ich nicht aufstehen, also nahm ich die Schippe und warf sie vorsichtig in den Sand vor ihr, damit sie sie sich selbst nehmen konnte. Als die Schippe ordnungsgemäß dort landete, wo ich sie haben wollte, hatte ich plötzlich die Lösung für unser "Wurf-Problem". Ich war die Ursache dafür, dass sie immer alles werfend übergaben!

Plötzlich schossen mir hunderte kleine Begebenheiten in den Kopf, in denen ich meinen Kindern vorsichtig etwas vor die Füße geworfen hatte, weil ich gerade zu faul war, aufzustehen. Da ich 20 Jahre Handball gespielt habe, ist mein Werfen so präzise, wie es nur sein kann, d. h. ich hatte die Gegenstände immer sanft vor sie hingeworfen und natürlich auch nur aus nächster Nähe. Aber ich hatte geworfen - nicht übergeben. Meine Töchter verhielten sich gar nicht anti-sozial. Sie hatten mich nur kopiert und ich hatte es nicht kapiert!

In dem Moment, in dem ich aufhörte, ihnen Sachen zuzuwerfen, fingen sie dann übrigens an, Dinge sanft zu übergeben, so dass die Oma und andere Freunde nicht mehr mit einem Loch im Kopf rechnen mussten. Sollten eure Kinder also (noch) nicht Bitte und Danke sagen oder andere gesellschaftliche Regeln verinnerlicht haben, guckt, wie es mit diesen Punkten bei euch (und anderen wichtigen Erwachsenen) steht. Könnt ihr reinen Gewissens sagen, dass ihr immer vorbildlich agiert, dann liegt das (noch) anti-soziale Verhalten vielleicht am Alter eurer Kinder oder an ihrer Schüchternheit oder Verträumtheit. Dann gebt ihnen Zeit, macht ihnen vor, wie es richtig geht und vertraut darauf, dass sie es übernehmen werden.
 
Ich weiß, dass dieser Punkt derjenige ist, an dem es zu vehementen Diskussionen mit Anhängern eines Michael Winterhoff oder Bernhard Bueb kommt. Die beiden Autoren behaupten ja weiterhin standhaft, dass unsere Kinder nur durch von Eltern konsequent anerzogenen Tugenden wie Disziplin und Gehorsam zu glücklichen Menschen werden. Gerade Bueb wird nicht müde, allen, die es hören wollen, zu erklären, dass der Mensch eine "gefallene Natur" ist, und gut und böse in sich vereint. Deshalb muss ihm aus Buebs Sicht geholfen werden, das Gute in sich zu stärken und das Böse in Zaum zu halten.
 
Ich möchte diese Diskussion an dieser Stelle hier nicht aufgreifen oder ausweiten, Ihr wisst, dass es mein Standpunkt ist, dass Kinder von Natur aus gut sind und ihr gesellschaftlich inadäquates Verhalten immer einen Grund hat. Trotzdem stimme ich den beiden insoweit zu, als dass ein Erwachsener, wenn er in einer Beziehung mit Kindern lebt (als Elternteil, Kindergarten-Erzieherin, Lehrerin etc.) deutlich seine persönlichen Grenzen aufzeigen muss, damit ein Kind verstehen lernt, dass die Freiheit des einen da aufhört, wo die Freiheit des anderen anfängt und eine Gemeinschaft nur funktionieren kann, wenn sich jeder aus Rücksicht ein Stück zurück nimmt. Diese wichtige Lehre lernt ein Kind zwar durchaus auch über Disziplin und Gehorsam, aber eben nicht exklusiv. Ich werde das im nächsten Unterpunkt ausführlich aufzeigen.

Klar sein

 
Die Ureinwohner Yequana, über die ich im ersten Teil der Kooperations-Serie schon schrieb, sind absolut klar in ihrer Erwartungshaltung Kindern gegenüber. Es liegt ihnen absolut fern, irgendjemand zu etwas zu zwingen oder auch nur überreden zu wollen, dennoch gehen sie mit vollster Überzeugung davon aus, dass ein Kind, das eine Anweisung erhält, etwas für die Gemeinschaft zu tun bzw. etwas zu unterlassen, dies sofort ausführen wird - ohne, dass dafür eine drohende Strafe im Hintergrund stehen muss.
 
Diese volle Überzeugung, das Vertrauen, ist uns leider abhanden gekommen und wir strahlen keine Klarheit mehr aus, wenn wir von unseren Kindern etwas verlangen. Ein gutes Beispiel ist vielleicht das Weglaufen. Es ist in unserer Gesellschaft nicht unüblich, dass kleine Kinder vor ihren Eltern wegrennen. Meist kichern sie dabei, nicht selten rennen sie kopflos auf die Straße. Und obwohl ich mir sehr sicher bin, dass die Eltern 100% nicht wollen, dass ihre Kinder weglaufen und auf die Straße rennen, scheinen sie es nicht klar auszustrahlen. Die innere Unsicherheit darüber, ob das Kind gehorcht, wirkt im Unbewussten auf das Kind.
 "Eines der seltsamsten Ergebnisse des verlorenen Glaubens an das Kontinuum ist die Fähigkeit von Erwachsenen, Kinder dazu zu bringen, dass sie vor ihnen weglaufen. Nichts könnte dem Kontinuumherzen eines Babys näherliegen, als der Wunsch, in unvertrautem Gebiet nahe bei seiner Mutter zu bleiben. Bei allen mit uns verwandten Säugetieren sowie auch Vögeln, Reptilien und Fischen folgen die Jungen, und solches Verhalten liegt eindeutig in ihrem Interesse. Ein Kleinkind der Yequana würde es sich nicht im Traum einfallen lassen, sich auf einem Waldweg von seiner Mutter zu entfernen, denn sie blickt nicht um sich, um festzustellen, ob es wohl folgt, sie gibt ihm nicht zu verstehen, dass es eine mögliche Wahl gebe oder dass es ihre Aufgabe sei, sie zusammenzuhalten; sie verlangsamt lediglich ihren Schritt so weit, dass es mithalten kann. [...] Ihr Verhalten zeigt ihm [...], wann immer sie auf es warten muss, weil es gefallen ist,[...] dass sie weiß: das Kind wird nicht länger brauchen, als ohne Druck notwendig ist, bis sie gemeinsam ihren Weg fortsetzen können. Ihre Annahme über seinen angeborenen Sozialtrieb wirkt zusammen mit seinem Bestreben, zu tun, was es als ihre Erwartung erkennt. [...] Und doch: trotz unserer millionenjährigen Vorgeschichte und des beständigen Beispiels unserer Tiergefährten sowie immer noch einiger unserer Mitmenschen haben wir es fertig gebracht, unsere Kleinkinder zum Weglaufen zu bewegen. [...] Ein einfacher Vorschlag wie "Geh nicht hin, wo ich dich nicht sehen kann" mit einem Beiklang von Besorgnis (Erwartung) geäußert, verursacht viel Verkehr in Sammelstellen für verlorengegangene Kinder, und, wenn noch ein Versprechen beigemischt wird wie "Pass auf, du wirst dir weh tun!", auch noch eine ganze Reihe von Ertrinkungsunfällen, ernsten Stürzen und Verkehrsunfällen dazu" [Liedloff, J., 1998: 115ff].
Dieses "klar sein" ist ein wenig schwammig in seiner Bedeutung, oder? Ich werde versuchen, es mal mit einem Beispiel zu erklären.

Denkt einmal zurück an den Tag, als euer Kind euch das erste Mal darum bat, an eurem Kaffee, eurer Cola oder eurem Bier nippen zu dürfen oder an eurer Zigarette zu ziehen. Das "Nein", das ihr damals ausgesprochen habt, war ganz bestimmt so klar, dass euer Kind das nicht in Frage stellte und nie wieder nachhakte. Es war einfach definitiv keine Option offen - und das habt ihr ausgestrahlt.

Bei anderen Dingen dagegen, bei denen ihr euch nicht sooo sicher wart (Darf das Baby ein Stück vom Kuchen? Kann das Kleinkind die Sahne vom Kaffee schlecken? Kann das Kind eine zweite Kugel Eis essen?) klang euer "Nein" nicht definitiv genug und prompt fragten eure Kinder immer wieder nach. Denn sie spüren, dass es da noch Verhandlungsspielraum gibt, sie spüren, dass ihr nicht klar seid. Wenn ihr also innerlich sicher darüber seid, was genau ihr wollt, dann wirkt das mächtiger auf eure Kinder, als alles Reden dieser Welt.

Das gilt eben auch für das Weglaufen - ihr mögt euch sicher sein, dass ihr nicht wollt, dass euer Kind weg- oder auf die Straße läuft. Aber ihr strahlt keine Sicherheit darüber aus, dass ihr definitiv wisst, dass es das nicht tun wird.

Das ist kein Vorwurf meinerseits, bitte versteht mich nicht falsch. Ich führe euch nur das Dilemma vor Augen, in dem die heutige Elterngeneration steckt. Wir müssen die innere Gewissheit (wieder)erlangen, dass wir  einerseits als Erwachsene in der Beziehung zu unseren Kindern die Verantwortung und den Weitblick haben und andererseits unsere Führung ohne Strafen und Konsequenzen von unseren Kindern anerkannt werden wird. Da uns das in der Kindheit niemand vorgelebt hat (unsere Eltern agierten ja vornehmlich mit drohenden Strafen), fällt uns dieser Glaube so verdammt schwer, während die Yequana die Frage "Und was tust du, wenn deine Kinder nicht das machen, was du sagt?" vermutlich nicht einmal verstehen würden.

Kind läuft auf der StraßeWir müssen also lernen, klar zu sein, innerlich wie äußerlich. Damit geben wir unseren Kindern die Verhaltenssicherheit, die andere Erziehungsratgeber über die "logischen Konsequenzen" erreichen. Es ist ein "Ich erwarte, dass du das tust, was ich von dir möchte, weil ich dir sonst ein Privileg entziehe und ich weiß, dass du das nicht magst." versus "Ich gehe 100% davon aus, dass du das tust, was ich von dir möchte, weil ich weiß, dass du von Natur aus kooperieren willst".

Es ist das Vertrauen darin, dass unsere Kinder mit naturgegebenen Tendenzen, sich sozial zu verhalten, geboren werden und man diese nicht anerziehen muss. Es ist auch die Sicherheit, dass es normal und altersgemäß ist, wenn Kinder mal nicht gesellschaftstauglich agieren. Nur, wenn ihr euch dieser Punkte sicher seid, werdet ihr dieses Vertrauen auch  ausstrahlen. Und diese Ausstrahlung wirkt dann auf eure Kinder. Sie spüren das Vertrauen  und eure Sicherheit. Ihr werdet für sie "klar lesbar". Zweifelt ihr an euren Erziehungskompetenzen oder zweifelt ihr an, dass Kinder tatsächlich kooperieren wollen, werden auch eure Kinder unsicher und verlaufen sich.

Ich weiß, es ist leichter gesagt, als getan, weil wir selbst nicht so aufgewachsen sind, aber meine Bitte ist: Vertraut euren Kindern. Sie kennen ihren Weg. 
 

Miteinander reden


Jeden Tag, seit eure Kinder geboren wurden, strengt ihr euch als Eltern unglaublich an, um die Erziehung, die ihr selbst genossen habt und die eurer Bauchgefühl bestimmt, zu überwinden. Jeden Tag wachst ihr über euch selbst hinaus. Jeden Tag kostet das euch eine Menge Kraft und nicht selten verzweifelt ihr, wenn ihr in euren Augen mal wieder "doof" reagiert habt. Jeden Tag beginnt ihr neu - für eure Kinder.

Leider würdigen das eure Kinder oft nicht, oder? Sie reagieren trotzdem ungehalten, sie schreien, sie meckern, sie weinen, sie motzen. Sie kooperieren nicht. Manchmal verweigern sie ihre Mitarbeit aus purem Trotz. Sie sehen eure Anstrengung gar nicht, es anders zu machen, als eure Eltern. Sie sind kein bisschen dankbar, dass es bei euch in der Familie anders läuft, als in vielen anderen Familien. Ist das nicht voll fies?

Nein, ist es nicht. Denn eure Kinder wissen gar nicht, wie sehr ihr euch anstrengt. Sie wissen nicht, wie es in anderen Familien läuft oder wie Oma und Opa damals erzogen haben. Sie wissen nicht, wie es wäre, wenn ihr nicht jeden Tag neu den Kraftakt angehen würdet, bedürfnis- und beziehungsorientiert zu erziehen.

Mutter kuschelt mit KindSie nehmen einfach das, was jeden Tag bei euch in der Familie passiert, als wahre Liebe an. Weil sie keine anderen Alternativen dazu kennen. Jedes Kind wird mit dem Bewusstsein geboren, dass seine Eltern es bedingungslos lieben werden - das ist in unserem menschlichen Organismus so eingraviert. Wenn diese bedingungslose Liebe Schläge beinhaltet, dann nehmen Babys und Kleinkinder diese als gegeben hin. Es muss wohl so sein, wenn es von den Eltern kommt. Genauso nehmen sie eure Güte und Selbstlosigkeit einfach als gegeben hin - das muss wohl so sein, wenn es von den Eltern kommt. Euer Verhalten in den ersten drei Jahren definiert ihre Ansicht von Liebe, und damit auch ihre späteren außerfamiliären Beziehungen. Aber euer Verhalten wird für eure Kinder niemals ungewöhnlich sein, und daher auch nicht bemerkens- oder dankenswert. Ihnen ist schlicht und ergreifend nicht klar, wie viel Glück sie mit euch haben.

Deshalb ist es wichtig, mit ihnen darüber zu reden. Nicht als Drohung ("Sei froh, dass du mich hast! In anderen Familien hättest du schon längst den Hintern versohlt bekommen, wenn du so frech bist!"), sondern einfach als Verbalisierung einer Situation. Wenn ihr euch also die Zeit nehmt, euer Kind Steinchen aufsammeln zu lassen, obwohl ihr eigentlich lieber weitergehen möchtet, dann sagt das so: "Du möchtest hier so gern noch sammeln und ich möchte gern weitergehen. Na gut, ein bisschen Zeit haben wir ja noch. Dann warte ich hier, bis du fertig bist."  Wenn ihr seht, dass euer Kind es nicht schafft, allein aufzuräumen, dann könntet ihr sagen: "Das Aufräumen fällt dir schwer. Na, komm, dann helfe ich dir. Zu zweit ist es einfacher und geht schneller." So macht ihr eure Kinder aufmerksam auf eure Kooperationsbemühungen, welche sie sonst vermutlich übersehen hätten. So helft ihr ihnen auch, ihren Blick zu schärfen und legt einen guten Grundstein dafür, dass sie später bei ihren eignen Kindern das "Catch them at being good" nicht erst mühevoll erlernen müssen.

Das miteinander Reden beinhaltet bei etwas älteren Kindern auch die gewaltfrei kommunizierte Bitte nach Kooperation. Es ist nämlich keine Schande, zuzugeben, wenn man als Erwachsener in einer Situation in der Sackgasse ist, weil das Kind sich absolut weigert, mitzuarbeiten: "Okay, ich merke, dass du das jetzt wirklich nicht willst. Mir ist aber wichtig, dass heute aufgeräumt wird. Ich kann und möchte dich nicht zwingen, aufzuräumen, weil ich Zwingen nicht für richtig halte. Im Kindergarten darfst du das nächste Mal nicht mitspielen, wenn du das Aufräumen verweigerst. Ich finde diese Lösung für uns zuhause nicht gut.  Aber damit das ohne Zwingen klappen kann, brauche ich deine Kooperation. Wir müssen einen Kompromiss finden, der für uns beide okay ist. Du kommst mir entgegen und ich komme dir entgegen. Wie, meinst du, kann das Aufräumen klappen?"

Es ist immer wieder überraschend, wie kreativ Kinder dabei sein können, Kompromisse zu finden und wie einfach diese Lösungen dann manchmal sind. Ist es nicht möglich, sofort einen Konsens zu erzielen, werden die gesammelten Möglichkeiten gemeinsam bewertet und zusammen eine Entscheidung getroffen. Gerade wenn es sich eher schwierig gestaltet, einen Kompromiss zu erzielen, kann es sich anbieten, vorläufige Ergebnisse zu akzeptieren. Die Alterative mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner wird umgesetzt und nach einem bestimmten Zeitablauf bewertet. Das geht natürlich noch nicht mit einem Zweijährigen. Aber etwa um den Zeitpunkt herum, an dem ein Kind lernt, die Perspektive eines anderen einzunehmen, kann man damit durchaus beginnen. Dieser Meilenstein wird mit etwa 4 Jahren erreicht, einige Kinder können es auch schon mit 3,5 Jahren.

Oft mache ich meine Kinder auch auf Situationen aufmerksam, in denen Fremde gerade kooperieren oder Kompromisse finden. Ich sitze gern auf dem Spielplatz auf der Bank, manchmal gesellt sich dann eine meiner Töchter zu mir. Früher haben wir bei solchen Bank-Gesprächen über die Emotionen in den Gesichtern der anderen gesprochen, heute beobachten wir eben soziale Situationen. Dabei ist mir auch aufgefallen, wie wichtig das Spielen in einer altersgemischten Kindergruppe für das Erlernen von Kooperation ist.

In Kindergruppen frei spielen


Altersgemischte Kindergruppen sind ein wahrer Nährboden für Kooperation und es ist äußerst schade, dass heute kaum noch solche Gruppen frei durch das Wohngebiet streifen. Wenn ich beobachte, wie einander fremde Kinder zusammenarbeiten, um auf dem Wasserspielplatz einen großen Damm oder Kanal zu bauen ("Du musst da graben. Und ich baue hier die Wand." - "Hey, ich brauche hier mehr Matsch, bring den mal her!" - "Noch nicht das Wasser fließen lassen - wir sind hier noch nicht fertig." - "Es bricht durch, wir brauchen mehr Matsch, schnell!"), dann muss ich neidlos anerkennen, dass Kinder im Spiel anderen Kindern viel, viel mehr über Kooperation beibringen können, als jeder Erwachsene.

Selbst, wenn sie einfach nur zusammen wippen wollen, kann das eine Kind sich nicht einfach auf die Wippe setzen, weil dann das andere Kind nicht auf seinen Platz kommt. Nein, das erste Kind muss sich erst einmal halb auf seinen Sitz setzen, so dass die Wippe in etwa waagerecht steht und das andere Kind hinaufgelangen kann. Dann müssen sie gemeinsam einen Rhythmus finden, damit das Wippen Spaß macht. Sie müssen gegenseitig herausfinden, wie doll sie wippen können, ohne, dass der eine Angst bekommt oder dem anderen langweilig wird. Und auch beim Absteigen ist wieder Kooperation gefragt, denn wenn einer einfach abspringt, tut der andere sich weh. 

Es gibt auch wunderbare kooperative Spiele, die Kinder miteinander spielen können, wenn es draußen regnet . Das bekannteste ist vermutlich Obstgärtchen* von HABA. Hier spielen die Mitspieler gegen einen Raben, der die Kirschen vom Baum stehlen möchte. Es ist eine enge Zusammenarbeit erforderlich, um ihn davon abzuhalten. Im Laufe des Spiels werden Karten umgedreht - die Motive müssen sich alle Beteiligten merken, um am Ende Erfolg zu haben - Vorsagen ist natürlich erwünscht. Auch hier sehen Kinder: nur gemeinsam schaffen wir es, unser Ziel zu erreichen.
 

Ausblick

 
In Teil 3 der Artikelserie werde ich tagebuchbloggen und zeigen, wie die Morgen im Hause Snowqueen so ablaufen. Dabei geht es nicht darum, ob ich es "gut" oder "schlecht" mache, sondern einzig und allein darum, euch zu zeigen, wie viel ich kooperiere und wie viel meine Kinder kooperieren. Der Text ist also zu verstehen als Ergänzung zum Unterpunkt "Kooperation vorleben" hier aus Teil 2 der Artikelreihe. In Teil 4 werde ich euch dann bewährte Tipps und Tricks für typische Probleme (Bummeln, nicht Anziehen wollen, die Treppe nicht allein laufen wollen etc.) aufzeigen, mit deren Hilfe die Kooperationsbereitschaft ein wenig erhöht werden kann.

© Snowqueen
 

Literatur


 


 

Spielen - kindliches Spielverhalten in den ersten Jahren

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Warum spielen Kinder?


Kinder spielen um des Spielens willen - sie verfolgen mit ihrem Tun dabei keinen bewussten Zweck oder ein bestimmtes Ziel. Dennoch eignen sie sich dabei nach und nach bestimmte Fähigkeiten an und vertiefen sie. Das Spielverhalten von Kindern spiegelt in der Regel ihren Entwicklungsstand wider. Die Abfolge der Entwicklung ist dabei interessanterweise bei fast allen Kindern rund um den Globus gleich. Das Spielen wirkt sich positiv auf das seelische Gleichgewicht aus, weil es dabei hilft, Erfahrungen zu verarbeiten und Emotionen auszuleben. Das stärkt das Immunsystem und fördert die Entwicklung der synaptischen Verbindungen im Gehirn.

Arten des Spielens

 

Erkunden von Eigenschaften


Vor allem im ersten Lebensjahr sind Kinder vor allem damit beschäftigt, die physikalischen Eigenschaften der Gegenstände in ihrer Umwelt zu erkunden. Dabei werden vor allem die Hände und die Zunge genutzt - das Sehen spielt zunächst eine untergeordnete Rolle. Erst im zweiten Lebensjahr wird das Auge primäres Sinnesorgan zum Erkunden.

 

Fähigkeitenerwerb durch Nachahmung


Ein Kind benötigt etwa 10 bis 20 Jahre, um sich die wesentlichen Verhaltensweisen anzueignen, mit denen es sich in der komplexen menschlichen Beziehungsstruktur und Gesellschaft zurecht findet. Erlernt werden diese vor allem durch Nachahmung.

Schon in den ersten Lebensmonaten ahmen Babys die Mimik ihrer Eltern nach. Später werden Laute, im zweiten Jahr dann vor allem die Sprechweise der Bindungspersonen nachgeahmt. Auch Handlungen wie Winken oder Klatschen werden dann imitiert, ebenso das mit Besteck essen oder andere einfache Bewegungsabläufe.

Erkunden räumlicher Beziehungen


Türme bauen, Wasser von einem Behälter in den anderen füllen, Becher stapeln - diese Tätigkeiten dienen der Erkundung des Raumes. Das Kind lernt spielerisch die ersten physikalischen Grundlagen.

Erkunden von Gesetzmäßigkeiten


Schon nach dem 26-Wochen-Sprung begreift ein Baby, dass es an der Schnur ziehen muss, um die Spieluhr zum klingen zu bringen, also den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. Nach dem ersten Geburtstag beginnt es Dinge nach Eigenschaften zu kategorisieren. Das bildet die Grundlage für das logische Denken.

Wie Eltern "richtig"mitspielen


Kinder spielen mehr oder weniger ausdauernd allein, am liebsten spielen sie jedoch mit ihren Bindungspersonen. Während wir mit Babys noch recht unbefangen und intuitiv spielen, geht uns diese Fähigkeit mit zunehmendem Alter leider teilweise verloren. Eltern neigen dazu, ihren Kindern beim Spiel aktiv etwas beibringen zu wollen oder zu helfen, wenn es eigentlich unangebracht wird. Das kindliche Spiel dient zwar dem Erwerb von Fähigkeiten, das heißt aber nicht, dass wir unser Kind anleiten müssen. Es probiert von ganz alleine immer und immer wieder geduldig aus, wie etwas funktionieren könnte. Helfen wir (ungefragt) dabei, entmutigen und behindern wir es sogar - mehr dazu könnt ihr im Artikel Gesunde Kinder müssen nicht gezielt gefördert werden nachlesen.
 

Nicht unnötig beim Spielen eingreifen


Jedes Kind beginnt vollkommen selbstmotiviert irgendwann, Türme zu bauen. Es ist wichtig, das Spiel des Kindes nicht ständig zu bewerten. Eltern neigen dazu, den Erwerb neuer Fähigkeiten ausgiebig zu kommentieren und überschwänglich zu loben.  Ohne unseren Einfluss probiert das Kind in der Regel ausdauernd immer und immer wieder verschiedene Bauweisen und entdeckt nach und nach, welche Umstände die Stabilität des Turms beeinflussen. Hat es nach vielen Fehlversuchen endlich einen beachtlich großen Turm aufgebaut, freut es sich riesig über die eigene Leistung. Wenn wir ihm hingegen ausführlich erklären, wie das am besten geht, immer wieder korrigieren, eingreifen und Ratschläge geben, dann erreicht es das Ergebnis zwar schneller, aber der Weg ist für das Kind zutiefst unbefriedigend. Es braucht die Fehlversuche, um zu lernen, nicht unsere Anweisungen! Zudem betrachtet es am Ende das Ergebnis nicht als eigene Leistung und wird sich sehr viel weniger darüber freuen, als wenn es das Bauwerk aus eigener Kraft erschaffen hat.
 
Ständiges Eingreifen wirkt sich nachteilig auf die Entwicklung des Selbstbewusstseins und des Selbstbildes aus und kann Resignation und Angst vor dem Versagen fördern. Auch wenn wir es gut meinen und eigentlich ja nur helfen wollen - wir signalisieren unserem Kind damit unterschwellig, dass wir ihm nicht zutrauen, das Vorhaben alleine zu bewerkstelligen. Da unsere Kenntnisse in Bezug auf den Turmbau recht umfassend sind, gelingt es mit unserer Hilfe recht schnell, in kurzer Zeit tolle Bauwerke zu erschaffen. Probiert es das Kind dann alleine, ist ein Scheitern im Grunde programmiert. Das, was mit uns zusammen scheinbar ganz mühelos erschaffen wurde, will dem Kind allein überhaupt nicht gelingen. Bleibt dann auch noch das Lob aus, mit dem wir es motivieren wollten, kann das unter Umständen dazu führen, dass das Kind seine Bemühungen frustriert einstellt.

 

Das Kind beim Spiel nicht über- oder unterfordern

 
Um Kinder beim Spiel weder zu über- noch zu überfordern, sollten wir wissen, welchen Entwicklungsstand es in Bezug auf sein Spielverhalten gerade hat. Wenn wir es zu einem Spiel animieren wollen, das noch nicht seinem Entwicklungsstand entspricht, wird es wütend und schmeißt ggf. (je nach Temperament) die Spielsachen durch die Gegend. Wenn wir etwas spielen wollen, das das Kind unterfordert, wird es möglicherweise ebenfalls mit Missfallen reagieren. Am interessantesten sind immer die Spiele, die dem aktuellen Entwicklungsstand entsprechen. Da dieser sehr dynamisch ist, kann es sein, dass Kinder Spiele, die sie gestern noch mit Hingabe spielten, plötzlich vollkommen uninteressant finden.  Wenn wir Spielangebote machen möchten, erkennen wir an der Reaktion des Kindes meist ganz gut, wie gut das Spiel gerade passt. Ist das Kind interessiert und freudig, haben wir eine gute Wahl getroffen. Am sinnvollsten ist es, die Kinder einfach selbst wählen zu lassen, was wir mit ihnen spielen sollen.
 

Die Entwicklung des kindlichen Spiels

 

Die ersten Monate

 
In den ersten Lebensmonaten können Kinder ihre Lage aus eigener Kraft nicht verändern. Sie sind außerdem noch nicht in der Lage, Gegenstände zu halten, so dass sie fast ausschließlich durch ihre Mimik und Gestik mit anderen spielen können. Mütter spielen ganz instinktiv mit ihren Babys. Sie positionieren ihr Gesicht so, dass das Kind sie gut erkennen kann und arbeiten stark mit ihrer Mimik. In der Regel schauen sie das Kind mit dem Ausdruck eines freudigen Erstaunens an. Sie sprechen langsam in relativ hoher Tonlage, machen große Augen und wiederholen sich oft. Kinder reagieren auf diese Ansprache, indem sie zappeln und glucksen. Die Eltern nehmen diese Reaktionen auf und spiegeln sie, woran das Baby große Freude hat. Auch andere Personen können auf diese Weise schon Kontakt mit dem Baby aufnehmen. Allerdings fehlt ihnen das instinktive Kommunikationsverhalten der Mutter, so dass das Spiel meist von kürzerer Dauer ist.

Das Spiel ermüdet Kinder schnell, weil die Reize sie überfordern. Dass ein Kind genug vom Spiel hat und seine Ruhe braucht, erkennt man daran, dass es den Kopf abwendet und den Augenkontakt unterbricht. Meist schaut es dann auf einen unbestimmten Punkt im Raum und wirkt irgendwie abwesend. Dann sollten wir die Ansprache unterbrechen und warten, bis sich das Baby wieder uns zuwendet - meist ist es dann für eine weitere Spielrunde bereit. Diese ist aber oft deutlich kürzer, als die erste.

Relativ häufig überschätzen Eltern die Aufnahmefähigkeit ihrer Babys und überfordern sie unbeabsichtigt. Die meisten Babys sind nach ein paar Minuten intensiven Spiels schon erschöpft und wenden sich müde ab. Ist ein Kind unruhig, dann wird ein Spiel es in der Regel noch weiter überreizen - meist ist es am sinnvollsten, dann eher für Ruhe zu sorgen (am wohlsten fühlen sich Kinder dann eng am Körper getragen). Schreit das Baby abends sehr viel, sollte besonders darauf geachtet werden, dass es während des Tages viele Ruhephasen hat, ohne dass ständiger Kontakt gesucht wird.
 

Lieblingsspielzeug Hände - die Entwicklung des Greifens


Das liebste Spielobjekt (neben den Eltern) sind die Hände des Babys. Sie werden ausgiebig begutachtet und mit dem Mund erkundet. Die übliche Reihenfolge beim Spiel mit den Händen ist:
  • Hände in den Mund (etwa mit einem Monat)
  • Hände betrachten (mit zwei bis drei Monaten)
  • Hände betasten (mit drei bis vier Monaten)
  • beidhändiges Greifen (mit etwa sechs bis sieben Monaten)
Die Zeitangaben sind nur ungefähre Angaben - jedes Kind hat sein eigenes Tempo. Die Reihenfolge ist jedoch bei fast allen Kindern gleich.
 
Etwa im vierten bis fünften Lebensmonat beginnen Babys dann, Gegenstände gezielt zu greifen. Anfangs greifen sie Gegenstände mit beiden Händen und beugen dabei alle Finger. Erst im zweiten Lebenshalbjahr können Kinder Dinge mit nur einer Hand greifen. Mit etwa acht bis neun Monaten werden mit dem Scherengriff nur die Basis von Zeigefinger und Daumen verwendet, um etwas in die Hand zu nehmen, um den zehnten Lebensmonat herum wird dieser Griff nach und nach zum Pinzettengriff verfeinert, bei dem nur noch die Daumen- und Fingerkuppen verwendet werden.
 
Das ist die Zeit der Rasseln und Greiflinge. Babys haben in der Regel viel Freude an Greiflingen - vor allem sehr farbenfrohe und solche mit abwechslungsreichen Oberflächen sind sehr beliebt. Obälle sind das Spielzeug, das Babys in der Regel als erstes relativ sicher greifen können. Es fällt ihnen jedoch sehr schwer, einmal ergriffene Gegenstände wieder loszulassen - diese Fähigkeit entwickelt sich üblicherweise erst am Anfang des zweiten Lebensjahres. Die Hände öffnen sich vorher nur dann, wenn das Kind einen anderen/weiteren Gegenstand greifen möchte. Einige Kinder versuchen, Gegenstände durch schütteln loszuwerden, wenn sie ihrer überdrüssig werden - daher sieht es manchmal so aus, als würden Kinder ihre Spielzeuge unkontrolliert durch die Gegend werfen, dabei versuchen sie einfach nur, sie irgendwie abzulegen.
 

Das kindliche Erkundungsverhalten


Das Greifen ermöglicht endlich das ausgiebige Erkunden von Gegenständen. In den ersten Monaten  besteht das Spielen hauptsächlich aus dem sogenannten "Funktionsspiel". Alle Gegenstände des Alltags werden ausgiebig untersucht - Temperatur, Festigkeit, Oberflächenbeschaffenheit, Material, Größe, Gewicht, usw. Auch hier ist die Reihenfolge bei allen Kindern gleich - zunächst benutzen sie dafür fast ausschließlich den Mund, später wird mit dem Gegenstand herumhantiert, erst im zweiten Lebensjahr wird vorrangig mit den Augen betrachtet. Aber auch dann wandern unbekannte Gegenstände oft noch gerne in den Mund. Mit etwa 18 Monaten "mundelt" dann kaum noch ein Kind.

Das manuelle Erkunden setzt mit ungefähr einem halben Jahr ein. Das Baby beginnt, Gegenstände gegeneinander oder auf Unterlagen zu schlagen, sie zu betasten, zu befühlen, sie hin und her zu schütteln und zu werfen. Was für Erwachsene wie reine Zerstörungswut aussieht, ist völlig normales kindliches Spiel - dabei sammelt das Kind Informationen über die Beschaffenheit der Gegenstände. Diese Phase endet ebenfalls mit etwa 18 Monaten und wird fast vollständig vom visuellen Erkunden abgelöst, das etwa im Alter von acht bis neun Monaten begonnen wird.

Viele Eltern machen die Erfahrung, dass spezielles Babyspielzeug für ihre Kinder eher unattraktiv ist oder schnell uninteressant wird. Babys interessieren sich tatsächlich vorrangig für Alltagsgegenstände. Wann immer es möglich ist, sollte man ihnen solche zum Erkunden überlassen, wenn sie keine scharfen Ecken oder Kanten haben, unkaputtbar und groß genug sind, damit sie nicht vollständig in den Mund genommen werden können.
 

Das Erkennen von Zusammenhängen


Nach dem ersten Geburtstag erkennen Kinder zunehmend Zusammenhänge. Das Spielzeug bewegt sich, wenn ich an der Schnur ziehe. Wenn ich einen Knopf drücke, gibt es ein Geräusch. Kaum ein Kleinkind wird in dieser Phase nicht magisch von Wasserhähnen angezogen. Auch hier geht es nicht ums Grenzen testen, wenn Kinder immer und immer wieder an Lichtschaltern spielen oder ständig zum Waschbecken wollen. Sie folgen dabei einfach nur ihren natürlichen Interessen. Am schnellsten und vor allem konfliktärmsten geht diese Phase vorbei, wenn man sein Kind einfach gewähren lässt. Um den Wasserverbrauch im Rahmen zu halten, kann man die Intensität des Wasserstrahls vorgeben - die meisten Kinder sind diesbezüglich sehr kompromissbereit - vor allem, wenn sie es auch gelegentlich mal richtig doll sprudeln lassen dürfen. Am wenigsten Sauerei gibt es, wenn man Kinder in der Wanne am Hahn spielen lässt.
 

Stapeln, Reihen, Füllen, Leeren, Kategorisieren - die Erkundung des Raumes


Zu Beginn des zweiten Lebensjahres lieben es Kinder, Gefäße zu füllen und zu leeren, Gegenstände zu stapeln oder Dinge aneinander zu reihen. Sie erobern so nach und nach spielerisch den Raum.  In der ersten Hälfte des zweiten Lebensjahres spielen Kinder häufig Inhalt-Behälter-Spiele - sind also damit beschäftigt, Dinge in andere Dinge zu legen. Sie lernen dabei Größenverhältnisse oder Mengen einzuschätzen. Behältnisse werden unermüdlich mit Dingen befüllt und wieder ausgeleert. In dieser Phase lieben Kinder alle Gegenstände, in die man irgendetwas hinein tun kann - Büchsen, Kisten, Plastikflaschen. Sand und Wasser werden besonders gerne verwendet. Kinder beschränken sich dabei oft nicht auf ihr Spielzeug - sehr gerne werden auch CDs, DVDs, Bücher oder Schubladen ausgeräumt.


Das führt häufig zu Konflikten, weil Eltern dieses Verhalten gerne Unterbinden wollen. Sie haben das Gefühl, Kindern jetzt Grenzen aufzeigen zu müssen und daher bei unerwünschten Verhaltensweisen deutlich "Nein!" zu sagen und es durchzusetzen. Wichtig ist zu wissen, dass das Ausräumen quasi genetisch beim Kind programmiert ist - es KANN gar nicht anders, als ständig Dinge ein- und auszuräumen. Sinnvoll ist es daher, genügend Möglichkeiten anzubieten, damit das Kind seinem Ein- und Ausräuminteresse nachkommen kann. Ein ausrangierter Nachttisch, an dem allerlei Öffnungsmechanismen (Schubladen/Türen)ausprobiert werden können mit verschiedenen Öffnungen zum Hereinstecken und Herausholen ist das ideale Spielzeug in dem Alter. Außerdem eignen sich in dieser Phase Spielzeuge wie einfache Sortierformen, Schälchensätze oder Klopfkästen.

Mit etwa 1,5 Jahren entwickelt sich die Merkfähigkeit bei Kindern. Bis dahin gelten Gegenstände, die das Kind nicht sieht, als nicht vorhanden. Mit Entwicklung der sogenannten Objektpermanenz ergeben sich vielfältige Spielmöglichkeiten. Das Wissen, dass Dinge, die nicht sichtbar sind, dennoch weiter existieren, wird vertieft, in dem das Kind Dinge gezielt fallen lässt - z. B. vom Hochstuhl oder  vom Esstisch. Leider gehen viele Eltern davon aus, dass es den Kindern darum geht, Grenzen auszutesten, dabei erkunden sie nur, ob die so "verschwundenen" Gegenstände auch wieder verlässlich auftauchen. Sie beginnen außerdem, Sachen zu verstecken - in Schachteln, unter Decken, usw. Die meisten lieben es, wenn sich die Eltern hinter einem Tuch verstecken und dann unvermittelt wieder auftauchen.

Zur gleichen Zeit, also mit etwa 18 Monaten entwickeln Kinder dann das Gestaltungs- und Funktionsspiel. Kinder entwickeln zunächst eine Vorliebe fürs Stapeln - , aber auch alles andere wird gerne immer wieder gestapelt. Für diese Entwicklungsphase eignen sich zum Spielen am besten Bauklötze, Ringpyramiden, Scheibentürme und Stapelbecher, aber auch alles andere im Haushalt wird eifrig gestapelt.
 

Ab dem zweiten Geburtstag beginnen Kinder  es allmählich, Gegenstände aneinander zu bauen. Alles Greifbare wird aufgereiht, viele entwickeln nun eine große Vorliebe für Eisenbahnen. Sowohl das Aneinanderreihen der Waggons als auch der Gleise bereitet Kindern große Freude. Wirklich sehr robust und flexibel erweiterbar sind Holzeisenbahnen (z. B. von Brio, günstiger mit weniger Gestaltungsmöglichkeiten und Zubehör die Lillabo von Ikea), aber auch die elektrischen Eisenbahnen von Duplo sind für diese Altersklasse schon gut geeignet (irre teuer, aber quasi unkaputtbar und mit hohem Wiederverkaufswert).

Wenige Monate später (etwa mit 2,5 Jahren) bauen Kinder dann sowohl horizontal, als auch vertikal. Bspw. mit Duplosteinen oder Mega Bloks werden dann Tunnel oder Treppen gebaut - vorerst zweidimensional, das dreidimensionale Bauen beginnt dann etwa im Alter von drei bis vier Jahren.
 
Mit 1,5 bis zwei Jahren entdecken viele Kinder ihre Leidenschaft fürs Kategorisieren. Sie erkennen, dass es Eigenschaften gibt, die verschiedene Gegenstände gemeinsam haben. Das Spielzeug wird gerne entsprechend sortiert. Mit zwei Jahren können Kinder Farben und Formen zuordnen. Steckspiele oder Zuordnungsspiele werden oft ausdauernd bespielt.
Am Anfang des dritten Lebensjahres entwickeln sich die Fähigkeiten weiter, so dass Kinder auch mit komplexeren Sortierformen gerne spielen. Auch einfache Formenpuzzle sind sehr beliebt.
Mit zwei bis drei Jahren beginnen Kinder auch kreativ gestalterisch mit Knete oder Playmais tätig zu werden. Wenn sie keine Gelegenheit bekommen, zu modellieren, kann es jedoch sein, dass die kreative Gestaltungskraft recht schnell verkümmert.
 

Spielen durch Nachahmung


Ab dem zweiten Lebensjahr beginnen Kinder zunehmend zu beobachten und nachzuahmen. Sie haben großes Interesse an den Tätigkeiten der Erwachsenen und wollen am liebsten immer mit dabei sein. Sie freuen sich riesig, wenn sie mithelfen können - in der Regel gibt es immer einige Arbeitsschritte, bei denen sie uns helfen können. Sehr beliebt sind in dieser Zeit Miniaturversionen richtiger Haushaltsgeräte. Kinder beschäftigen sich teilweise stundenlang mit Nachbildungen von Küchen, Bügeleisen, Waschmaschinen, Wäschetrocknern, Staubsaugern, und Küchengeräten, wie Toastern, Mixern und Kaffeemaschinen. In unserem Artikel über Geschenkideen für zwei bis drei Jahre alte Kinder findet ihr Empfehlungen für Produkte, mit denen wir besonders gute Erfahrungen gemacht haben.


Das Nachahmen nimmt im Laufe des zweiten Lebensjahres zunehmend größeren Raum ein - das Kind imitiert Verhaltensweisen  und sogar den Tonfall der Eltern. Es werden zunehmend erlebte Situationen nachgespielt. Kinder beobachten auch das Spiel anderer Kinder und ahmen dieses später im eigenen Spiel nach. Miteinander in Kontakt treten Kinder erst sehr viel später - es kann gut sein, dass drei Zweijährige seelenruhig im Buddelkasten auf dem Spielplatz sitzen und völlig vertieft spielen, ohne voneinander groß Notiz zu nehmen.
 
Bei der Nachahmung gibt es einen bestimmten Entwicklungsablauf, den alle Kinder gleich durchlaufen. Zunächst gebraucht das Kind Gegenstände im funktionellen Spiel. Es nimmt z. B. eine Bürste und kämmt sich allein die Haare. Sehr beliebt sind Nachbildungen von Haushaltsgegenständen (z. B. Bügelbretter, Staubsauger, Kaffeemaschinen) aber auch einfache Haushaltsgegenstände, wie Löffel, Becher oder Geschirr.

Zwischen 12 und 18 Monaten entwickelt sich zunächst eine innere Vorstellung von Tätigkeiten - d. h., dass es versteht, dass es die Handlung nicht nur an sich selbst, sondern auch an anderen vorgenommen werden kann. Im sogenannten repräsentativen Spiel werden dann auch Puppen oder Kuscheltiere gekämmt. Das repräsentative Spiel entwickelt sich weiter, indem das Kind sich vorstellt, dass jemand anderes Handlungen an sich selbst vornimmt - es legt der Puppe einen Kamm in die Hand und spielt, dass diese sich selbst kämmt.

Mit 21 bis 24 Monaten beginnen Kinder mit dem sequentiellen Spiel. Sie spielen komplette Handlungsabläufe nach. So wird bspw. erst die Puppe gewaschen, dann gekämmt und anschließend die Zähne der Puppe geputzt. Wenn Kinder in der Entwicklungsphase des sequentiellen Spiels sind, dann sind als Spielzeug bspw. Puppenstuben, Ställe oder Küchen.

Eine weitere Form des Spiels zu diese Zeit ist das symbolische Spiel. Dabei nimmt das Kind Gegenstände und verleiht ihnen eine andere Bedeutung. Es nimmt z. B. einen Schuhkarton und verwendet es als Boot für seine Puppe. Sehr gerne werden Gegenstände aus der freien Natur zu Haushaltsgegenständen umfunktioniert - viele Kinder werden zu Sammlern und können sich ausdauernd mit Steinen, Stöcken, Schneckenhäusern usw. beschäftigen. Diese Spielform entwickelt sich zwischen dem dritten und dem fünften Lebensjahr dann zum Rollenspiel.
 
Auch das soziale Spiel ist weiter wichtiger Bestandteil des kindlichen Spielverhaltens. Besonders interessant für die Kinder sind Spiele mit "geben" und "nehmen" - Bälle hin und her rollen, etwas irgendwo einfüllen und die Eltern holen es wieder heraus. Das Kind erforscht damit, ob der Spielpartner seine Erwartungen erfüllt.

Eine ebenfalls sehr wichtige Rolle im zweiten Jahr spielen Wasser, Sand und Erde. Kinder lieben es, die Elemente hautnah zu erleben, sie tollen stundenlang im Wasser umher, lieben es meist, ausgiebig zu baden. Das Spiel in der freien Natur, in Wäldern, auf Feldern oder an Bächen und Flüssen sorgt am besten für den wichtigen Flow beim Spielen.


Während Kinder neue motorische Fähigkeiten erwerben, spielen sie übrigens auffällig weniger. Sie sind so konzentriert dabei, Krabbeln oder Laufen zu lernen, dass das fast ihre gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt.

