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Verwöhnen - warum man Babys im ersten Lebensjahr nicht verwöhnen kann

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Babys verwöhnen? Unmöglich! Aber irgendwann können Bedürfnisse auch mal warten?

 
Du verwöhnst Dein Kind ja total!" Ja, klar, dafür habe ich es doch schließlich bekommen! Wie oft ich diesen Satz in den ersten Lebensjahren meiner Kinder gehört habe... Damit war in der Regel gemeint, dass ich sie viel bei mir trug, mit ihnen in einem Bett schlief, bei jedem Mucks sofort reagierte und sie nie alleine schreien ließ.
 
Mittlerweile höre ich den Satz kaum noch - weniger deswegen, weil ich meine Kinder nicht mehr "verwöhne" - viel mehr, weil die gerne mit der Feststellung verbundene nebulöse Prophezeiung "Du wirst schon sehen, was du davon hast!" immer weniger eindrucksvoll geworden ist. Denn das, was man nunmehr sieht, sind vergleichsweise zufriedene und glückliche Kinder. Das früher getadelte "Verwöhnen" hat also offenbar keinen Schaden angerichtet und führt auch im Moment nicht dazu, dass meine Kinder mich "im Griff" haben.
 
 

Was genau ist eigentlich dieses "Verwöhnen"?

 
Das Wort wird mit verschiedener Bedeutung verwendet. Vermeintlich verwöhnen kann man Kinder auf mehrere Arten:
 

Materielle Verwöhnung

 
Zuerst denkt man in dem Zusammenhang an das Überschütten mit Geld und Geschenken. Dass das für ein Kind nicht förderlich ist, sollte jedem klar sein. Kinder, die alles, was sie sich wünschen, sofort bekommen, werden sehr schwer Lernen, ihre Bedürfnisse aufzuschieben oder den Wert der Dinge einzuordnen.
 
Viele Erwachsenen träumen von einem Leben ohne Geldsorgen. Ein Lottogewinn würde die meisten von uns vermeintlich glücklich machen - einfach so leben, wie man es sich wünscht, alles kaufen, was man sich erträumt hat... Doch was wäre, wenn wir das tatsächlich könnten? Irgendwann wären einfach alle Wünsche erfüllt - und dann? Wonach strebt man dann? Welche Wünsche, welche Träume hat man, wenn man sich alle materiellen Wünsche ohne weiteres erfüllen kann? Für mich ist das jedenfalls nicht erstrebenswert.

Daher sollte man den Spielwarenbestand des Kinderzimmers immer mal wieder auf Sinnhaftigkeit in Bezug auf Qualität und Quantität überprüfen. Ein Zuviel an letzterem schränkt die Phantasie unserer Kinder ein. Über diese Art des Verwöhnen beschweren sich allerdings die wenigsten Omas - viele praktizieren das selbst sehr gerne.
 

Das Verhätscheln - Helicopter Parenting

 
Eine weitere Form des Verwöhnens ist das Verhätscheln. Das wird gerne von sogenannten Helikoptereltern praktiziert - das Kind wird kaum aus den Augen gelassen und pausenlos gefördert und gefordert. Bemuttert und betüddelt. Das Kind soll unbedingt vor allem Unheil bewahrt werden. Um Frustration oder Schmerzen zu vermeiden, wird das Kind aufmerksam begleitet und ständig in Watte gepackt. Es wird bei jeder noch so kleinen Handlung unterstützt und regulierend eingegriffen. Geht es dem Kind nicht gut, wird ein riesiges Brimborium veranstaltet. Konflikte werden nicht ausgetragen.

Dass ein Kind dadurch weder ein normales Selbstbild noch ein gesundes Selbstvertrauen entwickeln kann, ist offensichtlich.
 

Das Verwöhnen von Babys

 
In diesem Artikel soll es um das Verwöhnen von Babys gehen. Ist im ersten Lebensjahr von Kindern vom "Verwöhnen" die Rede, ist üblicherweise gemeint, dass vermeintlich zu schnell auf die Bedürfnisse des Baby eingegangen wird - sie werden getragen, nach Bedarf gestillt und familiengebettet. Die Vertreter der Verwöhntheorie meinen, dass dies zu einer Entwicklungsverzögerung und einer ausgeprägten Unselbständigkeit der Kinder führt.