© Danielle

Quellen

 


Der Morgen im Hause Snowqueen - Ein Lehrstück in vier Akten

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Dass Kinder tatsächlich von Natur aus kooperieren wollen, aber wir es ihnen unwissentlich schon früh abgewöhnen, habe ich im ersten Teil dieser Artikelserie ausführlich dargestellt. Im zweiten Teil ging ich darauf ein, wie wir es schaffen können, dass unsere Kinder wieder mehr kooperieren. Einer der Punkte, die ich dort bespreche, ist, als Erwachsener den Kindern Kooperation vorzuleben. Denn oft genug verlangen wir von unseren Kindern, dass sie ohne zu murren das tun, um das wir sie bitten, machen aber im Gegenzug oft leider nicht das Gleiche. So entsteht ein Ungleichgewicht innerhalb der Kooperation - eine Seite gibt viel, die andere Seite nimmt viel. Richtig zufrieden werden Menschen aber nur, wenn ihre Bemühungen, einem anderen entgegenzukommen, wertgeschätzt werden und sie nicht das Gefühl haben, ausgenutzt zu werden.

Im heutigen, dritten, Teil der Artikelserie gehe ich einmal für diesen Blog ungewohnte Wege. Ich werde mitschreiben, wie meine drei Kinder und ich den Morgen verbringen (meine bessere Hälfte ist dann schon lange auf der Arbeit). Dabei geht es explizit nicht darum, ob ich es "gut" oder "schlecht" mache. So, wie wir den Morgen verbringen, ist es perfekt für unsere Familie. Andere Familien würden an unserem Rhythmus und unseren Ritualen vielleicht eher verzweifeln. Es geht einzig und allein darum, zu zeigen, wie viel ich kooperiere und wie viel meine Kinder kooperieren. Als Kooperation gelten dabei alle Tätigkeiten (oder Unterlassungen), die dazu beitragen, dass einem anderen Familienmitglied geholfen ist. In der Gesamtsumme führen die Kooperationen dazu, dass das elterliche Ziel, pünktlich aus dem Haus zu kommen, eingehalten werden kann.

Um das etwas übersichtlicher zu gestalten, werden alle Kooperationen einer Person in je einer Farbe dargestellt: Snowqueen, Fräulein Chaos, Fräulein Ordnung,Herr Friedlich.
 

Die Voraussetzungen für einen harmonischen Morgen

 
Die Kita beginnt um 9 Uhr - kommen wir zu spät, müssen wir eine Stunde warten, um eingelassen zu werden, da sonst die Montessori-Freiarbeit durch Zuspätkommer gestört wird. Das heißt, um nicht hetzen zu müssen, sollten wir etwa 8.30 Uhr das Haus verlassen. Damit haben wir aber noch einen Zeitpuffer. Richtig eng wird es nur, wenn wir erst 8.45 Uhr loskommen.
 
Meine Kinder und ich haben morgens unterschiedliche Bedürfnisse und Wünsche, auf die ich achte, damit alles reibungslos verläuft.
 
Snowqueens Bedürfnisse:
  • pünktlich in der Kita ankommen,
  • einen harmonischen Morgen mit meinen Kindern verbringen (also nicht schimpfen zu müssen)
 
Fräulein Chaos Bedürfnisse (5 Jahre alt):
  • exklusive Zeit mit Mama zum Kuscheln (das ist ihre Art, ihr Liebes- und Aufmerksamkeitsdefizit aufzufüllen), 
  • autonome Entscheidungen treffen (Anziehen, Essen etc.)
 
Fräulein Ordnungs Bedürfnisse (5 Jahre alt):
  • niemals gehetzt zu werden (Zeitdruck absolut vermeiden),
  • Hilfe beim Anziehen (das ist ihre Art, ihr Liebes- und Aufmerksamkeitsdefizit aufzufüllen),
  • momentan: nicht geküsst zu werden (nur Luftküsse).
  • vor ein paar Monaten noch: nicht allein in einem Raum gelassen zu werden, selbst, wenn sie uns in den anderen Zimmern hören konnte (dieses Bedürfnis ist nun verschwunden)
 
Herrn Friedlichs Bedürfnisse (1,5 Jahre alt):
  • dass sein Nein akzeptiert wird,
  • selbst bestimmen, wann er angezogen wird.

Die Bedürfnisse der Kinder ändern sich immer mal. Mit den Jahren sind neue dazu gekommen oder alte weggefallen. Je ähnlicher sich die Bedürfnisse der Kinder sind und waren, desto schwieriger ist oder war es für mich, allen morgens gerecht zu werden. Deshalb gab es sicherlich auch Phasen, die nicht ganz so harmonisch verlaufen sind, wie es derzeit der Fall ist.

Eine Zeitlang wollten die Mädchen zum Beispiel gern immer "Erste" sein beim Anziehen, Zähneputzen etc. Das war kurz nach der Geburt von Herrn Friedlich und sehr nervenaufreibend. Ich habe eine Weile gebraucht, um da einen guten Weg für uns zu finden. Zunächst habe ich, auf Anraten einer Zwillings-Mama, die Tage der Woche eingeteilt, an denen die Eine und die Andere jeweils fest die Erste bei allen morgendlichen Verrichtungen war. Das war für uns aber ein einengendes Korsett, das uns als die Familie die Luft zu atmen nahm. Denn wenn Fräulein Chaos' Tag des "Erste-Seins" war, konnte es zum Beispiel vorkommen, dass sie gerade mitten im Spiel war, aber zum Zähneputzen kommen sollte. Dann wollte sie ihre Position als Nummer 1 gern an ihre Schwester abgeben, die das manchmal dankend annahm und manchmal aber eben auch im Spiel war und dann vehement darauf pochte, dass sie heute immer Zweite sei. So ärgerten wir uns alle noch viel mehr.

Deshalb habe ich dieses Experiment schnell wieder abgebrochen und ab da, wenn es Streit darum gab, wer von mir zuerst Hilfe bekommen sollte, gesagt: "Redet miteinander. Ich bin sicher, ihr findet einen Kompromiss". Sie waren dreieinhalb Jahre alt und - sie fanden Kompromisse. Tolle Kompromisse. Manchmal endete so eine Diskussion natürlich auch in Hauen und Geschrei, aber das gehört ja dazu. Wichtig war, dass sie Eigenverantwortung übernommen haben und lernten, die Bedürfnisse eines anderen abzuwägen und ab und zu zurückzustecken.

Ich denke, dass das auch einen Grundstein dazu gelegt hat, dass wir alle normalerweise (es gibt natürlich Ausnahmen) zufrieden und entspannt zur Arbeit/in den Kindergarten gehen, da wir einen ruhigen Morgen miteinander hatten. Zumindest, was wir persönlich als "ruhigen Morgen" mit drei Kindern im Haus definieren. Aber lest selbst.

Tag 1


Da Herr Friedlich gestern einen zweiten Mittagschlaf machte, wachen wir alle erst um 7 Uhr mit dem Weckerklingeln auf. Ich bin müde, so müde. Dummerweise habe ich gestern noch bis 24 Uhr getwittert, das rächt sich jetzt. Ich schalte den Wecker aus und bleibe noch liegen. Herr Friedlich sucht im Halbschlaf nach meiner Brust, er will auch noch nicht aufstehen. Fräulein Chaos, die in dieser Nacht im Familienbett geschlafen hat, kuschelt sich von der anderen Seite an mich. So bleiben wir noch ein paar Minuten liegen und genießen den Körperkontakt.
 
Mühsam schäle ich mich aus dem Bett. "Komm, Herr Friedlich, wir gehen ins Bad", sage ich zu meinem Sohn. Er sitzt auf dem Familienbett und schleudert mir ein entschlossenes "Nein!" entgegen. "Ist gut", antworte ich und gehe allein los. Ich höre Fräulein Chaos und Herrn Friedlich auf dem Bett toben und giggeln. Ich lausche aus dem Flur in Richtung Mädchenzimmer. Dort hat Fräulein Ordnung genächtigt. Sie ist abends immer sehr beschäftigt mit Malen und Basteln und schläft deshalb lieber in ihrem eigenen Bett, da sie dann selbst entscheiden kann, wann das Licht ausgeht. Da sie eine ausgesprochene Nachteule ist, kann das durchaus erst 22.30 Uhr sein. Dementsprechend müde ist sie morgens - sie würde gern länger ausschlafen, kann das aber leider nicht, da wir einen Zeitplan einzuhalten haben. Nun schläft sie aber noch tief und fest.
 
Ich gehe ins Bad, putze mir die Zähne und ziehe mich schnell an. Meine Sachen lege ich immer abends schon ins Bad. Währenddessen kommt Fräulein Chaos aus dem Schlafzimmer und läuft ins Mädchenzimmer, um sich ihre Sachen aus dem Schrank zu nehmen und sich anzuziehen. Da nun Herr Friedlich allein auf dem Familienbett ist, gehe ich zu ihm und hole ihn ab. Diesmal kommt er bereitwillig in meine Arme gekrabbelt. Ich bringe ihn zu Fräulein Ordnung ans Bett. Er klettert rauf und gurrt seine noch schlafende Schwester an. Sie dreht den Kopf weg, weil sie weiterschlafen will. Er gurrt noch ein bisschen, doch als sie sich nicht rührt, greift er zu drastischeren Maßnahmen. Er klettert auf sie rauf und rollt sich giggelnd von ihr runter. Diesem Spiel kann Fräulein Ordnung nicht widerstehen, sie schlägt sie Bettdecke zur Seite und wirft sich spielerisch auf ihren Bruder. Herr Friedlich quietscht begeistert - das ist ihr Morgenritual.
 
Da sie nun wach ist, beschließt er, dass sein Werk getan ist. Er klettert vom Bett herab und zieht Bücher aus dem Büchersessel. Als er ein Tiptoi Buch gefunden hat, setzt er sich zufrieden davor und knipst den dazugehörigen Stift an. Leider intoniert dieser immer wieder: "Bitte tippe auf das Anschaltzeichen dieses Produkts" statt ihm Tierlaute vorzuspielen. Herr Friedlich tippt missmutig auf das Schwein, das Huhn und die Kuh. Fräulein Ordnung hat Erbarmen, springt aus dem Bett und tippt mit dem Stift in Herrn Friedlichs Hand kurz auf das Einschaltzeichen. Der Stift macht einen beifälligen Ton und kurz darauf auch die gewünschten Tierlaute.
 
Fräulein Ordnung läuft zum Schrank und sucht ihre Sachen zusammen. Ich laufe derweil im Zimmer umher und mache ein bisschen Ordnung, denn die Mal- und Bastelorgie von gestern Nacht hat Spuren hinterlassen. Boah, was hat sie nur gemacht? Es liegen etliche Klebestifte auf dem Boden. Einer ist leer, den werfe ich gleich weg. Wo ist seine Kappe? Ich suche und finde sie, werfe sie aber nicht weg, sondern lege sie in eine bestimmte Schublade. Man kann nie genügend Extrakappen von Klebern und Flitzstiften haben!

Fräulein Ordnung sitzt nun mit ihren Klamotten auf dem Bett und starrt ein wenig vor sich hin, als wüsste sie nicht, was sie mit den Sachen machen soll. Ich geselle mich zu ihr und nehme sie auf den Schoß. Ich helfe ihr, ihr Nachthemd aus- und die Sachen anzuziehen. Die Kinder baden abends immer, so dass wir morgens nur eine Katzenwäsche machen müssen. Da es herbstlich draußen ist, gehört zum Outfit auch eine Strumpfhose. Ich hasse, hasse Strumpfhosen. Wenn es nach mir ginge, würden meine Kinder nur Leggins oder normale Hosen tragen. Aber sie bestehen auf Strumpfhosen. Sie wissen jedoch, dass ich nicht helfe, diese anzuziehen. Das Gefummel dabei übersteigt eindeutig meine Grenze. Ich habe schlicht keine Nerven für Strumpfhosen-Anziehen. Es macht mich wahnsinnig. Heute sehe ich aber, dass sie eine ausgewählt hat, die ganz leicht anzuziehen ist, deshalb helfe ich ihr ausnahmsweise auch dabei. Fräulein Ordnung registriert das und küsst spontan meine Hand.

Da Herr Friedlich immer noch mit den Büchern beschäftigt ist, laufe ich ins Bad. Auf dem Weg dorthin nehme ich die Wasserschüssel der Meerschweinchen aus dem Gehege und nehme sie mit, um sie neu aufzufüllen. Im Bad wartet Fräulein Chaos auf mich. Sie ist fertig angezogen und gewaschen. Ich nehme sie auf den Schoss und putze ihre Zähne. Danach kämme ich ihre Haare und rede mit ihr ein bisschen über den kommenden Kindergartentag. Sie genießt den Moment unserer Zweisamkeit und kuschelt sich an mich.
 
Dann trollt sie sich in Richtung Mädchenzimmer, macht ein Hörspiel an und wirft sich wie ein Teenager aufs Bett. Ich komme mit dem frischen Wasser für die Meerschweinchen hinterher und fülle gleich noch das Heu neu auf. Die kleinen Nager fiepen mich dankend an. Ich suche Herrn Friedlich und schaffe es, ohne Protest seinen Schlafanzug und seine Windel auszuziehen. Bei den Armen und Beinen hilft er aktiv mit. Nackt läuft er in sein Zimmer und beginnt, dort an seiner Küche zu spielen. Ich binde ihm seine Windel um, aber als ich ihm den Body anziehen will, ruft er energisch: "Neiiiiiin!"Dann jetzt nicht. Ich stopfe den Body in meine hintere Hosentasche. Mein Moment wird schon noch kommen.

Fräulein Ordnung kommt herein und fragt: "Habe ich schon Zähne geputzt?" Da das nicht der Fall ist, gehen wir beide ins Bad und sie wäscht sich das Gesicht. Herr Friedlich kommt ebenfalls ins Bad getappert und quietscht missmutig, weil seine Schwester auf dem Tritt steht. Er will da rauf! Fräulein Ordnung klettert herunter und lässt sich von mir auf der anderen Seite des Waschbeckens auf den Wäschewürfel heben. Nun läuft Herr Friedlich dorthin und quietscht wieder missmutig. Fräulein Ordnung und ich schauen uns einen Moment lang an, zucken mit den Schultern, dann hebe ich sie wieder rüber auf den Tritt und Herrn Friedlich auf den Wäschewürfel. Ich freue mich darüber, dass Fräulein Ordnung so problemlos nachgegeben hat und schenke ihr ein dankbares Lächeln. Dann putze ich die Zähne meiner Tochter. Ich drücke Herrn Friedlich schon mal seine Zahnbürste in die Hand. Er beobachtet uns sehr genau und kaut dabei auf seiner Bürste rum. Das Ausspucken findet er besonders lustig und probiert es auch. Als ich bei Fräulein Ordnung fertig bin und sie geht, versuche ich, ob mein Sohn mich nachputzen lässt. Ja, es kommt kein Protest. Puh. Das gab es auch schon öfter anders. Aber heute lässt er das Putzen zu.
 
Danach beginnt er, mit seiner Zahnbürste und dem Wasserhahn zu spielen. Auf, zu, auf, zu. Gut, dass er noch nicht angezogen ist. Ich lasse ihn am Waschbecken stehen, er wird mich rufen, wenn er fertig ist. Ich gehe in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten. "Was wollt ihr essen?" frage ich ins Mädchenzimmer hinein. "Joghurt", "Müsli" schallt es zurück. Wie immer also. Okay, das geht schnell.

Ich gehe zurück ins Mädchenzimmer, um ihnen Bescheid zu sagen, dass das Essen bereit steht. Fräulein Chaos liegt noch auf dem Bett und lauscht dem Hörspiel. Fräulein Ordnung steht an der Puppenstube und spielt mit ihren Polly Pockets. Auch sie lauscht mit halben Ohr der Geschichte. Ich sehe, dass es der perfekte Zeitpunkt ist, um ihr die Haare zu kämmen und laufe ins Bad, um die Bürste zu holen. Herr Friedlich ist fertig mit seinen Wasserspielen und grinst mich freudig an. Ich hebe ihn vom Wäschewürfel und frage, ob ich ihm jetzt seinen Body anziehen kann. Er sagt nicht nein, immerhin, also nutze ich meine Chance und stülpe die Klamotte über. Er hilft bei den Ärmeln mit, aber als ich die drei Knöpfe im Schritt schließen will, wird er schon ungeduldig und will loslaufen. Ich halte ihn aber noch kurz zurück, bis ich alle Knöpfe geschlossen habe. Er wartet ab.
 
Zusammen gehen wir ins Mädchenzimmer. Ich öffne Fräulein Ordnungs Schlafzopf und beginne zu kämmen. Sie spielt mit ihren Püppchen und hält still. Herr Friedlich mag noch keine Hörspiele. Er geht zur Brio-Kiste und zerrt daran. Sie ist viel zu schwer für ihn und rührt sich nicht. Fräulein Chaos, die auf dem Bett liegt, bemerkt sein Dilemma, springt leise auf, holt die Kiste aus dem niedrigen Regal und baut ihm kurzerhand eine Minirunde Schienen für seine Züge. Er ist zufrieden und kramt nach seiner Lieblingslok in der Kiste. Seine Schwester wirft sich wieder aufs Bett. Ich bin fertig mit dem Flechten und sage: "Mädels, das Frühstück ist fertig." Dann gehe ich in die Küche. 

Die Mädchen scheinen hungrig zu sein, denn sie unterbrechen sofort ihr Spiel und kommen mit. Das ist nicht immer so. Zu dritt gehen wir frühstücken, Herr Friedlich bleibt bei seiner Brio-Bahn. Wir essen und unterhalten uns. Nach ein paar Minuten kommt Herr Friedlich auch in die Küche. Er möchte den Rand meiner Stulle und quietscht mich an. Dann dreht er sich um, geht zu seinem Schrank und holt einen Teller und einen Becher heraus. Er reicht mir beides und klettert dann auf seinen Stuhl. Das hat er so bei seinen Schwestern beobachtet und imitiert das sehr zuverlässig. Während ich ihm den Rand abbreche, schnappt sich Fräulein Chaos seinen Becher und gießt etwas Wasser aus ihrem Becher hinein. Gut, das hätte ich vermutlich anders gemacht, aber was zählt ist, dass beide nun Wasser haben. Ich zwinkere ihr also freundlich zu.

Das Frühstück dauert kaum 5 Minuten, dann sind die Kinder fertig. Da ich später noch beim Bloggen in Ruhe frühstücke und die Mädchen gleich in der Kita noch einmal essen können, soll es mir recht sein. Die Mädchen gehen in Ihr Zimmer, Herr Friedlich kaut noch ein wenig auf seinem Brotrand, während ich den Tisch säubere. Ich höre, dass das Hörspiel wieder angemacht wird. Herr Friedlich signalisiert, dass er Mamamilch möchte. Das kommt mir sehr gelegen, denn dann kann ich ihm währenddessen Hose und Strümpfe anziehen, ohne mit einem Nein rechnen zu müssen. Wir gehen dafür ins Mädchenzimmer und legen uns auf das Mädchenbett. Ich stille und wurschtele Sachen an seinen Körper. Fräulein Chaos nutzt die Gelegenheit, sich auf dem Bett von der andere Seite an mich zu schmiegen. Fräulein Ordnung steht an der Puppenstube und dialogisiert leise für ihre Polly Pocket Puppen. Sie ist ganz vertieft. Ich bin müde und würde wirklich gern liegen bleiben. Doofes Erwachsenensein.
 
Nach ein paar Minuten rappele ich mich auf. Ich vermute, dass es langsam Zeit wird, loszugehen, aber ich muss erst auf die Uhr in der Küche schauen, um das zu verifizieren. Herr Friedlich stapft in sein Zimmer, Fräulein Chaos bleibt liegen. Ich sage zu meinem Sohn, dass ich ihm Schuhe und Jacke anziehen möchte. "Nein!", beschließt er. Er nimmt O-Bälle aus seiner Kiste und lässt sie die Rutsche runterkullern. Mmh, dann Schuhe und Jacke wohl später. Ich packe meinen Rucksack zuende. Eigentlich bereite ich den am Abend schon vor, aber manchmal müssen noch ein paar Kleinigkeiten, wie eine Regenhose für Herrn Friedlich oder mein Handyladekabel mit hinein. Ich rufe vom Flur ins Mädchenzimmer: "Mädels, es geht gleich los!""Ja!" tönt es mir zweifach entgegen, aber sie rühren sich natürlich nicht vom Fleck. Ich gucke auf die Uhr. Nee, wir haben noch 5 Minuten Zeit. Cool.

Ich beschließe daher, dass die Meerschweinchen heute morgen noch ein paar Leckerlis bekommen und öffne den Kühlschrank, um Gurke und Möhre herauszuholen. Herr Friedlich hat das Kühlschrankklappern gehört und kommt in die Küche. Er sieht die Gurke in meiner Hand und gurrt liebevoll: "Anna!" Er kann zwar die Namen seiner Schwestern noch nicht aussprechen, aber den Namen der Meerschweindame hatte er schnell drauf. Er liebt sie abgöttisch. Ich gebe ihm ein Stück Gurke in die Hand und er klettert auf den Stuhl vor das Gehege und hält es geduldig fest, bis eins der Tiere es ihm abnimmt. Dann nimmt er ein neues und hält es wieder hinein. Ich hole seine Schuhe. So abgelenkt kann ich sie ihm ohne Probleme anziehen - er lässt mich gewähren. Ich lasse ihn stehen und ziehe meine eigenen Schuhe an. Ich rufe den Mädchen zu: "Herr Friedlich und ich ziehen uns jetzt an. Es geht los!""Ja!" rufen sie zurück, aber rühren sich nicht. Das Hörspiel läuft noch immer.
 
Die Mutter in mir möchte jetzt gern nervös werden, weil die beiden nicht kommen, aber ich kenne sie gut genug, um zu wissen, dass gleich alles ganz schnell geht und klappt. Also bleibe ich ruhig und mache mein Ding. Ich nehme die Jacken, Mützen und Schuhe der Mädchen und lege sie schon mal vor die Tür. Unser Flur ist relativ eng und es ist angenehmer, wenn wir uns im Treppenhaus anziehen. Herr Friedlich sieht, dass es los geht, klettert vom Stuhl und gebärdet: "Mütze! Mütze!" Er kramt in seiner Kiste und sucht sich die blaue Mütze aus. Ich nicke, dann suche ich die passende Jacke dazu. Er lässt sie mich ihm anziehen, stülpt sich dann selbst die Mütze (schief)über. Dann stapft er ins Treppenhaus. Ich schnalle mir die Manduca um und nehme meine eigene Fleecejacke.
 
"Mädels, jetzt!" rufe ich. Sie springenauf, Fräulein Chaos macht das Hörspiel aus. Fräulein Ordnung nimmt ein Täschchen und wirft drei ihrer Polly Pockets hinein. Sie will im Kindergarten damit weiterspielen. Sie huschen aus der Wohnung und ziehen sichim Treppenhaus an, während ich die Tür abschließe. Herr Friedlich geht schon mal die Treppe hinunter. Es ist 8.30 Uhr, wir werden pünktlich in der Kita ankommen.

 

Tag 2


Da Herr Friedlich gestern kein Nachmittagsschläfchen machte und schon um 18 Uhr einschlief, ist er heute logischerweise schon um 6.30 Uhr wach. Seufzend stehe ich mit ihm auf. Fräulein Chaos hat wieder im Familienbett genächtigt und schläft weiter, während wir ins Bad gehen. Ich bin so müde, dass ich noch halb die Augen zu habe. Herr Friedlich signalisiert, dass er Mamamilch will. Er ist wohl auch noch nicht so wach. Ich setze mich mit ihm auf die Wäschewürfel und lege ihn an. Er will nach der ersten Brust auch die zweite, dann noch einmal die erste. Doch, er ist noch müde, eindeutig. Beim Stillen schäle ich ihn aus Schlafanzug und Nachtwindel und er lässt das ohne Protest zu.
 
Ich stelle ihn auf den Boden, um selbst auf die Toilette zu können. Er läuft juchzend im Bad herum, er liebt es, nackt zu sein. Plötzlich stutzt er, guckt auf seinen Penis, dreht sich um und rennt in Richtung Töpfchen. Zu spät, neben dem Töpfchen kommt das Pipi schon. Ich bin aber trotzdem erstaunt, dass er das Bedürfnis erkannt zu haben scheint. Ich bin auch überrascht, dass er zum Töpfchen wollte, denn das steht seit Wochen ungenutzt hier im Bad herum. Irgendwann wollte er nicht mehr abgehalten werden, seitdem verstaubte es. Ich wische das Pipi vom Boden und binde ihm eine Windel um. Dann putze ich ihm seine Zähne - heute total ohne Murren. Ein guter Tag! Ich darf ihm sogar den Body und die Hose anziehen. Nach dem gestrigen "Nein!"-Tag eine echte Erholung. Die Socken werde ich ihm später anziehen.

Ich ziehe mich an und putze meine Zähne, aber mein Shirt habe ich im Schrank vergessen. Ich bringe den Sohn in sein Zimmer, von dort aus tappert er durch die Verbindungstür in Richtung Mädchenbett. Er will Fräulein Ordnung wecken. Gut so, das hatte ich gehofft.
 
Ich gehe ins Schlafzimmer, um mein Shirt zu holen. Dabei bemerke ich, dass es schon fast Aufstehzeit ist. Ich nehme das Shirt aus dem Schrank, lege mich leise neben Fräulein Chaos und kuschle mich für ein paar Minuten an sie. Dann beginne ich, sie abzuküssen. Keine Reaktion. Meine Küsse werden wilder und kitzliger. Da! Ein Kichern. Na also. Nach der dritten Kuß-Orgie ist sie endgültig wach und springt sofort auf. Sie läuft durch die Wohnung zu ihrer Schwester, hüpft aufs Mädchenbett und ruft: "Ich bin Laura und finde dich auf der Straße, okay?" Ihr derzeitiges Lieblings-Rollenspiel. Fräulein Ordnung, die schon von ihrem Bruder geweckt wurde, ist sofort dabei. "Ja, ich bin ein armes Waisenkind und heiße...äh..Sophia. Meine Eltern sind tot und ich weiß gar nicht, wo ich übernachten soll.""Komm!", ruft "Laura", "ich zeige dir unser Bad!"
 
Ich wollte eigentlich noch mit Fräulein Ordnung aufwachkuscheln, aber sie sind voll im Spiel und ich bin total abgeschrieben. Eilig rauschen sie an mir vorbei ins Bad, derweil die Geschichte weiterspinnend. "Mamaaaaaa, nicht reinkommen, okay?" rufen sie. "Okay," rufe ich zurück. Herr Friedlich kommt mit einem Buch zu mir. Ich nehme ihn auf den Schoß und lese ein wenig vor. Dabei schaffe ich es, ihm auch seine Socken anzuziehen. Merke: Socken immer in der Hosentasche mitführen! Das eine Buch reicht ihm heute, er springt von meinem Schoß und zerrt an mir: "Ooch!" kommandiert er mich in die aufrechte Position, dann zieht er mich in die Küche. Aha, er hat Hunger.
 
Ich bereite das Frühstück vor. Da die Mädchen im Bad nicht gestört werden wollen, entscheide ich mich für den Klassiker Joghurt und Müsli. Vorsichtshalber schneide ich noch einen Apfel auf. Herr Friedlich möchte Gurke. Ich gebe ihm ein großes Stück. Er beißt einmal ordentlich ab, dann steckt er sich das restliche Stück vollständig in den Mund. Es ist so groß, dass er die Lippen nicht schließen kann und Sabber herausfließt. "Herr Friedlich, das ist zu groß. Spuck das mal nochmal aus." sage ich. Er schüttelt den Kopf. "Doch, Herr Friedlich, mach mal: Bäh! Bäh!" Er quietscht mich missmutig an und steigt mit dem Gurkenstück im Mund vom Stuhl. Beleidigt rauscht er aus der Küche in Richtung Kinderzimmer. Ich seufze und lasse ihn von dannen ziehen. Ja, Sohn, Vertrauen. Ich weiß schon, ich soll dir vertrauen. 
 
Die Mädchen sind im Flur. "Mama? Jetzt mal nicht ins Mädchenzimmer gucken, okay? Und auch nicht in den Flur kommen. Erst, wenn wir sagen." - "Ist gut!", rufe ich zurück. Ich weiß, dass sie mich heute überraschen wollen. Die Zähne haben siesich schon geputzt, nun werden sie sichanziehen - alles verbunden mit ihrem Rollenspiel. Dem armen Waisenkind wird von ihrer neuen Adoptivschwester sicherlich alles gezeigt werden. Ich höre, wie sie ihr die Meerschweinchen vorstellt und ihr zeigt, wie man Wasser und Heu erneuert. Das heißt, ich habe ein wenig Zeit für mich. Schnell - wo ist das Nutella? Ich schmiere mir zwei große Nutellabrote und setze mich mit Kaffee und Zeitung gemütlich in die Küche. Ah, wunderbar!

Ich höre den Babybub in seinem Zimmer rumoren. Klingt danach, als würde er kleine Autos die Rutsche runterrutschen lassen. Ich genieße ganze 15 Minuten Ruhe, packe meinen Rucksack, lege die Sachen der Mädchen vor die Tür und schiele immer wieder ins kleine Kinderzimmer, ob es Herrn Friedlich gut geht. Er ist total vertieft dabei, Perlen aufzufädeln. Ich bereite Gurken und Möhren für die Meerschweinchen vor, bringe sie aber noch nicht ins Mädchenzimmer, denn ich habe ja noch keine "Erlaubnis". Ich setze mich nochmal hin, und öffne nur mal kurz Twitter.....

 

Mist! Jetzt sind es nur noch 5 Minuten bis zur regulären Losgehzeit und die Mädchen haben noch nicht gegessen! Sie spielen noch im Mädchenzimmer. Ich habe mich vertwittert. Jetzt muss alles schneller gehen, als geplant. Ruhe bewahren - Zeitdruck ist für Fräulein Ordnung ein großer Stock im Getriebe. Sobald sie ihn spürt, hält sie innerlich unbewusst dagegen und verlaaaaaangsaaaaamt ihr gesamtes Tun. Ein störrischer Esel ist nichts dagegen.
 
"Laura? Sophia?", wenn ihr noch frühstücken wollt, müsstet ihr jetzt kommen, in 5 Minuten gehen wir los!" rufe ich in möglichst neutralem Ton. Meine Töchter springen vollständigangezogen aus dem Zimmer. "Tadaaaa!" strahlen sie und freuen sich, als ich ein übertrieben verdutztes Gesicht mache. Ich registriere, dass sie beide ihre Haare noch nicht gekämmt haben, erwähne das aber nicht, um ihnen die Überraschungslaune nicht zu verderben. Sie haben sich solche Mühe gegeben - wir können nachher in der Kita noch kämmen, kein Problem. Also wundere ich mich stattdessen ausgiebig, wie es sein kann, dass sie schon angezogen sind. Und warum ich plötzlich eine zweite Tochter habe? Wer ist das fremde Kind? Die Mädchen kichern. "Das ist Sophia, sie ist ein Waisenkind und wir haben sie aufgenommen" werde ich aufgeklärt. "Na, mein Waisenkind, dann komm mal frühstücken. Was willst du denn essen?" -"Nur Wasser und Brot, mehr bin ich nicht gewohnt" - "Oh, aber bei uns kannst du so viel leckerer Sachen essen. Willst du Müsli? Oder Joghurt? Oder Cornflakes?" - "Nein, nur Wasser und Brot."
 
Von meiner Nutella-Brot-Orgie liegt noch der von mir verschmähte Brotkanten herum. Genau das Richtige! Ich reiche ihn ihr und mit wehleidigem Blick beginnt sie, ihn zu verspeisen. "Laura" isst derweil den Apfel. Ich räume Joghurt und Müsli weg. Die Mädchen unterhalten sich angeregt - sie sind noch voll in ihrem Rollenspiel drin und es ist ultra-niedlich, was sie sich so ausdenken. Leider habe ich keine Zeit, zuzuhören, ich muss Herrn Friedlich finden und ihm Schuhe und Jacke anziehen. Ich finde ihn bei seinem Bagger und sehe, dass er immer noch das verdammte Gurkenstück im Mund hat. Grummel.
 
Achja, die Gurke! Ich eile in die Küche, um das vorbereitete Grünzeug für die Meerschweinchen zu holen und lege es ins Gehege. Dann schnappe ich mir Schuhe und Jacke und wappne mich dafür, das nein-sagende Gurkenmonster anzuziehen. Zu meiner Überraschung ist das gar kein Problem. Er ist so sehr mit der großen Gurke in seinem Mund beschäftigt, dass ich ihn ohne Widerstand ankleiden kann.
 
Nun ist es Zeit, zu gehen. "Laura! Sophia! Wir müssen los. Sophia, du lernst heute deine neue Kita kennen. Laura kann dir dort alles zeigen." sage ich. Die Mädchen springen auf und freuen sich, dass auch ich im Rollenspiel bin. Sie gehen miteinander dialogisierend aus der Wohnung und ziehen sich dort schnellSchuhe, Jacke und Mützen an. Ich räume schnell die Reste vom Küchentisch und schlüpfe in Windeseile auch in meine Sachen. Herr Friedlich geht aus der Wohnung und findet zwei volle Mülltüten, die ich dort abgelegt hatte. Er schnappt sich die kleinere von beiden, die mit dem Biomüll. Er zerrt sie in Richtung Treppe. "Möll! Möll!" brummt er zufrieden.
 
Kurz, bevor ich die Wohnungstür zuziehen kann, fällt Fräulein Ordnung ein, dass sie heute Barbies mitnehmen will. Ich fluche innerlich, lasse sie aber noch einmal hinein. Da ich weiß, dass die Puppen zu groß für ihre übliche Handtasche sind, gehe ich auch nochmal in die Wohnung und suche  hilfsbereit eine Tüte für die Puppen, damit sie sie darin tragen kann. Ich schließe die Wohnungstür ab, nachdem wir wieder draußen sind und will schnell Herrn Friedlich mit der Mülltüte nach. Ich habe Angst, dass sie auf der Treppe durch das Gezerre aufreißt. Ich gebe Fräulein Ordnung die Tüte und sage: "Hier, für deine Puppen." Sie stockt merklich und nölt: "Die will ich aber nicht!" Oha, das könnte eine "Situation" werden, diesen Ton kenne ich - es ist der, den sie annimmt, wenn sie (selbst subtilen) Zeitdruck spürt und dann ein Ventil zum Ärgern sucht. Diesmal ist es die Tüte. Sie hatte die Handtasche erwartet. Nonchalant sage ich: "Okay, dann nicht. Dann häng sie an die Türklinke", während ich Herrn Friedlich und der Mülltüte hinterhereile. Die andere Mülltüte nehme ich auch mit. Ich erreiche ihn und bitte ihn, mir seine Tüte zu geben. "Nein!" protestiert er. Er will es allein schaffen.
 
Mmh, was nun? Ich nehme ihn samt der Mülltüte in seiner Hand auf den Arm - das lässt er zu. Na bitte. Sehr gut. So schleift die Tüte auch nicht mehr auf der Treppe und kann nicht mehr reißen. Ich laufe weiter hinunter und lausche nach oben. Gibt es einen Anfall? Nein, die Mädchen sind schon wieder im Rollenspiel. Puh! Ich bringe mit dem Bub auf dem Arm den Müll weg. Er freut sich, "seinen" Müll allein in die Tonne wuchten zu dürfen. Zu meiner Freude lässt er sich danach problemlos in den Buggy setzen. Was ist hier faul? Normalerweise will er laufen, der Wagen trägt immer nur meinen Rucksack. Ah! Das Gurkenstück ist noch in seinem Mund, deshalb. Es ist allerdings mittlerweile zerschreddert. Er hat den Mund voller Gurkenmus. Dann schluckt er alles nach und nach runter und grinst mich an. Ich hab dir ja vertraut, Kleiner, wirklich, denke ich und grinse zurück. "Sophia" und "Laura" erscheinen im Hof. Die Puppen liegen bei "Sophia" im Arm wie kleine Babys. Wir gehen los. Mit fünf Minuten Verspätung, aber noch locker im Rahmen.

Tag 3


Der Morgen beginnt wieder um 6.30 Uhr, da Herr Friedlich gestern den zweiten Mittagschlaf ausfallen ließ. Diesmal haben die Mädchen zusammen in ihrem Zimmer geschlafen und werden deshalb nicht gestört, als er lauthals verkündet, ich möge ihn bitte vom Bett heben. "Ooch!", ruft er.
 
Ich nehme ihn auf den Arm und gehe mit ihm ins Bad. Er schnappt sich dort ein paar Pixi-Bücher und blättert darin. Derweil wasche ich mich, putze mir die Zähne und ziehe mich schnell an. Zu meiner Überraschung darf ich das Gleiche auch bei Herrn Friedlich tun. Heute ist wohl keiner seiner Nein-Tage. Juchei! Ich putze ihm ausführlich die Zähne, wie immer, wenn ich die Chance habe. Als ich fertig bin, hält er mir ein Buch hin, das ich ihm vorlese. Dann noch eins.
 
Ich bringe ihn in sein Kinderzimmer und denke noch, dass ich nun schnell zu den Mädchen muss, damit ich mit ihnen kuscheln kann, bevor sie aufwachen. Da steht Fräulein Chaos schon zerzauselt in der Tür. "Mama?" fragt sie. Mist, Aufwachkuscheln verpasst! Sie hatte mich auch nicht in der Nacht zum Kuscheln, da sie, wie gesagt, in ihrem Geschwisterbett geschlafen hatte. Ich muss mir also was einfallen lassen, um ihr Bedürfnis nach Nähe heute Morgen doch noch zu berücksichtigen.
 
Ich hebe sie hoch und trage sie wie ein Baby ins Bad. Kein leichtes Unterfangen bei einem 110cm großen Kind. Auf dem kurzen Weg gebe ich ihr Guten-Morgen-Küsschen. Ich lasse sie auf meinem Schoß sitzen, während ich ihr die Zähne putze. Dabei erzähle ich ihr Geschichten von der Zeit, als sie ein Baby war. Sie liebt diese Geschichten, hält ganz still und träumt vor sich hin. Ich bändige gleich noch ihre Haare, während ich weitererzähle.
 
Als ich fertig bin, gehen wir gemeinsam durch das kleine Kinderzimmer in Richtung Mädchenzimmer. Auf dem Weg liegen eine Menge Kapla Steine auf dem Boden. Nein, das waren nicht die Mädchen. Ich hatte gestern einen Turm für Herrn Friedlich daraus gebaut und diesen über Nacht stehen lassen. Offenbar hat er ihn nun einstürzen lassen. Ich bücke mich, um die Steine in eine Kiste zu werfen, da ich Angst habe, dass jemand darauf tritt und ausrutscht. Ganz selbstverständlich bückt sich auch Fräulein Chaos und hilft mit. Für mich ist das neues, ungewohntes Verhalten an ihr - früher wäre sie in einer solchen Situation weitergelaufen. Fünf ist schon ein cooles Alter. Sie sind um so vieles verständiger plötzlich. Es dauert nur eine Minute, dann sind wir fertig.
 
Fräulein Chaos geht zu ihrem Schrank und sucht Klamotten aus. Ich setze mich zur schlafenden Fräulein Ordnung aufs Bett und streichle ihr übers Haar. Sie brummt mich an und zieht ihre Decke über den Kopf. Noch müde, kann ich verstehen. Da ich hier erst einmal nichts tun kann, schnappe ich mir Fräulein Chaos und ihre Anziehsachen, nehme sie wieder auf den Schoß und helfe ihr beim Anziehen. Selbst bei der Strumpfhose helfe ich. Ich Heldin! Bei der Prozedur haben wir zwei noch exklusive Kuscheleinheiten.
 
Herr Friedlich, der bisher mit dem Büchersessel beschäftigt war, sieht uns schmusen und kommt quietschend zu uns. Eifersüchtig drängt er auf meinen Schoß. Fräulein Chaos ist sowieso fertig und trollt sich. Sie geht zu den Meerschweinchen und schüttet neues Heu hinein. Die Hälfte fällt auf den Boden, aber ich kommentiere es nicht, denn das nehme ich für ihre Hilfe gern in Kauf. Ich werde es mittags, wenn ich mit Herrn Friedlich allein zuhause bin, auffegen. Nunnimmt sie die Wasserschale und läuft zum Wasserhahn.
 
Ich pupse dem Babybub mit dem Mund am Hals, er kichert und windet sich. Dann gebärdet er "Nochmal!" und grinst. Ich pupse noch mehr. Unter der Decke regt sich Fräulein Ordnung. Zwei blaue Augen lugen hervor. Sie ist wach, prima. Ich ziehe blitzschnell die Decke weg und pupse auf ihren Bauch. "Ey!" ruft sie kichernd und springt aus dem Bett. Sie läuft sofort zu ihren Barbiepuppen und sucht sich diejenigen zusammen, die sie heute in die Kita mitnehmen will. Herr Friedlich hat seinen Bagger entdeckt und geht spielen. Er fängt an, zu brummen und zu quietschen, als er den Baggerarm hoch und runter hebt.
 
Ich laufe in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten. Dort steht Fräulein Chaos. Der Wassernapf der Meerschweinchen steht vergessen im Waschbecken. Stattdessen hat sie eine mit einer Substanz gefüllte Muffinform in der Hand. What the...?, denke ich und schaue sie fragend an. "Ich habe experimentiert!", sagt sie stolz. "Hier drin sind Mehl, Wasser und Zucker und nun muss ich es nur noch...." Ich bin innerlich genervt, dass ihre Experimentierlust immer zu solch unmöglichen Zeiten erwacht. Gerade will ich sie anranzen und sagen: "Aber backen kannst du jetzt nicht!", da beendet sie ihren Satz mit: "...ins Gefrierfach stellen. Ich will sehen, was damit passiert." Achso, ja, das geht natürlich. Gut, dass ich nicht voreilig etwas gesagt habe.

Sie stellt das Gemisch in das Gefrierfach. Dann holt sie einen Becher aus ihrem Experimentierschrank, füllt ihn halb voll mit Wasser und sagt: "Der muss auch noch rein. Ich will wissen, wie Eis entsteht.""Okay", erwidere ich, "aber achte darauf, dass der Becher ganz gerade steht."Das klappt.
 
Ich gebe ihr den Wassernapf der Meeris und beginne, das Frühstück zu machen. Heute gibt es Toast, Butter und vegetarische Pasten. Letztere werden die Töchter nicht essen, aber Herr Friedlich und ich mögen sie. Fräulein Ordnung wird Bergkäse essen, Fräulein Chaos nur Butter. Als ich fertig bin, gehe ich zurück zu Fräulein Ordnung. Sie steht im Schlafanzug mit ihren Puppen an der Puppenstube und dialogisiert schon wieder. Sie kann so toll darin versinken!
 
Fräulein Chaos streichelt die Meerschweinchen und zieht in die Küche, um Gurke und Salat zu holen. Ich suche Anziehsachen aus dem Schrank und halte sie Fräulein Ordnung vor die Nase. "Das oder das?", frage ich. Sie hält kurz inne, zupft an dem Gewählten und redet dann weiter mit ihren Puppen. Ich bringe das Ungewünschte zurück und suche zwei Strumpfhosen aus. Wieder frage ich, wieder wählt sie aus. Während sie spielt, ziehe ich sie an. Sie unterbricht kurz, wenn ich ihren Kopf oder ihre Arme brauche und hilft mit, danach spielt sie sofort weiter.
 
Für die Strumpfhose habe ich keine Nerven, ich könnte sie ihr in dieser Position sowieso nicht anziehen. Ich bitte sie, diese selbst anzuziehen und dann zum Frühstück zu kommen. Meine Bitte findet Gehör. Sie setzt sich sofort hin und fängt an. Heute klappt echt alles wie am Schnürchen.
 
Ich sammle den Buben und das händewaschende Fräulein Chaos ein und gehe mit ihnen zum Frühstückstisch. Fräulein Chaos will beim Essen auf meinem Schoß sitzen. Ich seufze. Hallo, verlorene Kuschelrunde, da bist du ja wieder!,  denke ich. Eigentlich finde ich es unbequem, ein großes Kind beim Frühstück auf dem Schoß zu haben, aber ich merke, dass sie das heute braucht. Herr Friedlich will nicht, dass seine Schwester bei mir sitzt, klettert vom Stuhl und versucht, sie nörgelnd von meinem Schoß zu schieben. Sie rutscht zur Seite auf mein eines Bein (aua!), er darf auf dem anderen Bein sitzen. So klappt es. Uff.
 
Wir mümmeln Toast und ich balanciere harte Poknochen auf meinen Oberschenkelmuskeln. Ich rufe: "Fräulein Ordnung, komm frühstücken!". "Jahaaaa, ich muss nur noch die Puppenkiste wieder einräumen!" ruft sie zurück. Hä? Das macht sie sonst nie! Nie! Das macht sie doch nur, weil ich unseren Morgen innerlich mitschreibe. Halt warte, das weiß sie ja gar nicht. Mmh. Komisch. Aber gut.
 
Es vergeht eine Minute und sie kommt. Ich schiebe die beiden anderen Kinder von meinem Schoß in Richtung ihrer eigenen Stühle und sie lassen esohne Murren geschehen. Nun sitzen wir alle am Tisch und essen friedlich. "Habe ich schon Zähne geputzt?" fragt Fräulein Ordnung. "Nein. Machen wir nach dem Frühstück, okay?"
 