Gerne angeführt wird auch der Gedanke, dass das Kind die Eltern manipuliere und ganz schön "im Griff" habe - dem müsse unbedingt entgegen gewirkt werden. Prognostiziert wird, dass das Kind ja nie laufen lernt, wenn es ständig getragen wird, dass es niemals alleine in einem Bett schlafen wird und die Eltern irgendwann terrorisieren wird, wenn man nicht umgehend Einhalt gebietet und aufhört, ständig sofort zu reagieren.

 

Warum unsere Eltern und Großeltern diese Angst vor dem Verwöhnen haben

 
Wie unsere Eltern zu ihren Erziehungsansichten kommen, hat Snowqueen in der Artikelreihe Die Erziehung unserer Großeltern und Eltern ausführlich beschrieben. Ich fasse es hier noch mal ganz kurz zusammen:

Unsere Großeltern wurden in einer Zeit Eltern, in der die oberste Priorität darin bestand, dem Führer gesunde, starke Söhne zu schenken. Die Erziehungsideale des Dritten Reiches waren, das Kind früh abzuhärten und Gehorsamkeit. Gefühle galten als Verzärtelung, deutsche Jungen und Mädchen weinten nicht, sie fürchteten sich nicht, sondern zeigten Mut, Stärke und Unerschrockenheit, bis hin zur Selbstaufgabe für das Volk. Um das zu erreichen, musste die Erziehung des Kindes unmittelbar nach der Geburt beginnen.
 
Das damalige Standardwerk über die Erziehung von Kindern war "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind" von Johanna Haarer. Dieses Buch war - in teilweise nur leicht geänderter Fassung - bis weit in die 80er Jahre (!) zu erwerben und übte damit jahrzehntelang Einfluss auf Ärzte und Eltern aus. In diesem Buch wurde ursprünglich u. a. empfohlen:
 
  • das Kind in den ersten 24 Stunden nach der Geburt möglichst allein in einen Raum zu legen,
  • das Kind beim Weinen nicht aus dem Bett zu nehmen, es zu tragen oder zu wiegen oder zu trösten, da es sonst zum Haustyrann wird und immer wieder schreit um getragen zu werden,
  • stattdessen soll es beim Weinen allein in einen stillen Raum geschoben und erst zur nächsten (planmäßigen Mahlzeit) wieder geholt werden und
  • das Kind in der Nacht schreien zu lassen, damit es durchschläft.

Haarer schreibt tatsächlich Dinge wie
"[....] dann, liebe Mutter, werde hart! Fange nur ja nicht an, das Kind aus dem Bett herauszuheben, es zu tragen, zu wiegen, zu fahren oder es auf dem Schoß zu halten, es gar zu stillen. Das Kind begreift unglaublich rasch, daß es nur zu schreien braucht, um eine mitleidige Seele herbeizurufen und Gegenstand solcher Fürsorge zu werden. Nach kurzer Zeit fordert es diese Beschäftigung mit ihm als ein Recht, gibt keine Ruhe mehr, bis es wieder getragen, gewiegt und gefahren wird - und der kleine aber unerbittliche Haustyrann ist fertig." (Haarer, 1939: 170). 
"Bei großen kräftigen Kindern sei der Mutter abermals der Rat gegeben: Schreien lassen! Jeder Säugling soll von Anfang an nachts allein sein. Nun macht ja Kindergeschrei vor Türen und Mauern nicht halt. Die Eltern müssen dann eben alle Willenskraft zusammennehmen und, nachdem das Kind gut versorgt wurde, sich die Nacht über nicht sehen lassen. Nach wenigen Nächten, vielfach schon der ersten, hat das Kind begriffen, daß ihm sein Schreien nichts nützt, und ist still" (vgl. Haarer, 1939: 171). 
Unsere Großeltern und Eltern wollten eigentlich nur das Beste für ihre Kinder und haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Sie wollten (wie wir auch) alles richtig machen im Umgang mit ihrem Baby und haben sich auf die verlassen, die es vermeintlich besser wissen: Kinderärzte, Hebammen, Erziehungsratgeber. Aus heutiges Sicht waren die Empfehlungen nicht kindgerecht - im Vordergrund stand, dass das Kind funktionieren sollte - liebevolle Zuwendung war nicht vorgesehen. Und wenn, dann nur zu manipulativen Zwecken.

Fast alle haben damals geglaubt, ihre Kinder so fit für das Leben machen zu können. Unsere Eltern hatten nicht - wie wir - die Möglichkeit sich umfassend zu belesen, sie haben ihren Ärzten/Ratgebern vertraut und die Empfehlungen umgesetzt - einfach auch, weil es schließlich fast alle getan haben.

Und die Gedanken und Ansätze der damaligen Zeit wirken noch immer fast komplett kollektiv nach. Eine ganze Elterngeneration möchte heute nur ihr Wissen weiter geben, ohne dass ihnen bewusst ist, dass dieses extrem veraltet ist. Sie meinen es wirklich gut, sie haben es nicht besser gewusst - aber heute können sie es besser wissen. Und wir können es ihnen sagen und zeigen. Das Problem ist, dass wir damit indirekt auch immer Kritik an der Erziehung unserer Eltern üben - das macht das Thema so schwierig. Aber ich  möchte jeden Ermutigen, einen Versuch zu unternehmen.
 

So viel Theater - ihr habt unsere Erziehung ja auch überlebt

 
Wenn wir uns mit den vorherigen Generationen auseinander setzen, kommt häufig das Argument, dass wir uns nicht so anstellen sollen, schließlich hätten wir als Kinder es auch überlebt. Und die Wissenschaft empfehle ja sowieso alle Nase lang was Neues. In zehn Jahren würde es sicher auch wieder heißen, dass all das, was wir heute für richtig halten genauso falsch ist, wie viele Dinge von damals.
 
Das ist nicht sehr weit gedacht - ja, wir haben "trotzdem überlebt" - tatsächlich sogar die meisten von uns. Im Jahr 1980 starben 2014 Kinder zwischen einem und fünf Jahren - davon allein 729 durch Vergiftungen und Unfälle. Im Jahr 2012 waren es "nur noch" 424 Kinder (davon 87 durch Vergiftungen und Unfälle). In 22 Jahren ist die Todesrate also fast um 80 - 88 % gesunken - heutzutage "überleben" also deutlich mehr Kinder, einfach weil man sich ein paar mehr Gedanken macht.

Todesfälle im Alter von einem bis fünf Jahren
 

Die Wissenschaft wird in Zukunft sicher feststellen, dass Vieles, das heute empfohlen wird, Unsinn ist

 
Die Wissenschaft - ja, die sammelt neue Erkenntnisse und untersucht Dinge ganz genau. Vieles, das man damals empfohlen hat (Schreien lassen, Füttern nach Plan) basierte in der Regel nicht auf wissenschaftlichen Untersuchungen, sondern reinen Mutmaßungen. Im Vordergrund stand zudem in der Regel das elterliche Ziel, nicht das Kindswohl.

Man ging früher bspw. davon aus, dass die Muttermilch nicht genug Vitamine enthalte. Also sollte ab der 6. Lebenswoche Möhrensaft in die Flasche gegeben werden, um diesen vermeintlichen Mangel auszugleichen. Beikost wurde deshalb auch schon mit Beginn des 3. Lebensmonates (also mit etwa 9 Wochen) empfohlen. Intensive Forschungen haben im Laufe der Zeit jedoch ergeben, dass Muttermilch alle notwendigen Vitamine enthält. Die Empfehlungen wurden also geändert  - jahrelang hieß es nun, Babys sollten idealerweise 6 Monate lang voll gestillt werden.

Diese Empfehlung ist erst vor relativ kurzer Zeit angepasst worden - heute empfiehlt man, Kinder 4 bis 6 Monate voll zu stillen. Wenn man die Hintergründe dafür näher beleuchtet, wird man feststellen, dass man gar nicht festgestellt hat, dass ein früherer Beikoststart nun doch besser ist. Vielmehr war es ein Problem, dass sich kaum einer an die Empfehlung hielt, Babys ein halbes Jahr zu stillen - nur etwa 22,4 % der Babys bekamen mit sechs Monaten noch ausschließlich Muttermilch. Stillen ist jedoch vermeintlich die beste Allergieprävention - daher hat man den Beikoststart einfach vorgezogen, damit dabei möglichst noch gestillt wird - nicht etwa, weil das besser für die Kinder ist.