Gesagt, getan. Nach dem Frühstück putze ich, sie singt lauthals das Lied aus dem Film "Eiskönigin". Das macht das Putzen etwas schwieriger, aber geht. Ich kämme auch noch schnell ihre Haare. Während sie weitersingt, will sie mir auch einen Zopf machen. Ich habe nur lange Haare am Pony, alles andere ist kurz. Das ist ihr egal. Ich stelle mich darauf ein, so albern auf die Straße zu gehen. In Berlin fällt man ja so gar nicht groß auf, also geht es.
 
Derweil ziehen sich Fräulein Chaos und Herr Friedlich schon im Flur die Jacken an, obwohl ich noch gar keinen Startschuss gegeben habe. Fräulein Chaos versucht, Herrn Friedlich die Schuhe anzuziehen, aber das klappt nicht. Mütze und Jacke dagegen schon. Ich komme dazu und helfe. Ich sehe aus dem Augenwinkel, dass Fräulein Chaos zum Mülleimer geht, um den Sandkastensand aus ihren Schuhen dort hineinzuschütten. Ich jubiliere innerlich, dass sie daran denkt. Dieser Punkt begleitet uns schon lange und ich war sehr geduldig, weil sie lange Zeit ohne böse Absicht zwar, aber eben immer wieder, die Schuhe einfach im Flur auf den Dielenboden ausschütteten. Offenbar ist nun der Knoten geplatzt.
 
Fräulein Ordnung läuft an uns vorbei und verschwindet schnell im Mädchenzimmer, um ihre Barbies zu holen. Diesmal bin ich besser vorbereitet und reiche ihr das (zu kleine) Handtäschchen. Die Puppen passen überraschender Weise ganz okay hinein, nur der Oberkörper und Kopf gucken heraus. Fräulein Chaos, die ja schon angezogen ist, entscheidet sich nun auch spontan, ihre singende Elsa-Barbie mitzunehmen und geht los, sie zu suchen. Sie findet sie schnell. Die Puppe hat ein weißes Kleid und einen Meerjungfrauenschwanz an. Es ist erst  8.15 Uhr und wir sind schon alle bereit zum gehen. Tschakka!
Als wir unten im Hof ankommen, bemerkt Fräulein Chaos, dass etwas an dem weißen Kleid der Elsa gerissen ist. Eine winzige, winzige Stelle. Ich versuche, zu relativieren und verspreche, es heute Nachmittag zu nähen. Sie schluchzt ein klitzekleines bisschen. Ich gehe weiter, in der Hoffnung, dass sie dieses Problemchen überwindet.
 
Die Tür zum Hinterhof geht auf und ein Müllmann kommt herein. Cool, denke ich, da wird sich Herr Friedlich freuen, wenn wir dem Müllauto hinterherlaufen können. Zeit haben wir ja noch. Wir stellen uns an die Seite, um dem Müllmann im Hof zuzuschauen. Er sortiert erst einmal die Mülltonnen, die er leeren will.
Fräulein Chaos sagt: "Mama, ich möchte ein neues Puppenkleid. Das hier ist doof!" Ich höre Tränen in ihrer Stimme, aber nach außen hin ist sie tapfer. Ich wäge innerlich blitzschnell ab. Wir haben noch Zeit, nach oben zu gehen und das Kleid zu holen, aber allein schafft sie es nicht. Ich muss die Tür aufschließen. Ich kann aber Herrn Friedlich jetzt nicht einfach hier wegtragen, dann würde er brüllen vor berechtigter Indignation. Ich könnte ihre Bitte abschlagen, aber dann wäre sie unglücklich und es gibt eigentlich keinen vernünftigen Grund, nein zu sagen. Ich schaue zu Fräulein Ordnung: "Schaffst du es, auf deinen Bruder aufzupassen, während wir hochgehen? Er darf nicht vom Hof runterlaufen." Sie atmet tief ein und nickt. "Notfalls nimmst du ihn auf den Arm", schiebe ich hinterher. "Ich schaffe das", sagt sie mit fester Stimme. Okay, so sei es.
 
Fräulein Chaos und ich rennen die Treppen hoch. Ich keuche: "Du musst in Windeseile ein neues Kleid suchen. So schnell, wie du noch nie ein Kleid gesucht hast." -  "Ist gut," schnauft sie zurück. Ich schließe auf, sie stürzt zur Puppenkiste und wühlt darin. "Wo ist der Rock und das Oberteil von der Elsa?" fragt sie verzweifelt. Ich komme dazu und krame ebenfalls. Ich werfe alle unbrauchbaren Kleider auf den Boden. Schön, dass die Kiste vorhin von Fräulein Ordnung extra aufgeräumt worden war. Egal jetzt. Der Rock und das Oberteil sind nicht da. Ich schnappe mir wahllos ein Kleid und halte es hoch: "Was ist mit dem? Das ist doch hübsch?" "Das ist super!" Sie reißt mir das Kleid aus der Hand und ist schon wieder auf der Treppe nach unten. Ich schließe die Wohnung ab und hüpfe die Stufen hinab.
 
Als wir unten ankommen, bringt der Müllmann gerade die letzte Tonne zurück. Herr Friedlich und Fräulein Ordnung stehen nochan der selben Stelle. Meine Tochter guckt erleichtert, als sie uns sieht. Und stolz, es geschafft zu haben. Ich schaue sie verliebt wie eine Ober-Glucke an: "Mein großes Mädchen!", platze ich heraus. Dann hebe Herrn Friedlich hoch und renne mit Buggy nach draußen. "Wenn wir rennen, sehen wir das Müllauto noch!" rufe ich. Meine Töchter stürzen mirnach. Da! Tatsächlich, es steht noch am nächsten Eingang. Ich stelle den Babybub auf dem Gehweg ab und atme erst einmal durch.
 
Wir gucken der Müllabfuhr zu. Herr Friedlich ist im 7. Himmel. Er beobachtet mit Hingabe, was passiert, steht mucksmäuschenstill. Die Mädchen haben dem Müllauto schon oft zugeschaut und werden nach einer Weile unruhig. "Ihr könnt schon zur Kita vorlaufen. Wir kommen gleich nach," schlage ich vor. "Nee, ich will bei dir bleiben," sagt Fräulein Chaos, "Kann ich in die Manduca?" Ich denke an ihre Nacht ohne Mama-Kuscheln und seufze. Dann schnalle ich sie mir vor den Bauch. Ja, mein fünfjähriges Kind. Das geht schon - sie wünscht sich das öfter mal, seit ihr Bruder geboren wurde. Fräulein Ordnung wittert ihre Chance und fragt grinsend: "Kann ich in den Buggy?" Ich grinse zurück und nicke. Sie setzt sich, holt ihre Puppen raus und fängt sofort an, sich wieder in Dialogen zu verlieren.
 
Wir laufen dem Müllauto zum nächsten Eingang hinterher und beobachten auch dort das Geschehen. Ich weiß, dass das ihre letzte Station ist, danach werden die Müllmänner in eine andere Straße fahren. Ich gucke auf die Uhr. 8.30 Uhr, unsere normale Losgehzeit. Wir wartengeduldig ab, damit Herr Friedlich gucken kann. Als sie fertig sind, winken uns die Müllmänner zu und wir laufen los zur Kita. Ich habe immer noch den Zopf vorn im Haar, vor meiner Brust hängt ein Riesenkind und tut so, als würde es schlafen. Im Buggy sitzt ein weiteres Riesenkind und philosophiert lautstark mit ihren Puppen. Neben mir läuft ein eineinhalbjähriger Knopf wild gestikulierend und quietschend und brummend. Er erzählt auf seine Weise, was er gerade gesehen hat. Eventuell sehen wir für Außenstehende ein wenig schräg aus. Wenn ihr uns begegnet, winkt uns doch ruhig!

Tag 4


Der Wecker klingelt um 7 Uhr, als wir alle noch tief und fest schlafen. Da ich gestern in weiser Voraussicht schon 22 Uhr schlafen ging, bin ich erstaunlich fit. Der Bub wacht neben mir auf. Er sieht mich - und sein erstes Wort ist: "Neeein!" Oha, das wird wohl ein Nein-Tag.
 
Ich kuschle mich zu Fräulein Chaos, sie ist schön warm. Wir kuscheln, bis der Bub auf uns raufklettert und "Nein! Nein!" intoniert. Er klettert zwischen uns. Seine Schwester umarmt ihn, will mit ihm kuscheln. Er kreischt: "Neiiiiin", windet sich aus ihrer Umarmung und wirft sich in meine Arme. Ich nehme ihn hoch. Wir gehen zu dritt ins Bad. Ich stelle Herrn Friedlich auf den Wäschewürfel und ziehe ihn blitzschnell aus, bevor er Nein sagen kann. Ha! Dann putze ich Fräulein Chaos die Zähne. Mein Sohn fordert seine Zahnbürste, ich gebe sie ihm. Er kaut darauf rum, während ich bei ihr weiterputze. Dann will ich bei ihm putzen. "Nein!" schallt es mir entgegen. Okay, dann erst meine eigenen Zähne.
 
Während ich meine eigenen Zähne putze, nimmt Fräulein Chaos die Zahnbürste ihres Bruders und bedeutet ihm, sie wolle putzen. Sie darf das. Na, besser als nichts, denke ich und zwinkere der Großen zu. Während er so von ihr abgelenkt ist, binde ich ihm schnell eine neue Windel um. Ich hebe ihn vom Würfel und beginne, Fräulein Chaos die Haare zu kämmen. Er läuft in Richtung Kinderzimmer. Dort steht sein Bagger - er beginnt zu spielen.
 
Nach ein paar Minuten, in denen ich ihre Haare gekämmt und einen Pferdeschwanz ins Haar geknotet habe, suche ich die Sachen meines Sohnes zusammen und laufe zu ihm. "Ich will dich anziehen, Herr Friedlich." sage ich. "Nein", beschließt er. Na gut, dann erst einmal etwas anderes. Ich gehe zu Fräulein Ordnung ans Bett und setze mich zu ihr. Sie ist wach, aber müde und grumpelig. "Ist heute Wochenende?" fragt sie hoffnungsvoll. "Noch nicht", antworte ich, "Morgen erst. Morgen fahren wir zu Omi. Dafür müssen wir dann heute Nachmittag unsere Sachen packen. Nach der Kita." 
 
"Zu Omi?", fragt Fräulein Chaos, die ins Zimmer gekommen ist und zugehört hat, "Wo ist mein neuer Koffer?" Ich hatte am Wochenende einen etwas größeren Rollkoffer auf dem Flohmarkt gekauft, seitdem steht er im Schlafzimmer. "Äh, heute Nachmittag packen wir!" sage ich lahm. Mir schwant, was gleich passieren wird. Ich stöhne innerlich. Ganz blöder Anfängerfehler meinerseits. Die Mädchen hören mir nicht zu. Fräulein Ordnung ist aufgesprungen und öffnet den Kleiderschrank. Fräulein Chaos holt den Koffer ins Zimmer. Sie reißen Klamotten von den Bügeln und überlegen, was sie brauchen. Wir fahren nur Samstag und Sonntag! Herrje.
 
Ich resigniere. Das war mein Fehler, ich hätte das mit der Reise jetzt nicht erwähnen sollen. Aber ich wollte Fräulein Ordnung mit etwas Schönem aus dem Bett locken. Ich füttere die Meerschweinchen und gehe ins Bad, um mich anzuziehen. Auf dem Weg begegne ich Herrn Friedlich. Er läuft mit Schiebe-Ente durch die Wohnung und ruft: "Naaak! Naaak!" Ich sage: "Kann ich dir jetzt den Body anziehen?""Nein!". Aha, dann also erst ich.
 
Ich ziehe mich an und gehe in die Küche, um Frühstück zu machen. Mir ist heute sehr nach Gemüseteller. Das werden die Mädchen nicht essen, aber egal. Im Kühlschrank liegen Würstchen, die weg müssen. Mmmh, lecker. Also auch Würstchen. Und Ei. Ich koche die Eier und mache die Würstchen warm. Herr Friedlich kommt in die Küche. "Hey, willst du mit mir frühstücken?" - "Nein!" - "Aha. Aber Gurke willst du?" Die Gurke ist ihm genehm, er klettert auf seinen Stuhl. Ich nehme mir ein warmes Würstchen. Er legt die Gurke weg und will auch eins. Ich habe noch ein kaltes und gebe es ihm. Er klettert damit vom Stuhl.
 
"Hey, wo willst du hin?" Er läuft mit dem Würstchen in der Hand in den Flur und kramt in der Kiste mit den Buddelsachen. Mit einem Eimer kommt er zurück. Er stellt den Eimer kopfüber auf den Fußboden und versucht, sich darauf zu setzen. Das ist nicht so leicht. Er benötigt mehrere Versuche. Dann schafft er es aber und grinst. Nun isst er sein Würstchen auf dem Eimer sitzend. Ich denke "Okay, warum nicht?" und schmunzle ihn an.

Dann schmule ich von der Küche aus in Richtung Mädchenzimmer. Sie sind immer noch damit beschäftigt, den Koffer zu füllen. Gerade legen sie Bücher und Puppen hinein. Immerhin hat eine von ihnen jetzt auch schon ein Langarmshirt an, die andere Schlüpfer und Leggins. Sie ziehen sich also nebenbei an. Gut, dann muss ich nicht intervenieren. Ich wende mich wieder meinem Frühstück zu. Herrn Friedlich ist es zu langweilig geworden, er läuft in sein Zimmer. Hat er das Würstchen schon aufgegessen? Egal, ich frühstücke jetzt.
 
Als ich fertig bin, gucke ich erneut nach den Mädchen. Sie sind angezogen, der Koffer ist mit allerlei Dingen prall gefüllt. Heute Nachmittag werden wir da ein bisschen aussortieren müssen. Das sage ich jetzt aber nicht, denn ich möchte den Eifer und die Freude nicht unterbrechen. Heute Nachmittag werden sie offener sein für meine Vorschläge - es ist dann schon ein halber Tag vergangen und Vorfreude konnte sacken. Dann kann ich mit logischen und logistischen Argumenten -  das Kofferpacken betreffend - kommen. Ich frage: "Frühstück?" Heute ist Freitag, da gibt es in der Kita ein großes Frühstücksbuffet zusätzlich zu dem sonst üblichen Obstfrühstück. Mir ist also egal, ob sie zuhause frühstücken wollen, oder dort. "Zähneputzen!" ruft Fräulein Ordnung. Also dann das zuerst.
Ein wenig später trinken beide Mädchen einen Kakao in der Küche und mümmeln Würstchen und Ei. Fräulein Chaos springt urplötzlich auf und rennt zum Kühlschrank. Sie guckt im Froster nach ihrem Experiment. "Warum ist jetzt so viel Eis im Becher? Ich hatte weniger Wasser reingemacht, glaube ich." fragt sie. Ich erkläre, dass Wasser sich ausdehnt, wenn es zu Eis wird. Nun will sie das Experiment noch einmal machen, diesmal streicht sie mit Marker auf dem Becher an, wo der Wasserspiegel ist. Ich helfe ihr, damit nichts verschüttet.
 
Fräulein Ordnung guckt fasziniert vom Tisch aus zu. Gedankenverloren wedelt sie wild mit ihrem Kakaobecher, er schwappt bedrohlich. Ich sehe vor meinem inneren Auge den Kakao schon auf ihrem Shirt landen.    "Pass auf!" motze ich sie spontan an, "sonst kleckerst du!" Sie trinkt etwas weniger wild. Ich habe mich schon wieder abgeregt und bedanke mich für ihre Kooperation: "Weißt du, ich hatte gerade Angst, dass du auf dein Shirt kleckerst und ich dich dann umziehen muss. Aber jetzt bist du vorsichtig." Sie hat mir das Motzen nicht übel genommen - ihr Liebesspeicher ist gut gefüllt und sie kann darüber entspannt hinwegsehen. Ich überlege trotzdem, warum ich so losgefeuert habe, denn die Situation war eigentlich nicht so dramatisch. Ich realisiere, dass nicht der Punkt, dass ich sie neu umziehen müsste, mein Problem ist. Ich bin innerlich angespannt, weil ich Herrn Friedlich noch nicht dazu überreden konnte, sich anziehen zu lassen und nun die Zeit schon etwas drängt. Ein Stellvertreter-Motzen also.
 
Ich gehe zu meinem Sohn ins Kinderzimmer und sage klar: "Ich möchte dich jetzt anziehen."  Er versucht gerade, einen Rührbesen in einen Oball zu pfrimeln. "Nein!", findet er und spielt weiter. Neben ihm liegt das restliche Würstchen. Ich nehme es und bringe es in die Küche.
 
Es ist fast Losgehzeit, heute werde ich mich wohl über sein Nein hinwegsetzen müssen. Das mag ich nicht so gern. Herr Friedlich ist nun aber Gott sei Dank fertig mit seinem Spiel und kommt mir hinterhergelaufen. Er gebärdet: "Milch!". Super, dann kann ich ihn beim Stillen anziehen. Puh! Er läuft zum Bett und klettert rauf, weil er weiß, dass er tagsüber nur dort gestillt wird. Er meckert ein wenig, als ich ihm den Body über den Kopf streife, ist dann aber glücklich mit der Brust und hält still. Ich denke drüber nach, was ich noch probiert hätte, bevor ich ihn zum Anziehen gezwungen hätte. Denn er ist noch zu klein, um das selbst zu entscheiden, seine Klamotten liegen noch in meiner Verantwortung. Heute ist es herbstlich kühl. Zunächst hätte ich ihm angeboten, ein Buch vorzulesen und ihn dabei angezogen. Wenn das nicht geklappt hätte, hätte ich seine Schwestern gebeten, es zu versuchen. Erst danach hätte ich meine körperliche Überlegenheit ausgenutzt. An Tagen, an denen ich keinen Terminstress habe, hätte ich ihn so nackt gelassen und wäre einfach nicht losgegangen. Aber das ist heute nicht möglich.
 
Ich gebe ihm die zweite Brust und wünschte, ich hätte daran gedacht, auch Schuhe und Jacke mit hierher zu nehmen. Die Mädchen sind mittlerweile wieder bei uns im Zimmer, Fräulein Chaos hat angefangen, etwas zu malen. Da sie als erste in meinem Gesichtsfeld ist, spreche ich sie an: "Kannst du mir bitte die Jacke und Schuhe deines Bruders holen?" Keine Reaktion, sie hat mich wohl nicht gehört. Ich drehe den Kopf und sehe ihre Schwester, die ein bisschen vor sich hin träumt. "Fräulein Ordnung, kannst du mir die Schuhe und Jacke von Herrn Friedlich holen? Ich will ihn beim Stillen anziehen." Sie läuft prompt los und holt das Gewünschte. Ich werfe ihr ein Luftküsschen zu. Dann ziehe ich ihn an, es kommt zur Abwechslung mal kein Protest vom stillenden Bub. Sehr gut. Jetzt sind wir allerdings wirklich spät dran.
 
"Mädels, anziehen!" rufe ich aus dem Flur. Sie rühren sich nicht vom Fleck. Ich öffne die Wohnungstür, um Herrn Friedlich rauszulassen. Leider erblickt er beim Weg nach draußen seinen Bagger und will ihn mitnehmen. Wir haben einen genau gleichen unten im Hinterhof, der gerne mitgenommen werden kann. Dieser hier soll oben bleiben. Ich versuche, das meinen Eineinhalbjährigen zu erklären, doch er krallt sich an seinem Bagger fest und ruft empört. "Nein! Nein!". Ich stöhne innerlich und ziehe mich schnell an. Wo ist eigentlich mein Portemonaie? Ich habe es gestern ausgepackt. Hastig suche ich danach und werfe es in den Rucksack. Noch immer versuche ich, Herrn Friedlich zu überzeugen, den Bagger hierzulassen, weil der andere unten auf ihn wartet. Er ist erbost ob meiner Sturheit. Heute habe ich aber wirklich keine Lust, an diesem Punkt nachzugeben. Dieser doofe Bagger soll hier bleiben. Ich will an dem Wohnungsbagger keinen Sand haben. An besseren Tagen hätte ich vermutlich kein Problem damit und ihn einfach mitgenommen, aber heute bin ich durch den Zeitdruck angespannt und will nicht nachgeben. Tja.
 
"Mädchen, anziehen, es geht los!" rufe ich etwas lauter. Die Mädchen kommen, ich lege ihre Sachen vor die Tür. Sie ziehensich an. Ich nehme Herrn Friedlich den Bagger aus der Hand und schließe die Tür. Er brüllt das Treppenhaus zusammen. "Soll ich ihm vorsingen?" fragt Fräulein Ordnung. Sie hat tatsächlich ein Händchen dafür, ihn mit Singen zu beruhigen, auch, wenn es noch nicht sehr melodisch klingt.
 
Fräulein Chaos mag den Gesang ihrer Schwester überhaupt nicht und verkrümelt sich schon mal die Treppe runter. Fräulein Ordnung beginnt laut und schief zu singen, Herr Friedlich brüllt noch immer. Er will seinen Bagger! Mir ist heiß. 
Ich schließe die Tür ab und beuge mich zu ihm runter. "Du willst deinen Bagger! Bagger! Du sagst: Bagger, Mama! Bagger!" spiegle ich. Er brüllt weiter. Ich spiegle nochmal: "Bagger! Bagger! Du willst den Bagger!" Fräulein Ordnung singt immer noch, die gute Seele. Das hilft aber kein bisschen und mich macht es gerade total aggressiv. Wir sind verdammt laut, das Treppenhaus schallt, mir ist heiß und ich kann diese Kakophonie wirklich schlecht aushalten. Ich bin kurz davor, Fräulein Ordnung (schon wieder stellvertretend) anzuschnauzen, mit dem Singen aufzuhören, da kommt Fräulein Chaos die Treppe wieder hoch, mit dem Hof-Bagger in der Hand. Ich kann mein Glück kaum fassen. 5 ist wirklich sooo ein tolles Alter!
 
Mit tränennassen Augen guckt Herr Friedlich zu seiner Schwester und dem Bagger und verstummt prompt. Fräulein Ordnung denkt, ihr Singen habe nun endlich geholfen und stoppt zufrieden ebenfalls mit dem Lärm. Es wird einen kurzen Moment leise, ich atme erleichtert aus. Dann setzt Herr Friedlich neu an: "Nein! Nein! Nein!" protestiert er laut und wedelt die Hand mit einer "Verboten!"-Gebärde in Richtung Bagger. Man könnte meinen, er sagt uns, dass er diesen Bagger nicht will, sondern den anderen aus der Wohnung (wie gesagt, sie sind exakt gleich), aber ich verstehe sein Anliegen. Er will nicht, dass seine Schwester den Bagger in der Hand hat - das geht ja wohl mal gar nicht, ey! Das ist seiner! Sie soll ihn loslassen!
 
Ihm ist weder klar, dass das nicht der Bagger aus der Wohnung ist, noch, dass sie gerade so nett war, ihm den Bagger von unten hochzuholen. Dankbarkeit kann man von ihm also nicht erwarten und das ist auch okay. Dafür bin ich dankbar. Fräulein Chaos stellt den Bagger vor ihrem Bruder ab und er schnappt ihn sich sichtlich erleichtert. Liebevoll umklammert er ihn. Ich küsse beide Töchter auf den Kopf und bedanke mich leise für ihre Hilfe. Ich gucke auf die Uhr und sehe, dass wir wirklich zügig gehen müssen, um gerade noch pünktlich zu sein, bevor die Tore der Kita erst einmal geschlossen sind (wegen der ungestörten Freiarbeit).
 
Leider beschließt Fräulein Ordnung, dass es lustig wäre, den ganzen Weg rückwärts zu gehen und das tut sie auch kichernd. Ich übe mich in Zen-Gelassenheit und sage nichts dazu, um meinen Zeitdruck nicht auf sie zu übertragen. Einen störrischen Anfall von ihr kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen. Ihr Bruder läuft torkelnd mit dem Bagger in der Hand hinter ihr her und himmelt sie für ihr Können groß an. Fräulein Chaos läuft gedankenverloren neben mir und schiebt ihre kleine Hand in meine große. Ich genieße die Ruhe, die sie dabei ausströmt.  Mit Gongschlag erreichen wir die Kita. Wir haben es tatsächlich geschafft. Uff.

Nachtrag


Vielleicht fragt ihr euch, was passiert, wenn ich morgens mehr Termindruck habe, als das diese vier Tage lang der Fall war. Da ich noch in Elternzeit bin, kommt das selten vor und wenn, dannkooperieren alle Kinder normalerweise sehr gut. Das liegt eben daran, dass sie sehen, dass ich mich an anderen Tagen redlich bemühe, kooperativ auf ihre Bedürfnisse und Wünsche einzugehen.

Selbst Fräulein Ordnung, die ja bei Zeitdruck, wie ich schon schrieb, ins innere Stocken gerät, kann sich an solchen Tagen zum Funktionieren bringen. Sie bricht dann allerdings oft hinterher zusammen, d.h. wenn wir pünktlich angekommen sind. Dann sucht sie dort nach einer Möglichkeit, den inneren Stress loszuwerden und pöbelt so lange, bis sie jemanden findet, der ihr Reibefläche gibt. Sie braucht den Streit und das Weinen dann als Ventil. Da wir das wissen, können wir damit gut umgehen. Es ist ihre Art der Psychohygiene.

An "Tag 5", als wir ja mit dem Zug zur Omi fuhren, hatten wir es tatsächlich sehr eilig und unsere Kinder haben vorbildlich mitgespielt, so dass wir trotz knapper Zeitkalkulation pünktlich auf dem Bahnhof ankamen.

Der Tag wurde dann aber trotzdem zum absoluten Fiasko. Wir hatten kein Kleinkindabteil mehr buchen können und mussten die drei Kinder fünf Stunden lang leise beschäftigen. Meine Angespanntheit führte dann dazu, dass ich am Ende des Tages wirklich klassisch ungezogene Kinder hatte! Solche, die mit Absicht provozierten und absolut nicht auf das hörten, um das ich sie bat. Das war eine ganze neue Erfahrung für mich. Mir war allerdings schon währenddessen klar, dass der Auslöser für ihr Verhalten immer wieder ich selbst war. Das war so interessant zu beobachten, dass ich diesen Tag vielleicht noch einmal in einem anderen Artikel (er hat nicht viel mit Kooperation zu tun) tagebuchartig verbloggen werde. Seid gespannt auf: "Snowqueen - Wie sie einmal als Mutter versagte".

© Snowqueen

Freches Grinsen - Provokation oder Entschuldigung?

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Die menschliche Kommunikation besteht nicht nur aus Worten, sondern ist auch maßgeblich von der Körpersprache, also durch Mimik und Gestik geprägt. Der einfache Satz "Das ist heute aber ein tolles Wetter!" kann durch die entsprechende Betonung oder mit einem bestimmten Gesichtsausdruck sowohl Begeisterung, als auch Missbilligung ausdrücken.
 
Ein wichtiger Teil der Körpersprache sind Demuts- und Beschwichtigungsgebärden. Sie dienen dazu, dem Gegenüber zur Konfliktvermeidung die eigene Harmlosigkeit zu demonstrieren oder ihn im Konfliktfall zu besänftigen. Besänftigende Gesten sind zum Beispiel ein leicht gesenkter oder schiefgelegter Kopf, ein freundliches Lächeln oder der verschämte Blick von unten. Auch erhobene Hände mit den Handinnenflächen nach außen signalisieren: "Schau, ich bin ganz harmlos, von mir droht keine Gefahr". Diese Gestiken werden von fast allen Menschen ganz instinktiv erfasst.

Es gibt aber auch Beschwichtigungsgestiken, die als solche nicht (mehr) erkannt werden:
"Erst macht er solchen Mist und dann grinst er mich noch frech an. Diese ständigen Provokationen treiben mich in den Wahnsinn!"
Sicherlich kennt jede Mutter und jeder Vater solche Situationen - das Kind stellt irgendeinen Unsinn an, die Eltern weisen nachdrücklich darauf hin, dass dieses Verhalten unangemessen und unerwünscht ist und das Kind grinst sie daraufhin breit an oder lacht laut. Dieses Verhalten macht uns oft sehr wütend, weil wir es als reine Provokation empfinden.

Das Lachen ist jedoch häufig gar nicht provokant gemeint, sondern eine reine Übersprungshandlung. Ist ein Kind zwischen zwei möglichen Handlungsalternativen hin- und hergerissen („Höre ich auf? Oder mache ich weiter?“), tut es manchmal Dinge, die vollkommen unerwartet sind und mit dem Verhalten in keinem Zusammenhang stehen. Grinsen ist außerdem eine uralte Beschwichtigungsgeste, die uns eigentlich nicht provozieren, sondern die Situation entschärfen soll. Sie ist ein Überbleibsel der Evolution und lässt sich heute noch gut bei Affen beobachten.

Bei den Halbaffen, die den Menschen nicht ganz so ähnlich sind, sind die Gesichtsmuskeln nur sehr rudimentär entwickelt. Ihr Gesichtsausdruck ist daher immer gleich. Sie können mit ihren Muskeln ausschließlich ihre Zähne entblößen.

Halbaffe fletscht Zähne

Trotz dieser stark eingeschränkten Mimik können Halbaffen damit schon sehr unterschiedliche Botschaften ausdrücken. Wird das Maul aufgerissen ohne die Zähne zu zeigen, versteht der Gegenüber das als Drohgeste. Sind hingegen die Zähne deutlich zu erkennen, bedeutet das genau das Gegenteil. Indem der Halbaffe seine Zähne deutlich zeigt, will er signalisieren, dass er diese nicht benutzen will - eine eindeutig beschwichtigende Geste. Denn wer breit grinst, kann seine Zähne gerade nicht zum Beißen verwenden - und genau das soll dem anderen gezeigt werden.

Bei menschenähnlicheren Primaten, wie den Lemuren oder den Rhesusaffen, ist das Zeigen der Zähne sogar eine regelrechte Demutsgeste. Wenn zwei Affen gegeneinander kämpfen und sich der schwächere zurückzieht, zeigt er in aller Regel ein breites Grinsen und signalisiert damit, dass er sich ergibt. Paviane haben sogar ein richtiges Beschwichtigungsritual - sie verbeugen sich, strecken dem Widersacher ihren Po entgegen, schmatzen laut und grinsen breit. Das signalisiert dem anderen Tier: "Entschuldige bitte!"
 
Pavian zeigt Beschwichtigungsgeste

Dieses Verhalten ist rudimentär bei unseren Kindern erhalten geblieben - fühlen sie sich verlegen, weil wir sie bei unerwünschtem Verhalten ertappt haben oder weil wir mit ihnen wegen etwas schimpfen, dann zeigen sie uns ein breites Grinsen. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine Provokation, sondern um eine Art Verlegenheitslächeln und ist eine evolutionäre Demutsgeste, mit denen Kinder um Verzeihung bitten.

Leider führt das breite Angrinsen in unserem Kulturkreis immer wieder zu Konflikten, weil Eltern nicht in Betracht ziehen, dass das Kind damit auch um Verzeihung bitten könnte. Sie reagieren dann ungehalten und ärgern sich über die Reaktion. Dieser zusätzliche Ärger löst bei den Kindern das Bedürfnis aus, die Eltern noch mehr zu beschwichtigen -  sie grinsen unter Umständen noch breiter, was Eltern natürlich noch wütender macht. Mit dem Wissen, dass das Grinsen auch eine Entschuldigung sein kann, kann man vielen Konflikten gelassener begegnen. Werden die Augen niedergeschlagen oder ganz abgewandt, handelt es sich sehr wahrscheinlich nicht um eine Provokation. Das Senken des Blickes soll deeskalierend wirken - den Gegenüber anzustarren wäre nämlich eine Drohgeste.

Andere Kinder halten den Kopf leicht gesenkt oder schief und reißen die Augen weit auf. Das "sich kleiner machen" ist die älteste aller Demutsgesten. Beim Drohen machen sich Lebewesen so groß wie möglich - sie plustern sich quasi auf. Sind sie hingegen verlegen, machen sie sich auf jede erdenkliche Art klein. Große Augen sollen außerdem den elterlichen Beschützerinstinkt durch das Kindchenschema wecken.

Kind lächelt schüchtern

Das Lachen unserer Kinder in Konfliktsituationen macht uns wütend, weil wir es nicht als Beschwichtigung empfinden, sondern als provozierend. Wir übersetzen das Grinsen mit: "Es ist mir völlig egal was Du sagst!" Das stimmt in den meisten Fällen nicht, denn die Botschaft lautet: "Oh, tut mir leid, sei bitte nicht ärgerlich". Lächeln hat zudem eine aggressionshemmende Wirkung - schließlich lächeln wir normalerweise auch selbst, wenn wir uns bei anderen entschuldigen. Versuch doch mal das nächste Mal auf ein vermeintlich freches Grinsen mit "Oh, ich sehe, es tut Dir leid" zu reagieren und schau, was passiert.

Wichtig ist, sich immer in Erinnerung zu rufen, dass ein bewusstes Provozieren erst dann möglich ist, wenn das Kind über ausreichend Empathie verfügt. Um jemanden absichtlich ärgerlich zu machen, muss man sich in seine Gedanken- und Gefühlswelt einfühlen können. - das ist (entwicklungsabhängig) erst mit etwa drei bis sechs Jahren der Fall. Bei kleineren Kindern zwischen einem und vier Jahren kann man also fast immer von einer Beschwichtigungsgeste ausgehen, wenn sie einen (vermeintlich) frech anlachen.

Vorsätzliche Provokation ist eigentlich nicht im Verhaltensrepertoire von Kindern vorgesehen. Es ergibt nämlich evolutionsbiologisch gesehen keinen Sinn, dass sich Kinder gegen ihre Eltern grundlos auflehnen. Für Kinder ist es nicht sinnvoll, durch unangemessenes Verhalten diejenigen zu verärgern, die für ihr Überleben sorgten. Schließlich bestand die Gefahr, dass sich die Eltern dadurch mehr einem der (damals noch zahlreichen) anderen Geschwister zuwendet und das Kind bei der Ressourcenzuteilung benachteiligt wurde. Es liegt nicht in der Natur des Menschen, unkooperativ zu sein und Konflikte grundlos zu provozieren.

Sollte das Kind also grinsen oder lachen, um tatsächlich zu provozieren, dann sollten wir überlegen, warum es das tut. Möglicherweise ist sein Aufmerksamkeitsspeicher leer und es braucht eine extra Portion Zuwendung und findet keinen anderen Weg, dieses Bedürfnis auszudrücken. Manchmal sind Kinder dann in dieser Provokation gefangen und wissen keinen anderen Ausweg, als weiter zu machen. Versucht in diesem Fall mal, Euer Kind einfach fest in den Arm zu nehmen, um die Situation zu lösen.

© Danielle
 

Quellen



Künkel, Almuth, Kinder- und Jugendpsychologie in der zahnärztlichen Praxis

Rost, Wolfgang, Emotionen: Elixiere des Lebens

Mein Kind zieht sich nicht allein an oder braucht ewig dafür

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Kinder wollen kooperieren. Dieser Satz, so nonchalant von Familientherapeut Jesper Juul in fast jedem seiner Interviews dahingeworfen, bringt uns Eltern nicht selten an den Rand der Verzweiflung. Denn ausgerechnet unsere Kinder scheinen eben nicht kooperieren zu wollen, ja, sie scheinen es sich sogar in den Kopf gesetzt haben, genau das Gegenteil vom dem zu tun, was wir uns wünschen. Da werden Teller vom Tisch gefegt, Spielzeuge gefährlich in der Wohnung umhergeworfen, im dichten Straßenverkehr weggelaufen und sich morgens partout nicht allein angezogen.

Warum das so ist, haben wir im ersten Teil unserer Serie zur kindlichen Kooperation ausführlich erklärt. Im zweiten Teil gingen wir darauf ein, wie wir unsere Kinder ganz allgemein wieder zum kooperieren bringen können. Ergänzt wurde dieser Text mit Teil 3 der Serie, in der ich tagebuchartig verbloggte, wie viel ich und meine Kinder am Morgen kooperieren. In den folgenden Artikeln wollen wir alltägliche Situationen betrachten, die früher oder später in fast allen Familien zu Konflikten führen:

  • Mein Kind zieht sich (morgens) nicht allein an - oder braucht ewig dazu
  • Mein Kind will nicht die Treppe allein hochlaufen und will immer getragen werden
  • Mein Kind wirft andauernd Teller, Becher oder Essen auf den Boden
  • Mein Kind läuft immer weg

Wir haben einige Tipps und Tricks aufgeschrieben, die unseren Kindern die Kooperation im Alltag ein wenig zu erleichtern. Dazu beschreibe ich zunächst typische Probleme, gehe auf ihre möglichen Gründe ein und schlage ein paar praktische Lösungen vor, die euch helfen könnten.


Mein Kind zieht sich (morgens) nicht allein an oder braucht ewig dazu


In Ratgebern wird Eltern häufig geraten, den Kindern zu drohen, sie müssten den Tag im Kindergarten im Schlafanzug verbringen, wenn sie sich nicht sofort anziehen würden. Wichtig dabei sei, die Drohung auch durchzuführen, damit das Kind lernt, dass es den Eltern ernst ist. Die abgeschwächte Variante ist, das Kind zwar im Schlafanzug hinzubringen, es dann aber immerhin sich umziehen zu lassen, wenn es genügend Kommentare der anderen Kinder bzw. der Erzieher einstecken musste. Manchmal sagen verzweifelte Eltern auch, dass sie allein losgehen, wenn sich das Kind nicht augenblicklich fertig machen würde.

 
Man kann das alles natürlich ausprobieren und es macht euch nicht per se zu schlechten Eltern. Es zeigt nur, wie hilflos ihr euch fühlt im Angesicht Eures auf seinem Standpunkt beharrenden oder bummelnden laufenden Meters. Da ist es wirklich nicht verwunderlich, wenn man auf altbekannte Erziehungskonzepte zurückfällt, die einen schnellen Erfolg versprechen (und ja leider dieser Versprechen oft genug auch halten - Kinder beugen sich irgendwann dem Druck der Eltern).
 
Das Problem an dieser Art Erziehung ist jedoch in meinen Augen, dass man sich ziemlich oft in einem Machtkampf mit dem Kind wiederfindet. Es macht das Zusammenleben nicht schöner, wenn jeden Morgen erst einmal die "Wenn-Dann-Keule" herausgeholt werden muss, bis das Kind reagiert und sich doch dazu bequemt, sich anzuziehen. Ziemlich oft endet das permanente Genörgel der Eltern dann nämlich in schlechter Laune auf allen Seiten und manchmal auch im Streit, noch bevor der Tag richtig angefangen hat.
 

Warum Kinder sich nicht anziehen wollen

 
Einige Kinder sind ausgesprochene Morgenmuffel und sind vor ihrem ersten Kaffee Kakao schlichtweg nicht in der Lage, sich auf das selbständige Anziehen zu fokussieren. Andere Kinder sind Kuschler, die sich ihre Energie für den stressigen Kita-Alltag im Körperkontakt zur Mama oder zum Papa holen. Auch sie ziehen sich morgens ungern allein an, ebenso wie die Kinder, die sich vor allem dann geliebt fühlen, wenn sie von ihren Eltern Hilfe erhalten.
 

Lösungen für das Verhalten


1. Einfach helfen


Wenn euer Kind an sich in der Lage ist, sich selbständig anzuziehen und das in der Kita, an guten Tagen oder beim Kinderarzt auch zeigt, dann spricht wirklich nichts dagegen, euren Morgenmuffeln und Kuschlern zu helfen.

Was genau soll denn passieren? Dass sie sich daran gewöhnen und vergessen, wie sie sich selbst anziehen sollen? Dass sie sich mit 18 Jahren immer noch von euch anziehen lassen wollen? Eher nicht. Das sind dieselben Ängste, die uns eingeredet wurden, als unsere Kinder ins Familienbett zogen oder nach Bedarf gestillt wurden. Nichts von diesen unheilvollen Prophezeiungen ist eingetreten, oder? Denn der Mensch ist darauf ausgerichtet, sich weiter zu entwickeln - kein Kind möchte in der Baby- oder Kleinkindphase verharren.

Wenn ihr euren Kindern morgens beim Anziehen helft, dann lasst ihr sie noch ein bisschen Körperkontakt und Liebe tanken und zeigt ihnen, wie freundliches Miteinander funktioniert. Nämlich nicht mit Druck und Drohungen, sondern indem man selbst mit anfasst, um das "Projekt" zum Gelingen zu bringen.

 

2. Klamotten auf die Heizung legen


Bei meinen eigenen Kindern stellte ich irgendwann fest, dass ihr Unwillen, sich morgens zügig anzuziehen, vor allem darin begründet war, dass sie nicht aus ihrem kuschlig warmen Schlafanzug in die etwas steifen, kühlen Tagessachen steigen wollten. Sie waren ihnen schlicht zu kalt. Also hatte ich die Idee, die Anziehsachen einen Moment auf die Heizung im Bad zu legen und vorzuwärmen. Das brachte den Durchbruch!

Positiver Nebeneffekt der Heizungsvariante ist, dass sie sich relativ zügig anziehen müssen, wenn sie wollen, dass die Kleidungsstücke noch kuschlig warm sind. Denn sobald beispielsweise die Unterhose von der Heizung heruntergenommen wird, verliert er ja automatisch an Wärme und kühlt wieder aus. So kommt es, dass meine Töchter in den kühleren Jahreszeiten morgens im Bad vor der Heizung stehen und schnell Kleidungsstück für Kleidungsstück anziehen, um sich dann über die wohlige Wärme zu freuen.

3. Eine Anzieh-Straße auf den Boden legen


Es gibt Kinder, die mit der Logistik des Anziehens etwas überfordert sind. Für diese eignet sich der Trick, die Anziehsachen wie eine Straße vom Bett aus zum Bad auf dem Fußboden auszulegen.

Die Eltern legen also als erstes die Unterhose vor das Bett des Kindes. Einen Schritt weiter das Hemd. Noch ein paar Schritte weiter den Pullover. Dann die Strumpfhose/die Strümpfe. Dann die Hose. Das Kind zieht sich zunächst noch im Bett den Schlafanzug aus und geht dann von Station zu Station und stülpt sich ein Kleidungsstück nach dem anderen über. Ist es fertig angezogen, müsste es im Bad stehen. Sollte euer Kind morgens noch duschen, dann baut die Anziehstraße von der Dusche hin zur Küche.

 

4. Das Anziehen zeitlich verschieben


Manchmal gibt es so Tage, da ist den Kindern Spielen einfach wichtiger, als anziehen. Nun denn - ich akzeptiere das so und frage im Verlauf des Morgens immer mal wieder nach, ob sie jetzt bereit sind, wie ihr in Teil 3 dieser Serie über Kooperation lesen konntet. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich die Sachen dann einfach in eine Tasche gepackt und mitgenommen habe: Wenn man es nicht als Drohung verkauft, ist das Anziehen der Sachen erst im Kindergarten nämlich eine gute Option!

Es ist nicht peinlich, im Schlafanzug zum Kindergarten zu kommen, nur die doofen Erwachsenen behaften diese Möglichkeit mit Scham. Ich habe meine Kinder schon als Babys zum Pekip-Kurs morgens einfach im Schlafanzug gebracht, da sie dort ja sowieso wieder ausgezogen wurden. Und ich bin durchaus auch schon mit zwei fröhlichen Mädchen im Pyjama (mit Jacke und Schuhen) zum Kindergarten gelaufen und habe sie dort dann umgezogen, weil wir morgens einfach zu lange kuschelnd im Bett gelegen haben. Was ist daran peinlich? Nichts.

Es gab an diesem Tag natürlich ein paar Nachfragen von ihren Freunden, aber unsere Erklärung, dass wir einfach zum Anziehen noch keine Zeit gefunden hatten, weil wir viel zu schön gespielt hatten, wurde, typisch für Kinder, ganz einfach als normal und gut akzeptiert. Niemand lachte oder hänselte. (Allerdings wohnen wir in Berlin - vielleicht funktioniert das anderswo nicht ganz so problemlos. Hier gehen durchaus auch fünfzigjährige Frauen im Bademantel und mit Pantoffeln mit ihren Hunden Gassi und werden nicht schräg angesehen.)

Eine andere Möglichkeit, das Anziehen zeitlich zu verschieben, ist, dem Kind zu erlauben, die neuen Sachen für den nächsten Tag schon vor dem Schlafengehen anzuziehen. Dann würde es in diesen Sachen schlafen. Das ist nicht so furchtbar bequem, aber als Übergangslösung kann man das durchaus nutzen. Eine meiner Töchter hat das für etwa drei Tage so probiert, dann hatte sie von allein genug von diesem Experiment.

Wann das selbständige Anziehen zu viel verlangt ist


Manchmal sehe ich nachmittags, wenn alle ihre Kinder aus der Kita abholen, Eltern, die dort in der Garderobe darauf bestehen, dass sich ihr Kind selbst mit Jacke und Schuhen ankleidet, obwohl das Kind durch Schreien oder Weinen signalisiert, dass es das gerade nicht will.

Liebe Eltern, es ist verständlich, dass ihr eure Kinder zur Selbständigkeit anleiten wollt und ich kann auch nachvollziehen, dass ihr nicht andauernd Bock habt, eurem Kind bei etwas zu helfen, das es eigentlich schon kann. Aber in dieser speziellen Situation ist es zu viel von euren Kindern verlangt, sich selbst anzuziehen. Denn eure Kinder hatten einen stressigen Kita-Tag hinter sich, manche bis zu 8 Stunden. Alles, was sie jetzt noch wollen und können, ist, in eure Arme zu fallen und zu kuscheln. Das tun sie nicht ohne Hintergrund - durch den Körperkontakt wird das Glückshormon Oxytocin ausgeschüttet, das der beste und wirksamste Gegenspieler von innerem Stress ist! Eure Kinder wollen gern von euch angezogen werden, weil sie dadurch ihr inneres Gleichgewicht wieder herstellen. Wenn das nicht kompetent und selbstständig ist, dann weiß ich auch nicht. Sie sind nicht faul - sie betreiben Psychohygiene par excellence.

 

Ausblick


Das waren die ersten situationsbezogenen Tipps und Tricks in unserer Kooperationsserie. Wir werden uns in den nächsten Wochen näher mit den Themen Treppe allein hochlaufen, Herunterwerfen von Tellern, Bechern oder Essen und Weglaufen des Kindes beschäftigen.


Wenn ihr daran interessiert seid, können wir noch über weitere Situationen schreiben, die euch persönlich beschäftigen. Schreibt und einfach einen Kommentar, womit wir euch helfen können oder auch gerne, welche Tricks bei euch in bestimmten Situationen gut geholfen haben.

© Snowqueen 

Mein Kind will nicht allein die Treppe hochlaufen und immer getragen werden

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Kinder wollen kooperieren. Dieser Satz, so nonchalant von Familientherapeut Jesper Juul in fast jedem seiner Interviews dahingeworfen, bringt uns Eltern nicht selten an den Rand der Verzweiflung. Denn ausgerechnet unsere Kinder scheinen eben nicht kooperieren zu wollen, ja, sie scheinen es sich sogar in den Kopf gesetzt haben, genau das Gegenteil vom dem zu tun, was wir uns wünschen. Da werden Teller vom Tisch gefegt, Spielzeuge gefährlich in der Wohnung umhergeworfen, im dichten Straßenverkehr weggelaufen und sich morgens partout nicht allein angezogen.

Warum das so ist, haben wir im ersten Teil unserer Serie zur kindlichen Kooperation ausführlich erklärt. Im zweiten Teil gingen wir darauf ein, wie wir unsere Kinder ganz allgemein wieder zum kooperieren bringen können. Ergänzt wurde dieser Text mit Teil 3 der Serie, in der ich tagebuchartig verbloggte, wie viel ich und meine Kinder am Morgen kooperieren. In den folgenden Artikeln wollen wir alltägliche Situationen betrachten, die früher oder später in fast allen Familien zu Konflikten führen: 
Wir haben einige Tipps und Tricks aufgeschrieben, die unseren Kindern die Kooperation im Alltag ein wenig zu erleichtern. Dazu beschreibe ich zunächst typische Probleme, gehe auf ihre möglichen Gründe ein und schlage ein paar praktische Lösungen vor, die euch helfen könnten.

Mein Kind will nicht allein die Treppe hochlaufen und immer getragen werden


Wer in einem Haus ohne Fahrstuhl wohnt, kennt wohl den fast täglichen Kampf - die Kinder wollen die Treppe nicht selbst hochlaufen. Manche weigern sich, auch nur fünf Stufen selbst zur Toilette hoch zu gehen und verlangen mit soldatenartigem Befehlston von den Eltern, sie mögen sie gefälligst dorthin tragen. Auch beim morgendlichen Abgeben in der Kita sehe ich oft Kinder, die vor der Treppe kapitulieren und ihre Ärmchen den entnervten Eltern entgegen strecken.

Gründe für das Verhalten 


Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber wir wohnen in der zweiten Etage und ich finde es schon anstrengend, die Stufen jeden Tag mehrmals hoch- und runterzulaufen. Nun überlegt euch mal die körperlichen Relationen - für mich sind die Stufen etwa knöchelhoch, für meine Fünfjährigen gehen sie bis zur Wade, mein Eineinhalbjähriger muss seine Beinchen fast bis zum Po hochheben, um sie zu bewältigen. Ist es da ein Wunder, dass unsere Kinder das zu anstrengend finden? Nein!

Auch in der Kita sind die Stufen eher in Erwachsenenrelationen gebaut, es ist also kein Wunder, wenn die Kinder auch dort ihre Eltern bitten, sie hochzutragen. Hinzu kommt, dass sie wissen, dass sie gleich für ein paar Stunden Abschied von Mama oder Papa (oder Co-Mama) nehmen müssen und sie die Treppenzeit noch einmal zum Kuscheln und Krafttanken nutzen wollen.

Bei den oben erwähnten Stufen zur Toilette stehen andere Bedürfnisse im Vordergrund: Wenn Kinder wegen einer sehr leichten Aufgabe oder etwas anderen Banalem anfangen, zu kreischen, heulen und die Eltern anzuschnauzen (wie eben den fünf Stufen zur Toilette), dann hat das selten etwas mit dem Auslöser zu tun, sondern hat andere Ursachen. Meist ist es innerer Stress oder sie sind müde oder hungrig und suchen einen Reibepunkt mit den Eltern, um explodieren zu können. Das ist eine für Eltern sehr anstrengende Technik des Stressabbaus, für die Kinder jedoch sehr effektiv. Man könnte in einem solchen Fall die Kinder einfach hochtragen, aber dann würden sie vermutlich einen anderen Reibepunkt suchen. Sie würden dann so lange wegen Nichtigkeiten pöbeln, bis die Eltern endlich dagegenhalten. Das hat nichts mit Grenzen testen oder frech sein zu tun, sondern wieder mit Psychohygiene. Die Eltern müssen als Blitzableiter fungieren (also sich weigern, das Kind die fünf Stufen zu tragen) und den darauffolgenden Wutanfall empathisch begleiten. Ist das Gewitter vorüber und der innere Stress abgebaut, werden die Kinder die kleine Treppe hinauflaufen, als sei nichts geschehen.

Lösungen für das Verhalten


1. Das Kind einfach hochtragen 


Wenn ihr es körperlich schafft, dann tragt euer Kind hoch. Punkt. Der Wunsch, die Treppe nicht allein laufen zu müssen, nimmt proportional ab zu der Länge der Beine. Während meine damals 2-jährigen Töchter beinahe jeden Tag danach fragten, ist es seit dem 4. Geburtstag fast gar nicht mehr vorgekommen.

2. Bilder an jeden Treppenabsatz anbringen 


Als wir schwanger in unsere Wohnung einzogen, wohnte über uns in der dritten Etage ein kleiner Zweijähriger, der jeden Tag Zeter und Mordio schrie, weil er die Treppen nicht hochlaufen wollte, seine Mutter sich aber weigerte, ihn zu tragen.

Ich malte deshalb für ihn sieben Bilder von großen Autos, laminierte sie und hing sie immer an den höchsten Punkt eines Treppenabsatzes. Man konnte das Bild vom unteren Ende des Treppe zwar schon sehen, es aber nicht genau erkennen. Wie ich erhofft hatte, motivierten ihn die Bilder so sehr, dass er plötzlich ohne Geschrei die Treppen hoch lief - immer von einem Bild zu anderen. Dann blieb er davor stehen, betrachtete es, schaute hoch zum nächsten und lief weiter. 


Ab und zu änderte ich die Bilder, damit er wieder eine neue Motivation hatte. Ich malte zum Beispiel Bilder von Tieren - ich fing mit einer kleinen Ameise an und endete bei einem riesigen Wal. Mit jedem Treppenabsatz wurde das gezeigte Tier ein wenig größer und auch die Blattgröße änderte sich. Ich malte auch Spielzeuge und fügte auf jedem Blatt immer eins mehr dazu. Auf der untersten Treppe war also ein Spielzeug auf dem Blatt, auf der obersten waren es sieben Spielzeuge.

Für meine Töchter hob ich die Blätter auf und hing sie, als sie Treppe laufen doof fanden, wieder auf. So konnte ich z. B. sagen: "Lauf schon mal bis zum Spatz und dann trage ich dich von dort bis zur Katze." Das klappte wunderbar.

Bei meinem Sohn, der jetzt 1,5 Jahre alt ist, gibt es zwar noch kein Treppenlaufenverweigern, aber es hat sich jetzt schon - mehr aus Zufall - ein ähnliches Ritual wie mit den Bildern eingeschlichen. Bei uns im Hausflur gibt es nun "Schmetterlinge", die, weil sie einen Magnetfuß haben, von allen Bewohnern des Hauses mal hierhin, mal dorthin gesetzt werden. Diese Schmetterlinge waren eigentlich für das Zimmer meiner Töchter gedacht, sie wollten sie aber nicht (wie ich geplant hatte) an ihrer Lampe haben.

Also sortierte ich sie aus. Eines Tages fand sich einer der Schmetterlinge auf dem Boden im Hausflur. Vermutlich hatte mein Sohn die Tüte mit den aussortierten Sachen gefunden und den Schmetterling herausgenommen und mitgeschleppt. Ich setzte das Plastiktier an einen Nagel in der Wand. Das gefiel meinen Nachbarn so, dass sie für den Falter immer neue magnetische Standorte im Haus fanden. Das wiederum fanden meine Kinder so lustig, dass sie für jede Etage unseres Hauses einen Schmetterling aus der Tüte nahmen. Nun haben wir also eine Handvoll Schmetterlinge im Haus, die wie von Geisterhand täglich die Standorte wechseln und zehn Hausbewohner-Kinder, die die Treppen hochflitzen, um diese zu suchen. 

Wann das Treppe allein hochlaufen zu viel verlangt ist


Ich wurde einmal um Rat gebeten in einer Situation, die für die Mutter sehr anstrengend gewesen war. Sie hatte eine 20 Monate alte Tochter und wohnte in der dritten Etage. Normalerweise holte sie ihre Tochter nachmittags aus der Kita ab und nach einem kleinen Spaziergang gingen sie hoch in ihre Wohnung. Sehr oft bat die Tochter darum, hochgetragen zu werden, was die Mutter meist auch tat.

An diesem einen speziellen Tag gingen die beiden aber noch kurz zum Blumenladen und kauften Erde und Balkonpflanzen. Die Mama war also ordentlich bepackt - beide Hände waren voll. Deshalb bat sie ihre Tochter, an der Treppe angekommen, heute allein hochzulaufen. Statt einfach zu kooperieren, wie die Mutter gehofft hatte, fing das Mädchen barbarisch an zu kreischen und hatte einen riesigen Tobsuchtsanfall, weil sie die Stufen nicht allein hochlaufen wollte. Dieser Anfall dauerte eine halbe Stunde! Es ging nicht vor und nicht zurück - nichts, was die Mutter als Alternative anbot, wurde akzeptiert. Das Mädchen schrie und schrie - sie wollte auf den verdammten Arm!

Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass die Mutter das unglaublich wütend machte. Schließlich hatte sie ihre Tochter doch schon oft genug hinaufgetragen. Sie sollte nur dieses eine Mal kooperieren, schließlich sah sie doch, dass die Mama beide Hände mit schweren Sachen voll hatte!

Das Problem an der Sache: Das Kind konnte in diesem Moment nicht kooperieren, weil es in seinem Kopf darauf eingestellt war, dass die Mutter es die Treppe hinauftragen würde. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den wir Erwachsenen immer im Hinterkopf behalten müssen, wenn wir mit Kleinkindern ein Kooperationsproblem haben. In vielen Fällen fehlt in einen bestimmten Moment die Kooperationsbereitschaft, weil das Gehirn noch nicht in der Lage ist, flexibel auf Veränderungen in einer Routine zu reagieren!

Ganz häufig sieht man das, wenn etwas Unerwartetes geschieht - zum Beispiel, wenn ein Keks beim Herausnehmen aus der Packung zerbricht. Wie viele Kinder lagen deshalb schon wütend auf dem Boden? Fast alle. Denn das flexible Reagieren auf eine Änderung ist eine kognitive Leistung, die erst mit steigendem Alter (und verbundenen neuronalen Bahnen) und viel, viel Übung gemeistert werden kann. Haben Kinder erst einmal ein Programm in ihrem Kopf gestartet ("Ich nehme einen ganzen Keks aus der Packung und esse ihn dann."), können sie dieses nicht oder nur schwer unterbrechen oder abändern.

Sie war auch vom Alter her noch nicht in der Lage, voraus zu sehen, dass die eben gekauften Pflanzen und die Erde der Grund sein würden, dass das Hinauftragen verweigert werden würde. Diesen Zusammenhang konnte sie aufgrund der noch fehlenden neuronalen Verschaltungen im Gehirn einfach noch nicht herstellen. Sie konnte sich auch nicht in die Situation der Mutter hineinversetzen, denn auch dieser kognitiver Meilenstein fehlte noch.

Was hätte besagte Mutter nun tun können? Sie hatte drei Möglichkeiten, zwei davon sind aber nur wenig praktikabel.

Sie hätte die Einkäufe am Fuß der Treppe stehen lassen und dann ihr Kind hochtragen können. Dann hätte sie das Kind für 5 Minuten im Kinderzimmer abgestellt und wäre die Treppen hinuntergewetzt, um die Einkäufe hochzuhieven.

Sie hätte bei einer Nachbarin klingeln und diese bitten können, die Einkäufe hochzutragen. (So ist es in Wirklichkeit auch geschehen. Allerdings hatte die Nachbarin das Geschrei gehört und war nach einer halben Stunde von selbst gekommen, um zu helfen.) Aber was, wenn kein Nachbar da ist?

Sie hätte den Wutanfall des Kindes aushalten, abwarten und begleiten können. Das Gehirn war aufgrund der Änderung einfach in die Krise geraten und musste nun durch den Wutanfall diesen inneren Stress abbauen. Wenn man das als Erwachsener weiß, ist das Begleiten gar nicht mehr so schwierig, weil man mit echtem Mitgefühl daneben sitzt und versteht, wie schwer das für das Kind gerade ist. Ist die Krise überwunden, dann kann sich das Kind übrigens auf die neue Situation einstellen - es wird dann allein die Treppe hochlaufen, oder den zerbrochenen Keks doch noch essen. Ich favorisiere diese Alternative, weil sie einen wichtigen Lernprozess beim Kind unterstützt. Allerdings würde ich an schlechten Tagen (also wenn mir die Nerven fehlen) auch einen der beiden leichteren Wege gehen. Sie sind alle drei für das Kind in Ordnung.

Ausblick 


Das waren weitere situationsbezogenen Tipps und Tricks in unserer Kooperationsserie. Wir haben uns bereits mit dem Thema alleine Anziehen befasst werden uns in den nächsten Wochen näher mit den Themen Herunterwerfen von Tellern, Bechern oder Essen und Weglaufen des Kindes beschäftigen.

Wenn ihr daran interessiert seid, können wir noch über weitere Situationen schreiben, die euch persönlich beschäftigen. Schreibt und einfach einen Kommentar, womit wir euch helfen können oder auch gerne, welche Tricks bei euch in bestimmten Situationen gut geholfen haben.

© Snowqueen

Personalisierte Geburtstagskarten online erstellen

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In meiner Familie gibt es zum Jahresende eine Häufung von Geburtstagen - wir fallen quasi von einer Feier in die nächste. Zähle ich noch meine besten Freundinnen hinzu, die am 21.12. und 23.12. geboren wurden und Weihnachten und Neujahr hinzu, wird mein Jahr ab Oktober gefühlt zur Partymeile.

Da wir Erwachsenen uns gegenseitig nichts mehr schenken, fällt für mich schon mal ein großer Stressfaktor weg. Wir haben aber eingeführt, dass die Geburtstagskinder von den anderen so richtig verwöhnt werden - sie müssen sich um nichts kümmern. Stattdessen arbeitet der Rest von uns Hand in Hand, um die Feiern zu gestalten. Mein Bruder ist zum Beispiel für die Dekoration und den Blumenstrauß verantwortlich. Er hat einen richtig guten Blick für Details und schmückt den Partyort immer sehr geschmackvoll, zurückhaltend und passend.

Meine Tanten und meine Mutter können  sehr gut kochen, so dass sie (so sie nicht selbst Geburtstag feiern) für das Menü verantwortlich sind. Meine Cousine ist Konditorin und steuert die Kuchen bei. Mein kleiner Cousin setzt sich als DJ an das Musikpult. Mein Vater holt die Gäste von der Bahn mit dem Auto ab und repariert auch gern mal kaputte Lampen und Spielzeuge. (Ok - das macht er eigentlich, weil ihn Geburtstagsfeiern total langweilen und er so etwas zu tun hat. Er geht dann auch abwaschen!)

Und ich? Ihr fragt euch sicherlich, welche Aufgabe mir zufällt. Nun, da ich, wie mein Bruder, ein bisschen Kreativität geerbt habe und "gut schreiben" kann, wie die anderen immer so herzlich formulieren, bin ich für die Einladungskarten verantwortlich. Jupp, wir verschicken noch Einladungskarten. Macht das außer uns noch jemand? Ich glaube, das ist eine aussterbende Angewohnheit. Meist wird doch mittlerweile via Email oder Whatsapp eingeladen, oder?

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich liebe es, echte Post zu bekommen und die Einladungen gehören dazu. Klar, wir bestellen nicht für jeden x-beliebigen Geburtstag aufwändige Hochglanzkarten, aber Mühe bei der Auswahl gebe ich mir doch. Bevor die Kinder geboren wurden, habe ich die Einladungen sogar noch selbst gebastelt, aber das ist jetzt zeitlich echt überhaupt nicht mehr drin. Ich nehme mittlerweile gern Online-Shops in Anspruch, die das "basteln" für mich übernehmen. In den letzten Jahren habe ich verschiedene ausprobiert. Bisher waren die eigentlich alle ganz gut. Manchmal war mir das Papier zu dünn und in einem Jahr war ich nur halb zufrieden mit dem Fotodruck, aber das waren dann eben auch eher billige Anbieter gewesen, wo das schon irgendwie vorher klar war.

Dieses Jahr stehen nun gleich drei runde Geburtstage an und die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Ich habe diesmal bei meinen Bloggerkolleginnen herumgefragt, welche Kartendruckerei sie empfehlen würden. Zwei von drei haben mich auf die Seite http://www.geburtstagseinladung-paradies.de verwiesen, mit der sie wohl sehr gute Erfahrungen gemacht haben. Ich habe dort nun schon ein bisschen herumgestöbert und finde das Angebot auf den ersten Blick sehr ansprechend.


Auf der Startseite kann man erst einmal auswählen, für welchen Geburtstag die Karten sein soll: Runde Geburtstage, für Erwachsene, für Jugendliche, für Kinder oder für Kleinkinder. Auch für den 50., 75., oder 90 Geburtstag gibt es eine eigene Auswahl, was ich nicht ganz verstehe - zählen die nicht einfach zu den runden Geburtstagen? Egal. Klickt man eins der Untermenüs an, gibt es jeweils mehr als 300 Motive, die man aussuchen kann. Einiges wiederholt sich, aber insgesamt ist doch für jeden Geschmack etwas dabei. Man kann kitschige, witzige, pseudo-witzige, romantische, verspielte und einfache Karten finden.

Hat man ein Motiv ausgewählt, geht es ans Personalisieren. Gut finde ich, dass man sowohl die Vorder- als auch die Rückseite und beide Innenseiten zum Gestalten nutzen kann. So ist es kein Problem, ein Foto des Geburtstagskindes auf die Karteninnenseite einzufügen, wie ich das gern mache. Es bleibt dann genug Platz, um alle wichtigen Infos auf den anderen Seiten unterzubringen. Ich mag auch, dass man die Papierstärke auswählen kann - je nachdem, wie edel man es gern hätte, wird es dann ein bisschen teurer. Die Karte, die ich auswählen werde, kostet ca. 2 Euro. Das finde ich okay, gemessen daran, dass ich beim Selberbasteln mit dem ganzen Material durchaus mehr bezahlen würde.

Um nicht die Katze im Sack kaufen zu müssen, kann man von seiner personalisierten Karte ein Muster bestellen. In diesem Fall wird nur eine Karte in den Warenkorb gepackt und das Design unter der Kundenummer in "Meine gespeicherten Designs" abgelegt. Hat man das Muster zuhause begutachtet, kann man dann ohne Mehraufwand die restlichen Karten nachbestellen. Ich würde dieses Vorgehen immer bevorzugen, weil mir gern mal Tippfehler unterlaufen und ich diese dann auf dem Muster schnell erkenne. Als ich mit 14 Jahren zu meiner Jugendweihe einlud, kam meine Lieblingstante einen Tag zu früh angereist, weil ich das Datum auf ihrer (damals noch handgeschriebenen) Karte falsch eingesetzt hatte! Sie kam, als meine Mutter gerade wild die Wohnung putzte und ich verträumt meine Outfits anprobierte. War das peinlich! Das soll mir bitte nie wieder passieren, daher fordere ich also immer zunächst eine Musterprobe an....


Bei Geburtstgseinladung-Paradies gibt es übrigens auch ein Musterset, mit dem man die gestaltete Karte in allen möglichen Farbvarianten, Schriftarten und in verschiedenen Papiersorten zugeschickt bekommt. Das ist natürlich ein echt netter Service, den ich wahrscheinlich dieses Jahr in Anspruch nehme.

Wer noch Anregungen für die Gestaltung der Geburtstagskarten braucht, oder Ideen für eine coole Location oder auch für ein ausgefallenes Geburtstagsgeschenk, der kann ins Magazin der Seite gucken. Für mich wurde es Jahr für Jahr zunehmend schwerer, ein passendes Geschenk für meine Liebsten zu finden. Da meine bessere Hälfte ein Fan von aufregenden Unternehmungen ist, schenkte ich schon einen Segelflug, ein Tag im Kletterwald (da stellte ich leider erst oben fest, dass ich Höhenangst habe), eine Stadtrundfahrt mit dem Segway (fand selbst ich cool), eine Fahrt mit U-Bahn-Cabrio durch das Tunnelsystem der Stadt (laaaangweilig!), ein Snowboardkurs auf einem rotierenden Teppich (super cool, leider ist der Veranstalter pleite gegangen) und ein Waveboard. Weil mich das Finden des Geschenkes aber immer mehr stresste, lassen wir das jetzt gänzlich, wie oben schon geschrieben. Ich kann das nur empfehlen! Aber wenn ihr nach einer Geschenkidee sucht, dann schaut mal hier, vielleicht findet ihr ja was.

Insgesamt finde ich die Seite und den Service vom Geburtstgseinladung-Paradies ansprechend und werde deshalb der Empfehlung meiner Blogger-Kolleginnen folgen und dieses Jahr dort bestellen. Allerdings muss ich mich echt sputen, denn die erste Feier unseres Geburtstags-Marathons steht schon vor der Tür!

Falls Ihr die Einladungen für den nächsten Kindergeburtstag drucken lassen wollt, haben wir für euch einen 50-Euro-Gutschein, der uns von www.geburtstagseinladung-paradies.de zur Verfügung gestellt wurde. Schreibt uns einfach einen Kommentar unter diesen Artikel mit Eurer E-Mail-Adresse - ersetzt das @ dabei durch ein anderes Sonderzeichen, damit ihr kein Spam erhaltet. Die Verlosung erfolgt am nächsten Freitag - es gelten unsere Teilnahmebedingungen.

Mein Kind wirft ständig Teller, Becher oder Essen auf den Boden

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Kinder wollen kooperieren. Dieser Satz, so nonchalant von Familientherapeut Jesper Juul in fast jedem seiner Interviews dahingeworfen, bringt uns Eltern nicht selten an den Rand der Verzweiflung. Denn ausgerechnet unsere Kinder scheinen eben nicht kooperieren zu wollen, ja, sie scheinen es sich sogar in den Kopf gesetzt haben, genau das Gegenteil vom dem zu tun, was wir uns wünschen. Da werden Teller vom Tisch gefegt, Spielzeuge gefährlich in der Wohnung umhergeworfen, im dichten Straßenverkehr weggelaufen und sich morgens partout nicht allein angezogen.
 
Warum das so ist, haben wir im ersten Teil unserer Serie zur kindlichen Kooperation ausführlich erklärt. Im zweiten Teil gingen wir darauf ein, wie wir unsere Kinder ganz allgemein wieder zum kooperieren bringen können. Ergänzt wurde dieser Text mit Teil 3 der Serie, in der ich tagebuchartig verbloggte, wie viel ich und meine Kinder am Morgen kooperieren. In den folgenden Artikeln wollen wir alltägliche Situationen betrachten, die früher oder später in fast allen Familien zu Konflikten führen:
Wir haben einige Tipps und Tricks aufgeschrieben, die unseren Kindern die Kooperation im Alltag ein wenig zu erleichtern. Dazu beschreibe ich zunächst typische Probleme, gehe auf ihre möglichen Gründe ein und schlage ein paar praktische Lösungen vor, die euch helfen könnten.
 

Mein Kind wirft ständig Teller, Becher oder Essen auf den Boden

 
Das Hinunterwerfen von Tellern ist eigentlich der Klassiker unter den unkooperativen Verhaltensweisen. Viele, viele Eltern verzweifeln daran. In veralteten Erziehungsratgebern wird meist geraten, das Essen in einem solchen Fall sofort zu beenden. Wirft das Kind also Teller oder Essen auf den Boden, sollen die Eltern dieses aufheben, wegstellen und dem Nachwuchs sagen, dass das Abendbrot nun beendet sei. Man sehe an seinem Werfen, dass es ja wohl offensichtlich satt sei. Dummerweise juckt die Kinder dieser Abbruch des Essens meist nicht - beim nächsten Mal fliegt wieder der Teller. Ich halte diesen Tipp deshalb für keine erfolgsversprechende Erziehungstechnik und rate davon ab.

 

Gründe für das Verhalten

 
Der erste Teller "fliegt" noch aus Versehen, meist in einem Alter, in dem die Grob- und Feinmotorik einfach noch nicht richtig ausgereift ist. Weil aber zur gleichen Zeit in etwa das Baby/Kleinkind in der Ursache-Wirkungs-Phase ist, in der es ausdauernd testet, was passiert, wenn es eine bestimmte Sache macht, kann es gut sein, dass dieses erste Versehen dann immer wieder absichtlich wiederholt wird. Das Kind testet einfach die physikalischen Grundlagen seiner Umwelt: Fällt der Teller immer wieder nach unten? Schwebt er auch mal nach oben? Macht er immer dieses Geräusch? Bleibt er dabei ganz oder geht er kaputt? Wie reagieren meine Lieblingsmenschen darauf, wenn der Teller fällt?
 
Natürlich ist das Ursache-Wirkungs-Testen nicht die einzige mögliche Ursache. Viele Kinder signalisieren mit dem Runterwerfen, dass sie satt sind bzw. mit dem Essen fertig und sich langweilen. Da sie in der Regel noch keine andere Technik gefunden haben, diesen Fakt adäquat auszudrücken (z. B. indem sie die Gebärde "satt" oder "fertig" zeigen), bürgert sich dieses "Signal" (also das Herunterwerfen, weil sie fertig sind) ein und wird immer wieder gezeigt, auch, wenn die Eltern schimpfen. Dieses Schimpfen beziehen die Kinder nämlich gar nicht auf sich, da sie kognitiv noch nicht in der Lage sind, die Gefühlswelt ihrer Eltern nachzuvollziehen und zu erkennen, dass ihr Werfen die Eltern wütend macht und für das Schimpfen verantwortlich ist. Sie erkennen zwar einen Zusammenhang ("Immer, wenn ich werfe, wird Papa laut"), finden den aber eher spannend, denn er gehört wieder in das Ursache-Wirkungs-Lernfeld. Ergo machen sie mit dem Werfen weiter, um zu überprüfen, ob das Lautwerden der Eltern wirklich jedes Mal nach dem Tellerwerfen kommt.


Nun könnte man denken, dass es aus diesem Gesichtspunkt heraus vielleicht doch eine gute Idee ist, das Essen immer dann abzubrechen, wenn das Kind den Teller (oder das Essen, den Becher etc.) wirft, denn dann würde es doch irgendwann den Zusammenhang lernen? Ich werfe den Teller, der Teller kommt weg. Ja? Stimmt, das würde das Kind lernen. Es ist meines Erachtens trotzdem sinnlos. Denn das Kind wirft den Teller ja, weil es satt ist, das heißt, es tangiert es überhaupt nicht, wenn der Teller dann weggestellt wird. Eher im Gegenteil: Für das Kind signalisieren die Eltern mit dem Wegstellen des Tellers als nonverbale Botschaft: "Ich habe dich verstanden. Du bist satt. Dann stelle ich den Teller jetzt weg." Es fühlt sich also verstanden und ist glücklich, einen Weg gefunden zu haben, es seinen Eltern begreiflich gemacht zu haben. Dementsprechend würde es das Signal Tellerwerfen für den Fakt, dass es satt/gelangweilt ist nun immer wieder nutzen und sich nur wundern, warum die Eltern deswegen zunehmend lauter werden.
 
Nehmen wir an, das Kind ist noch nicht satt, und wirft den Teller trotzdem aus für uns nicht nachvollziehbaren Gründen. Dann würde das Wegstellen des Tellers, sobald er geworfen wurde, also das Abbrechen des Abendbrotes aber trotzdem uns Eltern ins eigene Fleisch schneiden und weniger den Kindern. Klar, die haben dann sicher noch Hunger. Und schicken wir sie dann hungrig ins Bett? Unsere Eltern und Großeltern haben das noch durchgezogen. Manchmal wurden sie dann durch lautes Hungergeschrei in der Nacht geweckt - nicht so prickelnd. Meistens aber mussten die Kinder halt damit leben und den Hunger bis zum Frühstück aushalten. Auch nicht so prickelnd, da das vorsätzliche Entziehen des Essens für Kinder wie Liebesentzug wirkt, die Eltern-Kind-Bindung negativ beeinflusst und ein gestörtes Verhältnis zum Essen hervorrufen kann. Die Eltern heute machen das Gott sei Dank nicht mehr, aber auch ihre Lösung ist nicht besser. Sie geben dem Kind dann später, wenn es Hunger hat, noch einmal etwas zu essen. Und was hat das Kind dann daraus gelernt? Nichts. Die Eltern vollführen nur seltsame Rituale, die es nicht nachvollziehen kann. Manchmal stellen sie den Teller weg, manchmal holen sie ihn wieder, manchmal wird das Essen unterbrochen, aber später gibt es dann wieder etwas. Das Kind denkt: "Go with the flow" und akzeptiert dieses Gebaren seiner Liebsten als normales Verhalten. Mit dem Tellerwerfen aufhören wird es vermutlich eher nicht.
 

Lösungen für das Verhalten

 

1. Echtes Geschirr nehmen

 
Doch, doch, das meine ich ernst. Ihr habt doch bestimmt noch "hübsches" Geschirr von Oma oder Schwiegermutter im Schrank, um das es bei einem Versehen nicht schade ist? Nehmt das.
 
Es ist wirklich auch schon für kleine Kinder ein Unterschied, ob bruchsichere Melamin-Teller auf den Boden prallen und scheppernd, aber ganz, umherrollen oder ein echter Porzellanteller klirrend in tausende Stücke zerspringt. Geht davon aus, dass kein Kind letzteres absichtlich zwei Mal macht. Deshalb sagt auch Maria Montessori (u.a.), dass es für die Entwicklung der Kinder am besten sei, wenn sie von Anfang an echtes Geschirr und echte Gläser bekommen. Schaut auch mal in euren Küchenschrank. Steht da noch euer Kindergeschirr aus Porzellan von vor 30 Jahren? Ja? Bei mir nämlich auch. Seht ihr, wir haben das damals auch geschafft. Unsere Kinder können das auch. Echt jetzt.
 

2. Ein anderes "Fertig"-Signal einführen

 
Wie ich oben bei den Gründen schon beschrieb, ist das Herunterwerfen von Geschirr oder Essen meist ein vom Kind eingeführtes und von den Eltern unwissentlich verstärktes Signal für den Fakt, dass es satt bzw. ihm langweilig ist.
 
Wenn wir das wissen, ist es ein Leichtes, dem Kind ein anderes Signal beizubringen. Denn merke: Wenn wir einem Kind immer wieder sagen, was es nicht machen soll, heißt das noch lange nicht, dass es dann automatisch weiß, was es stattdessen machen soll! Wir müssen es ihm sagen oder ihm vormachen.
 
Am einfachsten ist es, ihm zu zeigen, dass es den Teller auf dem Tisch nach vorn (von ihm weg) schieben kann, um zu zeigen, dass es fertig ist. Sollte der Teller also bei euch das nächste Mal fallen, würde ich ihn ohne Brimborium aufheben, wieder vor das Kind stellen und sagen: "Du bist satt? Guck mal, dann schieb den Teller so nach vorn. Dann verstehe ich dich besser. So sagst du: Ich bin fertig!" Das würde ich eine Weiler immer wieder vormachen (auch bei mir selbst) und das Kind loben (ja, in dem Fall würde ich tatsächlich loben), wenn es meinen Vorschlag umsetzt. Siehe auch "Catch them at being good".
 
Meine Töchter haben übrigens ein eigenes Signal entwickelt, als sie sehr klein waren: Sie haben sich immer selbst mit dem Stuhl vom Tisch abgerückt. Das war am Anfang Zufall und eher als Spiel gedacht, aber ich habe das in meinem Sinne interpretiert und verbalisiert und so wurde daraus eben ihr "Fertig"-Signal. Mein Sohn zerrt an seinem Lätzchen, wenn er fertig ist. Hat er keins um, was öfter vorkommt, steigt er einfach vom Stuhl - auch das ist ein "Fertig"-Signal.
 

3. Catch them at being good

 
Meine Kinder haben schon relativ früh, mit etwa 11 Monaten, selbst mit dem Löffel oder der Gabel gegessen. Dabei kam es natürlich häufiger vor, dass selbiger herunterfiel. Ich habe dazu nie groß etwas gesagt, denn es war klar: Sie machen das nicht mit Absicht, sondern weil ihre Motorik noch nicht ausgereift ist. Mit etwa 13 Monaten fiel mir jedoch auf, dass eine der beiden, Fräulein Chaos, den Löffel immer öfter einfach fallen ließ, so dass er scheppernd zu Boden fiel. Da mir das Aufheben nach einer Weile wirklich lästig wurde, begann ich, sie dabei zu "erwischen", wenn sie den Löffel auf dem Tisch ablegte. Das erste Mal hätte ich tatsächlich beinahe verpasst, weil es eine so nebensächliche Geste war, dass mein Gehirn sie gar nicht registrieren wollte. Mehr aus Versehen legte sie den Löffel genau neben ihrem Teller ab, um nach ihrem Glas zu greifen. Ich ergriff die Gelegenheit beim Schopfe und sagte zum Teddy, der stumm am Tisch saß und zuguckte: "Oh, guck mal, Teddy, dein Fräulein Chaos hat verstanden, dass der Löffel neben den Teller gehört. Wie toll!" (Kurzer Einschub: Ich habe absichtlich das indirekte Lob über den Teddy gewählt, weil es stärker wirkt, als direktes Lob. Man kann auch den anwesenden Papa, die Co-Mama oder auch das daneben liegende Baby ansprechen und denen das erzählen.) Dann strahlte ich sie an. Man konnte förmlich den Denkprozess hinter ihrer Stirn nachvollziehen. Ihre Augen gingen verwundert auf den Löffel, dann guckte sie mir wieder ins Gesicht. Sie guckte auf den Boden, dann wieder auf den Löffel. Dann straffte sich ihr ganzer Körper und sie lächelte mich an. Ich bin sicher, in diesem Moment war ihr ein Licht aufgegangen. Sie hatte endlich gehört, wie der gesellschaftlich anerkannte Umgang mit einem in dem Moment ungebrauchten Löffel war. Ab diesem Zeitpunkt wurde der Löffel sehr viel öfter auf dem Tisch abgelegt und sehr viel weniger auf den Boden geworfen. Letztere hob ich einfach auf, erstere bemerkte ich drei Tage lang sehr intensiv lobend. Danach machte ich noch etwa eine Woche lang ab und zu lobende Bemerkungen, wenn der Löffel neben dem Teller abgelegt wurde, mal mit direktem Lob, mal indirekt. Danach waren wir durch mit dem Thema: Die Löffel blieben zuverlässig oben.
 
Das (manipulative) Loben nutze ich übrigens eher selten. Ich habe diese Technik beim Verkehrstraining, beim Umgang mit Steckdosen und eben beim Werfen des Bestecks benutzt, als meine Töchter zwischen 1 und 2 Jahren waren. Sie fußt auf der Methodik des Behaviorismus (instrumentelle und operante Konditionierung). Da das menschliche Gehirn schnell und zuverlässig auf "Lernen durch Belohnung" und "Lernen durch Bestrafung" anspricht, lernen Kinder sehr schnell, was sie dürfen und was nicht. Bei den Gefahren durch Autos und Strom war mir das wichtig, denn ich wollte nicht erst darauf warten, dass meine Kinder zur Einsicht gelangen, dass diese Dinge gefährlich für sie sind. Denn diese Einsicht hätte noch mehrere Jahre auf sich warten lassen - bis sie ansatzweise die Gefahr erkennen, müssen Kinder zwischen 4 und 6 Jahre alt sein. Und selbst dann ist das Verständnis erst einmal nur vage. An sich ist es jedoch erstrebenswert, das "Catch them at being good" ohne Lob, sondern mit anderen Arten von positiver Rückmeldung, durchzuführen.
 
Meinem Sohn habe ich mit sechs Monaten auch beigebracht, dass er an die Steckdosen nicht heran darf, aber ich nutzte kein Lob mehr. Ich brauchte das nicht - er kooperierte einfach. Ich glaube, das liegt daran, dass ich dadurch, dass das bei meinen Töchtern damals so problemlos geklappt hat (nicht an Steckdosen gehen, an der Straße immer anhalten), innerlich so überzeugt war, dass mein Sohn auf mich hören würde, dass ich eine absolute Klarheit ausgestrahlt habe, die ihn überzeugte. (Über diesen Punkt habe ich ausführlich in Teil 2 der Serie geschrieben). Aber das ist nur eine Theorie. Vielleicht habe ich auch einfach nur ein pflegeleichtes Kind. Im Moment mache ich mit ihm Verkehrstraining und auch hier setzt er meine Hinweise ohne Lob um. Zu diesem Punkt werde ich im Artikel über das Weglaufen noch etwas ausführlicher schreiben.
 
Im Übrigen würde ich jedoch jederzeit wieder das manipulative Lob beim "Catch them at being good" anwenden, wenn ich eine Gefahr für Leib und Leben meiner Kinder abwenden müsste!
 

Ausblick

 
Das waren situationsbezogene Tipps und Tricks für das Herunterwerfen von Gegenständen im Rahmenin unserer Kooperationsserie. Bisher haben wir uns außerdem mit dem allein Anziehen und dem allein Treppen hochlaufen beschäftigt. In der nächsten Woche geht es um das Weglaufen.
 
Wenn ihr daran interessiert seid, können wir noch über weitere Situationen schreiben, die euch persönlich beschäftigen. Schreibt und einfach einen Kommentar, womit wir euch helfen können oder auch gerne, welche Tricks bei euch in bestimmten Situationen gut geholfen haben.
 
© Snowqueen

Einkaufen und Geld zurück bekommen - Shoppen mit iGraal

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Seitdem ich Kinder habe, hat sich mein Einkaufsverhalten drastisch geändert. Früher liebte ich ausgiebige Shoppingbummel. Ich konnte stundenlang durch die Einkaufszone schlendern und hatte wirklich Freude daran, mir in Ruhe alles anzuschauen. Auf meine Elternzeit freute ich mich riesig - da würde ich viel Zeit haben, durch die Stadt zu streifen, in Cafés gemütlich Kaffee trinken und Freunde treffen. Doch als meine Tochter geboren wurde, platzten diese Wunschvorstellungen wie Seifenblasen. Stundenlang trug ich mein Schreikind durch die Wohnung und traute mich kaum vor die Tür, weil ich die genervten Blicke der anderen fürchtete. Wenn man jedoch so ein kleines Baby im Haus hat, dann fallen einen plötzlich ganz viele Dinge ein, die man unbedingt noch braucht - vom Kinderwagenschaukler über mehr Spuckwindeln hin zum Sonnensegel für den Kinderwagen. Wenn man (wie ich) nicht in einer Großstadt lebt, hat man nur eine Alternative: mein erstes Kind machte mich unfreiwillig zum passionierten Online-Shopper bei Babymarkt, Babywalz oder MyToys.

Zwar traue ich mich schon seit langer Zeit wieder mit meinen Kindern raus, aber so richtig Spaß macht es leider auch nicht, mit Kindern einkaufen zu gehen. Man muss dabei auch Prioritäten setzen - wenn die Laune noch gut und die Motivation hoch ist, geht es in den Schuhladen, um schon wieder neue Schuhe für die Schnellwachsfüße zu kaufen (meine Tochter ist bei der 15. Größe in 6 Jahren). Maximal ein weiteres Geschäft schafft man, danach haben die Kinder einfach keine Lust mehr. 

Alleine oder gar in Ruhe einkaufen gehen ist auch nicht mehr möglich - meine Freizeit beginnt üblicherweise um 20 Uhr - die der Verkäuferinnen im Einzelhandel jedoch auch. Wir kommen daher nur noch schwerlich zusammen und das wird auf absehbare Zeit auch noch so bleiben, so dass ich weiter hauptsächlich online mein Geld ausgeben werde. Das Internet hat neben den flexiblen Öffnungszeiten auch noch einen anderen entscheidenden Vorteil: man kann kräftig sparen. Und das nicht nur durch Preisvergleiche, sondern durch spezielle Anbieter, bei denen man für jeden Einkauf bares Geld, also "Cashback", zurück bekommt.

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    Viel Spaß beim Ausprobieren und Shoppen wünscht

    Danielle

    PS: Über Eure Erfahrungen freuen wir uns in den Kommentaren!

    Mein Kind läuft ständig weg - was kann ich dagegen tun?

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    Kinder wollen kooperieren. Dieser Satz, so nonchalant von Familientherapeut Jesper Juul in fast jedem seiner Interviews dahingeworfen, bringt uns Eltern nicht selten an den Rand der Verzweiflung. Denn ausgerechnet unsere Kinder scheinen eben nicht kooperieren zu wollen, ja, sie scheinen es sich sogar in den Kopf gesetzt haben, genau das Gegenteil vom dem zu tun, was wir uns wünschen. Da werden Teller vom Tisch gefegt, Spielzeuge gefährlich in der Wohnung umhergeworfen, im dichten Straßenverkehr weggelaufen und sich morgens partout nicht allein angezogen.

    Warum das so ist, haben wir im ersten Teil unserer Serie zur kindlichen Kooperation ausführlich erklärt. Im zweiten Teil gingen wir darauf ein, wie wir unsere Kinder ganz allgemein wieder zum kooperieren bringen können. Ergänzt wurde dieser Text mit Teil 3 der Serie, in der ich tagebuchartig verbloggte, wie viel ich und meine Kinder am Morgen kooperieren. In den folgenden Artikeln wollen wir alltägliche Situationen betrachten, die früher oder später in fast allen Familien zu Konflikten führen:
     
     
    Wir haben einige Tipps und Tricks aufgeschrieben, die unseren Kindern die Kooperation im Alltag ein wenig zu erleichtern. Dazu beschreibe ich zunächst typische Probleme, gehe auf ihre möglichen Gründe ein und schlage ein paar praktische Lösungen vor, die euch helfen könnten.
     

    Mein Kind rennt immer weg

     
    Eine der gefährlichsten unkooperativen Verhaltensweisen ist das Weglaufen. In klassischen Ratgebern wird dazu meist geraten, konsequent zu sein und das Kind bei Regelverstoß an die Hand zu nehmen bzw. in den Buggy zu setzen. Wem man nicht vertrauen kann, der büßt eben mit Freiheitsentzug. Ich möchte diese Lösung nicht verurteilen, weil sie ultimativ ja das Kind schützt - und das ist natürlich das Wichtigste. Ich denke aber, dass es auch hier freundlichere Alternativen gibt, die das Zusammenleben in der Familie vielleicht nicht so zum Kampf machen. Denn selbstverständlich wehren sich die meisten Kinder dagegen, zwangsweise an der Hand laufen oder im Buggy sitzen zu müssen. Oft sehen sie gar nicht ein, dass sie etwas "falsch" gemacht haben. Doch schauen wir zunächst auf mögliche Gründe, warum ein Kind wegläuft.
     

    Gründe für das Verhalten

     
    Viele Kinder sehen das Weglaufen als Spiel an. Man sieht sie dann kichernd vor den besorgten Erwachsenen fortlaufen, die warnenden Rufe nicht hörend. Sie sind im Spielmodus und sehen keine Gefahr. Andere Kinder haben einen sehr ausgeprägten Jagdinstinkt - vielleicht ein Überbleibsel unserer Vergangenheit als Jäger und Sammler. Wenn diese Kinder eine Katze sehen oder auch eine Taube, einen tollen Fußball etc., dann rennen sie ohne Rücksicht auf Verluste einfach los und jagen hinterher. Dabei sind sie so fokussiert, dass auch sie keine Rufe der Erwachsenen mehr hören. Sie sind kleine Raubtiere und sehen nur noch ihre Beute.  