Neuere Untersuchungen zeigen nun wieder, dass Stillen vielleicht doch nicht - wie lange vermutet - vor einer Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) schützt. Es kann also gut sein, dass irgendwann die Empfehlung doch wieder lautet: sechs Monate voll stillen. Man könnte meinen, dass sich wirklich "alle Nase lang" etwas ändert. Das verwirrt und führt dann zu solch irrigen Annahmen, dass in der Zukunft alle heutigen Empfehlungen eh wieder widerrufen werden und man sie daher getrost nicht ernst nehmen müsse.

Dabei ist das einfach nur ein sehr dynamischer Prozess - der einer steten Weiterentwicklung unterliegt. Es wird geforscht und untersucht und entsprechend die Empfehlungen angepasst. Dabei darf man jedoch nicht vergessen: hinter uns liegen jahrzehntelange intensive Forschungen, im Rahmen derer man sich immer mehr dem Idealannähert, dabei aber auch mal den einen oder anderen kleinen Irrweg parat halten.

Extreme Änderungen der Empfehlungen sind zukünftig  jedoch sehr unwahrscheinlich - kein Wissenschaftler wird plötzlich feststellen, dass Möhrensaft nun doch ab der 6. Woche gegeben werden sollte oder Schreien lassen doch die Lungen stärkt. Daher ist es schlicht Unsinn zu sagen: "Die Empfehlungen ändern sich doch eh alle Nase lang" - nein, sie entwickeln sich weiter und werden manchmal auch einfach den Realitäten angepasst.

Man kann also getrost davon ausgehen, dass das, was heutzutage empfohlen wird, sehr sinnvoll und wissenschaftlich fundiert ist. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass gut untersuchte Tatsachen, die von dutzenden Studien belegt sind, plötzlich als vollkommen falsch gelten werden.

 

Warum wir Angst vor dem Verwöhnen haben


Im Grunde ist unsere Angst vor dem Verwöhnen recht simpel erklärbar. Wir alle kennen Kinder, die sich schlecht benehmen. Die nicht darauf hören, was ihre Eltern sagen, die tun, was sie wollen, die andere Kinder ärgern und ihnen weh tun - also im Grunde als "ungezogen" gelten. Diese Kinder erscheinen zu wenig oder auf keine geeignete Art "erzogen", die Eltern haben augenscheinlich irgendwie versagt. Häufig wirken die Eltern solcher Kinder auch desinteressiert - sie lassen die Kinder gewähren, ohne groß einzugreifen - zumindest ohne wirklich durchzugreifen. Das wollen wir natürlich auf keinen Fall für unsere Kinder! Also haben wir das Gefühl, dem aktiv entgegen wirken zu müssen.

Wir denken daher: so machen wir das nicht. Wir erziehen unser Kind motiviert und engagiert und wirken etwaigem Fehlverhalten konsequent entgegen. Wenn schlechtes Benehmen im Keim erstickt wird, dann kann es soweit doch eigentlich nicht kommen. Also beobachten und werten wir alles, was das Kind tut und greifen sofort und beherzt ein, wenn etwas in die vermeintlich falsche Richtung läuft. Das kann jedoch auch schnell den gegenteiligen Effekt bewirken - denn zu viel Steuerung ist genauso schädlich, wie gar keine.
 
Nur ein kleiner Teil der Kinder ist nämlich wirklich zu wenig erzogen - denn die allermeisten Eltern praktizieren keine Laissez-faire-Erziehung, bei der die Kinder tun können, was sie wollen. Es kommen zwar leider immer wieder Fälle von Vernachlässigung vor, aber bei diesen ist uns klar, warum sich die Kinder so benehmen. Wir sehen vielmehr Kinder aus eigentlich "gutem Hause", die ihren Eltern auf der Nase rum tanzen und grübeln, warum die so wurden, obwohl die Eltern eigentlich bemüht scheinen oder zumindest anfangs schienen.

Wenn Kinder sich schlecht benehmen, verwechseln wir oft Ursache und Wirkung. Tatsächlich sind die "ungezogenen" Kinder meist gar nicht so geworden, weil die Eltern sie gewähren ließen - das Desinteresse ist vielmehr ein Ausdruck der Resignation der Eltern. Diese Kinder lassen sich einfach nichts sagen - das wissen die Eltern ganz genau, daher haben sie einfach aufgegeben. Weil solche Kinder alle Grenzen missachten, gehen wir pauschal davon aus, dass ihnen zu wenige gesetzt wurden. Dabei waren es ganz oft auch einfach viel zu viele. 