    Hinzu kommt, dass die menschliche Ohrmuschel eher nach vorn gerichtet ist. Wir hören von vorn und von der Seite gut, nicht jedoch von hinten. Rufen die Erwachsenen also von hinten und aus einer relativ großen Entfernung, dann erreichen die Schallwellen kaum noch das Ohr - das Kind hört tatsächlich nur wenig. Ist es dann noch auf etwas anderes konzentriert, filtert das Gehirn dieses Geräusch als nebensächlich weg - und das Kind hört gar nichts mehr von unseren Rufen. Denn so ist unser Gehirn aufgebaut. Unsere Ohren nehmen tagtäglich sehr viel mehr Geräusche auf, als das Gehirn dann verarbeitet. Zu unserem Schutz filtert es in wichtig und unwichtig - dabei passieren eben leider auch Fehler. (Es gibt auch Kinder, deren Gehirn nicht richtig filtert, diese sind dann permanent überreizt, weil sie zu vielen Dingen Aufmerksamkeit geben müssen. Zu viele Reize erreichen sie.)
     
    Als letzter Grund für ein Weglaufen von Kindern sei noch genannt, dass Erwachsene sich oft (unbewusst) nicht präzise genug ausdrücken. Oft sagen sie zum Beispiel: "Lauf nur so weit, wie ich dich noch sehen kann." Doch wie weit ist das denn genau? Wie soll das Kind einschätzen, wie weit ein Erwachsener sehen kann, zumal in einem Alter, in dem es kognitiv noch nicht eine Situation aus den Augen eines anderen betrachten kann? Für unsere Kinder sind wir in dem Alter, in dem sie normalerweise weglaufen, doch noch Superhelden, die ALLES können. Sie können einfach noch nicht einschätzen, dass wir sie durch die Hecke oder hinter den Autos nicht mehr sehen können! Damit ist das Weglaufen dorthin, wo die Eltern es nicht mehr sehen können, keine böse Absicht, sondern schlicht und einfach das Ergebnis der Annahme, dass wir Eltern unfehlbar sind. Sie denken, wir können kilometerweit und um die Ecke gucken - dass dem nicht so ist, ist unseren Kindern nicht bewusst.

     

    Lösungen für das Verhalten

     

    1. Fange spielen vermeiden

     
    Meine Töchter sind mittlerweile 5 Jahre alt und ich spiele mit ihnen gerne Fange. Auf dem Spielplatz rase ich ihnen hinterher und bin das große Krümelmonster, dass die beiden kleinen leckeren Kekse da vor mir essen will. Dabei wird ausgiebig gekichert und ich komme mit meinen fast 40 Jahren ziemlich aus der Puste. Hallo Körper? Du warst doch mal echt sportlich? Tja nun... Wenn ihr uns so auf der Wiese beobachten könntet, würdet ihr euch vielleicht wundern, wenn ich euch erzähle, dass ich, bis die Mädchen 3 Jahre alt wurden, niemals, wirklich nie Fange gespielt habe. Ganz bewusst habe ich speziell dieses Spiel gemieden. Und auch bei meinem eineinhalbjährigen Sohn vermeide ich tunlichst, ihm hinterherzurennen.
     
    Das liegt daran, dass ich nicht möchte, dass er dieses Spiel mir im Straßenverkehr spielt und vor mir wegrennt, wenn es gefährlich ist. Denn er kann noch nicht zwischen den Situationen "Fange spielen erlaubt", "Fange spielen gefährlich" unterscheiden. Für ihn ist der Ort egal, an dem er kichernd davontorkelt, um sich wieder einfangen zu lassen. Für ihn ist es ein Spiel, egal, ob er dabei auf die Straße rennt, oder auf dem sicheren Spielplatz. Es wäre eine Überforderung, von ihm zu verlangen, erst abzuwägen, ob das Fangespiel gerade situativ und ortstechnisch passend ist.
     
    Ich renne ihm also niemals hinterher, und ich greife ihn auch nicht von hinten am Arm oder der Jacke. Wenn es vorkommt, dass er einen anderen Weg einschlägt, als ich, renne ich zwar manchmal schnell hinter ihm her, solange er sich nicht umsieht, schlendere aber sofort betont langsam, wenn ich in sein Blickfeld gerate. Ich überhole ihn dann mit großen Schritten, aber nicht hektisch, drehe mich zu ihm um und beuge mich herunter, um ihn von vorn zum Stoppen zu bewegen. So kommt bei ihm niemals das Gejagt-werden-Gefühl auf, das ja bekanntlich der Initialzünder für das spielerische Weglaufen ist. Ich jage ihm nicht hinterher - ich stelle mich ihm von vorn in dem Weg und habe dann auch gleich seinen Augenkontakt, um seine Aufmerksamkeit und sein Zuhören zu sichern.
     
    Es mag euch schade vorkommen, das schöne Fange-Spielen zu unterlassen und ich kann das verstehen. Aber es ist ja nicht für immer verboten, sondern schlicht nach hinten verschoben. Ab etwa drei Jahren (das kann von Kind zu Kind variieren - entschiedet das für euer Kind selbst) sind unsere Kinder kognitiv in der Lage zu verstehen, dass Fange-Spielen auf dem Spielplatz prima ist, aber im Straßenverkehr nicht. Dann könnt ihr immer noch so viel hinter euren Kindern herrennen, wie eure Puste zulässt.
     

    2. Verkehrstraining

     
    In dem Moment, in dem eure Kinder Laufen lernen, sind sie bereit für Verkehrstraining. Das fängt zunächst sehr simpel an. Wenn ihr mit euren Einjährigen an eine Straße kommt, haltet ganz bewusst an, zeigt auf den Bordstein und sagt: "Stopp! Das ist eine Straße. Hier darfst du nur mit Mama oder Papa rüber". Dann nehmt ihr euer Kind an die Hand. Immer. (Es sei denn, natürlich, es sitzt im Buggy oder in der Trage.) Kommt ihr an eine Ampel, dann zeigt auf die Ampelfarbe und sagt: "Die Ampel ist rot. Wir müssen anhalten. Stopp!, sagt die Ampel." Ich mache dabei auch immer eine Stopp-Gebärde und singe die erste Strophe des Ampellieds. Wenn die Ampel auf Grün umspringt, sage ich betont erfreut: "Daaaa! Die Ampel ist grün! Nun können wir gehen. Nun halten die Autos an". 


    Der Sinn hinter diesem sehr frühen Verkehrstraining ist, dass unsere Kinder mit etwa 12 Monaten noch nicht in Frage stellen, was wir ihnen sagen. Die Autonomiephase hat noch nicht begonnen. Sie orientieren sich stark an uns, um die Welt überhaupt einmal zu begreifen und imitieren uns deshalb gern. Was wir sagen, wird von ihnen als unumstößliche Gegebenheit angenommen. Wird ihnen von uns in diesem Alter gezeigt, dass es wichtig ist, an Straßen zuverlässig anzuhalten, bei Rot nicht über die Straße zu gehen und auf die elterliche Hand zur Überquerung zu warten, dann prägt sich das so fest ein, dass es auch später, wenn sie ihre eigenen Wege gehen wollen, abgerufen wird. Sie werden auch mit 2 oder 3 Jahren an der Straße anhalten. Weil sie es immer schon so gemacht haben.
     
    Zum Verkehrstraining gehört übrigens auch, euren (auch etwas älteren) Kindern nicht alle Entscheidungen abzunehmen. Ein Kind, dass immer nur mitläuft, fängt nämlich irgendwann an zu träumen. Es ist nicht mehr konzentriert auf die Gefahren der Straße. Das mag an eurer Seite nicht schlimm sein, denn ihr passt ja auf - aber wenn es das immer so macht, dann gewöhnt sich das Gehirn daran, dass es im Straßenverkehr in den Tagtraummodus gehen kann und das könnte bedeuten, dass das Kind, wenn es allein zur Schule unterwegs ist, auch träumt, statt aufzupassen. Ich sage nicht, dass ihr ständig und überall eure Kinder auf Gefahren aufmerksam machen sollt. Was ich meine ist, sie an kleineren Straßen entscheiden zu lassen, wann ihr alle hinübergehen könnt oder sie zu bitten, euch den Weg vom Kindergarten nach Hause oder von zuhause zum Spielplatz zu zeigen. Besprecht mit ihnen, in welcher U-Bahn ihr fahrt, an welcher Station ihr normalerweise aussteigt usw. Zeigt ihnen einfach, dass es wichtig ist, im Verkehr aufmerksam zu bleiben - dann fängt ihr Gehirn nicht an, in wichtigen Situationen zu träumen.
     

    3. Klare Absprachen treffen - vorher

     
    Wie ich oben bereits erklärte, denken unsere Kinder, dass wir Superhelden mit Superkräften sind. Ihnen ist einfach nicht klar, wie weit wir gucken können und wie weit "so, dass ich dich noch sehen kann" ist. Deshalb ist es wichtig, mit Kindern klare Absprachen zu treffen, und zwar bevor sie losrennen, denn sonst hören sie uns nicht mehr gut. Ihr könntet zum Beispiel sagen: "Du darfst bis zur nächsten Laterne laufen". Im Park eignen sich Kurven als Markierung: "Du kannst bis zur nächsten Kurve rennen. Dahinter sehe ich dich nicht mehr, also bleib stehen". Auf dem Spielplatz ist es sinnvoll, eine imaginäre Linie mit den Kindern abzulaufen: "Im Gebüsch kann ich dich nicht sehen - du darfst bis hier spielen, damit ich dich immer im Blick habe. Hier vor dem Gebüsch ist die Linie, ja?"
     
    Oft werde ich von verzweifelten Zweifachmüttern angesprochen, wie sie das denn machen sollen, wenn ihr großes Kind mit dem Laufrad vorfahren will, sie aber mit dem Kleinkind oder Baby nicht schnell genug hinterher können. Die Großen würden dann anfangen, sich zu langweilen und dann doch schon weiter wegfahren (also weglaufen...). Die Antwort ist so einfach, dass sich die meisten Mütter dann an die Stirn klatschen, wenn ich sie ihnen vorschlage. Sagt zu eurem großen Kind: "Du darfst bis zum .... vorfahren. Wenn dir langweilig ist, weil wir zu langsam sind, dann fahr wieder zu mir zurück, ok? Du kannst immer hin und her fahren, bis ich mit dem Baby den Weg auch geschafft habe". Normalerweise ist das eine Lösung, die alle Beteiligten gut gefällt und deswegen problemlos klappt. Langeweile ist ein großer Risikofaktor fürs Weglaufen, deshalb werde ich weiter unten noch etwas ausführlicher darüber schreiben.
     

    4. Im Notfall: Leinenrucksack

     
    Es gibt, wie ich oben schon schrieb, Kinder mit ausgeprägtem Jagdinstinkt, bei denen der Impuls, loszurennen, jegliche antrainierte Verhaltensweisen überschreibt. Selbst, wenn sie ausgiebiges Verkehrstraining hatten, kann es sein, dass diese Kinder nicht anhalten, wenn eine Straße kommt oder sie viel zu weit weg von den Eltern sind. Auch bei Zwillingen gibt es manchmal das Problem, dass Eltern, die allein mit den beiden unterwegs sind, mächtig ins Schwitzen kommen, weil der eine hierhin und der andere dorthin strebt. Wem sollen sie folgen? Und warum rennen die nicht mal in eine Richtung?!
     
    Für solche Notfälle würde ich einen Leinenrucksack nutzen. Ich weiß, dass diese umstritten sind und selbstverständlich sind unsere Kinder keine Hunde. Aber ganz ehrlich? Ich möchte lieber in der Lage sein, mein Kind an der Leine von der Straße zu reißen, als mit ansehen zu müssen, wie es unter ein Auto gerät, weil ich nicht schnell genug hinterher konnte.

    Liebe imaginäre Leserin, die du jetzt gern einen bissigen Kommentar schreiben willst, wie schlimm Leinenrucksäcke für ein Kind sind: Ich finde es bewundernswert, dass du es bei deinen acht Kindern ohne geschafft hast. Und dass sie immer ganz brav im Straßenverkehr gehört haben. Und doch - lauf doch erst einmal selbst in den Schuhen von Zwillingseltern oder kleinen Jägern, bevor du dir ein Urteil erlaubst. Ein Leinenrucksack ist kein Foltermittel und auch nicht demütigend (also zumindest nicht, wenn das Kind nicht schon 5 Jahre alt ist), sondern eine zusätzliche Sicherheit, wenn Kinder sich rigoros weigern, an der Hand zu laufen oder sich in den Buggy setzen zu lassen. Punkt.
     
    Normalerweise nehmen die Kinder diese Rucksäcke nicht als Leine wahr. Für sie ist es ein lustiges Tier mit langem Schwanz, das sie da auf dem Rücken tragen. Anders als Mamas Hand oder der Buggy bewerten sie den Rucksack auch nicht als Einschränkung ihrer Freiheit, es sei denn, er wird zu oft genutzt. Die Eltern sollten wirklich nur an viel befahrenen Straßen den Leinenschwanz in die Hand nehmen und das Kind ansonsten frei mit Rucksack laufen lassen. Wichtig ist, auch trotz der Sicherung das Verkehrstraining mit den Kindern durchzuführen.
     

    Wann nicht wegzulaufen zu viel verlangt ist

     
    Ich bin von einer Mutter eines Zweijährigen gefragt worden, was sie machen solle. Ihr Sohn würde auf Spielplätzen immer nur kurz mit den Geräten spielen und dann einfach weglaufen, vom Spielplatz herunter. Sie würde sich gern einfach mal wie andere Eltern auf eine Bank setzen und ausruhen, während ihr Kind auf dem Spielplatz spielt. Aber das ginge bei ihrem Sohn gar nicht. Sie fragte mich, wie sie ihrem Sohn das Weglaufen abgewöhnen könne, denn das wäre ja ein wirklich problematisches Verhalten, weil er natürlich außerhalb des Spielplatzes auf eine Straße rennen könne.
     
    Wenn wir uns diese Situation genauer angucken, dann kollidieren hier zwei Bedürfnisse miteinander: Das Bedürfnis des Jungen, zu laufen, und das Bedürfnis der Mutter, sich auszuruhen. Und so sehr ich die Mutter verstehen kann - ich denke, dass sie ihr Bedürfnis in diesem Moment zurückstecken muss. Problematisch das das Verhalten des Kindes nämlich ganz und gar nicht. Er ist eben ein Kind, das lieber läuft, als auf dem Spielplatz zu spielen. Problematisch ist nur das Umfeld, in dem er sich befindet: Der Spielplatz ohne Eingrenzung und die Straßen drum herum. Es muss sich also nicht das Kind ändern, sondern sein Umfeld! Wenn die Mutter mit ihrem Sohn in den Park geht, kann er so viel vorlaufen, wie er will, denn es kann ihm nichts passieren. Auch auf einem eingezäunten Spielplatz wäre das möglich, allerdings denke ich, dass es ihm dort schnell langweilig werden würde, da er nun einmal kein Spielplatzkind ist. Viel besser wären wilde, unbebaute Flächen mit vielen Steinen und Stöckern - ich denke, dass er dort genug zum Spielen finden würde und die Mutter sich vielleicht sogar mal kurz hinsetzen könnte.
     
    Von diesem Läufer-Kind zu verlangen, auf einem Spielplatz nicht wegzurennen, ist eindeutig zu viel verlangt! Sein Bedürfnis spricht dagegen. Diesem wird er immer folgen. Bestehen wir als Eltern darauf, dass er auf dem Spielplatz zu bleiben hat und bringen ihm bei, dass er dort nicht wegzulaufen hat (indem wir mit ihm schimpfen, wenn er es tut z. B.) machen wir einen gravierenden Fehler. Denn dann suggerieren wir dem Kind, dass etwas an ihm nicht in Ordnung ist, dass er eigentlich in der Lage sein müsste, wie alle Kinder auf dem Spielplatz zu spielen. Wir prägen sein Selbstbild auf negative Weise. Denn eigentlich ist er ja vollkommen in Ordnung, so, wie er ist. Er ist halt ein anderer Spieltyp, als die anderen Kinder, aber das ist doch okay. Es müssen nur die äußeren Umstände stimmen, schon ist sein Spielverhalten nicht mehr problematisch, sondern toll. Er ist ein Entdecker und konzentriert sich dann am besten, wenn er durch den Park stiefelt und Steinchen sucht. Schafft es seine Mutter, auf sein Bedürfnis zu hören und die Spielbedingungen für ihn zu verändern, kann er mit einem anderen Selbstverständnis aufwachsen: Dass er gut so ist, wie er ist.
     
    Es gibt noch eine zweite Situation, in der das Nicht-Weglaufen zu viel verlangt ist: Wenn Kinder warten sollen. Eine Freundin von mir war mit ihrer 4-Jährigen einmal im Hotel. Auf dem Hotelgang fiel ihr ein, dass sie etwas im Frühstücksraum vergessen hatte und sagte zu ihrem Kind: "Warte hier, ich bin gleich wieder da. Nicht weggehen!". Als sie nach etwa 10 Minuten wieder oben war, war ihre Tochter doch weg. Ihr könnt euch ihren gewaltigen Schreck vorstellen. Tausende Gedanken rasten in ihrem Kopf, sie hatte eine Höllenangst. Panisch rannte sie durch die Gänge, zu den Treppen und zum Fahrstuhl und rief immer wieder nach ihrer Tochter. Am Ende fand sie sie in der Lobby. Das Mädchen sagte: "Ich habe dich gesucht, Mama!" Was war geschehen? Warum hatte das Kind nicht einfach dort gewartet, wo ihre Mutter sie stehen gelassen hatte?
     
    Zunächst einmal hatte die Tochter sehr wohl gewartet. Fünf Minuten hatte sie in etwa ausgehalten. Dann hatte sie die Angst gepackt in diesem Hotelflur und sie wollte ihre Mutter wieder sehen. Also lief sie ihr die Treppen hinunter entgegen, da sie wusste, dass die Mutter in den Frühstücksraum wollte. Damit verpasste sie ihre Mutter haarscharf, denn diese war mit dem Fahrstuhl nach oben gefahren.
     
    Das Problem an der Situation war, dass die Mutter das Mädchen "in den Leerlauf" geschickt hatte. "Leerlauf" sind Zeitabschnitte, in denen Kinder keine andere Handlungsanweisung haben, außer "warten". Warten kann ein Kind aber nur sehr kurz, denn es hat keine gute Zeitvorstellung - manche Minuten kommen ihm vor wie Stunden, manche Stunden wie Minuten. Soll ein Kind also ohne Beschäftigung warten, passieren zwei Dinge: Entweder, es bekommt Angst und will zu seinen Eltern (in unbekannten Umgebungen) oder ihm wird langweilig und es sucht sich eine Beschäftigung (in bekannten Umgebungen). In beiden Fällen läuft das Kind scheinbar weg - es verlässt den Ort des Wartens.
     
    Möchtet ihr, dass euer Kind irgendwo kurz wartet, dann vermeidet "Leerlauf" und gebt klare Handlungsanweisungen, bevor ihr geht. "Ich bin 5 Minuten weg. Du kannst hier im Hotelflur hoch und runter laufen und zählen, wie viele Schritte du brauchst. Ich komme gleich wieder mit dem Fahrstuhl hoch". "Warte hier, ich hole kurz Brötchen und bin gleich wieder draußen. Das dauert zwei Minuten. Du kannst hier auf der Wiese so lange Blumen pflücken". "Ich muss nochmal was aus der Wohnung holen. In fünf Minuten bin ich wieder da. Willst du in der Zeit vom Treppenabsatz springen? Du kannst mir dann zeigen, wie hoch du dich traust". Ganz wichtig ist natürlich, dass die vorgeschlagene Beschäftigung genauso lange anhält, wie ihr weg seid. Ist die Beschäftigung zu langweilig, gerät das Kind wieder in den Leerlauf und könnte auf die Idee kommen, sich etwas anderes zu suchen.
     
    Für die Junglehrer unter euch gilt dieser Punkt übrigens auch - sobald eure Schüler in den Leerlauf geraten, weil sie keine Aufgaben haben, werden sie unruhig und es kommt zu Unterrichtsstörungen. Ihr müsst daher darauf achten, dass eure Schüler immer genau wissen, was sie als nächstes tun können, auch, wenn sie mal warten müssen, weil ihr zum Beispiel etwas an die Tafel schreibt....
     

    Ausblick

     
    In den letzten Wochen haben wir im Rahmen unserer Kooperationsserie die Themen allein Anziehen, Essen herunter werfen und Treppen allein hochlaufen behandelt.
     
    Wenn ihr daran interessiert seid, können wir noch über weitere Situationen schreiben, die euch persönlich beschäftigen. Schreibt und einfach einen Kommentar, womit wir euch helfen können oder auch gerne, welche Tricks bei euch in bestimmten Situationen gut geholfen haben.
     
    © Snowqueen

    Weihnachtsshooting für Familien in Berlin

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    Ich weiß gar nicht, ob ich euch das schon erzählt habe, aber ich habe vor den Kindern eine ganze Weile in London gelebt. Ich bin dort nach dem Abi als Au-Pair gestrandet, in einer tollen, kultur-liebenden Familie, die mich sehr geprägt hat. Später lebte ich als Nanny auf eigenen Beinen, hatte aber immer noch engen Kontakt mit "meiner" Familie.  Die Engländer verschicken zum Weihnachtsfest gern Karten - viele, viele Karten - und vor allem Jahresbriefe, in denen sie all ihren Freunden erzählen, was sie so die letzten 12 Monate erlebt haben. Ich fand diese Tradition sehr schön, deshalb habe ich sie, als ich meine britischen Zelte abbrach, mit nach Berlin gebracht und schreibe seither jedes Jahr einen langen Brief an all meine Liebsten.

    Als dann die Kinder geboren wurden, fragten natürlich alle nach Fotos von den Kleinen. Das erste Weihnachtsfest nach der Geburt verlief für mich dementsprechend wahnsinnig stressig, denn ich stellte mich, wie hunderttausend andere am 20. Dezember bei DM an den Fotodrucker an. War das eine Prozedur! Nicht nur hatte ich eine Schlange von zehn Leuten vor der Nase, nein, die druckten alle auch noch 50 Bilder aus! Zum Verzweifeln. Also - natürlich hatte ich ebenfalls eine Druckauftrag von 50 Bildern, aber hey, ich war Neumutter, meine Zeit war knapp! Ich war froh, dass ich die beiden winzigen Bündel für eine Stunde von meiner Brust abpfropfen konnte - und dann das. Warum waren die ganzen anderen Menschen denn nicht schon vor Wochen am Fotodrucker gewesen? Hä? Hä? Tsss. Sie da - sie sind doch Rentner! Warum drucken sie denn erst jetzt? Was? Keine Zeit vorher? Also wirklich. Leute gibt's.

    Dieses erste Weihnachtsfest hatte mich also einiges gelehrt. Erstens: Wenn man Kinder hat, wollen die Leute Fotos von den Kindern sehen. Zweitens: Nutze keine Fotodrucker vor Weihnachten. Drittens: Fang im Oktober an zu planen, denn Eltern haben niemals Zeit.
     
    Seither läuft es etwas besser mit mir und meiner Planung. Ich hatte euch ja schon verraten, dass wir einen Haus- und Hoffotografen haben, den ich niemals wieder hergeben werde. Zu diesem gehen wir meistens Ende Oktober und lassen uns als gesamte Familie fotografieren: Captivation ist ein kleines Fotostudio in der Schliemannstraße 29 im Herzen  Prenzlauer Bergs in Berlin. Solltet ihr in Berlin oder auch im Berliner Umland wohnen und Familienfotos brauchen, lohnt sich für euch ein Besuch dort in jedem Fall, auch dann, wenn ihr eigentlich total ungern fotografiert werdet.
     

    Es ist nämlich so, dass ich seit den Schwangerschaften ein paar Kilos zu viel auf den Hüften habe. Sie stören mich im Alltag nicht, aber seither mag ich Fotos von mir nicht sonderlich. Meine Kinder sind natürlich immer absolut zuckersüß auf allen Fotos (okay, außer, sie haben einen grünen Schnodderfaden unter der Nase), aber wenn ich auf Fotos mein Doppelkinn sehe, kriege ich die Krise. Deshalb gehe ich wirklich, wirklich gern zu Captivation, denn Mark und Jule schaffen es irgendwie immer, dass ich mich ziemlich akzeptabel bis eigentlich doch ganz schön auf den Bildern finde. Schleicht sich doch mal ein Doppelkinn aufs Bild ein, wird das von den beiden hinterher einfach digital am PC nachbearbeitet. Auch Herpesbläschen oder fette Pickel oder doofe Grieskörner am Auge, die nun ausgerechnet zum Shooting-Termin mein holdes Antlitz verunstalten mussten, sind schon retuschiert worden. "Natürlich aussehen" gut und schön, aber so etwas muss ja nun echt nicht für die Ewigkeit festgehalten werden. 
     
    Auch für meine Kinder sind die Shootings übrigens jedes Mal ein riesen Spaß, weil man im Studio, anders als bei anderen Fotografen, rennen, hüpfen und laut schreien darf. Still stehen müssen die Kinder wenn, dann nur ein paar Sekunden. Meist werden sie aufgefordert, so schnell sie können, von einer Wand zur anderen zu rennen, oder durch einen Tunnel zu krabbeln, von einem Hocker zu springen oder einen Ball zu schießen. Auch Dreirad oder Bobby Car darf man im Studio fahren. Vor allem wird viel gelacht. Mark und Jule arbeiten oft gemeinsam und eine/r der beiden macht Quatsch, während der/die andere den Finger auf dem Auslöser hat und das Strahlen der Kinderaugen einfängt. So schaffen es die beiden, wunderbar natürliche, bewegte Bilder von unseren Kindern einzufangen. Meine Töchter sind im Studio übrigens nicht zimperlich und gehen total in den Quatsch-Modus, wenn wir dort sind. Mark und Jule haben das immer sehr souverän unter Kontrolle, aber ich bekomme jedes mal Angst, dass sie zu wild sind und es deshalb nur verschwommene Fotos vom Hinterkopf oder einem Bein geben wird. Das ist natürlich noch nie vorgekommen. Im Gegenteil - die Bilder spiegeln einfach total den Charakter meiner Kinder wider, anders als die Fotos bei andere Fotografen, bei denen sie still auf einem Stuhl sitzen und auf einen Punkt in der Ferne starren mussten.
     
    Was vielleicht ein bisschen abschreckt, wenn man nicht so fotoaffin ist, wie ich, ist der Preis. Das Shooting allein kostet schon 125 Euro, darin inbegriffen ist aber eine hochauflösende digitale Datei eures Lieblingsbildes. Das habt ihr also schon mal sicher. Nach dem Shooting dauert es ein paar Tage, bis ihr eine Diashow aller Bilder zugeschickt bekommt, aus der ihr dann eure Favoriten auswählen könnt. Bei mir sind das leider immer so viele, dass ich hinterher etwa 300 Euro bezahle. Da ich von mir als Kind nur eine Handvoll Fotos besitze, ist es mir das locker wert, aber ich kann durchaus verstehen, wenn ihr sagt, dass euch das zu teuer ist. Ich dachte das auch und habe zwischenzeitlich andere Fotografen der Stadt ausprobiert. Komischerweise landete ich auch bei denen am Ende meist bei einem Preis von etwa 200-300 Euro und war dann noch nicht einmal zufrieden mit den Fotos. Reuig kehrte ich im folgenden Jahr zu Captivation zurück und werde vermutlich bis ins hohe Alter dort Portrait sitzen: Dann werde ich mit meinem Rollator durchs Studio fetzen und hinterher meine Lachfalten-Fotos im Weihnachtsbrief meinen Enkeln und Urenkeln schicken....

    Wenn ihr jetzt Lust bekommen habt, eure Familienfotos auch bei Captivation machen zu lassen, dann habe ich eine vorweihnachtliche Überraschung für euch. Alle, die bei der Buchung angeben, wegen des Gewünschtesten Wunschkindes in die Schliemannstraße zu kommen, können exklusiv einen Rabatt von 10% auf ein Familienshooting bekommen. Ich würde sagen: Macht schnell einen Termin, denn es sind nur noch acht Wochen bis Weihnachten!

    © Snowqueen 

    Mein Kind kommt abends ständig wieder aus seinem Zimmer heraus

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    Kinder wollen kooperieren. Dieser Satz, so nonchalant von Familientherapeut Jesper Juul in fast jedem seiner Interviews dahingeworfen, bringt uns Eltern nicht selten an den Rand der Verzweiflung. Denn ausgerechnet unsere Kinder scheinen eben nicht kooperieren zu wollen, ja, sie scheinen es sich sogar in den Kopf gesetzt haben, genau das Gegenteil vom dem zu tun, was wir uns wünschen. Da werden Teller vom Tisch gefegt, Spielzeuge gefährlich in der Wohnung umhergeworfen, im dichten Straßenverkehr weggelaufen und sich morgens partout nicht allein angezogen.

    Warum das so ist, haben wir im ersten Teil unserer Serie zur kindlichen Kooperation ausführlich erklärt. Im zweiten Teil gingen wir darauf ein, wie wir unsere Kinder ganz allgemein wieder zum kooperieren bringen können. Ergänzt wurde dieser Text mit Teil 3 der Serie, in der ich tagebuchartig verbloggte, wie viel ich und meine Kinder am Morgen kooperieren. In den folgenden Artikeln wollen wir alltägliche Situationen betrachten, die früher oder später in fast allen Familien zu Konflikten führen:
     
     
    Wir haben einige Tipps und Tricks aufgeschrieben, die unseren Kindern die Kooperation im Alltag ein wenig zu erleichtern. Dazu beschreibe ich zunächst typische Probleme, gehe auf ihre möglichen Gründe ein und schlage ein paar praktische Lösungen vor, die euch helfen könnten.
     

    Mein Kind kommt am Abend ständig aus seinem Zimmer


    Kind reibt sich das AugeViele Eltern kennen das: Man hat den Nachmittag und Abend mit den Kinder verbracht, gespielt, vorgelesen, wieder gespielt, nochmal vorgelesen, Abendbrot gemacht und gegessen, beim Abendprogramm geholfen, ein letztes Mal vorgelesen und nun soll das Kind endlich einschlafen, denn die Eltern-Zeit ist angebrochen. Leider denkt das Kind nicht ans Einschlafen. Stattdessen tappert es gefühlt hundert Mal aus seinem Zimmer raus ins Wohnzimmer und verlangt noch ein Glas Wasser oder es muss zur Toilette oder da ist ein Monster unterm Bett oder es ist zu heiß oder zu kalt oder das Kuscheltier ist plötzlich weg oder es muss unbedingt noch eine Geschichte aus dem Kindergarten erzählt werden.
     
    Zunächst ist man als Elternteil noch geduldig und bringt das Wasser oder sucht das Kuscheltier, aber nach einer Weile wird man echt sauer, denn erholsam ist so ein unterbrochener Erwachsenenabend nun nicht gerade. Erst, wenn die Eltern richtig laut werden und schimpfen, scheint das Kind ein Einsehen zu haben, bleibt endlich liegen und schläft dann doch recht schnell rein. Warum geht das nicht mit mehr Kooperation? Warum müssen die Eltern scheinbar erst laut werden, damit das Kind nicht wieder aus seinem Zimmer kommt?

    Gründe für das Verhalten


    Um den (guten!) Grund für das Verhalten unserer Kinder zu sehen, müssen wir einen kleinen Abstecher in die Bindungstheorie machen. Wie ihr wisst, sind unsere Kinder schon gleich nach der Geburt auf der Suche nach einem verlässlichen Bindungspartner und finden diesen normalerweise bei Mama und Papa (bzw. Co-Mama). Im ersten Lebensjahr vertieft sich diese Bindung sehr stark. Die Eltern werden zum sicheren Hafen. Nach und nach kommen neue Bindungspersonen dazu - die Erzieherin im Kindergarten, Oma und Opa, Onkel und Tante, Pateneltern, Babysitter. An der Spitze der Bindungspyramide bleiben jedoch normalerweise die Eltern, d. h. bei ihnen fühlen sich die Kinder am sichersten und am wohlsten. Mit ihnen  wollen sie (je nach Alter natürlich) am liebsten 24 Stunden zusammen sein. Je älter ein Kind wird, desto stärker löst es sich von den Eltern, aber zumindest in den ersten drei Jahren hätten unsere Kinder nichts dagegen, uns immerzu zur Verfügung zu haben. Wenn das nicht geht, weichen sie problemlos auf andere Bindungspersonen aus, aber ihre Vorliebe gilt weiterhin uns.
     
    In der Literatur wird die Bindung zwischen den Eltern und dem Kind häufig mit einem Gummiband verglichen. Dieses wird in verschiedenen Situationen probehalber "gedehnt". Ein gut gebundenes Baby zum Beispiel würde im Krabbel-Kurs von der Mutter wegkrabbeln und seine Umgebung untersuchen, dann aber nach ein paar Minuten wieder zu ihrem Schoß zurückkommen, um dort über Körperkontakt wieder Kraft zu sammeln. Das Signal, nun aber wieder zurückzukrabbeln, erhält das Kind aus seinem Inneren heraus. Es "fühlt" eine akute Sehnsucht nach den Eltern, welche schnell gestillt werden soll. Man sagt, das Bindungsband war in "gespanntem Zustand" und wie ein Gummiband, das nicht ewig gedehnt sein möchte, wird das Kind durch das Bindungsband zurückgeführt. Der folgende Körperkontakt mit den Bindungspersonen verringert den inneren Stress des Abenteuers, welches es gerade erlebt hat (das muss kein schlechter Stress sein!), weil nun das Glückshormon Oxytocin ausgeschüttet wird.
     
    Im Gehirn passieren dabei zweierlei Dinge: Das Kind wird durch den Hormonwirbel einerseits für seinen Mut belohnt, ein fremdes Gebiet erobert zu haben und erlebt sich als selbstwirksam,  andererseits fühlt es bei seinen Bindungspersonen eine wohlige Wärme durch seinen Körper strömen und eine enge Verbundenheit mit den Seinen, die beruhigend wirkt. Da haben wir also die Wurzeln und Flügel, die wir unseren Kindern geben sollen: Verbundenheit einerseits und Selbstwirksamkeit andererseits.
     
    Nun ist das allein Einschlafen im eigenen Bett keine so andere Situation, wie das Herumkrabbeln im Kurs-Raum. Es ist ein Wagnis. Denn unser noch immer urzeitliches Gehirn verbindet Einschlafen noch immer mit Gefahr. Unser Stammhirn weiß nicht, dass es in unserem Kinderzimmer keine Säbelzahntiger und Höhlenlöwen gibt. Sobald das Licht aus ist, reagiert das Gehirn so, wie es vor tausenden von Jahren reagiert hat - mit Stress. Und wie reagiert ein gestresster kindlicher Körper? Genau, das Bindungsband wird aktiviert - das Gummiband schnellt zurück zum sicheren Hafen.  Das Kind wird von seinen eigenen Impulsen geradezu aus dem Bett gerissen, hinein zu uns ins Wohnzimmer. Dass es, um den inneren Stress loszuwerden eine Ausschüttung von Oxytocin braucht, weiß das Kind natürlich nicht. Es weiß nicht, warum es immer wieder aufsteht, um zu uns zu laufen. Es fühlt nur, dass es muss. Es weiß aber auch, dass wir das nicht mögen. Dass wir gerade unsere Ruhe haben wollen und Störungen ohne guten Grund missbilligen. Deshalb merkt es sich Ausreden, auf die wir in der Vergangenheit nicht ganz so genervt reagiert haben. Okay, Durst? Das kann ja wirklich sein - also geben wir dem Kind Wasser. Auf Toilette? Na gut, dass es ins Bett pullert, wollen wir auch nicht, also okay, geh aufs Klo! Hunger? Man, aber es gab doch Abendbrot. Na gut, dann kriegt es noch eine Stulle. Wie - Monster? Puh... okay - kindliche Ängste soll man unbedingt ernst nehmen, ich hole also das Monsterspray....

    Kleines Mädchen ist sehr müde
    
    Es ist keine absichtliche Schikane vom Kind - es wird getrieben von seiner Bindung zu uns. Rein kognitiv ist den Kindern bewusst, dass ihr im Nebenzimmer seid und ihnen nichts passiert, doch diese Bindungssehnsucht sucht sich ihren Weg trotzdem. Aber es merkt natürlich, dass es immer unwillkommener wird. Spätestens, nachdem wir richtig sauer geworden sind und es angeranzt haben, es soll nun endlich schlafen, fängt es an, das gespannte Band in seinem Inneren zu ignorieren. Das geht - Kinder sind Meister im verbiegen, um ihren Eltern zu gefallen. Aber schön ist so ein Einschlafen nicht.

    Die Bindungshierarchie erklärt übrigens auch, warum unsere Kinder in der Nacht bei so oft bei uns im Bett landen, statt weiter in ihrem eigenen Bett zu schlafen. Sie sind dann eben aufgewacht (was normal ist), haben das gespannte Band in ihrem Inneren gespürt und sind zu ihrem sicheren Hafen getappst, um durch Körperkontakt dieses unangenehme Ziehen loszuwerden. Die Theorie lässt uns auch verstehen, warum unsere Kinder bei Babysittern oder Oma und Opa so viel schneller und problemloser einschlafen, als bei uns. Da diese Personen eine etwas tiefere Position in der Bindungspyramide haben, sind sie logischerweise nicht der sichere Hafen, der angesteuert wird. Das Bindungsband schnellt nicht automatisch in ihre Richtung zurück, das Kind fühlt sich von ihnen nicht so stark angezogen, wie von Nummer 1 und Nummer 2. Sind die Eltern nicht zugegen, dann ist das Kind also sowieso auf "Sparprogramm", d. h. es reißt sich (trotz liebevoller Umsorgung!) zusammen, bis Mama und Papa wieder da sind. Wenn also keine schnelle Oxytocin-Ausschüttung zu erwarten ist von demjenigen, der da im Wohnzimmer sitzt und aufpasst (je tiefer die Position in der Bindungspyramide, desto länger dauert das Trösten), braucht der Körper auch keine Impulse aktivieren, dorthin zu kommen. Da ist es für Körper und Geist energieeffizienter, einfach liegen zu bleiben und schnell einzuschlafen. Das bedeutet nicht, dass wir als Eltern darauf verzichten sollten, abends wegzugehen, nein. Ein Kind kann solche Abende problemlos aushalten. Oft sind es ja sowieso nur wenige Abende, an denen ein Babysitter da ist. Und selbst wenn nicht - bringt die Oma oder der Babysitter das Kind regelmäßig jeden Abend ins Bett, dann bildet sich zu ihm ja automatisch eine sehr enge Bindung und er/sie wird zum sicheren Hafen.

    Lösungen für das Verhalten


    Ich möchte gleich vorweg schreiben, dass meine Lösungen für das Verhalten euch und eurer Familie vielleicht nicht helfen werden. Vielleicht seid ihr auch enttäuscht, wenn ihr sie lest, weil ihr von mir großartige Neuerungen erwartet habt. Das Ding ist - Generationen von Eltern haben dieses Problem schon gehabt und es befassen sich unzählige schlaue Ratgeber mit seiner Lösung. Hätte ich sie gefunden, käme das dem Finden des Heiligen Graals gleich. Ich würde nicht nur reich, sondern sehr berühmt werden: Snowqueen - Retterin der Abende aller Eltern. Ich kann euch nur über unseren Weg berichten - der am Ende dazu führt, dass sich alle wohl fühlen.

    1. Einschlafbegleitung


    Die denkbar einfachste Lösung für das Problem ist die Einschlafbegleitung. Liegt ihr neben eurem Kind, muss es nicht zu euch heraus kommen und den Erwachsenenabend stören, denn sein Bindungsband ist ja nicht gedehnt. Es ist ganz nah bei euch, sein Gehirn braucht keine Angst vor Höhlenlöwen zu haben und kann sich zur Ruhe begeben. Für euer Kind ist dies normalerweise die kuschligste und schönste Möglichkeit, einzuschlafen.

    Nun begleite ich seit mehr als 5 Jahren Kinder in den Schlaf und kann ehrlich sagen, dass es für Erwachsene durchaus schönere Möglichkeiten gibt, den Abend zu verbringen. Es gab auch Abende - und nicht wenige - da war ich super genervt davon, in diesem Bett neben diesen Kindern quasi "gefangen" zu sein. Das merkten sie natürlich und kamen noch weniger zur Ruhe. Je wichtiger es mir war, raus zu kommen, weil ich beispielsweise noch einen Blogpost zuende schreiben wollte oder Freunde im Wohnzimmer saßen, um mit mir zu quatschen, desto länger dauerte es, bis die Kinder schliefen.

    Geholfen haben mir zwei Dinge. Erstens: Mein Smartphone. Das Telefon ist meine Verbindung zur Außenwelt. Ich kann twittern, Kommentare im Blog beantworten oder mit Freunden via Threema oder Signal quatschen. Danielle hat einen Kobo Glo - einen E-Book-Reader mit Hintergundbeleuchtung - der hat zusätzlich den Vorteil, dass er so eintönig und unbunt ist, dass die Kinder keinerlei Interesse daran zeigen. So nutzt sie die Einschlafbegleitung als feste Lesezeit und ist oft so versunken im Buch, dass sie noch lange weiter liest, obwohl das Kind längst schläft.

    Zweitens: Der Gedanke, dass diese Zeit der Einschlafbegleitung endlich ist. Unsere Kinder sind nicht ewig klein, sie wollen nicht ewig unter unseren Fittichen liegen. Wie viel Zeit bleibt einem als Elternteil? Als Baby schliefen sie vielleicht drei Monate lang auf meiner Brust - ZACK, war das vorbei. Und wie ich es vermisse! Dieses kleine, warme, schlafschwere Kindchen auf mir, der winzige haarbekranzte Kopf kurz unter meiner Nase, der Geruch meines Babys direkt bei mir. Hach. Auch die anderen Phasen gehen rasend schnell vorbei, wenn man das im Rückblick betrachtet. Plötzlich sind sie 6 Jahre alt und viel zu cool, um noch eine Einschlafbegleitung zu wollen. Und dann sitzen wir Eltern im Wohnzimmer und überlegen: Haben wir die Zeit, so ewig lang sie uns währenddessen vorkam, wirklich gut ausgenutzt? Haben wir die Gelegenheiten genug ausgeschöpft, unseren Kindern richtig nah zu sein?

    Schlafendes KindDenn ab hier streben sie immer weiter von uns weg. Sie bleiben mit uns verbunden, klar, aber ihr Weg führt nach den ersten 6 Jahren unaufhörlich von uns fort. Es fängt mit der ersten Übernachtung bei der Kindergartenfreundin an und endet mit dem Auszug in die erste eigene Wohnung. Sagen wir also, es bleiben uns etwa 60 Jahre, die wir gemeinsam mit unseren Kindern auf der Erde sind. - Haben wir die ersten 6 (vielleicht 10, wenn wir Glück haben), in denen sie uns nah sein wollen, weil wir ihre uneingeschränkten Helden sind, wirklich nachhaltig genossen?

    Wisst ihr, bei meinen ersten beiden Töchtern hetzte ich im Babyjahr von Meilenstein zu Meilenstein. Ich wartete immerzu auf das, was sie bald können würden und verpasste so viele wunderbare Momente im Jetzt und Hier. Deshalb war es so ein Geschenk, dass wir doch noch ein drittes Kind bekamen. Beim Babybub wusste ich endlich, dass es total schnuppe ist, wann er sich zum ersten Mal dreht oder ob er mit 12 Monaten schon läuft. Wichtig war, es zu genießen. Ich habe jeden einzelnen Moment seines ersten Jahres ganz bewusst wahrgenommen und in meinem Herzen abgespeichert. Ich wollte nicht schon wieder so viel übersehen. Und deshalb liege ich auch heute noch fast jeden Abend neben meinen Kindern und begleite sie beim Einschlafen, lausche ihren Atemzügen und halte ihre kleinen Händchen. Damit ich mir nicht später selbst vorwerfen muss, es verpasst zu haben.

     

     2. Selbstbestimmtes Zubettgehen


    Ich habe es schon öfter in diesem Blog erwähnt - meine Töchter können wählen zwischen Einschlafbegleitung und selbstbestimmtem Zubettgehen. Bei letzterem dürfen sie in ihrem Zimmer so lange (leise) spielen, wie sie wollen. Erst, wenn sie sich wirklich müde fühlen, gehen sie dann selbständig ins Bett und machen das Licht aus. Normalerweise schlafen sie dann auch tatsächlich innerhalb einer Minute ein. Dieses Arrangement klappt erstaunlich gut und gibt mir die Möglichkeit, abends die Küche etwas gründlicher aufzuräumen oder wichtige Papiere zu bearbeiten. Was man halt als Erwachsener so tun muss.

    Meine Töchter versinken in dieser Zeit in ihrem Spiel und kommen deshalb nicht aus ihrem Zimmer. Sie sind wirklich fokussiert aufs Spielen. Es mag sein, dass sie Glück haben, weil sie zu zweit sind und deshalb gemeinsam spielen können. Aber auch Danielles Tochter spielt abends allein im Zimmer, seit sie 3 Jahre alt ist (und gerät dabei fast immer in den Flow). Meine Töchter entscheiden sich auch oft unterschiedlich: Eine bleibt auf und malt und bastelt noch eifrig, während die andere in einem anderen Zimmer schon neben mir liegt und versucht, einzuschlafen. Auch das klappt gut. Es gibt natürlich auch Abende, an denen sie doch zu mir in die Küche kommen oder sich auch streiten - dann ist es klar, dass ich doch eine Einschlafbegleitung machen soll, weil sie sich "falsch" entschieden haben. Dann legen wir uns eben gemeinsam ins Bett und machen das Licht aus.

    Ich werde oft gefragt, ob meine Kinder nicht am nächsten Tag müde sind, wenn sie allein ins Bett gehen. Doch, das kommt vor, aber es ist nicht die Regel. Sie können sich sehr gut einschätzen und da sie nicht durch einen Fernseher oder ein Smartphone wach gehalten werden (wie wir Erwachsenen), hören sie die Signale ihres Körpers ziemlich gut. Selbst unser Eineinhalbjähriger kann schon sehr genau benennen, wann er schlafen gehen möchte und ist dann sehr kooperativ, wenn ich vorher noch schnell die Windel wechseln und die Zähne putzen möchte.

    Natürlich muss man Kindern erst einmal eine "Eingewöhnungszeit" zugestehen, wenn man das Konzept des selbstbestimmten Schlafengehens einführt. Sicherlich werden fast alle Kinder erst einmal so lange aufbleiben wollen, wie sie schaffen, aber das reguliert sich nach ein paar Tagen von ganz allein. Auch für die Schule stellt dieses Konzept normalerweise kein Problem dar, solange das Kind nicht fernsieht oder Playstation spielt. Die Schulkinder, die in meinem Bekanntenkreis selbstbestimmt ins Bett gehen, tun das früh genug, weil sie von der Arbeit in der Schule so geschafft sind, dass sie gern einschlafen.

    3. Geschwisterbett


    Ich bin ein großer Fan von Geschwisterbetten, weil sie einerseits die Loslösung von den Eltern begünstigen, andererseits aber eben immer noch eine Bindungsperson im Bett ist, mit dem in der Nacht gekuschelt werden kann (nämlich das Geschwisterkind). Meine Töchter haben ein Geschwister-Bett von 140x200 Metern und schlafend darin gut ein, ohne, dass sie besonders oft zu uns Eltern rauskommen würden - weder beim Einschlafprozess, noch in der Nacht.

    Ein Problem eines Geschwisterbettes ist das Toben kurz vorm Einschlafen. Ich will euch nicht verheimlichen, dass das durchaus vorkommt, wenn zwei kleine Kinder zusammen schlafen. Ich habe aber festgesellt, dass das Toben ein natürlicher Prozess ist, der kurz vorm ultimativen Einschlafen auftaucht und Letzteres sogar begünstigt, wenn man der Natur den freien Lauf lässt. Ein Abend sieht dann so aus: Kinder spielen im Kinderzimmer, das Licht ist an. Sie spielen ruhig und vertieft. Sie werden müde, wollen aber noch nicht schlafen. Das Konzentrieren auf das ruhige Spiel gelingt nicht mehr. Sie machen Quatsch miteinander und ringen im Bett oder hüpfen. Das dauert etwa 5-10 Minuten, dabei werden sie alle Energie los, die sich vorher durch das ruhige, konzentrierte Spiel aufgestaut hat. Das Toben flaut von allein ab. Manchmal weint eins der Kinder, dann muss ich trösten kommen. Oft genug aber machen sie dann einfach das Licht aus und legen sich hin. Ein wenig reden sie manchmal noch, aber eigentlich nicht viel. Nach spätestens 5 Minuten schlafen sie.
     
    Zwei Geschwister in einem Bett

    Ich habe am Anfang versucht, das Toben zu unterbinden, was nur mit Schimpfen klappte und das nicht einmal effektiv. Es war eine wirklich unangenehme Zeit, bis ich endlich so genervt war, dass ich sie habe "einfach machen lassen". Ich resignierte. Und da entdeckte ich endlich, dass das Toben gar nichts ist, gegen das man  als Erwachsener kämpfen muss. Die aufgestaute Energie hält die Kinder nur vom Schlafen ab, sie macht Hummeln im Hintern. Ist die Energie abgebaut, schlafen sie entspannt ein.

    Zur Beachtung: Geschwisterkinder müssen ausreichend alt sein, um beieinander schlafen zu dürfen. Ein Baby hat nichts im Geschwisterbett verloren. Erst, wenn es alt genug ist, sich notfalls wegzurollen, die Decke wegzuziehen und bescheid zu geben, dass es zu eng ist, sollte das kleinere Geschwisterkind beim großen schlafen.

    4. Immer wieder selbst hereinkommen


    Da ihr nun wisst, dass eure Kinder immer wieder aus ihrem Zimmer kommen, weil eine Bindungssehnsucht sie überfällt, könnt ihr dem Herauskommen natürlich zuvorkommen, indem ihr regelmäßig zu ihnen hinein geht. Wenn ihr es schafft, die Abstände eures Nach-ihnen-Guckens so zu gestalten, dass ihr Bindungsband nicht zu weit gedehnt ist, dann werden sie im Bett liegen bleiben und einschlafen, ohne euch im Wohnzimmer zu stören.
     
    Ich habe diese Lösung in Zeiten genutzt, in denen ich zu genervt für Einschlafbegleitung war (ja- das kommt vor). Sie waren zu diesem Zeitpunkt älter als drei Jahre und verstanden rein kognitiv, dass ich gern noch etwas arbeiten würde und die Zeit nicht im Bett verbringen wollte. Also wurschtelte ich draußen im Rest der Wohnung herum, räumte auf, tippte auf dem Rechner etc., so dass meine Töchter mich immer hören und manchmal auch sehen konnten. Zwischendurch ging ich immer wieder zu ihnen hinein und kurz vorm echten Einschlafen blieb ich meist bei ihnen auf der Bettkante sitzen. Richtig gut passt diese Lösung jedoch nicht zu uns, deshalb kommt sie nicht oft zum Einsatz. Aber vielleicht wäre sie etwas für eure Familie?

    Ausblick

     
    In den nächsten Wochen werden wir im Rahmen unserer Kooperationsserie die Themen "Mein Kind bummelt ständig oder ist sehr langsam" , "Mein Kind verweigert die Medikamenteneinnahme" und "Mein Kind will nicht die Windeln gewechselt bekommen" behandeln.
     
    Wenn ihr daran interessiert seid, können wir noch über weitere Situationen schreiben, die euch persönlich beschäftigen. Schreibt und einfach einen Kommentar, womit wir euch helfen können oder auch gerne, welche Tricks bei euch in bestimmten Situationen gut geholfen haben.
     
    © Snowqueen

    In eigener Sache: Werbung, Anfragen und Unterstützung

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    Liebe Leserinnen und liebe Leser,


    heute möchten wir uns mal ganz persönlich an Euch wenden. Euch ist sicher in den letzten Wochen aufgefallen, dass nun auch gelegentlich werbliche Artikel bei uns erscheinen. Wir wollen heute kurz erklären, warum das so ist.

    Außerdem wird uns immer wieder die Frage gestellt, wie man unsere Arbeit unterstützen kann. Das ist auf ganz vielen Wegen möglich - wir wollen Euch diese heute kurz vorstellen.  
     
     

    Warum wir uns entschieden haben, auch Werbung zu veröffentlichen

     
    Seit etwa 3 Jahren gibt es Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten - wir schreiben hier über die Dinge, die uns sehr am Herzen liegen. Unser Ziel war es von Anfang an, die Welt für Kinder ein klitzekleines bisschen besser zu machen, indem es uns gelingt, Eltern davon zu überzeugen, dass sie ihre Babys nicht verwöhnen, wenn sie sie viel tragen, mit ihnen gemeinsam schlafen oder liebevoll auf ihre Bedürfnisse eingehen.  Durch Eure zahlreichen Kommentare und Nachrichten wissen wir, dass wir mittlerweile ganz, ganz viele Eltern erreichen und bewegen. Darüber freuen wir uns riesig und es macht uns sehr dankbar und außerordentlich zufrieden. Unsere Arbeit macht uns wirklich großen Spaß - aber es ist auch wirklich Arbeit.

    Und die ist deutlich zeitintensiver, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Für unsere meist sehr umfangreiche Recherche, das Schreiben, die Bildersuche, die Verlinkung und das Korrekturlesen verschlingt ein Artikel - je nach Umfang und Thema - zwischen 5 und 50 Arbeitsstunden. Das ist Zeit, die wir uns sehr gerne nehmen, die uns aber auch an anderen Stellen einfach fehlt, denn auch unsere Tage haben leider nur 24 Stunden.
    Weil man im Leben aber immer möglichst viel von dem tun soll, was einem wirklich Spaß macht, haben wir unsere persönlichen Prioritäten neu sortiert - ein Stück weg von unserer "klassischen Arbeit" hin zu unserem heißgeliebten Wunschkind.

    Diese Freiheit will jedoch auch finanziert werden - aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden, nun auch werbliche Inhalte zu veröffentlichen.


    Werbung auf unserer Seite bedeutet für uns: Mehr Zeit zum Schreiben.

     
    Zeit ist ein kostbares Gut, das zunehmend knapper wird - denn offline gibt es fünf wunderbare Kinder und ein spannendes und herausforderndes Familienleben. Wir müssen daher abwägen, wie wir unsere Zeit sinnvoll nutzen.

    Wir schreiben ausschließlich über die Dinge, die uns wirklich überzeugt haben - ihr könnt Euch also darauf verlassen, dass wir nur Produkte und Dienstleistungen vorstellen, die uns auch wirklich überzeugen. Das Produkt erhalten wir üblicherweise kostenlos zum Testen, manchmal bekommen wir auch eine zusätzliche Vergütung. Damit alles absolut transparent bleibt, versehen wir solche Produktvorstellungen mit dem Zusatz "Werbung".

     

    Die Beantwortung von Fragen und Kommentaren

     

    Unsere stetig zunehmende Reichweite freut uns natürlich sehr - sie führt jedoch auch dazu, dass der nicht sichtbare Aufwand um eine Webseite herum ebenso stetig steigt. Zum Einen erfordert höherer Traffic eine bessere (und damit leider teurere) technische Infrastruktur, zum anderen fließt immer mehr der Zeit in die Beantwortung von Fragen, Kommentaren und anderen Anfragen.

    Wir freuen uns über jeden einzelnen Kommentar unter unseren Artikeln! Wir lesen auch jeden einzelnen und bemühen uns sehr, alle Fragen zu beantworten. Bitte seht uns nach, wenn wir das nicht immer schaffen. In den letzten Monaten haben auch zunehmend mehr unserer Leser/innen die Möglichkeit genutzt, uns eine E-Mail zu schreiben. Neben ganz viel Lob für unsere Arbeit gab es viele, viele, viele Fragen. Auch hier haben wir uns stets bemüht, diese Fragen möglichst ausführlich zu beantworten und uns sehr darüber gefreut, dass wir so vielen Eltern weiter helfen können.

    Mittlerweile müssen wir uns jedoch zutiefst bedauernd eingestehen: Wir schaffen das nicht mehr. Das tut uns von Herzen leid, aber es ist mittlerweile unmöglich, weiterhin qualitativ hochwertige Artikel zu schreiben und zusätzlich alle Fragen so ausführlich zu beantworten, wie sie es verdient hätten. Wir wollen Euch für Fragen jeder Art unser wirklich großartiges Forum empfehlen, in dem ihr ganz viele Eltern treffen könnt, denen eine bedürfnis- und beziehungsorientierte Erziehung wichtig ist - sie haben in allen Lebenslagen ein offenes Ohr und einen klugen Rat. Wenn ihr Euer Problem in unserem Forum kurz beschreibt, erhaltet Ihr ganz sicher fundierte Antworten aus verschiedenen Perspektiven.


    Aufgrund unseres Zeitmangels wird es uns zwar leider in Zukunft auch nicht mehr möglich sein, im Forum regelmäßig Fragen zu beantworten. Wir werden daher leider den Bereich "Fragen an Danielle und Snowqueen" schließen - aber ihr seid dort bei den anderen Mädels wirklich sehr, sehr gut aufgehoben! Und wann immer wir dazu kommen, werden wir natürlich auch vorbei schauen und uns beteiligen.

    Wenn Ihr dennoch ganz unbedingt von uns persönlich beraten werden wollt, bieten wir diese Möglichkeit grundsätzlich an, können dies jedoch nicht mehr unentgeltlich tun. Wenn ihr ein kleineres Problem habt, das sich vergleichsweise unaufwändig beantworten lässt, berechnen wir dafür zukünftig 20 EUR. Bei komplexeren Fragestellungen, die eine sehr ausführliche Antwort erfordern, stellen wir 50 EUR in Rechnung. Wenn ihr davon Gebrauch machen möchtet, schickt uns eine E-Mail an squeennow@gmail.com. Gerne schätzen wir vorab den Aufwand für die Beantwortung ab.
     
     

    Wie Ihr uns außerdem unterstützen könnt


    Wir werden immer und immer wieder gefragt, wie man unsere Seite unterstützen kann - das geht auf ganz verschiedenen Wegen:


    1.) Amazon-Affiliate-Links


    Wenn ihr treue Amazon-Kunden seid: im rechten Randbereich unserer Seite gibt es ein kleines Amazon-Logo, das Euch direkt zur Amazon-Homepage führt. Wenn ihr vor Euren Einkäufen dort kurz drauf klickt, dann bekommen wir eine kleine Provision für alle Produkte, die ihr dann kauft.  Das gilt auch für die Links zu Produkten bei Amazon in unseren Texten. Das ist für Euch selbstverständlich nicht mit Mehrkosten verbunden.
     

    2.) Wunschzettel


    Für unsere Arbeit verwenden wir viele verschiedene Bücher als Quellen - mittlerweile ist unsere Bücher-über-Kinder-Bibliothek auf über 100 Bücher angewachsen. Es gibt noch soo viele interessante Bücher, die wir gerne lesen würden - wenn Du uns eins spendieren möchtest, dann schau doch mal auf unseren Amazon-Wunschzettel :-). Vielen Dank an Beatrice, Petra und TaoTao, die uns bereits bedacht haben!


    3.) Spenden über Paypal

     
    Unter unseren Artikeln findet Ihr ein Banner, das direkt zu Paypal führt. Wenn ihr möchtet, könnt ihr dort einen kleinen Betrag Eurer Wahl spenden. Wir bedanken uns wirklich von Herzen bei allen bisherigen Spendern - wir sind überwältigt von der Wertschätzung unserer Arbeit!



    4.) Verlinke uns


    Wenn Du uns im Internet irgendwo irgendwem empfiehlst, dann schreibe einen Link dazu. Das ist für Dich zwar ein kleines bisschen mehr Aufwand - für uns ist jederLink sehr, sehr wertvoll, da Google uns mit jedem einzelnen als relevanter und interessanter einstuft und entsprechend höher in den Suchergebnissen anzeigt.

     

    5.) Folge uns!

     
    Wenn Du bei Facebook und bei Twitter aktiv bist, dann freuen wir uns sehr, wenn Du uns dort folgst, likest, favst und teilst - viele Social-Media-Signale führen ebenfalls zu einer besseren Google-Platzierung. Ein Klick auf diese Icons führt Dich zu unsere Facebook- oder Twitterseite:

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    6). Verwende keine Werbeblocker


    Unternehmen zahlen Webseitenbetreibern für Werbebanner ansicht- und klickabhängige Vergütungen ;-).
     

    Vielen Dank!

     
    An dieser Stelle möchten wir uns ganz herzlich für Eure bisherige Unterstützung bedanken! Ihr macht uns erfolgreich, indem ihr ihr unsere Artikel aufmerksam lest, weiter empfehlt, uns auf Facebook und Twitter liked, favt und teilt oder uns Kommentare schreibt.
     
    Aktuell wird monatlich etwa 250.000 mal auf unsere Seite geklickt - wir freuen uns darüber riesig und sind eigentlich noch immer etwas fassungslos darüber :-)

    Vielen Dank!
    Snowqueen und Danielle

    Mein Kind trödelt und bummelt ständig und ist oft langsam

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    Kind spielt auf einem Baumstamm mit AutosKinder wollen kooperieren. Dieser Satz, so nonchalant von Familientherapeut Jesper Juul in fast jedem seiner Interviews dahingeworfen, bringt uns Eltern nicht selten an den Rand der Verzweiflung. Denn ausgerechnet unsere Kinder scheinen eben nicht kooperieren zu wollen, ja, sie scheinen es sich sogar in den Kopf gesetzt haben, genau das Gegenteil vom dem zu tun, was wir uns wünschen. Da werden Teller vom Tisch gefegt, Spielzeuge gefährlich in der Wohnung umhergeworfen, im dichten Straßenverkehr weggelaufen und sich morgens partout nicht allein angezogen.
     
    Warum das so ist, haben wir im ersten Teil unserer Serie zur kindlichen Kooperation ausführlich erklärt. Im zweiten Teil gingen wir darauf ein, wie wir unsere Kinder ganz allgemein wieder zum kooperieren bringen können. Ergänzt wurde dieser Text mit Teil 3 der Serie, in der ich tagebuchartig verbloggte, wie viel ich und meine Kinder am Morgen kooperieren. In den folgenden Artikeln wollen wir alltägliche Situationen betrachten, die früher oder später in fast allen Familien zu Konflikten führen:
     
    Wir haben einige Tipps und Tricks aufgeschrieben, die unseren Kindern die Kooperation im Alltag ein wenig zu erleichtern. Dazu beschreibe ich zunächst typische Probleme, gehe auf ihre möglichen Gründe ein und schlage ein paar praktische Lösungen vor, die euch helfen könnten.

    Mein Kind trödelt und bummelt


    Es gibt Kinder - und gar nicht mal so wenige! - die können nicht gut damit umgehen, wenn eine Aktivität endet und eine neue beginnen soll. Diese Kinder ziehen sich zum Beispiel total ungern an, weil das bedeutet, dass sie aus ihrem schönen warmen Schlafanzug in kalte Tagessachen schlüpfen müssen. Sie gehen auch ungern aus dem Haus, weil sie sich dann von ihren Spielzeugen loseisen müssen, um Schuhe und Jacke anzuziehen. Sind sie erst einmal angezogen und draußen, ist alles prima und sie haben totalen Spaß, aber bis die Eltern sie erst einmal dort hin bugsiert haben, leisten sie meist inaktiven Widerstand. Sie brauchen für alles gefühlt ewig und machen die Erwachsenen mit ihrer scheinbaren Antriebslosigkeit und ihrem Bummeln kirre. Dabei sind sie gar nicht per se antriebslos - sie können, wenn sie erst einmal in der neuen Situation angekommen sind, wunderbar spielen, sind fröhlich, kreativ und anstrengungsbereit. Nur bei den Übergängen zwischen den Situationen stockt es massiv.
     

    Gründe für das Verhalten

     
    Um das gleich klar zu stellen: dieses Verhalten ist total normal und bis ins Grundschulalter hinein auch altersgerecht. Je jünger die Kinder sind, desto schwieriger fallen ihnen meist die Situationswechsel und um so mehr bummeln sie.

    Das liegt daran, dass das Gehirn in jüngerem Alter noch nicht sehr flexibel auf spontane Wechsel reagieren kann. Im Kopf der Kinder spulen sich kleine Programme ab und wenn diese nicht Schritt für Schritt abgearbeitet werden, gerät das Gehirn in die Krise. Meine Tochter Fräulein Ordnung kann zum Beispiel wirklich schlecht damit umgehen, wenn sie die Treppe hinunterlaufen soll, bevor sie den Reißverschluss ihrer Jacke zugezogen hat. Es gehört für sie einfach fest zum Programm, dass sie sich noch oben vollständig anzieht, bevor wir losgehen. Wenn wir es morgens eilig haben und ich mir wünsche, dass sie einfach die Jacke überwirft und dann z. B. an einer roten Ampel schließt, damit wir ein wenig Zeit sparen, dann bringt sie das jedes mal völlig aus dem Konzept.

    Das kann auch anders herum passieren - wenn das Kind z. B. denkt, dass ein bestimmtes Programm gestartet wurde, das dann aber gar nicht abläuft: Es kann zum Beispiel sein, dass ein Erwachsener zuhause einen wärmeren Pullover anzieht, weil ihm kalt ist. Das Kind sieht das und erwartet nun, dass sie gleich raus auf den Spielplatz gehen, weil Papa diesen Pullover immer dann anzieht, wenn es raus geht. Der Erwachsene hat aber gar nicht die Absicht, rauszugehen. Das Kind erwartet aber, dass er nun auch die Schuhe anzieht und dem Kind die Jacke reicht. Passiert das nicht, obwohl diese Schritte im kindlichen Kopf vorgegeben sind (das Programm "Auf den Spielplatz gehen" wurde gestartet), kann es sein, dass das Kind aus für den Vater heiterem Himmel einen Wutanfall bekommt, weil das Gehirn nicht flexibel auf den Programmwechsel (geht doch nicht auf den Spielplatz) reagieren kann. Das ist allerdings nur bei sehr kleinen Kindern der Fall, also etwa vom ersten bis zweiten Lebensjahr. Ältere Kinder müssten schon in der Lage sein, dieser Art von Missverständnis mit Ruhe zu begegnen.

    Ein spontanes Reagieren auf Gegebenheiten ist eine kognitive Leistung, die erst nach und nach erlernt wird - das sollten wir Großen immer im Hinterkopf behalten.

    Ein weiterer Grund, gerade bei etwas älteren Kindern (ab ca. 4 Jahren) ist ein Phänomen, das sich Schwellenangst nennt. Damit ist nicht die Phobie gemeint, über Türschwellen zu treten. Kinder, die Schwellenangst haben, verweigern oft erst einmal neue Dinge/Situationen/Aufgaben, selbst, wenn diese schön sind. Sie möchten "die Schwelle" zur neuen Aufgabe nicht überschreiten und schieben diese lange vor sich her bzw. suchen sich Taktiken, diese ganz vermeiden zu können - zum Beispiel indem sie Bummeln. Einige dieser Kinder schaffen es sogar, krank zu werden, also beispielsweise echtes Fieber zu bekommen! Oft sind das sehr korrekte Kinder mit einem hohen Grad an Perfektionismus, oder aber Kinder, die schon oft in ihrem kurzem Leben gescheitert sind. Auch Erwachsene leiden noch an Schwellenangst, bei ihnen wird es aber gern Prokrastination genannt (was nicht ganz korrekt ist, denn das Aufschieben ist ja das Ergebnis der Angst).  Es erfordert ein großen Maß an Feinfühligkeit, Kindern über ihre Schwellenangst hinwegzuhelfen, aber es geht. Je mehr positive Erlebnisse sie dabei haben, desto einfacher wird es.

    Lösungen für das Verhalten

     

    1. Übergänge regelmäßig ankündigen


    Im Alltag kommt es sehr, sehr häufig zu Phasenwechseln. Nehmen wir zum Beispiel die Zeit, nachdem ihr euer Kind aus dem Kindergarten abgeholt habt. Der erste Phasenwechseln dabei ist schon mal das Abholen. Die Kinder spielen gerade so schön im Garten, ihr kommt an und wollt sie holen, sie ziehen einen Flunsch oder rennen sogar weg, weil sie noch nicht mitkommen wollen. Habt ihr es geschafft, geht es sicherlich noch auf den Spielplatz. Oft maulen die Kinder dort erst einmal ein Weilchen, bis sie ins Spiel gefunden haben - der zweite Phasenwechsel (zwischen Abholphase und Spielplatz). Wollt ihr dann nach einer Stunde endlich nach Hause, maulen die Kinder schon wieder - sie wollen noch weiter spielen und trödeln. Denn auch hier gibt es einen Phasenwechsel - der vom Spielplatz zur Nachhause-Geh-Situation. So geht das unendlich weiter, bis die Kinder endlich im Bett sind. Ihr seht, das Leben besteht aus einem Strom an Situationswechseln. Habt ihr ein Kind, das mit diesen schlecht umgehen kann, dann kann das schon sehr belastend für die gesamte Familie sein, vor allem, wenn alle anderen Mitglieder aus einem anderen Holz geschnitzt sind.

    Eltern, die selbst sehr zackig unterwegs sind und tausend Sachen auf einmal schaffen, werden kirre mit einem so scheinbar phlegmatischen Kind. Diese Zuschreibung ist aber sehr unfair dem Kind gegenüber, denn es kann ja nichts dafür, dass sein Gehirn so aufgebaut ist, wie es aufgebaut ist. Es wäre schade, ihm ein verqueres Selbstbild einzureden. Denn hätte es Eltern, die ebenfalls gemütlicher unterwegs sind und Situationswechsel auch nicht so mögen, dann würde es die Rückmeldung bekommen, gut so zu sein, wie es ist.
     
    Wie könnt ihr euren Kindern nun also helfen? Indem ihr die Phasenwechsel regelmäßig ankündigt und einen Ausblick auf Kommendes gebt. Ich bin sicher, das macht ihr schon - dieser Tipp ist nicht neu.
     
    Bewährt hat sich die 5-3-1-Regelung. Man kündigt dabei dem Kind an: "In 5 Minuten gehen wir los zur Kita". "In drei Minuten gehen wir los zur Kita". "In einer Minute gehen wir los zur Kita". Das allein reicht bei "leichteren Fällen" schon, den Übergang zu erleichtern. Wichtig ist übrigens, tatsächlich die korrekte Zeit einzuhalten, also nicht "5 Minuten" anzukündigen und dann erst in 10 oder 15 Minuten loszugehen. Denn sonst bekommen unsere Kinder unterschwellig eine falsche Vorstellung von Zeit. Für Kleinkinder kann man auch die "Ein (zwei/drei) Mal noch und dann fertig"-Regel anwenden. Diese ist leichter zu verstehen, als die Minutenangabe. Also: "Drei Mal Rutschen noch, dann gehen wir los." Ihr kennt und nutzt das sicher schon.

    Wichtig ist auch, den Phasenübergang verbal aufzuschlüsseln. Wenn ihr also sagt: "In 3 Minuten gehen wir los", dann müsstet ihr danach kurz sagen, was ihr von dem Kind dann erwartet: "Du sollst dann bitte deine Schuhe und Jacke anziehen". So weiß das Kind nicht nur, wann der Situationswechsel passieren wird, sondern auch, was es dann genau machen soll. Es ist immer wichtig, Erwartungshaltungen klar zu verbalisieren und nicht einfach anzunehmen, der andere wüsste schon, was man von ihm will. Das gilt für Kinder genauso wie für Partner und Kollegen.
     

    2. Einen Wecker stellen

     
    Es gibt Kinder, die brauchen ein akustisches Signal einer "zeitlichen Autorität", um in die Puschen zu kommen. Für diese eignen sich Zeitwächter-Uhren. Ein normaler Wecker reicht natürlich auch, den muss man dann aber immer wieder neu einstellen.
     
    Ich habe gute Erfahrungen mit dem ultra-teuren Time-Timer gemacht (sowohl zuhause, als auch an der Schule), weil dort die Kinder gut ablesen können, wie weit die Zeit schon verflossen ist. Ich liebe den echt und wenn ihr das Geld zufällig übrig habt, dann kauft den! (Wenn nicht, kann man es auch mit einem günstigeres Modell versuchen - nach den Bewertungen zu urteilen mit leichten Qualitätseinbußen).

    Es gibt aber von Jako-O auch eine Morgenmuffel-Uhr, bei der man verschiedene Uhrzeiten einstellen kann, so dass sie morgens die verschiedenen Phasen einläutet (Aufstehen, Frühstück, Losgehen). Das gleiche kann man auch beim Handy einstellen - meins hat eine Weile 7 Uhr, 7.15 Uhr, 7.30 Uhr und 8 Uhr geklingelt zum Aufstehen, Anziehen und Zähneputzen, Frühstücken und Losgehen.

    Auch hilfreich, allerdings ohne Ton, sind einfache Sanduhren. Wir haben ein Set (gibt es ganz groß und eher klein), die verschiedene Zeiten angeben: 1 Minute, 3 Minuten, 5 Minuten und 10 Minuten. Meine Kinder mögen es gern, diese umzudrehen und der Zeit beim herunterrieseln zuzugucken. Allerdings fehlt das akustische Signal oft. Wenn man durch Spielen abgelenkt ist, dann kann es sein, dass man den Zeitpunkt verpasst, an dem die Sanduhr durchgelaufen ist.
     
    Probiert es einfach aus - vielleicht hilft ja dieser Tipp bei euren Kindern.

     

    3. Ein Fotobuch basteln


    Dies ist der beste Tipp, den ich euch geben kann. Für immer wiederkehrende Rituale, z. B. die Zeit vor dem Schlafengehen, eignen sich selbst gebastelte Fotobücher am allerbesten. Ihr fotografiert euer Kind dabei in allen Situationen, die es jeden Abend durchläuft.

    Bei uns waren das: Abendbrot, Hände und Mund waschen, spielen, ausziehen, duschen/baden, neue Windel, Zähne putzen, Schlafanzug anziehen, Schlafsack anziehen, ins Bett gehen, Buch vorgelesen bekommen, stillen, einschlafen. Zu jedem dieser Punkte gab es eine Seite mit entsprechendem Foto. So konnten sich meine Töchter schon sehr früh (ab etwa 11 Monaten) zeitlich orientieren, was als nächster Schritt kommen wird und das Abendritual verlief plötzlich viel stressfreier.

    Zunächst guckten wir uns das selbstgebastelte Buch jeden Tag gemeinsam an, wie andere Bücher auch. Dann fing ich an, vor jedem Schritt, der gemacht werden sollte, das Buch zu "befragen". Was kommt als nächstes? Schauen wir mal nach? Ach ja, Zähne putzen! Beim Abendritual wurde das Buch als von Station zu Station mitgenommen und immer eine Seite umgeblättert. Weil es den Kindern eine Menge Verhaltenssicherheit gab, schon im Voraus zu wissen, was als nächstes von ihnen verlangt wird, hatten sie dieses Buch wirklich gern. Nach einiger Zeit fingen sie an, stolz anzukündigen, was auf der nächsten Seite zu sehen sein wird, d. h. die Abfolge der Schritte hatte sich so gut eingeprägt, dass sie das Buch eigentlich nicht mehr benötigt hätten. Es blieb trotzdem eine lange Zeit unser treuer Begleiter und schlummert nun als Erinnerung in ihrer Lebenskiste.

    Foto von spielendem KindFoto von sich waschendem KindFoto: Kind wird Schlafanzug angezogen

    Auf die Idee mit dem Fotobuch bin ich übrigens gekommen, als ich bei Jako-O im Katalog kleine Schildchen entdeckte. Auf dem einen abgebildet war die Reihenfolge, in der ein Kind eine Toilette benutzen soll: Pipi machen, spülen, mit der Klobürste säubern, Toilettendeckel zumachen, Händewaschen. Auf dem anderen war zu sehen, was ein Kind tun soll, wenn es nach Hause kommt: Jacke ausziehen und aufhängen, Schuhe ausziehen und wegstellen, Hausschuhe anziehen. Um Abläufe zu ritualisieren und Situationswechsel zu erleichtern eignen sich diese beiden Schildchen gut. Allerdings glaube ich, dass sie nur bei etwa 1- bis höchstens 3-Jährigen Kindern wirklich funktionieren. Alle, die älter sind, verstehen die Bildchen zwar, werden sich aber vermutlich nicht so akribisch daran halten, wie die Kleinsten.
     
    Für ältere bummelnde Kinder (ab 3), die gerne strukturelle Hilfen in Anspruch nehmen, könntet ihr Ritualpläne aufhängen. Bitte nicht mit Verstärkerplänen verwechseln! Auf den Ritualplänen sind die einzelnen Schritte des Abendprogrammes (oder auch Morgen - egal, was) aufgemalt und das Kind kann jeden schon erreichten Schritt abkreuzen. Es erhält keine Belohnung dafür, dass es die Punkte abarbeitet. Es geht wirklich nur darum, das Ritual für größere Kinder visuell aufzuschlüsseln und damit Verhaltenssicherheit und Hilfe für die Phasenübergänge bereit zu stellen: Was habe ich schon geschafft? Was liegt noch vor mir? Was ist der nächste Schritt? Dieser Tipp eignet sich nicht für alle Kinder (das Fotobuch schon), sondern wirklich nur für solche, die gern visuell alles im Überblick behalten. Ein bisschen wie Erwachsene, die gern Listen schreiben und dann ein befriedigendes Gefühl haben, wenn sie darauf etwas durchstreichen können.

     

    4. Tschüss sagen


    Vor allem sehr kleine Kinder können sich bei Situationswechseln nur schwer damit abfinden, bestimmte Dinge oder Personen zurückzulassen. Das hängt wieder mit den "Programmen" im Kopf zusammen, die eben für das Kind noch nicht vollständig abgearbeitet wurden. Deshalb ist dieses Phänomen eigentlich eher bei Kleinkindern (bis maximal 3,5 Jahre) zu finden. Neben dem "Zeit geben", das ich schon im zweiten Teil dieser Serie über die Erhöhung der Kooperationsbereitschaft beschrieben habe, ist es in einer solchen Situation hilfreich, dem Gegenstand "Tschüss" zu sagen. "Tschüss, großes Müllauto, morgen sehen wir uns wieder!", "Tschüss, Kindergarten. Morgen kommen wir wieder!", "Tschüss, Dreirad! Du wartest hier im Fahrradraum auf uns". Mit diesem definitiven Abschluss endet auch das Programm im Kopf eindeutig und es fällt den Kindern leichter, zu gehen. Ich nehme an, unter anderem deshalb mögen Kleinkinder auch die Bobo-Siebenschläfer-Geschichten so gern. Der Kleine schläft ja am Ende jeder Geschichte ein - wenn das kein eindeutig definiertes Ende ist, dann weiß ich auch nicht...

    5. Etwas aus der Situation mitnehmen


    Eng verwandt mit dem "Tschüss sagen" ist das Mitnehmen. Wenn es bei meinem kleinen Sohn nicht ausreicht, dem Spielzeugmüllauto im Hof "Tschüss" zu sagen, dann schlage ich meist vor, dass er die beiden Mülltonnen mitnehmen kann, damit er sich nicht endgültig trennen muss. Diesen Trick habe ich schon bei den Mädchen damals angewendet. Bei ihnen ging es morgens meist darum, dass sie nicht in den Kindergarten wollten, weil sie gerade so schön mit ihren Püppchen spielten. Also durften sie die Puppen mitnehmen und sie auf dem Weg im Arm halten. Im Kindergarten angekommen, waren dann aber immer andere Dinge wichtiger, so dass die Püppchen von mir problemlos wieder mitgenommen werden konnte (und selbst, wenn nicht, dann warteten sie in der Garderobe, auch kein Problem).

    Meine Töchter sind nun 5 und sie nehmen morgens trotzdem oft gern noch etwas mit, wenn es in Richtung Kita geht. Ich meine nicht das Spielzeug, dass sie dort benutzen wollen, sondern alltägliche Sachen, wie einen Stift oder ein Stück Garn. Ich kann mich erinnern, dass ich das selbst als Kind auch gemacht habe. Eine meiner ersten Erinnerungen ist, wie ich fertig angezogen an der Wohnungstür stehe und schnell noch eine Puppentasse in meine Jackentasche packe. Meine Mutter sagt: "Aber heute wolltest du doch nichts mitnehmen?" und ich antworte: "Oh, stimmt" und packe die Tasse wieder aus. Witzigerweise habe ich genau diese Tasse noch heute, in meiner Lebenskiste. Sie ist überhaupt nichts besonderes und damals hatte ich auch keinerlei emotionale Verbindung damit. Es war einfach nur ein Gegenstand aus meinem heimischen Umfeld, das mir über den Tag helfen sollte. Eine kleine Nabelschnur sozusagen.

    6. Für Kinder mit Schwellenangst: Große Aufgaben kleinschrittig gestalten


    In der Schule hilft man Kindern mit Schwellenangst, indem man ihnen ihre Aufgaben möglichst kleinschrittig darbietet. Ein ganzes Blatt mit Matheaufgaben würde von ihnen sofort von sich geschoben werden und niemals bearbeitet werden. Knickt man das Blatt aber so, dass nur die erste Aufgabe zu sehen ist und gibt man ein wenig Anschwung, indem man das Kind z. B. fragt: "Hier steht, du sollst 2+3 rechnen, weißt du, wie das geht?" (man überschreitet die Schwelle also gemeinsam mit dem Kind), dann fangen sie doch mit der Aufgabe an und schaffen diese normalerweise Stück für Stück problemlos.
     
    Kind macht Schulaufgaben

    Genauso kann man das im Alltag gestalten. Es nützt keinem, wenn ihr eurem Kind (selbst, wenn es schon 5 ist) morgens sagt: "Zieh dir den Schlafanzug aus und leg ihn aufs Bett, such deine neuen Sachen raus und zieh dich bitte an. Ich warte in der Küche auf dich". Das wird nie und nimmer klappen, wenn ihr ein Kind mit Schwellenangst habt und nur zu Frust auf beiden Seiten führen, weil das Kind lieber bummelt, weil die Aufgabe viel zu groß erscheint. Daher wird es nicht damit beginnen, sondern sich lieber hinsetzen und mit der Brio-Bahn spielen. Das Kind kann das alles zwar allein und vom Alter her könnte man als Eltern darauf pochen, dass es sie auch allein macht, aber es würde unglaublich viel Druck ausgeübt werden müssen, bis das Kind tatsächlich anfängt. Der Druck der Eltern (meckern, nörgeln, erinnern...) müsste nämlich zunächst den inneren Druck der Schwellenangst überschreiben. Das geht. Aber: Es macht das Miteinander sehr unfreundlich, bringt Stress und schlechte Laune bei allen Beteiligten und hilft auf lange Sicht gesehen nicht, die Schwellenangst zu besiegen.

    Gliedert deshalb diese große Aufgabe (selbst, wenn sie euch klein erscheint), in kleine Schritte auf:

    1. "Zieh deinen Schlafanzug aus",
    2. "Leg deinen Schlafanzug aufs Bett",
    3. "Such dir Sachen aus dem Schrank"
    4. "Zieh dich an"(für sehr schwere Fälle könnte man auch das Anziehen nochmal unterteilen...),
    5. "Komm zum Frühstück in die Küche".

    Ihr seht, das ist nichts anderes, als das Blatt mit den Matheaufgaben günstig zu falten.

    Nun kommt noch ein weiterer Schritt hinzu - der Hilfe zur Überschreitung der Schwelle. Bei jedem dieser 5 Schritte müsstet ihr am Anfang dabei sein. Nicht, um das Kind zu überwachen, sondern, um dem Kind notfalls den Rücken zu stärken. Ihr könnt zum Beispiel helfen, das Schlafanzugoberteil über den Kopf zu ziehen. Oder ihr drückt den Kindern den Schlafanzug in die Hand, damit sie ihn aufs Bett bringen können. Ihr geht mit dem Kind gemeinsam zum Schrank und öffnet diesen... Dann müsste eigentlich jeweils die Schwelle überschritten sein und euer Kind von selbst in die Gänge kommen. Dann wiederum ist es wichtig, euch aus dem Geschehen zurückzuziehen und es selbst machen zu lassen, sonst wird es mit der Zeit unselbständig, weil es sich darauf verlässt, dass Mama das schon macht. Es geht wirklich nur darum, die neuen Situationen für das Kind ins Rollen zu bringen, nicht, ihm die gesamte Arbeit abzunehmen.

    Ich sehe Michael Winterhoff bei diesen Zeilen förmlich mit den Augen rollen und mich eine Helikoptermutter in Symbiose mit meinen Kindern nennen, deshalb möchte ich noch erwähnen, dass es Kinder mit echter Schwellenangst eher selten gibt. An meiner Schule habe ich natürlich mehrere solcher Kinder, einfach, weil diese überdurchschnittlich oft im Leben scheitern, aber im "Leben da draußen" fällt mir eigentlich nur ein Junge einer anderen Blog-Mutter ein, der vermutlich daran leidet.

    Es ist für diese Kinder kein Spaß, Schwellenangst zu haben, denn es blockiert ja eine Menge Lebensenergie und nimmt ihnen oft die Möglichkeit, neue Dinge auszuprobieren (und Selbstbewusstsein zu entwickeln). Außerdem wird ihnen immer wieder vorgeworfen, zu langsam zu sein oder zu viel zu trödeln. Deshalb halte ich es für wichtig, sensibel mit der Problematik umzugehen. Am besten ist es, diese kleine Eigenheit einfach anzunehmen, nicht anzusprechen und als Teil des Kindes zu akzeptieren. Wenn euer Kind schlecht sieht, bekommt es automatisch eine Brille und keiner guckt schief deswegen. Ist euer Kind so perfektionistisch, dass es lieber gar nicht neue Aufgaben ausprobiert, dann sollte es selbstverständlich sein, dass ihm - wie mit der Brille - ein Hilfsmittel zur Verfügung gestellt wird! Denn je öfter ein Kind mit Schwellenangst erfolgreich neue Aufgaben meistert, desto schneller verliert sich diese Blockade. Sie kann völlig verschwinden. Deshalb ist es eben auch so wichtig, ihm nicht die gesamte Aufgabe abzunehmen, sondern nur für den kurzen Moment des Phasenwechsels Hilfe anzubieten, denn erfolgreich bedeutet eigentlich "allein gemeistert". Je öfter ihr ohne großes Trara über die Schwelle helft, desto leichter wird es eurem Kind fallen, es ein anderes Mal ohne Druck allein zu versuchen.

    Ausblick

     
    Das waren situationsbezogene Tipps und Tricks für Eltern, deren Kinder Situationswechsel hassen.  In den nächsten Wochen geht es um die Kooperation beim Medikamente nehmen und beim Windel wechseln und möglicherweise gibt es noch einen tagebuchartigen Text zu den Abenden in meiner Familie.

    Wir sind dann am Ende der Kooperationsserie angekommen und hoffen, all eure offenen Fragen beantwortet zu haben.
     
    © Snowqueen

    Mein Kind will keine Medikamente nehmen

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    Bunte Pillen und Tabletten
    Kinder wollen kooperieren. Dieser Satz, so nonchalant von Familientherapeut Jesper Juul in fast jedem seiner Interviews dahingeworfen, bringt uns Eltern nicht selten an den Rand der Verzweiflung. Denn ausgerechnet unsere Kinder scheinen eben nicht kooperieren zu wollen, ja, sie scheinen es sich sogar in den Kopf gesetzt haben, genau das Gegenteil vom dem zu tun, was wir uns wünschen. Da werden Teller vom Tisch gefegt, Spielzeuge gefährlich in der Wohnung umhergeworfen, im dichten Straßenverkehr weggelaufen und sich morgens partout nicht allein angezogen.

    Warum das so ist, haben wir im ersten Teil unserer Serie zur kindlichen Kooperation ausführlich erklärt. Im zweiten Teil gingen wir darauf ein, wie wir unsere Kinder ganz allgemein wieder zum kooperieren bringen können. Ergänzt wurde dieser Text mit Teil 3 der Serie, in der ich tagebuchartig verbloggte, wie viel ich und meine Kinder am Morgen kooperieren. In den folgenden Artikeln wollen wir alltägliche Situationen betrachten, die früher oder später in fast allen Familien zu Konflikten führen:
     
     
    Wir haben einige Tipps und Tricks aufgeschrieben, die unseren Kindern die Kooperation im Alltag ein wenig zu erleichtern. Dazu beschreibe ich zunächst typische Probleme, gehe auf ihre möglichen Gründe ein und schlage ein paar praktische Lösungen vor, die euch helfen könnten.  

     

    Mein Kind will keine Medizin einnehmen

     
    Wenn unsere Kinder Medizin nehmen sollen, aber an diesem Punkt die Kooperation verweigern, ist das für uns Eltern besonders schlimm, denn wir sorgen uns natürlich sehr um die Gesundheit unserer Kleinen. Gerade bei wichtigen Antibiotika überlegen nicht wenige Eltern, ob sie sich nicht über die Totalverweigerung der Kinder hinwegsetzen und einfach die Medizin "reinzwingen" sollten. Leider klappt dieses Zwingen meist überhaupt nicht. Die Kinder wehren sich, als würden sie gerade zum Schafott geführt. Ich kenne Familien, in denen es schon vorgekommen ist, dass ein verzweifeltes Elternteil Hände und Füße des Kindes festhielt, während der andere dem sich heftig windenden Kind die wichtige Medizin in den Mund zu tröpfeln versuchte. Oft genug spucken die Kinder das gleich wieder aus oder müssen sich sogar erbrechen. Wer hier an Foltermethoden aus dem Krieg denken muss, liegt nicht so falsch - genauso fühlt es sich für alle Beteiligten an.
     

    Gründe für das Verhalten


    Die Gründe für die Medizinverweigerung unserer Kinder sind leicht nachzuvollziehen. Evolutionsbiologisch ist es in uns quasi eingraviert, keine Dinge zu essen, die seltsam schmecken und die auch nicht von den anderen Familienmitgliedern gegessen werden. Seien wir mal ehrlich - egal, was die Werbung uns verspricht, Medizin schmeckt einfach scheußlich. Da mag in noch so großen Lettern angepriesen sein, dass es lecker nach "Orange" schmeckt, es schmeckt nicht lecker nach Orange. Es schmeckt bitter oder beißend, im besten Fall schmeckt es nur komisch, und nebenbei ist da eine leichte Note eines Geschmacks erkennbar, der vielleicht in einer anderen Situation als Orangengeschmack durchgehen könnte.