Ich möchte das Thema "Grenzen" an dieser Stelle nicht vertiefen (der Artikel wird vermutlich ohnehin wieder recht ausführlich) und dazu in nächster Zeit einen gesonderten Artikel schreiben - nur so viel: Kinder, die gesehen werden, die liebevolle Aufmerksamkeit bekommen und die sich selbst verwirklichen können, in denen ihnen möglichst überlegt dosiert Grenzen gesetzt werden, neigen viel mehr zu einer hohen freiwilligen Kooperationsbereitschaft, als Kinder, die ständig an Grenzen stoßen.

Das lässt sich auch recht gut erklären: Mit Strafen und Konsequenzen schafft man es nur sehr begrenzte Zeit, Kinder zum Kooperieren zu zwingen - irgendwann verlieren diese Strafen nämlich ihren Schrecken. Neulich meinte eine Bekannte: "Ich bin gespannt, was passiert, wenn meine Kinder herausbekommen, dass überhaupt nichts passiert, wenn ich bis 3 gezählt habe". Da bin ich auch gespannt - wobei, ich kann es mir recht gut vorstellen ;-).

Ich hatte ja im Artikel Logische Konsequenzen - Wie wir unsere Kinder erziehen, ohne sie hilflos mit "wenn Du (nicht) dann" zu erpressen und zu strafen ausführlich darüber geschrieben, dass eine Vielzahl an Strafen und Konsequenzen dazu führt, dass sich unsere Kinder machtlos, erpresst und hilflos fühlen. Jeder einzelne Moment, in dem wir die elterliche Macht ausüben, führt zu einer Frustration. Zwar ist das nunmal beim einfach auf die Straße laufen zwingend erforderlich, beim Süßigkeitenverbot jedoch nicht. Unsere Gesellschaft neigt jedoch dazu, Konsequenzen recht unkritisch und sehr großzügig zu verteilen.
 
Jedes "wenn Du (nicht), dann ..." erhöht jedoch die Frustration beim Kind, weil es zu einem Verhalten gezwungen wird. Hat es nicht die Möglichkeit, diese Frustration im Familienleben dadurch zu kompensieren, dass es auch viel selbst entscheiden darf, führt das über kurz oder lang zu einer gewissen Grundärgerlichkeit. Wenn das Kind dann noch zusätzlich das Gefühl hat, zu wenig Aufmerksamkeit zu bekommen, wird es in seiner Ärgerlichkeit versuchen, diese Aufmerksamkeit verstärkt einzufordern. Gelingt das nicht durch positives Verhalten, wird es sich schlecht benehmen, schließlich ist negative Aufmerksamkeit besser, als gar keine.

Wie reagieren wir Eltern auf so ein schlechtes Benehmen? In der Regel nicht, in dem wir verständnisvoll realisieren, dass unser Kind offenbar ein Aufmerksamkeits-Defizit hat. Stattdessen sind wir gestresst. Uns ärgert das, uns ängstigt es - und wir wollen dem auch gleich erzieherisch entgegen wirken. Schließlich wollten wir doch genau kein schlechtes Benehmen, weswegen wir immer konsequent eingreifen! Und jetzt funktioniert das gar nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben? Also werden wir laut, meckern und verhängen weitere und strengere Konsequenzen: "Wenn du jetzt nicht ordentlich isst, gibt es heute kein Fernsehen!" Das führt natürlich dazu, dass sich das Kind weder angenommen noch geliebt fühlt (was die Situation durchaus entschärfen würde), sondern noch mehr gegängelt. Das macht es wütend - es benimmt sich noch schlechter. Und wir werden noch ärgerlicher... Wir befinden uns in einer Spirale aus Ärger.
 
 
 
Solche Situationen eskalieren dann irgendwann - es gibt Geschrei, Wut und einer oder alle weinen und sind letztendlich frustriert. Leider führen solche Momente mehr und mehr in einen Teufelskreis aus schlechten Gefühlen, Resignation und dem Gefühl unverstanden zu sein (auf allen Seiten). Kommt man aus dieser Spirale nicht mehr heraus, dann entwickeln sich eben diese Kinder, die ständig provozieren und scheinbar machen, was sie wollen. 

Dabei suchen sie nichts anderes, als liebevolle Zuwendung, Aufmerksamkeit und Anerkennung. Bleiben diese auf Dauer aus, resignieren diese Kinder und ergeben sich in ihre Rolle als Unruhestifter. Häufig sind es also auch Kinder, die tatsächlich stark reglementiert wurden und denen feste Grenzen gesetzt wurden, die sich auffällig benehmen.

Manche auffällig schlecht, manche aber auch auffällig gut - denn einige reagieren eher durch starke Angepasstheit. Wenn die Eltern Freunde von Verstärkersystemen sind (Belohnungssysteme, Punkte kleben, etc.), dann bekommen sie schließlich für gutes Benehmen Aufmerksamkeit und decken quasi so ihren Bedarf. Man könnte meinen: Ja super - Zweck erfüllt, alle glücklich. Tatsächlich jedoch sind solche Kinder damit nicht glücklich. Sie benehmen sich zwar gut - aber die ständige Frustration durch Machtlosigkeit summiert sich auch bei ihnen - und bricht in der Regel dann auch irgendwann durch. Sei es in der Vorschulpubertät oder der richtigen Pubertät - irgendwann beeindrucken auch diese Kinder Strafen einfach nicht mehr, so dass den Eltern dann die Konsequenzen ausgehen. So wird der Konflikt hier zeitlich nach hinten verlagert.
 
Um zum Ausgangspunkt zurück zu kommen: Nach allem, was ich bisher dazu gelesen und erlebt habe, bin ich der festen Überzeugung, dass Kinder ganz sicher keine unerfreuliche Entwicklung nehmen werden, wenn sie "verwöhnt" werden, also liebevoll angenommen und gehört werden, wenn ihre Bedürfnisse erfüllt werden und sie sich am Familienleben aktiv durch Entscheidungen beteiligen dürfen. Daher besteht nicht die geringste Notwendigkeit, schon einem Baby Verhaltensweisen an- oder abzugewöhnen. Gibt man Kindern genug Raum und Liebe für die Entwicklung, werden sie sicher nicht verzogen.

 

Wie die Wissenschaft uns Angst vor dem Verwöhnen macht(e)


Die Angst vor dem Verwöhnen ist eng verknüpft mit den schon zu Anfang des letzten Jahrhunderts aufgekommenen Theorien des Behaviorismus. Dabei handelt es sich um eine wissenschaftstheoretisches Konzept, bei dem versucht wird, das Verhalten von Menschen  mit rein naturwissenschaftlichen Methoden zu untersuchen und zu erklären - ohne die Heranziehung innerpsychischer Zusammenhänge.

Einer der bekanntesten Vertreter des Behaviorismus war Burrhus Frederic Skinner - er entwickelte die Experimente mit der nach ihm benannten Skinnerbox. Dort konnte nachgewiesen, dass Tiere durch Belohnung mit Futter sehr schnell lernten, einfache Zusammenhänge zu begreifen. Drückten sie auf einen Hebel, fiel Futter in einen Schacht. Von den Behavioristen wird daher angenommen, dass das Verhalten eines Tieres vollumfänglich durch Belohnung für erwünschtes Verhalten und - wenn auch nicht ganz so verlässlich - durch Bestrafung unerwünschten Verhaltens beeinflussbar ist.

Dieses extrem einfache Denkmodell wurde einfach 1:1 auf Kinder angewandt. Wenn ein Baby schreit und ich es hoch nehme, lernt es, dass es immer hochgehoben wird, wenn es schreit. Also wird es künftig immer schreien, um seine Bedürfnisse durchzusetzen - es beginnt vermeintlich zu manipulieren. Also - so die Argumentation der Erziehungsratgeber - soll man das Kind eben nicht immer gleich hoch heben. So begreift es: Schreien ist kein geeignetes Mittel, die Erfüllung meiner Wünsche durchzusetzen.
 