    Und nun steht da unser krankes Kind, das nicht einmal gekochte Möhren verspeist (die ja nun wirklich lecker sind!) und bei dem man streng darauf achten muss, dass in der Tomatensauce für die Nudeln absolut kein Fitzelchen Gemüse erkennbar ist, weil sie sonst nicht angerührt wird. Dieses Kind soll nun gegen seinen Instinkt gehen und kooperativ Medizin einnehmen? Eher nicht.

    Auch das einfache Nasenspray, oder auch die Nutzung des Pariboys bei Erkältungen fällt in die Kategorie der Verweigerung aus evolutionären Gründen. Das Nasenspray wirkt erst nach ein paar Minuten - für ein Kind es schwer nachvollziehbar, dass so ein unangenehmes Gefühl für die Nase (das Sprühen) ein wenig später helfen soll. Denn die freie Nase wird von unserem Kleinen dann nicht mehr als etwas Besonderes registriert (hier ist wieder unser Gehirn schuld - wie ich im ersten Artikel erklärte, werden "normale" Dinge schlicht übersehen und eine freie Nase gehört dazu). Für kleine Kinder ergibt sich hier also kein Ursache-Wirkungs-Lernen! Sie übersehen die Wirkung und verweigern deshalb die Ursache (das Sprühen in die Nase).

    Das laute Brummen des Pariboys und der Dampf, der aus ihm heraus kommt, macht Kindern einfach Angst. Es geht gegen unseren Instinkt, etwas an den Mund und die Nase zu halten, das uns unbekannte Gase verströmt. Auch hier ist die positive Wirkung für Kinder nicht sofort erkennbar, deshalb ist es aus ihrer Sicht nicht sinnvoll, sich dieser potentiellen Gefahr auszusetzen. Wenn die Eltern feinfühlig reagieren, kann man ihre Angst gegen den Pariboy durchaus abbauen. Wird das Inhalieren in ein schönes Ritual eingebaut, z. B. vorlesen, lernen viele Kinder den Pariboy sogar lieben.

    Selbst wir Erwachsenen nehmen doch nur Medikamente etc., weil wir wissen, wie wichtig das für unseren Körper ist. Und dieser Punkt, an dem die Vernunft über den Instinkt siegt, ist auch der Punkt, an dem es leichter wird, die Kinder dazu zu überreden, das Antibiotikum zu schlucken, das Nasenspray über sich ergehen zu lassen oder den Pariboy zu benutzen. Frühestens dürfte das mit 3 Jahren der Fall sein, eher jedoch dauert es bis zum 4. Geburtstag (oder manchmal noch länger, je nach Charakter des Kindes). Bis dahin müsst ihr euch einiges an Tipps und Tricks einfallen lassen, damit die Medizin doch noch im Kind landet...
     

    Lösungen für das Problem


    1. Medikament wirklich nötig?


    Die allererste Frage, die ihr euch stellen solltet ist, ob das Medikament wirklich, wirklich nötig ist. Ihr sollt natürlich nicht die Kompetenz eurer Kinderärztin in Frage stellen, aber ab und zu wird die Vergabe gerade von Antibiotika recht locker gesehen. Fragt am besten nach Alternativen oder Großmutters Tipps und Tricks. So ein Zwiebelsäckchen auf dem Ohr kann auch Wunder bewirken.

     

    2. Medikament wechseln

     
    Mein kleiner Sohn hatte im Alter von 6 Monaten engen Sabber-Kontakt mit einem anderen Baby, das, wie sich kurz darauf herausstellte, Keuchhusten hatte. Leider hatte er krankheitsbedingt noch keine Impfung dagegen intus, so dass uns nichts anderes übrig blieb, als präventiv mit Kanonen auf die Krankheit zu schießen, bevor sie auch bei ihm ausbrach. Er musste also Antibiotika nehmen. Mehrere Wochen lang.
     
    Da er mir vertraute, waren die erste 2-3 Portionen kein Problem. Dann wusste er allerdings, was kommt, wenn ich den Deckel der Medikamentenflasche öffnete und presste den Mund vehement zu, der kleine Schlaumeier. Ich konsultierte meine Kinderärztin, sie verschrieb ein anderes Antibiotikum, das ihm vielleicht besser schmecken würde. Das ging ein paar Tage gut, dann erbrach er sich davon - eine Nebenwirkung. Deshalb wechselten wir erneut. Diese Medizin schmeckte ihm zwar nicht wirklich, aber er konnte sie mit viel Geduld meinerseits soweit ertragen, dass wir sie jeden Tag in ihn hinein bekamen.
     
    Mein erster Tipp ist also: Guckt, welches der Medikamente für eure Kinder am wenigsten eklig ist. Wie auch bei Brokkoli und Co sind Geschmäcker verschieden. Manch einer mag es, wenn der Geschmack der Medizin von Aroma übertüncht ist, ein anderer will das Ganze lieber möglichst geschmacklich neutral hinter sich bringen.
     
    Selbst bei Nasentropfen gibt es eine Alternative. Eine meiner Töchter z. B. hasst Nasentropfen, findet aber Nasenspray total okay, während ich Nasenspray abartig finde und mit Tropfen gut klar komme.
     
    Auch die Darreichungsform kann man variieren. Es gibt Zäpfchen, oder Saft, Tabletten oder Spritzen - wenn euer Kind ein Medikament verweigert, fragt eure Kinderärztin, was es als Alternative auf dem Markt gibt und probiert, ob es damit einfacher geht.
     
    Selbstverständlich gilt beim Wechsel der Medikamente, dass es nur in Absprache mit der Kinderärztin geschehen sollte.
     

    3. Spritze statt Löffel nutzen


    Einwegspritze aus Kunststoff
    Diesen Tipp kennt ihr sicherlich schon, aber mir hat er vor 5 Jahren, als die Mädchen noch Babys waren, wirklich sehr geholfen. Statt den Löffel zu nutzen, der meist bei den Medikamenten beiliegt, lasst euch in der Apotheke oder von der Kinderärztin eine Einmalspritze geben. Wichtig ist, dass sie sich leichtgängig schieben lässt, aber nicht zu leichtgängig. Lässt sie sich nämlich zu schwer zusammenpressen, dann drückt man und drückt und drückt, bis plötzlich mit einem Schwall alle Medizin in den Mund spritzt. Bei einer zu leichtgängigen Spritze habe ich auch Schwierigkeiten, das Medikament langsam und dosiert ins Kind zu träufeln, weil mein Daumen automatisch weiterdrückt. Es gibt ja aber unendlich viele Einwegspritzen - probiert einfach ein paar aus und findet die für euch passende. Die, die ihr dann zu viel gekauft habt, könnt ihr auswaschen und in den Arztkoffer eurer Kinder packen.
     
    Dass selbstverständlich vorn keine Nadel auf der Spritze sitzen sollte, muss ich nicht erwähnen, richtig?
     
    Wenn ihr nun die richtige Spritze habt, dann kommt der nächste Schritt: Nehmt euer Kind in den Arm, so, dass es ein wenig geneigt, aber noch fast aufrecht sitzt. Setzt (wenn das Kind euch lässt) die Spritze im Mundwinkel an und drückt langsam und mit Pausen die Medizin in die vordere Wangentasche des Kindes. In die Wangentasche deshalb, weil dort auch die Spucke sitzt, welche ja von uns Menschen fast unbemerkt automatisch geschluckt wird, am Tag viele hundert Male. Ist die Medizin nicht zu kalt, wirkt sie so für das Kind weniger als "Fremdkörper", als wenn sie direkt in die Mundhöhle gespritzt wird. Dass es langsam und mit Pausen vonstatten geht ist wichtig, damit das Kind nicht das Gefühl hat, zu ertrinken. Es muss selbst den Schluckvorgang steuern dürfen. Spritzt ihr zu weit nach hinten in die Wangentasche, wird zwar ein automatischer Schluckreflex ausgelöst (was ja an sich ganz nett ist, weil die Medizin dann auf jeden Fall runter geht), aber auch hier hat das Kind eher das Gefühl, die Menge des Trinkens nicht unter Kontrolle zu haben - es fühlt sich auch hier, als würde es ertrinken.
     
    Zwischendurch (also in den Spritzpausen) ist es sinnvoll, dem Kind "leckeres" Trinken zum Nachspülen anzubieten. Bei Babys Muttermilch, bei größeren Kindern darf es durchaus ausnahmsweise auch Apfelschorle sein. Wenn Kinder älter sind, kann man viele von ihnen damit locken, dass sie die Spritze selbst bedienen dürfen. Wenn man sie nur für Medikamente heraus holt, bleiben sie besonders lange interessant.
     

    4. Tabletten mit einem Bissen Essen runterschlucken

     
    Ihr kennt das sicherlich von euch selbst: Soll man eine Tablette unzerkaut hinunterschlucken, kommt einem das vor, als wäre sie riesig. Selbst mit einem Schluck Wasser bleibt sie oft irgendwo hängen. Das ist irgendwie seltsam, wenn man mal bedenkt, wie klein so eine Tablette im Gegensatz zu einem Bissen Stulle oder Schnitzel ist, welchen wir ohne Probleme schlucken können. Der Trick ist, dieses komfortable Schlucken auch für die Tablette zu nutzen: Nehmt einen Haps Keks oder Kuchen oder was sonst gut schmeckt und kaut dieses Stück ganz normal im Mund. Wenn ihr das Gefühl habt, jetzt schlucken zu wollen, nehmt die Tablette mit der Zunge aus der Wangentasche, schiebt sie zum Essen und schluckt alles gleichzeitig herunter. Et Voliá.
     
    Ich denke nicht, dass dieser Trick schon bei kleineren Kindern funktioniert, aber ihr könnt es bei 4-Jährigen sicher schon mal probieren.
     

    5. Im Schlaf Ohrentropfen, Augentropfen und Nasentropfen verabreichen

     
    Augen-, Ohren- und Nasentropfen lassen sich gut in einer Tiefschlafphase verabreichen. Sie sollten nicht zu kalt sein, damit der Temperaturunterschied das Kind nicht im Schlaf stört. Die Augentropfen könnt ihr, wenn das Kind auf dem Rücken liegt, in den zur Nase zeigenden Augenwinkel tropfen und dann kurz das untere Lid nach unten ziehen, damit der Tropfen sich im Auge verteilt. Liegen meine Kinder auf der Seite, dann ziehe ich das untere Lid nach unten und tropfe schnell direkt dort hinein. Dazu brauche ich aber eine Stirnlampe, weil das zackig und präzise vonstatten gehen muss.
     
    Auch Nasen- und Ohrentropfen lassen sich im (Tief)-Schlaf verabreichen. Meine Kinder räkeln sich zwar meist etwas danach oder protestieren im Traum kurz, wachen aber nie auf. Es ist aber wichtig, keine REM-Phase zu erwischen, da so eine Manipulation am Ohr, Lid oder der Nase dazu führen kann, dass sie dann aufwachen.
     
    Kurzer Exkurs: Bei Fräulein Chaos habe ich lange auch Finger- und Fußnägel im Schlaf geschnitten, weil sie sich im wachen Zustand so massiv dagegen gewehrt hat.

    6. Vormachen


    Wie ich oben schon andeutete: Evolutionsbiologisch ist in uns angelegt, unsere Stammesmitglieder zu imitieren. Wenn diese ein bestimmtes Lebensmittel essen, dass probiert das Kind normalerweise wenigstens einmal davon. Isst aber niemand anderes davon und es wird dem Kind aber immer wieder unter die Nase gehalten, dann wird es misstrauisch. Was ist daran faul?

    Wenn ihr wollt, dass eure Kinder die Medikamente unvoreingenommen probieren, dann macht ihnen das Einnehmen vor. Bei Nasentropfen (nehmt Salzwasser!) und Pariboy ist das problemlos möglich, bei Antibiotikum nicht so. Da müsst ihr dann ein wenig in die Trickkiste greifen. Meine Töchter sollten, als sie klein waren, roten Fiebersaft nehmen. Ich mixte mir heimlich eine Erdbeer-Kaltschale und zog sie in eine große Einwegspritze auf. Vor den Augen meiner Töchter nahm ich dann wieder und wieder die Medizin, bis sie sich trauten, ihre eigenen Einwegspritzen in den Mund zu nehmen. Da dieser Fiebersaft gar nicht sooo schlecht schmeckte, war damit der erste positive Schritt geschafft.

    Bei andersfarbigen Medikamenten wird es vielleicht schwieriger, ein geeignetes Placebo zu finden. Bei farblosen Antibiotika könnte das vielleicht Aga Aga sein. Ich hab das noch nicht ausprobiert - vielleicht könnt ihr mir in den Kommentaren hinterlassen, was bei euch gut funktioniert hat.

    Auch beim Pariboy ist Vormachen das A und O. Alle meine Kinder hatten anfänglich Angst vor dem Ding, deshalb war die ersten Monate (!) erst einmal immer nur ich diejenige, die inhalierte, während ich ein (Erwachsenen)-Buch las. Die Kinder beobachteten mich argwöhnisch aus sicherer Entfernung. Irgendwann machte ihnen das laute Geräusch keine Angst mehr. Sie fingen an, am An/Aus-Knopf zu spielen und beobachteten den Dampf, der aus dem Mundstück kam. Ab und zu hielten sie das Mundstück ans Gesicht ihrer Puppe. Der nächste Schritt war, sie auf dem Schoß sitzen zu haben, das Gerät anzuschalten und den Dampf in etwa in ihre Richtung zu halten, während ich ein schönes Buch vorlas. Das genossen sie so sehr, dass es bald kein Problem mehr war, ihnen den Pariboy während des Vorlesens über Mund und Nase zu stülpen.

    7. Arzt spielen


    Mit etwa einem Jahr fangen unsere Kinder an, die Dinge, die sie um sich herum bei Erwachsenen und Kindern sehen, zu imitieren. In diesem Alter fangen sie auch an, gern mit der Kinderküche zu spielen, mit einem Besen oder aber mit einem Arztkoffer. Wenn ihr also wollt, dass eure Kinder sich daran gewöhnen, dass Medizineinnahme manchmal sein muss und "zum Leben" dazu gehört, dann schenkt ihnen doch einen kleinen Arztkoffer (mit diesem haben wir die besten Erfahrungen gemacht).

    Dort könnt ihr dann Einwegspritzen oder leere Nasen- oder Augentropfflaschen hineinmachen, mit denen ihr dann im Spiel die Medikamenteneinnahme simuliert. Auch dem kleinen Pieks einer Impfung habe ich mit meinen Töchtern im Rollenspiel so den Schrecken genommen. Sie durften ihren Kuscheltieren und mir Impfungen, Ohrentropfen, Nasentropfen und Augentropfen geben und immer wieder wurde mir per Spritze "Zin!" in den Mund geträufelt.

    Es ist nicht so, dass diese Methode Wunder wirkt, aber zumindest baut sie ein paar Ängste ab. Meine Kinder haben hinterher immer noch gemosert, wenn sie Ohrentropfen oder Antibiotika nehmen sollten, aber immerhin hatten wir im Spiel schon so oft über die Wichtigkeit der Medizin gesprochen, dass ich teilweise schon mit 3 Jahren an ihre Vernunft und Kooperation appellieren konnte.

    8. Zum Arzt spielen gehen, um Angst abzubauen


    Eng verwandt mit Trick Nummer 6 (Arztkoffer) ist dieser hier: Ich bin mit meinen Kindern öfter mal einfach so zum Arzt gegangen und habe sie dort mit Zustimmung der Ärztinnen im Wartezimmer spielen lassen. Das geht natürlich nur in den erkältungsarmen Monaten, denn meine Kinder sollen sich selbstverständlich nicht im Wartezimmer anstecken. Ich rufe oft vorher an, wann es günstig ist, vorbeizukommen. Unsere Ärztinnen habe spezielle Zeiten für die U-Untersuchungen, da sitzen dann immer nur gesunde Kinder im Wartezimmer.

    Zum Spielen zu kommen war übrigens ein Vorschlag meiner Kinderärztinnen. Sie sagen, es hilft ihnen mehr, wenn sie ein Kind auch mal in netten Situationen sehen und nicht immer nur, wenn es dem Kind schlecht geht. Denn dann vertraut es ihnen mehr, wenn sie es später wirklich untersuchen müssen und weint nicht die ganze Zeit. So dürfen wir, wenn es leer ist, auch ab und zu ins Behandlungszimmer und unseren Arztkoffer zeigen oder die Ärztin "untersucht" den kranken Teddy - und baut gleichzeitig eine tragfähige Bindung zum Kind auf. Und wenn diese tolle Frau dann sagt, das Kind müsse eine bestimmte Medizin nehmen, um wieder gesund zu werden, dann "wiegt" ihre Meinung oft mehr, als die der Eltern und das Kind überwindet sich vielleicht, das bittere Antibiotikum doch zu schlucken.

    P.S. Es kann sein, dass euer Kinderarzt nicht mitspielt. Das ist zwar schade, aber nicht zu ändern. Die meisten Ärzte sind auch ohne "Spielkinder" schon sehr überlastet. Aber fragen könnt ihr ja mal. Unsere Kinderärztinnen laufen übrigens manchmal über den naheliegenden Spielplatz und begrüßen ihre kleinen Patienten dort, um auch außerhalb der Praxis für die Kinder präsent zu sein. Ich liebe die beiden sehr.


    9. Mit Bestechung arbeiten


    Wann, wenn nicht an dieser Stelle, ist es sinnvoll, mit Bestechung zu arbeiten? Lässt das Kind sich überreden, die bittere Medizin zu nehmen oder die Nasentropfen auszuhalten, darf es hinterher ein Gummibärchen essen oder süßen Saft trinken. Das funktioniert nicht bei allen Kindern, aber wenn es klappt, sehe ich keinen Grund, es nicht zu tun. Vielleicht sollte man das Ganze nicht mit "Wenn - Dann" ankündigen, sondern einfach sagen: "Ich weiß, das Medikament schmeckt dir nicht. Ich gebe dir hinterher einen leckeren Bonbon, um den Geschmack wieder loszuwerden".
     

    10. Medikamente unterschummeln

     
    Es gibt Ärzte, die durchaus empfehlen, im Notfall Medikamente unter geliebtes Essen unterzumischen, so dass es wenigstens ansatzweise dort ankommt, wo es hin soll, nämlich ins Kind. Das geht natürlich nur, wenn das Medikament den Geschmack des Essens nicht zu sehr verfälscht, es nicht in Wechselwirkung mit dem Essen tritt und das Kind an sich genug isst, um auch genug von der Medizin einzunehmen. Ein sehr schwieriges Unterfangen also. Die Ärztin, die uns in allen medizinischen Belangen in diesem Blog unterstützt, meint, ein kleines Glas Aprikosensaft eigene sich sehr gut zum Unterschummeln, da der Saft einen starken Eigengeschmack hat. Sie hat auch schon Schokopudding genutzt. Es stimmt, dass es einige Antibiotika gibt, die nicht zusammen mit Milch verabreicht werden sollten (also auch keinen Pudding, Joghurt etc.) - bei diesen kann man den Trick also nicht anwenden. Es sind aber nicht alle Arten von Antibiotika davon betroffen.
     
    © Snowqueen

    Mein Kind will sich nicht die Windel wechseln lassen

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    Baby liegt auf dem WickeltischAls wir euch im Rahmen unserer Kooperationsserie baten, in den Kommentaren zu posten, welches Thema euch dringend unter den Nägeln brennt, kam immer wieder das Problem zu Sprache, dass viele Kinder sich ungern wickeln lassen. Gerade Windeln mit Stuhl-Inhalt scheinen von einigen Kindern vehement "verteidigt" zu werden - sie verweigern schlicht ihre Kooperation beim Windelwechseln. Das hat nicht selten zur Folge, dass es zu regelrechten Wickelkämpfen zwischen Eltern und Kind kommt. So soll es natürlich nicht sein. Deshalb schauen wir heute hinter dieses weit verbreitete Phänomen auf die möglichen Gründe der Verweigerung und versuchen, praktikable Lösungen zu finden. Ich werde dabei das Rad nicht neu erfinden können, aber vielleicht gibt es ja den ein oder anderen Trick, den ihr noch nicht kennt.

    Gründe für das Problem


    Es gibt viele individuelle Gründe für die Wickelverweigerung. Manche Kinder wollen einfach nicht im Spiel unterbrochen werden. Sie fürchten, dass sie, einmal aus ihrer Spielsituation herausgerissen, nicht mehr dorthin zurück zu können, weil die Eltern nach dem Wickeln vielleicht Abendbrot essen oder zur Kita losgehen wollen. Deshalb "verheimlichen" sie, dass sie groß in die Windel gemacht haben und antworten meist auch mit einem "Nein", wenn sie direkt darauf angesprochen werden.
     
    Schon ab dem 11. Lebensmonat gibt es einige Kinder, die es hassen, auf dem Rücken gewickelt zu werden. Sie schreien, als gäbe es Reißzwecken auf der Wickelkommode und wehren sich mit Händen und Füßen. Bei diesen Kindern hat die Wickelverweigerung nichts mit den Ausscheidungen zu tun, sondern mit der hilflosen Position, in der sie sich darin befinden. Lässt man ihnen die Autonomie über ihren Körper und findet eine andere Wickelposition, ist oft schon das größte Problem aus dem Weg geräumt. 
     
    Anderen Kindern ist es schlicht unangenehm, gewickelt zu werden, weil es ihnen zu kühl vorkommt. Unser Bad ist eigentlich sehr gut geheizt, aber mein kleiner Sohn erschaudert doch jedes Mal, wenn ich mit einem Feuchttuch seinen Po abwische. Ich merke, dass ihn die Kälte stört und er deshalb, ginge es nach ihm, lieber die warme Kotwindel anbehalten würde.
     
    Auch psychologische Gründe kann es geben. Der Kot ist etwas, das Kinder bewusst von sich "hergeben" in einem kognitiven Stadium, in dem er noch als Teil ihres Körpers verstanden wird. Wie Haare- und Nägelschneiden ist das Hergeben der eigenen (festeren) Ausscheidungen bei einigen Kindern eben ein Schritt, dem über eine lange Zeit der furchteinflößende Aspekt genommen werden muss. Für uns Erwachsene ist klar, dass der Kot in die Toilette muss und die Haare und Nägel regelmäßig abgeschnitten werden müssen, um nicht ungepflegt auszusehen, aber unseren Kindern erscheint es eher, als müssten sie jedes Mal einen wichtigen Teil ihres Körpers abgeben.

    Mini-Fissuren sind schmerzhafte Einrisse am After, die manchmal auftreten, wenn zu harter Stuhl abgesondert wurde. Diese Fissuren sind so klein, bzw. sitzen auf der Innenseite, so dass man sie mit bloßem Auge kaum oder nicht erkennen kann. Sie sind aber trotzdem für das Kind mächtig unangenehm, sowohl beim Ausscheiden, als auch beim Saubermachen, so dass es mit Wickelverweigerung (und schlimmstenfalls mit Einhalten) reagiert.
     

    Lösungen für das Verhalten

     
    Je nachdem, welcher Grund - oder welche Kombination von Gründen - bei eurem Kind vorliegt, sind verschiedene Lösungsansätze möglich.
     

    1. Klar sein

     
    Wenn wir Eltern den bedürfnisorientierten Weg einschlagen, kommen wir ab und zu ins Straucheln, weil wir nicht gut unterscheiden können, was nun Wunsch und was Bedürfnis ist. Und selbst wenn es ein Bedürfnis ist - was, wenn wir als Eltern ein gegensätzliches Bedürfnis als das Kind haben? Bei einer Wickelverweigerung kommt es oft zu so einem klassischem Missverständnis. Wenn das Kind sich vehement weigert, die Kot-Windel herzugeben, lassen einige Mamas und Papas es gewähren, weil sie nicht in seine Autonomie eingreifen wollen. Sie sind dann aber meist unglücklich über die Situation. Nicht nur wird der Po des Kindes schnell wund, es ist auch für die Umwelt eine geruchliche Zumutung, die schwer auszuhalten ist. Hier kollidieren der Wunsch/das Bedürfnis des Kindes (Windel anbehalten) mit den Bedürfnissen der Eltern (Kind schützen und geruchsneutrales Miteinander). Immer, wenn das geschieht, sollte abgewogen werden. Welches Bedürfnis wiegt mehr? Wer kann zurückstecken? Bei einer vollen Kotwindel empfinde ich das als gar keine Frage: Die Familie sollte den Kot-Geruch aus der Windel nicht tolerieren müssen. Es ist außerdem für das Kind bzw. die Haut an seinem Po besser, schnell gewickelt zu werden, daher wiegen für mich hier klar die Bedürfnisse der Eltern mehr als die des Kindes. Mit dieser Gewissheit im Rücken, können wir unseren kleinen Wickelverweigerern klarer begegnen. Wir fragen nicht, ob wir jetzt die Windel wechseln können, wir bestimmen es freundlich, aber eindeutig.
     
    Ich sage nicht, dass es dadurch einfach wird, eurer Kind zum Wickeln zu bewegen. Höchstwahrscheinlich wird es sich trotzdem verweigern. Aber dieser Punkt des Klar-Seins ist zunächst für euch wichtig: Ihr müsst die innere Gewissheit haben, dass es okay ist, hier euer Bedürfnis in den Vordergrund zu stellen. Eure eigene Klarheit macht es den Kindern einfacher, die unangenehme Situation zu akzeptieren. Ihr tretet euren Kindern weniger als Bittsteller entgegen, als wenn ihr sie immer wieder um ihre Kooperation bittet - es gibt ihnen tatsächlich Verhaltenssicherheit, wenn eure Entscheidung innerlich nicht in Frage stellt, wie ich in Teil 2 der Kooperationsserie schon ausführlich erklärt habe.
     

    2. Feinfühlig Agieren

     
    Ich bin sicher, ihr macht das schon, aber der Vollständigkeit halber will ich es hier noch einmal aufschreiben: Es ist wichtig, dass der Wickelprozess von Anfang an feinfühlig durchgeführt wird, mit Respekt. Es ist leider noch gang und gäbe, dass Babys und Kleinkindern öffentlich am Po geschnüffelt wird, um zu eruieren, ob ein Windelwechsel nötig wird - ich finde das respektlos dem kleinen Menschlein gegenüber. Mir ist klar, dass die Eltern einfach nur gucken wollen, ob ein Windelwechsel nötig ist, aber es gibt da sicher andere Wege. Es ist außerdem wichtig, die Kinder nicht einfach hochzuheben und aus der Situation zu reißen, sondern vorher anzukündigen, was nun ansteht und die Schritte sprachlich zu begleiten. Auch langsames, zärtliches Agieren und Streicheleinheiten sind ein wichtiger Schritt für ein schönes Wickelerlebnis. Susanne Mierau vom Blog Geborgen Wachsen hat in diesem Artikel zusammengefasst, wie Eltern ihre Kinder möglichst achtsam wickeln und so Wickelkämpfe vermeiden können. Schaut mal bei ihr vorbei, es lohnt sich.

    Baby hält Mamas Finger
     

    3. Warme Umgebung schaffen


    Achtet darauf, dass euren Kindern beim Wickel wirklich warm ist. Dreht die Heizung auf, nutzt einen Heizstrahler. Mittlerweile lege ich kurz vor dem Wickeln auch die neue Windel und ein paar Feuchttücher auf die Heizung, damit es sich für meinen Sohn angenehmer anfühlt. Seitdem scheint seine Abneigung nicht mehr ganz so stark ausgeprägt zu sein.

     

    4. Im Stehen wickeln


    Ich habe bei mich bei meine Töchtern damals nur getraut, Pipiwindeln im Stehen zu wechseln, einfach, weil ich dachte, ich schaffe die nötige Koordination bei Kot-Windeln nicht ohne Desaster. Mein kleiner Sohn hat sich allerdings schon früh gegen das Wickeln auf dem Rücken gewehrt, so dass ich nun Expertin für das Wickeln im Stehen bin. Was soll ich sagen, mit ein bisschen Übung schafft man auch Kot-Windeln ohne Sauerei zu wechseln, selbst solche mit Stillstuhl oder Magen-Darm-Durchfall. Für flüssigen Stuhl eignen sich übrigens Stoffwindeln mehr, weil dort die Flüssigkeit besser einsickert. Bei Wegwerfwindeln habe ich das Gefühl, dass die Saugschicht erst einmal aktiviert werden muss, so dass flüssiger Stuhl zunächst in der Kuhle zwischen den Beinbündchen schwimmt, bis auch dort die Flüssigkeit eingesaugt wird. Das erschwert das Wickeln etwas, geht aber auch. Man muss nur aufpassen, die Windel beim abnehmen möglichst gerade zu halten und dann erst einmal auf dem Boden abzulegen. Voraussetzung ist allerdings, dass das Kind kooperiert, indem es stehen bleibt. (Ich kenne auch Eltern, die Windeln beim weglaufenden oder -krabbelnden Kind wechseln können - Hut ab, ihr seid die Elite!) Um ein Stehenbleiben zu sicherzustellen, kann man dem Kind ein interessantes Wickelspielzeug in die Hand geben. Dazu mehr im nächsten Unterpunkt.
     
    Mein Sohn steht übrigens beim Wickeln auf dem Boden im Bad, es gibt aber auch wunderschöne Wickelkommoden mit Geländer (Pikler-Wickelplätze), auf die ich schon seit Jahren neidisch schiele, die ich mir aber nicht leisten kann. Bei drei Kindern hätte sie sich zwar locker amortisiert, leider wusste ich damals noch nicht, dass sie so wichtig ist. Könnte ich die Zeit zurückdrehen, hätte ich gleich bei der Geburt der Mädchen das Geld darin investiert. So mancher Wickelkampf hätte sich wohl von selbst erledigt.
     

    4. Wickelspielzeug bereit halten

     
    Wie ich unter Punkt 2 geschrieben habe, ist eine schöne Wickelroutine sehr zuträglich. Dazu gehört, als Eltern das Kind beim Wickeln anzuschauen, mit ihm zu sprechen und es in den Wickelprozess einzubinden, indem es die Feuchttücher aus der Box ziehen oder eine neue Windel heraussuchen darf. Ist man so in engem Kontakt mit dem Kind und mag das Kind diese exklusive Zweisamkeit, dann eignet sich der folgende Tipp nicht. Wenn euer Kind aber schon größer ist und lieber wieder spielen gehen möchte, als euch beim Wickeln tief in die Augen zu schauen, dann könnte es helfen, ihm ein ablenkendes Spielzeug in die Hand zu drücken, um die Abneigung gegen den ganzen Prozess etwas abzumildern.

    Damit das Spielzeug spannend  bleibt, sollte es nur zum Wickeln gereicht und öfter mal ausgetauscht werden. Ich bin an sich keine Freundin von blinkendem Spielzeug, aber beim Wickeln würde ich tatsächlich eine Ausnahme machen. Alles, was das Wickeln erleichtert, ist erlaubt. Das Kind will euer Handy? Okay, warum nicht? Vielleicht hilft es sogar, einen Spiegel über der Wickelkommode anzubringen, so dass das Kind zugucken kann, wie ihm die Windel gewechselt wird. Bei uns war eine Zeit lang (wie gesagt, wir wickeln im Stehen) ein Tip Toi Buch samt Stift sehr interessant, momentan sind es ein kleiner Bagger und ein Frontlader, mit dem auf dem Hocker gespielt wird, während ich ihn säubere.

    5. Quatsch machen


    Der Sohn unserer Blog-Ärztin Laetizia mochte das Windelwechseln wirklich überhaupt nicht, was für sie vor allem als ihr zweiter Sohn frisch geboren war und immer im Tuch vor ihrer Brust hing, sehr anstrengend war. Aus dieser Zeit stammt ihr Trick, das Windelwechseln für den Großen mit sehr viel Quatsch zu verbinden. Nun ist Laetizia im Herzen selbst Kind geblieben, das Herumalbern mit ihren Kindern fällt ihr wunderbar leicht. Sie hat jedes Mal, wenn ihr Sohn in die Windel gemacht hat, ihn darauf neugierig gemacht, wie der Kot denn wohl aussehen könnte? Sind es kleine Hasenköttel? Ein großer Elefantenball? Ein Kuhfladen? Ein Fliegenpünktchen oder eine Hundewurst? So brachte sie ihn dazu, sich die Windel abnehmen zu lassen. Sie begutachteten ausführlich den Windelinhalt und während sie sich unterhielten, machte Laetizia den Po des Sohnes schnell sauber. Sie machte, O-Ton, ein "waaaahnsinniges Tamtam" um den Windelinhalt. Ihre Strategie ging gut auf - sie hat es immer geschafft, dass ihr Sohn freiwillig zum Windelnwechseln kam.

    Geholfen haben ihr die Bücher Was hast du in deiner Windel? und "Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat, in denen es um die Konsistenz des Kots verschiedener Tiere geht.
     

     

    6. Kinder sich erkunden lassen


    Alle Kinder erkunden gern ihren Körper - es ist natürlich und schön und sollte von uns Erwachsenen nicht unterbunden werden. Gerade Jungs bemerken schon sehr früh, dass ihnen der Penis angenehme Gefühle bereiten kann. Ist die Armkoordination mit etwa 6 Monaten so ausgereift, dass sich das Baby in den Schritt fassen kann, ist der Zeitpunkt gekommen, an welchem Jungs beginnen, an ihrem Penis zu ziehen und zu zerren. Diese Phase geht sehr, sehr lange. Sie hat tatsächlich auch einen Sinn, denn die Verklebung der Vorhaut wird so vom Kind selbst Stück für Stück ohne Schmerzen gelöst. (Dass die wickelnden Eltern die Vorhaut eines Babys nicht zum Saubermachen zurückziehen sollte, wisst ihr, oder? Aus dieser zu frühen Manipulation kann eine Vorhautverengung entstehen, die meist operativ korrigiert werden muss.)
     
    Es ist wichtig, den Kindern beim Wickeln Gelegenheit zu geben, sich selbst anzufassen - dann bekommt der gesamte Wickelprozess vielleicht für das Kind einen schönere Konnotation. Der (leider von mir schon oft von anderen Eltern gehörte) Satz: "Hör auf, dran zu ziehen, sonst fällt er noch ab!" sollte dringend vermieden werden.

    7. Um 180 Grad drehen


    Es gibt Kinder, die gerne treten, wenn sie auf dem Wickeltisch liegen. Das machen sie meist nicht aus böser Absicht oder um den Eltern weh zu tun, sondern einfach aus Bewegungsfreude und vielleicht auch, um zu schauen, was dann passiert. Wie reagiert der Papa? Wie die Mama? Reagieren beide immer gleich? Es ist ein Ursache-Wirkungs-Experiment. Da das treten aber natürlich weh tut, können Eltern einen kleinen Trick anwenden. Dreht das Kind um 90° oder 180°, so dass es seitlich oder mit dem Kopf zu euch auf dem Rücken liegt. Es mag ein wenig gewöhnungsbedürftig sein, das Kind in dieser Position zu wickeln, aber man gewöhnt sich recht schnell daran. Probiert es mal aus.

    8. Kind wieder zurückbringen


    Es ist wichtig, eure Kinder nach dem Wickeln wieder dorthin zurückzubringen, wo ihr sie abgeholt habt. Wurden sie aus dem Spiel mit der Eisenbahn gerissen, dann bringt sie hinterher genau dorthin wieder zurück und lasst sie unbedingt weiterspielen. Auch, wenn es nur ein paar Minuten sind, weil ihr eigentlich los müsst. Denn die Kinder sollten darauf vertrauen können, dass das ungeliebte Wickeln ihr Spiel zwar unter- aber nicht abbricht! Sobald sie das verstanden haben, lässt bei vielen Kindern der Kampf ums Wickeln merklich nach.
     

    9. Abhalten und/oder nackt herumlaufen lassen


    Schon ganz frisch geborene Babys geben deutliche Zeichen, wenn sie mal müssen. Schaffen es Eltern, diese Zeichen zu deuten bzw. die Zeiten zu bemerken, an denen das Kind normalerweise in die Windel macht, können sie das Abhalten probieren. Über die Methode "Windelfrei" gibt es einen Gastartikel bei uns.
     
    Am Anfang ist es häufig so, dass der Stuhl beim Stillen abgesetzt wird (dafür gibt es kleine Töpfchen). Direkt nach dem Schlafen oder wenn das Baby aus der Trage genommen wird, pullert es normalerweise kurze Zeit später. Ist das Baby in der Nacht besonders unruhig und wälzt den Körper hin- und her, ohne sich vom Stillen oder Nuckel beruhigen zu lassen, steht aller Wahrscheinlichkeit das große Geschäft an. Manchen Kindern läuft ein Schauer über den Rücken, bevor sie Pipi machen, andere bekommen einen abwesenden Blick, wieder andere ziehen sich sogar schon in eine Ecke zurück. In all diesen Fällen lohnt es sich, abzuhalten, sofern das Kind sich nicht dagegen wehrt.
     
    Ich habe es bei meinem Sohn eine Weile praktiziert und es ist schon sehr, sehr angenehm, den Kot einfach runterzuspülen, statt verschmiert vom Po zu wischen. Allerdings hat sich mein Knirps mit etwa 11 Monaten gegen das Abhalten gewehrt und auch das Windelfrei-Töpfchen wollte er nicht mehr in seiner Nähe haben. Im Sommer habe ich ihn aber viel nackt herumlaufen lassen (im Garten), so dass er ein Gespür für seine Ausscheidungen bekommen konnte. (Tipp: Hundekottüten bereit halten.) Auch im nächsten Sommer werde ich das wieder so handhaben - mit der Nacktheit fällt nämlich auf jeden Fall das Windelwechseln weg.

    10. Fissuren behandeln

     
    Wenn ihr vermutet, dass euer Kind das Windelwechseln wegen Fissuren am After verweigert, dann solltet ihr diese behandeln. Man kann dafür Zinksalbe wie zum Beispiel Mirfulan nutzen, oder auch sehr fetthaltige Creme wie Kaufmanns Kindercreme oder Bepanthen.
     
    Der wichtigste Punkt ist jedoch, unbedingt für weichen Stuhl zu sorgen, da die Miniverletzungen sonst bei jedem "Drücken" schlimmer werden. Es ist wichtig, dass das Kind genügend Wasser trinkt und nahrungsfaserreiche Kost zu sich nimmt. Das sind natürlich Vollkornprodukte, wie dunkles Brot, Getreidewaffeln, Haferflocken, Müsli, Hirse, Vollreis, aber auch rohes Gemüse wie Möhren, Kohlrabi, Gurke, Paprika usw. Auch rohes, gut durchgereiftes Obst hilft bei der Verdauung. Achtet darauf, dass euer Kind möglichst keine Kerne (Apfelkerne, Weintraubenkerne) mitisst, weil diese beim Passieren an den Fissuren vorbei für Schmerzen sorgen können. Die Nahrungsfasern quellen zusammen mit genügend Wasser auf und bilden einen weichen Stuhl.
     
    Milchzucker hat eine leicht abführende Wirkung und kann ebenfalls helfen, den Stuhl weich zu machen. Er ist in normaler Kuhmilch enthalten, in Joghurt, Buttermilch und Kefir.
     
    Als letzten Punkt solltet ihr auf ausreichende Bewegung achten, da diese die Darmtätigkeit anregt. Lasst euer Kind viel rennen, klettern, Treppen steigen, radfahren und rollern. Das hilft nicht nur, Verstopfung entgegenzuwirken, sondern ist natürlich allgemein gesund.
     

    Unsere Serie zur kindlichen Kooperation

     
    Dieser Artikel ist Teil unserer Serie zur kindlichen Kooperation. Im ersten Teil dieser Serie haben wir erklärt, warum Kinder nicht kooperieren wollen. Im zweiten Teil gingen wir darauf ein, wie wir unsere Kinder ganz allgemein wieder zum kooperieren bringen können. Ergänzt wurde dieser Text mit Teil 3 der Serie, in der Snowqueen tagebuchartig verbloggte, wie viel sie und ihre Kinder am Morgen kooperieren.
     
    In den weiteren Artikeln haben wir alltägliche Situationen betrachtet, die früher oder später in fast allen Familien zu Konflikten führen:

    "Gelassen durch die Trotzphase" - Annette Kast-Zahn

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    Im August erschien eine Neuauflage des Buches Gelassen durch die Trotzphase von Annette Kast-Zahn. Frau Kast-Zahn erlangte (traurige) Berühmtheit als Autorin des wohl am meisten gehassten Erziehungsratgebers Jedes Kind kann schlafen lernen, in dem geraten wird, dass nicht allein einschlafende oder nicht durchschlafende Kinder durch gezieltes Schreien lassen bis zur Resignation frustriert werden. Ich war außerordentlich neugierig, was Frau Kast-Zahn in Bezug auf die Trotzphase empfiehlt. Der GU-Verlag hat mir freundlicherweise (und wahrscheinlich auch das letzte Mal) ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt, so dass ich meine Neugier befriedigen konnte. Leider war mir eine sachliche Rezension nicht möglich - Euch erwartet vielmehr eine kritische Auseinandersetzung.

    Das Buch


    Das Buch ist unterteilt in Theorie- und Praxisteil. Im Theorieteil geht es zunächst um die Meilensteine der Entwicklung. Es wird kurz darauf eingegangen, dass sich Kinder in der Trotzphase (wie die Autonomiephase durchgehend genannt wird) oft sprachlich nicht ausreichend ausdrücken können und die Wut daher anders ausgedrückt werden muss. Mit der Entdeckung des eigenen "Ich" beginnt zudem eine Phase, in der Kinder immer wieder ausprobieren, welche Folgen ihre Handlungen haben. Erst wenn das Kind in der Lage ist, sich in andere einzufühlen, wird es unerwünschte Handlungen aufgrund von Einsicht unterlassen.

    Unter der Überschrift "Die Kunst, dem Kind zu geben, was es braucht", wird die Wichtigkeit liebevoller Zuwendung als außerordentlich wichtig hervorgehoben. Um die Wichtigkeit zu unterstreichen gibt es den etwas seltsam anmutenden Tipp:
    "Jeden Tag braucht ihr Kind mindestens einmal Ihre ungeteilte positive Aufmerksamkeit".
    Ich weiß nicht, wie es Euch geht - meine Kinder brauchen durchaus eher öfter und nicht nur "einmal am Tag"ungeteilte Aufmerksamkeit - vor allem in der Autonomiephase. Zwar steht da "mindestens einmal" - aber die Formulierung suggeriert dennoch, dass (nur) "einmal" auch völlig in Ordnung wäre.

    Anschließend wird erklärt, dass auch Verlässlichkeit, Schutz, Gelegenheiten zum Lernen und Spielen sowie "starke Eltern" das sind , was sich Kinder wünschen. Und Eltern, die Grenzen setzen, wenn das Kind etwas möchte, das ihm nicht gut tut. Was Kindern "nicht gut tut", wird sogleich näher erläutert: Gefährliches, Unangemessenes und Unsinniges (bspw. so vermessen zu sein, statt des blauen Bechers lieber den roten und danach dann doch den gelben haben zu wollen). Eltern müssten unbedingt Regeln aufstellen und durchsetzen. Um das genauer zu erläutern, beschreibt Frau Kast-Zahn zwei "Trotzkisten" - die "Ich will - aber ich darf nicht"-Kiste und die "Ich muss - aber ich will nicht"-Kiste. Ein etwas schwurbeliges Konzept, das umständlich erklärt, warum Kinder üblicherweise trotzen - wenn sie etwas nicht dürfen oder etwas tun müssen, worauf sie keine Lust haben

    Es gibt aus Sicht der Autorin grundsätzlich nur zwei Möglichkeiten, mit einem Wutanfall umzugehen: den Anfall persönlich zu nehmen, selbst laut zu werden, zu schreien, zu schimpfen und dem Kind Vorwürfe zu machen. Das sei jedoch nicht sinnvoll, (nicht etwa, weil es entwürdigend und respektlos sei, sondern) weil das Kind dabei lerne, dass Schreien und Schimpfen in Ordnung sind.

    Die andere (und damit vermeintlich einzig richtige) Möglichkeit ist, den Anfall nicht persönlich zu nehmen, ruhig und gelassen zu bleiben, aber unbedingt darauf zu bestehen, dass das Kind trotzdem tun muss was es soll oder nicht tun darf, was es will. Das ermögliche dem Kind wichtige Erfahrungen, die für seine Entwicklung hilfreich seien. So lernt es nach und nach, bestimmte Regeln und Pflichten zu akzeptieren. Belohnt man Trotzanfälle nicht mit Aufmerksamkeit, würden sie von allein immer seltener.

    Generationen von Eltern können bestätigen können, dass das Ignorieren von Wutanfällen ganz sicher nicht dazu führt, dass Kinder seltener welche haben - sie werden vielmehr noch lauter und noch wütender - und selbst wenn sie aufhören zu weinen, dann doch nur aus Verzweiflung, weil ihnen ohnehin keiner zuhört oder sich gar vorsätzlich abwendet. Offenbar hat Frau Kast-Zahn ein pädagogisches Patent-Konzept für alle Lebenslagen: Man muss Kinder einfach nur bis zur Resignation ignorieren - dann werden sie ihr Verhalten schon wunschgemäß anpassen.

    Das war es dann auch schon zur Theorie - den Abschluss dieses Buchteils bilden zwei Test, bei denen ich meinen Augen kaum traute. In fünf verschiedenen Bereichen soll man sein Kind einschätzen. Es werden verschiedene Sachverhalte aufgezählt - macht das Kind etwas gar nicht, dann gibt es 0 Punkte, macht es etwas sehr oft, gibt es 3 Punkte. Hier ein Auszug aus den Fragen:

    Mein Kind:
    • wirkt beim Spielen zufrieden und freut sich über Erfolge
    • erzählt bereitwillig von seinen Erlebnissen
    • kann in aller Ruhe stiller Beschäftigung nachgehen
    • nimmt mit Kindern oder außerhalb der Familie Blickkontakt auf
    • kann ein Nein akzeptieren
    • kann warten ohne zu quengeln
    • erledigt Pflichten zügig und ohne zu trödeln
    • folgt bereitwillig den Anweisungen der Eltern
    • schläft ohne Probleme ein
    • bleibt beim Essen sitzen
    • akzeptiert das, was auf den Tisch kommt, ohne zu jammern

    Kind verschränkt trotzig die ArmeDer Fragebogen soll dazu dienen, die positive Entwicklung des Kindes zu zeigen und "Ecken und Kanten im Verhalten" zu bestimmen. Wenn ich den Bogen für meinen dreijährigen Sohn ausfüllen müsste, würde ich wahrscheinlich geschockt sein, welche eklatante Schwächen mein Kind hat. Natürlich meckert er, wenn es abends wieder mal Brot gibt oder er Erbsen auf seinem Teller findet. Warten findet er total blöd, auf meine Frage, wie es in der Kita war, bekomme ich die Standardantwort "Schön!" und bereitwillig, zügig und ohne zu trödeln "folgt" er nur dann, wenn er eigene Interessen verfolgt. Vom allein Einschlafen träume ich seit knapp vier Jahren. Dennoch halte ich mein Kind nach wie vor für vollkommen normal entwickelt und finde es altersgerecht, wenn ein Kind in der Trotzphase eben nicht bereitwillig den Anweisungen der Eltern folgt oder bei seinen Verrichtungen trödelt.

    Die Auswertung des Tests ist dann auch noch vollkommen nichtssagend - wenn das Kind wenige Punkte bei "sozialem Verhalten" hat, soll  man sein Kind bei positivem Verhalten Aufmerksamkeit schenken (warum das nicht sinnvoll ist, darüber habe ich im Artikel über das Loben ausführlich geschrieben). Hat es einen Mangel an Selbstvertrauen, soll man mit dem Kindergarten sprechen (warum, bleibt unklar). Bezüglich Schlafen/Essen/Sauberwerden heißt es lapidar "Erzwingen können Sie hier gar nichts". Ganz genau - warum soll ich also diese "Schwächenanalyse"überhaupt machen? Zurück bleibt allein ein vermeintliches Ideal-Bild vom folgsam angepassten Kind...

    Der zweite Test testet meine Erziehungskompetenz. Vorab erfahre ich: bei den Themengebieten "Konsequent handeln" und "Klartext reden" bekomme ich meine Punkte nur, wenn ich freundlich und sachlich bin und meine Konsequenzen fair und durchdacht sind. Besonders viele Punkte für Erziehungskompetenz bekomme ich, wenn ich mein Kind höchstens drei mal ermahne, bevor ich eine Konsequenz folgen lasse. Oder wenn ich wenig rede, wenn ich eine Grenze setze. Oder wenn ich fest bleibe, wenn mein Kind mit mir Verbote oder Anweisungen diskutieren will. Ich muss auch sofort reagieren, wenn mein Kind sich unangemessen verhält.

    Ich rätsele noch immer etwas, worin der Unterschied zwischen den folgenden Punkten besteht:
    • "Wenn mein Kind sich unangemessen verhält, reagiere ich sofort"
    • "Eine angekündigte Konsequenz setze ich auch in die Tat um" und
    • "Wenn mein Kind meinen Aufforderungen nicht nachkommt, lasse ich Taten folgen" 

    Eins ist für Frau Kast-Zahn jedoch definitiv klar: Wenn ich nicht klare Ansagen mache und sofort und absolut unnachgiebig mit strengen Konsequenzen agiere, versage ich erzieherisch total und muss mich nicht über mein trotzdendes Kleinkind wundern. Aus Sicht der Autorin ist es natürlich unbedingt erforderlich, zu 100 % konsequent zu sein, denn das ist absolut unumgänglich, wenn man eine komplette Resignation sicher stellen möchte. Das Kind muss das Gefühl haben, absolut keine Chance zu haben, also völlig machtlos und ausgeliefert zu sein - dann wird es schon tun, was man von ihm verlangt.

    Mich hat dieser Erziehungsfragebogen sehr wütend gemacht - suggeriert er doch, dass besondere Strenge erforderlich sei, um erziehungskompetent durch die Trotzphase zu kommen. Dabei sind viel mehr Geduld, Empathie und Zuwendung erforderlich, um Kinder liebevoll zu begleiten. Ich habe die Erfahrung gemacht: Geht man auf Kinder liebevoll ein und handelt man Kompromisse aus, dann trotzen sie deutlich weniger, als wenn ich eiskalt konsequent bin und sie ignoriere.

    Der Trotz-Praxis-Teil unterscheidet nachfolgend in Trotz
    • aus Wut und Willensstärke,
    • aus Angst und
    • beim Schlafen, Essen und Sauberwerden.

    Zunächst wird Trotz bei Kindern unter 3 Jahren thematisiert. Frau Kast-Zahn stellt zutreffend fest, dass die Trotzneigung sowohl typabhängig, als auch normal ist. Allerdings seien viele Eltern selbst Schuld an ausgeprägterem Trotzverhalten. Durch "vorbeugende Anpassung" würden sich Eltern dabei nämlich so verhalten, dass sie Dinge vermeiden, die Kinder wütend machen. Dabei würden Kinder jedoch lernen, dass sich die Welt vermeintlich nur um sie drehe und wenn dann mal etwas nicht nach ihrem Willen läuft, würden sie umso schlimmer trotzen. Ebenso schlimm sei es, während eines Trotzanfalls nachzugeben und unsinnige Wünsche zu erfüllen. Denn dadurch würden Kinder lernen, dass sie alles bekämen, was sie wollen.

    Ich kann nicht erkennen, inwiefern es schädlich sein soll, trotzauslösende Reaktionen zu vermeiden. Eine außer Reichweite gestellte Klobürste oder ein "Ja!" zu einem Wunsch, bei dem man die Frage "Warum nicht?" nicht beantworten kann, haben schon manchen Wutausbruch verhindert. Dabei lernen Kinder nicht, dass sich die Welt um sie dreht, sondern dass sie von Erwachsenen umgeben sind, die sie gleichwertig behandeln, ihre Bedürfnisse ernst nehmen und versuchen, Kompromisse einzugehen. Es gibt schließlich noch genügend andere Gelegenheiten, bei denen wir "Nein!" sagen müssen.

    Frau Kast-Zahn empfiehlt jedoch, dass man Trotzanfälle grundsätzlich aushalten muss und keinesfalls dem Willen nachgeben darf. Wichtig sei, den Anfall gelassen hinzunehmen und ihn nicht persönlich zu nehmen (wogegen nichts einzuwenden ist) - falls die Situation zu kippen droht, dann könne man eine Auszeit verordnen. Für Kinder unter drei Jahren wird empfohlen, entweder in eine andere Ecke des Raums zu gehen und das Kind zu ignorieren oder wortlos aus dem Raum zu gehen, bzw. zu sagen "Wenn du dich beruhigt hast, komme ich wieder". Schreit das Kind länger, schlägt sie "bewährte Methoden" vor: man könne alle zwei Minuten zum Kind gehen und fragen: "Kann ich dir helfen? Ist alles in Ordnung?" (Natürlich nicht - sonst würde das Kind doch nicht schreien!) Schreit es dann dennoch ganz unbeeindruckt weiter, geht man eben wieder. Nur, wenn es einem schluchzend die Arme entgegenstreckt, dann bleibt man und tröstet es.

    Für die Auszeit gibt es noch Tipps:
    "Wenn Ihr Kind schreiend hinter Ihnen herläuft oder sich an sie klammert, verwenden Sie möglichst ein Türgitter, um für den Abstand zu sorgen. Als Ausnahme kommt auch der Laufstall oder das Gitterbettchen in Frage. Gehen Sie dann immer wieder in kurzen Abständen zu Ihrem Kind und machen ihm klar dass die Auszeit sofort beendet ist, wenn es aufhört zu schreien: "Wenn du nicht mehr so laut weinst, kannst du wieder zu mir kommen". Wenn Ihr Kind sich beruhigt hat, ist ein kurzes Versöhnungsritual hilfreich: Nehmen Sie es in den Arm und sagen Sie etwas Aufmunterndes: "Jetzt ist alles wieder gut. Da bin ich aber froh" (S. 44).
    Ich weiß nicht, wie es Euch geht - mir brechen diese Worte wirklich das Herz - das ist einfach nur unmenschlich und grausam. Wie kann man ernsthaft vorschlagen, Wutanfälle bloß nicht mit Aufmerksamkeit zu belohnen? Aber es geht noch weiter: wenn das Kind mit dem Kopf auf den Boden schlägt, empfiehlt die Autorin, man solle freundlich und sachlich bleiben und dann eine Auszeit verhängen. Frau Kast-Zahn hat dazu dann gleich noch einen weiteren Tipp: sobald sich ein Wutanfall bei Kopf-auf-den-Boden-hau-Kindern anbahnt, wird ihnen einfach ein Fahrradhelm aufgesetzt! Problem gelöst.

    Und was ist, wenn sich das Kind vor Wut wegschreit (respiratorischer Affektkrampf)? Auch dem solle man bloß nicht allzu viel Aufmerksamkeit schenken - man soll in der Nähe bleiben (immerhin!), das Kind beobachten und nach dem Anfall einfach sachlich-freundlich zur Tagesordnung übergehen. Während des Anfalls kann man sich wiederholt sagen: "Es sieht schlimm aus. Aber es ist nicht schlimm". Und man solle bloß nicht durch "vorbeugendes Anpassen" das Wegschreien verhindern wollen - je mehr Wünsche wir von den Augen ablesen würden, desto mehr ist unser Kind frustriert, wenn wir mal nicht den Wunsch richtig erraten. Denn - ganz wichtig! - das Kind lernt so ja auch nur wieder, dass es durch Affektkrämpfe etwas "Angenehmes" (?!) erreicht und damit steigt dann die Häufigkeit der Wutanfälle. Welch abgrundtief gemeines Bild von Kindern hier gezeichnet wird! Die kleinen, verschlagenen Satansbraten, die uns durch ihre Garstigkeit in den Wahnsinn treiben wollen und nicht mal davor zurück schrecken, einen Affektkrampf willentlich herbeizuführen (was zwar nicht möglich ist - aber egal) - das Kind hat ganz sicher grundsätzlich böse Absichten! Mit unter drei Jahren!

    Bei älteren Kindern wird es dann für uns Eltern deutlich schwieriger, schließlich können Kinder uns nun bewusst ärgern, beleidigen, sich widersetzen, stur stellen, alles verweigern. Da gilt es dann, noch stärkere Geschütze aufzufahren. Zunächst erst mal soll man nicht lange diskutieren oder erklären. Und natürlich wieder: auf keinen Fall nachgeben! Es gilt standhaft zu bleiben! Umso seltsamer mutet dann plötzlich der Tipp mitten im Text an:
    "Damit Ihr Kind Sie und andere mit Respekt behandelt, müssen Sie ihm diese Haltung vorleben. Das bedeutet im Erziehungsalltag konsequent auf den Einsatz von Macht, Willkür und körperlicher Gewalt zu verzichten" (S. 51).
    Ja! Ja! Ja! Ganz genau! Nur warum geht es im restlichen Buch nur darum, wie man die elterliche Macht möglichst effektiv einsetzt. Schon auf der nächsten Seite heißt es bspw.:
    "Je friedfertiger Ihr Kind ist, desto häufiger wird es gute Lösungen finden. Je kampfbereiter es ist, desto häufiger müssen Sie am Ende konsequent handeln. [...] Wenn es friedlich und bereit zur Zusammenarbeit ist, hat es Vorteile. Wenn es lieber weiterkämpft, muss es mit den Konsequenzen leben" (S. 52).
    Kind streckt ärgerlich die Zunge herausMan soll also seine Macht nicht missbrauchen, aber spurt das Kind nicht, dann werden Konsequenzen verhängt. Nur wenn es "friedlich" ist, hat es Vorteile - Zuckerbrot und Peitsche. Findet ein Kind in einem aufgebrachten Wutanfall keine Lösung - Ihr ahnt es - wird eine Auszeit vorgeschlagen. Aber die soll immer freundlich und gelassen verhängt werden - sonst habe das Kind das Gefühl, bestraft zu werden (wie kann man so etwas schreiben und nicht sofort den Widersinn erkennen?)

    Bei der Auszeit gelten dann für die größeren Kinder modifizierte Regeln: sie müssen in einen anderen Raum. Die Tür wird geschlossen und bei Bedarf zugehalten [tatsächlich!]. Eine Minute pro Lebensjahr reicht dabei. Dann macht man ein Friedensangebot. Schreit das Kind danach immer noch, dann wird die Auszeit um ein bis zwei Minuten verlängert und anschließend wieder ein Friedensangebot gemacht [ich würde das jetzt eher Drohung nennen]: "Ist es wieder gut oder muss ich noch mal die Tür zu machen?" Wenn man unterwegs ist, kann man die Auszeit durchführen, indem man z. B. einfach fünf Minuten Zeitung liest und das Kind ignoriert. Aber auch eine Kundentoilette im Kaufhaus kommt dafür in Frage.

    Natürlich werden auch logische Konsequenzen empfohlen (die nichts anderes sind, als Strafen) und Belohnungen vorgeschlagen. Zeigt das Kind das erwünschte Verhalten, kann es Belohnungen verdienen. Sollte das nicht ausreichen, um das Kind trotzfrei zu bekommen, gibt es weitere Tipps: 
    "Schnell reagieren - Bei impulsiven Kindern kommt man ohne Auszeiten nicht klar, ihre heftigen Reaktionen erfordern eine zügige und wirksame Konsequenz" (S. 61).
    Aha, wenn Auszeiten nicht helfen, dann soll man also noch mehr Auszeiten verhängen und noch mehr Konsequenzen. Aber auch Rollenspiele könnten helfen.
    Und welche Tipps hat Frau Kast-Zahn für Kinder, die Hauen und Beißen? Ist das Kind unter drei, dann soll man mal wieder konsequent sein:
    "Bei aller Gelassenheit sollten Sie das unangemessene Verhalten aber sofort beenden, wenn Ihr Kind jemanden schubst, haut, tritt oder beißt. Gehen Sie mit ihm vor die Tür. Setzen Sie eine Auszeit ein."
    Ist das Kind älter als drei Jahre, dann sollte das Verhalten verschwunden sein. Wenn nicht, dann ist ganz klar:
    "Alles, was Sie zum Thema Trotz [...] gelesen haben, gehört auch beim Umgang mit aggressivem Verhalten zum Handwerkszeug. Insbesondere die Auszeit ist ein wichtiges Mittel: Mit ihrer Hilfe können Sie das unerwünschte Verhalten sofort beenden" (S. 70).
    Aber auch Rollenspiele könnten helfen. Und das (natürlich) konsequente Belohnen mit Aufmerksamkeit für friedliches Verhalten. Das Buch bietet in den Umschlagseiten eine Vorlage für einen Belohnungsplan. Viel Loben soll man das Kind natürlich auch unbedingt! Frau Kast-Zahns Tipp für eine effektive positive Wahrnehmung: morgens 10 Büroklammern in die rechte Hosentasche stecken und für jede Aufmerksamkeit für friedliches Verhalten wandert eine Klammer in die andere Tasche. Am Abend sollte die rechte Tasche dann leer sein. 

    Sie hat auch gleich ein paar Formulierungs-Vorschläge für die positive Wahrnehmung:
    "Es macht richtig Spaß, dir beim Legospielen zuzuschauen!"
    "Niemand hat so tolle Ideen wie du!"
    "Dein Gedächtnis ist echt eine Wucht!"
    "Du siehst super aus mit deinem neuen T-Shirt!
    Das kann doch nicht wirklich ihr Ernst sein?

    Ein weiteres Kapitel des Buches beschäftigt sich mit Geschwisterstreitigkeiten. Es gibt ein paar allgemeine Tipps, wie man dem älteren Kind die Entthronung erleichtern kann. Erwartungsgemäß geht es über die üblichen Tipps (wie bereiten Sie das Kind vor, verlangen Sie kein vernünftiges Verhalten, lassen Sie das Kind helfen und nehmen Sie sich Zeit für das Kind) nicht hinaus.

    Die Lösung für Geschwisterstreits wird mit "faire Lösungen finden" präsentiert. An sich keine schlechte Idee - aber die praktische Umsetzung lässt einen doch wieder den Kopf schütteln. Hier ein möglicher Vorschlag für den Streit um einen Hüpfball:
    "Mutter (bezieht Kinder ein): "So ihr beiden, jetzt ist Schluss mit der Streiterei. Das kriegt ihr friedlich hin, da bin ich ganz sicher. Muss ich euch erst mal zum Abkühlen jeden ins ein Zimmer schicken [ah! Allheilmittel Auszeit androhen] - oder überlegen wir sofort, wie es klappen könnte?"
    Luise und Lukas: "Nein! Nicht ins Zimmer! Lieber überlegen!"
    [... Streitgespräch...]
    Mutter (ermuntert die Kinder zu einem Vorschlag): "So kommen wir nicht weiter. Fällt Euch noch etwas Besseres ein?"
    Luise: "Erst bin ich eine Stunde dran, dann Lukas. Du guckst auf die Uhr".
    Mutter (nimmt den Vorschlag auf): "Das ist eine gute Idee. Aber eine Stunde ist zu lang."
    Wenn eine Einigung nicht gelingt, kann die Mutter Lukas und Luise zu einer kurzen Auszeit [natürlich] in zwei verschiedene Zimmer schicken und ihnen dann noch einmal gemeinsam eine Chance geben. Klappt es wieder nicht, wird der Hüpfball für den Rest des Tages aus dem Verkehr gezogen. So einfach ist das. Und so schwer".
    Drohungen, konsequente Strafandrohung und Auszeiten - mehr bietet Frau Kast-Zahn nicht zur Problemlösung.

    Im Kapitel "Trotz aus Angst" geht es um kindliche Ängste - allen voran die Trennungsangst (die übrigens vor allem durch die von der Autorin empfohlene Ferber-Methode verursacht wird). Man muss aber zugestehen, dass dieser Teil des Buches recht gut erklärt, warum Kinder vor allem im Alter zwischen zwei und drei Jahren so anhänglich sind.

    Es werden außerdem die Eingewöhnung in der Kita und Schüchternheit thematisiert, aber Substanzielles, Hilfreiches oder wirklich Konkretes findet sich leider gar nicht. "Kinder brauchen die Nähe der Eltern und die Sicherheit, dass jemand da ist" [übrigens auch bei Auszeiten ;-], "Jedes Kind muss lernen, neue Situationen zu meistern" und wenn das Kind weint, weil es nicht in die Kita will, dann soll man das akzeptieren, annehmen, selbst loslassen und mit der Kita zusammenarbeiten - wie gesagt, wenig Hilfreiches.

    Auch dem Thema Phobien ist ein Unterkapitel gewidmet, das das Thema jedoch allenfalls am Rande streift und darauf verweist, sich bei Erfolglosigkeit aller Bekämpfungsmaßnahmen doch an den Kinderpsychotherapeuten zu wenden oder eine Verhaltenstherapie zu machen.

    Im letzten Teil des Buches hat man ein bisschen das Gefühl, dass noch ein paar Seiten gefüllt werden mussten, denn der Bezug zur Trotzphase ist nicht so richtig nachvollziehbar, auch wenn die Überschrift lautet "Trotz beim Schlafen, Essen und Sauberwerden".

    Im Teil über das Schlafen geht es darum, dass Kinder nicht über ihr persönliches Schlafbedürfnis hinaus schlafen können und feste Zeiten den Schlafrhythmus positiv beeinflussen können. Wenn man dann Tipps wie den folgenden liest, wundert man sich doch etwas:
    "Das Bett ist zum Schlafen da! Achten Sie darauf, dass Ihr Kind nicht länger in seinem Bett liegt, als es tatsächlich schläft. Verbringt ihr Kind abends oder nachts ein bis zwei Stunden wach im Bett, streichen Sie diese von der Bettzeit. [...] So lernt ihr Kind, dass sein Bett zum Schlafen da ist" (S. 106)".
    Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber keins unserer Kinder hat morgens sehr viel länger im Bett gelegen, als es geschlafen hat. Und selbst wenn sie das getan hätten - was genau nutzt es, sie in diesem Fall schnell raus zu holen, damit sie "lernen", dass ein Bett zum Schlafen da ist? Und abends ist für mich nie wirklich kalkulierbar, wie lange das Kind zum Einschlafen braucht - das können 5 Minuten sein oder 50. Ich kann unmöglich hellsehen, dass das Kind erst in einer Stunde schlafen wird und es dann entsprechend später hinlegen.

    Vielleicht bin ich ja mittlerweile betriebsblind, aber Tipps wie "das Kind kann nur schlafen, wie es seinem Schlafbedürfnis entspricht", "je älter das Kind ist, desto weniger Schlaf braucht es" und "je länger der Mittagsschlaf Ihres Kindes dauert, desto weniger schläft es nachts" würden mir persönlich wenig helfen, weil das meines Erachtens jedem völlig klar sein dürfte.

    Es wird pauschal von Einschlafhilfen abgeraten, da diese das Durchschlafen erschweren und das Kind dann möglicherweise ständig ins Elternbett kommen würde. Daher wird empfohlen, das Kind alleine wach zurückzulassen. Sollte das nicht funktionieren und weint das Kind, dann wird die Tür-auf-Tür-zu-Methode empfohlen:
    "Bei dieser Methode lautet die Spielregel: "Bleib in deinem Bett, dann bleibt deine Tür auf. Bleibst du nicht im Bett, mache ich die Tür zu." Nach dem Gutenachtkuss verlassen Sie das Zimmer und lassen die Tür offen. Steht Ihr Kind aus seinem Bett auf und kommt hinter Ihnen her, bringen Sie es zurück. Danach verlassen Sie sofort das Zimmer, machen die Tür zu und bleiben davor stehen. Alle ein bis zwei Minuten öffnen Sie die Tür und gehen wieder nach den Spielregeln vor - bis ihr Kind endgültig in seinem Bett bleibt und die Tür offen bleiben kann" (S. 108).
    Sehr ärgerliches KindDer Teil über Trotz (?) beim Essen, beginnt recht gelungen, da er den Eltern sagt: Entspannt euch und lasst die Kinder machen. Natürlich ohne Tiefe und wieder mit dem, was einigermaßen auf der Hand liegt (wenig Süßes anbieten, ausreichend Bewegung, alles immer wieder anbieten). Zum Thema Tischmanieren heißt es:
    "Nicht nur das Sitzenbleiben am Tisch gehört zum guten Benehmen, auch die Tischmanieren lernt Ihr Kind beim gemeinsamen Essen. Außerdem gelten natürlich die Regeln des freundlichen Umgangs miteinander: Den anderen ausreden lassen, selbst freundlich reden, nicht schreien. Trotz und Wutanfälle während der Mahlzeiten sollten Sie nicht zulassen. Wenn Ihr Kind bei Tisch massiv stört, etwa durch Schreien oder Quengeln, kann auch eine Auszeit angebracht sein" (S. 115).
    Natürlich - eine Auszeit. Andere Tipps bekommt der Leser wieder nicht.

    Zum Schluss kommt noch ein kleiner Abschnitt über Trotz (?) beim Sauberwerden. Einführend wird festgestellt, dass jedes Kind sein eigenes Tempo hat. Daher solle kein Druck ausgeübt werden - so die Aussage, die allerdings sofort mit dem Vorschlag eines Belohnungssystems konterkariert wird. Aber damit nicht genug - es wird für Kinder, die eigentlich sauber sind, aber noch für das große Geschäft eine Windel verlangen tatsächlich auch noch Folgendes empfohlen:
    "Ihr Kind braucht einen Anreiz, damit der Gang auf die Toilette attraktiver wird als die Windel. Dafür muss es für die unangenehmen Folgen der vollen Windel Verantwortung übernehmen. Lassen Sie ihr Kind alles tun, was es allein tun kann: die Windel anziehen, sie in die Toilette ausleeren, die Unterwäsche auswaschen, sich selber sauber machen" (S. 119).

    Meine Meinung zum Buch


    Dieses Buch ist einfach nur furchtbar. Es betrachtet vollkommen normales kindliches Autonomiebestreben als Verhalten, das um jeden Preis bekämpft werden muss. Dazu müssen Eltern klare Regeln aufstellen und mit vehementer Konsequenz auf deren Einhaltung pochen. Niemals darf man nachgeben! Erdreistet sich das Kind, trotzdem wütend zu sein, wird ihm eine Auszeit verordnet - egal wofür, das hilft immer.

    Das Schlimme ist: Das tut es auch! Auszeiten machen Kinder gefügig, weil sie massive Ängste schüren. Kind haben von Natur aus ein starkes Bindungsbedürfnis - daher ist für sie nichts bedrohlicher, als die Verbindung zu ihren Eltern zu verlieren oder um ihre Liebe fürchten zu müssen. Das Erziehen mit Auszeiten macht sich diese grundlegenden Ängste zunutze - Kinder werden zur Kooperation quasi gezwungen. Diese erzwungene Kooperation geht jedoch zu Lasten der Eltern-Kind-Beziehung und vor allem des Selbstwertgefühles. Auszeiten setzen Kinder massiv unter Stress, der sich langfristig auf ihr Befinden und ihr Verhalten auswirkt, so dass sie häufig später nicht als Ursache dafür erkannt werden.

    Für Eltern trotzdender Kinder ist dieses Buch absolut nicht empfehlenswert - die beschriebenen Ansätze und vorgeschlagenen Methoden mögen Kinder vorübergehend gefügiger machen, dies jedoch auf eine Art und Weise, die alles andere als kindgerecht ist.

    In der Autonomiephase benötigen Kinder Eltern, die verstehen, was gerade in ihnen vorgeht und die wissen, was entwicklungsbedingt normal ist. Kinder brauchen Eltern, die zugewandt in Kontakt mit ihrem Kind bleiben - egal, wie wütend alle Beteiligten sind. Es ist so außerordentlich wichtig, liebevoll auf Kinder einzugehen und ihnen Wege zeigen, wie man das vollkommen normale Gefühl der Wut regulieren und in weniger zerstörerische Bahnen leiten kann. Darüber sollte es Bücher geben -  und nicht über Methoden, bei denen die Bedürfnisse von Kindern komplett ignoriert, sie entwürdigt  und dann für jede Kleinigkeit wegsperrt werden! Vielleicht sollten wir einfach mal eins schreiben?

    © Danielle

    Basteln für Unkreative - Unser Test von Bastelsets

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    Unkreativität hat definitiv einen Namen: Danielle. Offenbar scheint sich Bastellegasthenie auch noch zu vererben - meine Kinder leiden in einer etwas schwächeren, aber in meinen Augen durchaus bedrohlicheren Ausprägung: ihnen fehlt dabei etwas ganz Entscheidendes: meine Unlust und das Desinteresse. Das führt leider dazu, dass sie basteln wollen - aber nicht wirklich kreative Ideen dafür haben. Und dann ernsthaft mich (mich!) fragen, ob ich "was Schönes" mit ihnen basteln kann.

    Ich hatte anfangs ernsthaft und ganz blauäugig gedacht, ein Bastelkorb mit allerlei buntem Papier, diversen Klebstoffen (sogar mit Glitzer!), zahllosen Bastelscheren (auch solche, die lustige Wellen schneiden!) und weiterem Kreativitätszubehör (Federn, Pfeifenreiniger, Bambusstäbe!) führt dazu, dass meine Kinder seelig stundenlang an trüben Herbstnachmittagen eifrig ein Kunstwerk nach dem anderen produzieren und ganz ohne meine Mithilfe ihre Kreativität vollkommen frei entfalten. Sowas soll ja angeblich manchmal tatsächlich funktionieren. Die Tochter meiner besten Freundin ist bastelbezüglich höchstbegabt - ganz allein konzipiert sie Korkmännchen oder Schafe und setzt ihre Ideen kreativ in die Tat um:


    Bei meinen Kindern sehen Basteleien so aus:


    Ja auch irgendwie "schön", aber oft sind meine Kinder mit den Ergebnissen nicht ganz so zufrieden. Weil mir Freestyle-Basteling so gar nicht liegt, kann ich ihnen leider nicht helfen, befriedigendere Kunstwerke zu erschaffen.

    Für diesen (wahrscheinlich wieder schrecklich langen und dunklen) Winter habe ich mich auf die Suche nach "Kreativunterstützern" gemacht - offenbar geht es vielen anderen Eltern auch so wie mir, denn der Fachhandel bietet jede Menge Kreativprodukte an. Ich habe mir die neuesten, schönsten, kreativsten und ausgefallensten Bastelunterstützungsprodukte angeschaut  und mit meinen Kindern in den letzten Wochen ausprobiert. Die Sets, die uns am besten gefallen haben,möchte ich Euch im folgenden Artikel vorstellen. Einige der Sets haben uns die Hersteller auf unsere Nachfrage freundlicherweise kostenlos zur Verfügung gestellt - diese sind mit einem Stern gekennzeichnet. 

    Fischer Tip* 

     
    Feucht klebbare Maisstärkedingens kennen wahrscheinlich die meisten von Euch. Die farbigen Stücke aus Stärke kleben aneinander, wenn man sie vorher befeuchtet. Meine Tochter bekam einen Eimer Playmais zum 3. Geburtstag geschenkt - sie klebte ungefähr sieben Stücke zusammen, aß weitere drei und verteilte die übrigen 490 Playmaise im Wohnzimmer. Ich sammelte geduldig alle ein und versteckte den Eimer, in der Hoffnung, dass es ein besseres Alter dafür gäbe und holte ihn zwei Jahre später wieder hervor. Dieses Mal klebte sie hingebungsvoll eine halbe Stunde an einer Figur (während ihr kleiner Bruder genüsslich mindestens 7 Stücke verspeiste) und warf sie dann wütend in die Ecke, weil Vorlage und Endprodukt keinerlei Ähnlichkeit hatten. Während ich sie tröstete, kippte der Bruder den Eimer einmal quer durchs Zimmer, um komfortabel an die offenbar leckersten blauen Stücke heranzukommen. Ich hasse das Zeug - ehrlich! Aber dennoch bin ich vom Konzept der Kartoffel-/Maisstärke-Klebe-Elemente aber dennoch absolut überzeugt.

    Um den Umgang mit dem Zeug in geordnete Bahnen zu lenken, haben wir Fischer Tip ausprobiert. Uns wurde eine Premium Box XL zur Verfügung gestellt, die etwa 1.000 sogenannte Tips aus Kartoffelstärke enthält. Außerdem finden sich darin ein Schwammtuch, um die Maisstärkeelemente zu befeuchten und sieben verschiedene Werkzeuge, um die Tipps zu bearbeiten. Außerdem ganz wichtig für mich: Klare Bastelanleitungen, die Kinder  relativ leicht umsetzen können

    Mit dem enthaltenen Messer können auch Dreijährige gut die Tips schneiden - eine Verletzungsgefahr besteht nicht. Mit dem Bausteinformer lassen sich Ziegel formen, die sich zu imposanten Bauwerken (oder wackeligen Pferdeställen) verkleben lassen. Zwei Mauerschablonen helfen dabei. Dafür ist ein bisschen Feinmotorik erforderlich, aber meine 6-jährige Tochter war ganz fasziniert vom "Mauern". Mit der enthaltenen Reibe kann man Tips effektiv zerbröseln (was die Lieblingsbeschäftigung meines 3-Jährigen war) und dekorativ ergänzen.

    Der Bastelnachmittag mit den Fischer-Tips hat uns großen Spaß gemacht - ich kann es wirklich empfehlen. Was mir besonders gut gefallen hat: auch Kinder verschiedenen Alters kann man damit gleichzeitig beschäftigen. Dabei kann man entweder mit verteilten Aufgaben gemeinsam bauen oder jeder baut an einem Kunstwerk mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad. Wenn die Tips alle sind, kann man sie nachkaufen - 1000 Stück kosten um die 13 EUR. Weil es meiner Tochter so großen Spaß gemacht hat, bekommt sie zu Weihnachten die Fashion-Box, mit der sie Kleider für Papppuppen (fünf P in einem Wort!) zusammenkleben kann.

    Meine ersten Nähprojekte


    Wie wäre es mit etwas Handarbeit? Das Set Meine ersten Nähprodukte enthält Material für 5 verschiedene Nähsets, mit denen Kinder eine kleine Tasche, einen Brustbeutel, einen Bilderrahmen, eine Notizblockhülle und ein Stiftemäppchen nähen können. Die einzelnen Teile sind schon ausgeschnitten und werden mit einer Plastiknadel und einer dicken Schnur miteinander verbunden. Die Kunstwerke können dann mit Glitzersteinen und Schmuckelementen aus Schaumstoff verziert werden. Die Nadel ist natürlich so stumpf, dass dabei nichts passieren kann. 

    Schon 4-Jährige Kinder können mit dem Set ans Nähen herangeführt werden - meine 6-Jährige war mit Feuereifer dabei. Sie konnte nach kurzer Anleitung fast ganz alleine die einzelnen Projekte nähen und war so begeistert, dass ich einen Nähkoffer nachkaufen musste, mit dem sie noch weitere Dinge nähen konnte.

    Mini Pop-Up Buch*


    Sehr witzig fand ich die Idee, ein Mini-Pop-Up-Buch zu gestalten. Das Set enthält ein leeres Buch, verschiedene Pop-Up-Elemente, Aufkleber und ein paar Stifte. Allerdings ist man hier auch als Eltern gefordert: Eine kurze Geschichte will ausgedacht und grafisch umgesetzt sein. Da das Kleben der Pop-Up-Elemente auch nicht ganz so einfach ist, sind Pop-Up-Bücher eher etwas für Kinder ab 7 bis 8 Jahren. Zumindest wenn man sie länger sinnvoll beschäftigen möchte. Zwar fand es auch mein 4-Jähriger  sehr lustig, ein Buch zu erstellen, er war jedoch recht schnell fertig mit Sticker kleben und Undefinierbares malen. Die Sticker sind schwarz-weiß und können ausgemalt werden - sie helfen der Phantasie bei der Entwicklung einer kleinen Geschichte auf jeden Fall auf die Sprünge.

    Wem das Gestalten Spaß macht, der kann auch einumfangreichere Pop-Up-Buch-Set kaufen.

    Glitzer-Schmetterlinge gießen*


    Mit dem SES-Set Glitzerschmetterlinge gießen kann man verschiedene Gips-Figuren gießen und anschließend bemalen und/oder beglitzern. Der Gips ist im Set enthalten und reicht etwa für ganz viele Figuren. Man sollte also nicht sofort die komplette Packung anrühren, sondern nur einen Teil davon. Sollte er zur Neige gehen, kann man auch ganz normalen Gips aus dem Baumarkt holen - er sollte möglichst fein sein und etwas flüssiger angerührt werden, weil die Figuren doch teilweise sehr filigran sind. Das Anrühren und Abfüllen des Gipses ist natürlich eine kleine Schweinerei - aber ähnlich wie beim Backen macht das natürlich einen großen Teil des Reizes für die Kinder aus. 

    Das Aushärten dauert einige Stunden, danach müssen die Figuren aus der Form gelöst werden. Ich empfehle, dass das Herauslösen von den Erwachsenen übernommen wird, weil die Figuren sonst leicht zerbrechen können (was erfahrungsgemäß zu Tränen führen kann). Anschließend kann fröhlich drauf los gemalt und beglitzert werden. Das Set enthält sowohl Farbe, als auch Glitzer. Beides lässt sich mit dem beigefügten Pinsel gut aufbringen, wenn man die Figuren jedoch ähnlich fein strukturiert bemalen will, wie auf der Packung, braucht man einen dünneren Pinsel. Da man das aber in der Regel trotzdem nicht hinbekommt, sollte man die Packung möglichst außer Sichtweise räumen, dass die Kinder nicht davon frustriert sind, dass ihre Ergebnisse nicht den abgebildeten entsprechen. 

    Fazit: Der Sauereifaktor ist recht hoch, zumindest für das Gießen ist die Hilfe von Erwachsenen notwendig. Aber an den Schmetterlingen hatten meine Kinder beide großen Spaß - daher kann ich sie wirklich empfehlen.

    Farben-Schleuder*


    Mit einer Farbenschleuder kann man einzigartige Spritzbilder erzeugen. Dazu legt man ein Stück Papier in die Schleuder und bringt sie durch das Drücken eines Knopfes in Bewegung. Der Schleuder liegt ein Set mit drei flüssigen Farben bei. Diese kann man mit einer ebenfalls enthaltenen Pipette dann auf das Papier tropfen. Es entstehen immer neue Bilder - meinen Kindern hat das außerordentlich viel Spaß gemacht. Dem Set liegt auch eine Anleitung bei, die verschiedene Ideen und Techniken enthält. Nachdem wir alle Farben verbraucht haben, habe ich bei IKEA die MÅLA-Farben gekauft (8 Flaschen für 6,99 EUR) - die haben genauso gut funktioniert, wie die Originalfarbe.

    Der Mechanismus ist manchmal etwas schwergängig oder stockt, so dass es sich empfiehlt, dass einer ausschließlich die Schleuder in Betrieb hält, damit sich der andere auf das Farbentropfen konzentrieren kann. Etwas schade fand ich, dass nur so wenige passende Blätter dabei waren, so dass man recht schnell neue zurecht schneiden muss (was durch die runde Form nicht sooo unaufwändig ist). 

    Vogelhäuschen bauen* 


    Meine Kinder lieben Vögel und verbringen einige Zeit an der Terrassentür, um welche zu beobachten. Besonders im Winter haben sie große Freude daran, die Vögel zu füttern (hier gibt es übrigens wichtige Tipps des Naturschutzbundes zur Fütterung). Dieses Jahr wollten sie ein eigenes Vogelhäuschen basteln und auch dafür gibt es ein Produkt für Doppeltlinkshänder - "Mein erstes Vogelhäuschen" von Kosmos.

    Das Häuschen wird ganz ohne Leim, Nägel und Werkzeuge zusammengebaut, da die Teile ineinander gesteckt werden. Im Set sind 12 Wachsmalstifte enthalten, mit denen das Häuschen angemalt wird. Wie es um die Haltbarkeit bestellt ist, werde ich später berichten - noch hängt das Häuschen noch wenig von der Witterung beeinflusst in unserem Garten.

    Geometrischer Schmuck*


    Großen Spaß hat meiner Tochter das Set Geometrischer Schmuck von Faber Castell gemach. Es enthält verschiedene Schmuckelemente aus Kunststoff (gold und silber metallic, weiß rosa, gelb und blau), farblich unterschiedlicheSchnüre, einige Ketten und Armbänder aus Metall und vier Ohrring-Rohlinge. Außerdem im Set befinden sich Klebstoff und eine Schere. Dank der Bastelanleitung hat man relativ schnell heraus, wie es funktioniert und gerade Kinder, die sehr ordnungsliebend sind und es optisch harmonisch mögen, werden Gefallen an den geometrischen Formen finden. Kinder die es lieber wild und durcheinander mögen, macht dieses Set wahrscheinlich nicht ganz so viel Spaß. 

    Sandbilder


    Auch eine tolle Idee sind Sandbilder - wir haben beim letzten Kindergeburtstag mit Sablimage von SentoSphere tolle Bilder gestaltet. Jedes Set enthält 4 Bilder zu bestimmten Themen wie Fische und Delfine, Pferde, Tiere in Afrika, Tiermandalas, Dinosaurier,Autos oder Prinzessinnen. Die Bilder sind mit ganz vielen kleinen Klebefolien überzogen, die man farbweise abzieht. Die Sets enthalten jeweils 16 Dosen mit farbigem Sand, der dann auf die Klebeflächen gestreut wird. Überschüssiger Sand wird durch Bewegen des Bildes abgeschüttelt und wieder in die Dose gegeben. So entstehen nach und nach bunte Sandbilder. Die Kinder sind total begeistert davon und beschäftigen sich mit einem Bild durchaus auch mal eine Stunde. Die Ergebnisse sehen wirklich nett aus und werden bei uns im Kinderzimmer aufgehangen.

    Origami*


    Ich bin ja ein großer Fan von Japan und sehr fasziniert von Origami. Mit dem Bastelset von Faber Castell wollte ich meinen Kindern die Faltkunst näher bringen. Und sie waren begeistert! Das Set enthält 100 quadratische Blätter in vielen verschiedenen Designs, eine Schere, Kleber, Glitzer, Federn, aufklebbare Augen (für gefaltete Tiere), Strass,  Mizuhiki-Schnüre und eine tolle Anleitung mit ganz vielen Gestaltungsideen, die Schritt für Schritt erklärt werden. Meine Tochter und ich haben wirklich einige Stunden mit den bunten Blättern verbracht - mein kleiner Sohn fand es (noch) sterbenslangweilig.

    Piraten Schiff*


    Meinem Sohn gefiel am besten das Bastelset Pirate Ship von Faber Castell. Zwar erforderte es etwas Übung die Teile zusammen zu bauen, aber nach etwas Übung klappte es schon recht gut. Ein Fünfjähriger käme sicher alleine zurecht. Die Packung enthält einen Schiffsrohling, dem ein Segel angebaut werden muss. Dabei sind vier verschiedene Farben, mit denen das Boot noch bemalt werden kann. Besonders gut an dem Set gefällt mir, dass es komplett plastikfrei ist (bis auf die Farbtöpfe) - das Boot besteht ausschließlich aus Holz, Papier und Schnur.

    Mit einem Preis von nur etwa 6 EUR ist das auch ein etwas ausgefalleneres Geschenk für Kindergeburtstage.

    Seifen gießen*


    Ebenfalls von SES ist das Set Glitzer-Seifen gießen. Super praktisch dabei: Das Bastelendprodukt ist verbrauchbar - ein Vorteil, den Vielbastler-Eltern sicher zu schätzen wissen. Die Packung enthält einen Seifenblock, der in der Mikrowelle erhitzt wird, bis er schmilzt. Das ist relativ geruchsintensiv, weswegen man alternativ eine Erwärmung im Wasserbad erwägen kann. Anschließend wird die Masse mit den beiden beiliegenden Farben (rosa und hellblau) mithilfe einer Pipette gefärbt und Glitzer dazu gegeben. 

    Mit der beiligenden Seifenmasse kann die beiliegende Form etwa ein- bis zweimal befüllt werden. Sie enthält insgesamt neun verschiedene Motive. Das Abfüllen in die Formen können Grundschulkinder schon gut selbst schaffen - meinem kleineren Sohn habe ich dabei geholfen. Zwar ist die Form mehrfach verwendbar, aber die Qualität leidet mit jeder Verwendung, da man die Stücken herausdrückt. Mit etwas Duftöl kann man der Seife auch noch einen Geruch verleihen - (wenn man es nicht ganz so glitzerig mag, kann man auch gleich zum Set Duftseifen gießen greifen).

    Fazit: Das Set macht Spaß und ist auch als kleinere Aktivität für Kindergeburtstage geeignet - viel länger als 20 Minuten kann man sich damit jedoch nicht wirklich beschäftigen. Wir haben dadurch aber tatsächlich Lust aufs Seife machen bekommen und die Kinder gießen jetzt schon eifrig, um zu Weihnachten die Verwandten zu beglücken. Wir sind aber auf Pralinenformen, ganz normale Drogerie-Seife, Bastelglitter und Lebensmittelfarbe umgestiegen - das ist langfristig deutlich effizienter. 

    Bunte Silikonarmbänder*


    Kennt ihr diese Armbänder, die man sie gegen das Handgelenk schlägt und die sich dann automatisch zusammenrollen? Auch solche kann man mit einem Set von Faber Castell selbst gestalten. Die Packung enthält fünf farblich unterschiedliche Silikon-Rohlinge, die nach Herzenslust individuell gestaltet werden können. Dazu kann man etwas schmalere und etwas breitere Gummis verwenden. Außerdem enthält das Set zehn kleine Anhänger aus Metall, die ebenfalls angebracht werden können. 

    Ich persönlich fand die Idee irgenwie nicht so richtig überzeugend, aber wie das immer so ist: Meine Tochter fand das Set großartig. Sie wünscht sich nun, dass ich noch ein Set für ihren siebenten Geburtstag kaufe, damit sie mit ihren Freundinnen dann Schnapparmbänder basteln kann. 

    Dieser Artikel wird immer mal wieder aktualisiert, wenn wir ein neues Produkt entdecken, das uns gut gefallen hat, werden wir dieses ergänzen. 

    © Danielle
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