Diese Annahme erscheint zwar oberflächlich logisch, hat sich aber als falsch erwiesen - tatsächlich schreien Babys weniger, wenn man umgehend auf ihre Bedürfnisse reagiert und mehr, wenn man sie schreien lässt. Ich möchte im folgenden kurz auf die Dinge eingehen, die häufig Thema sind, wenn es um die Warnung vor dem Verwöhnen geht.
 
 

Verwöhnen durch nicht Schreien lassen?


Der Warnung vor den Schreien lassen liegt die falsche Annahme zu Grunde, dass das Kind uns manipulieren will und unser Nachgeben dazu führt, dass es sich über kurz oder lang zu einem Tyrannen entwickelt. Dabei entwickelt sich das Bewusstsein, mit eigenen Handlungen etwas bewegen zu können, erst im Laufe des ersten Lebensjahrs. Um uns zu gezielt zu manipulieren, müssten Kinder über Empathie verfügen, also wissen, was ihr Handeln konkret in uns auslöst. Diese entwickelt sich erst mit etwa drei bis fünf Jahren.

Davon unabhängig bemerkt ein Baby jedoch recht früh: Wenn ich ein bestimmtes Verhalten zeige, dann wird mein Bedürfnis erfüllt. Also wird es dieses effektive Mittel auch anwenden, denn ist es über alle Maßen schutz- und hilflos. Es benötigt Personen, die es füttern, kleiden, lieben, wärmen, also alle seine Grundbedürfnisse erfüllen. Um dies verlässlich einfordern zu können, hat das Kind nur eine einzige, aber mächtige Möglichkeit: sein Schreien. Denn auf ein schreiendes Baby reagiert jeder Mensch - das liegt in unseren Genen.
 
Zu Schreien bedeutet für das Baby einen unglaublichen Kraft- und Energieaufwand - daher versucht es zunächst, durch vielfältige andere Signale darauf aufmerksam zu machen, dass es ein Bedürfnis hat. Werden all diese Signale missachtet, muss der Forderung nach Erfüllung des Bedürfnisses Nachdruck verliehen werden, es wird - in der Regel sofort in beeindruckender Lautstärke - geschrieen. Ein Baby schreit erst dann, wenn es in höchster Not ist - wenn es sein Leben durch Hunger oder Alleinsein bedroht sieht. Daher wird es auch nicht eher damit aufhören, bis entweder das Bedürfnis befriedigt wird oder es vollkommen erschöpft ist.

Der Körper ist mit einem Schutzmechanismus, dem Totstellreflex, ausgestattet, dieser lässt ein Baby, auf dessen Schreien nicht reagiert wird, in eine Starre/in den Schlaf verfallen - leise in der Ecke liegend war ein Baby im Verlauf der Menschheit sicherer, als laut nach Menschen schreiend, die nicht reagieren. Schreien ist also das letzte Mittel der Wahl um sich verständlich zu machen - so dass man davon ausgehen kann, dass sich ein schreiender Säugling in höchsten Nöten befindet und gerade massivstem Stress ausgesetzt ist.

Kurzes Schreien oder Warten lassen führen also nicht zu einer Verminderung des Schreiens, sondern verstärken es. Das wiederum macht die Eltern wütend, weil sie sich in ihrer Befürchtung bestätigt sehen - das Kind manipuliert sie und versucht nur zu erreichen, dass man es wieder umgehend hoch nimmt. Verärgert beschließen sie vielleicht: Jetzt erst recht - und lassen das Kind wieder schreien oder warten. So entstehen zarte Risse im Bindungsgefüge und im Vertrauen des Babys. Nicht selten entwickelt sich aus diesem Verhalten ein Schreibaby.

Untersuchungen haben jedoch ergeben, dass Kinder weniger schreien und weniger klammern, je verlässlicher und schneller auf ihre Bedürfnisse eingegangen wird. Sofortige Reaktion bewirkt also das Gegenteil des Befürchteten - die Kinder sind tatsächlich zufriedener. Das belegt bspw. eine Untersuchung von Bell & Ainsworth. In dieser Studie wurde das Schreiverhalten von Babys im Alter von drei und nach sieben Monaten in Abhängigkeit der Reaktionen der Mutter auf das Schreien untersucht. Die Babys der Mütter, die sofort und feinfühlig reagierten weinten später deutlich weniger, als die Babys der Mütter, die zögerlich reagierten

Wird ein Kind schreien gelassen und man kümmert sich nicht darum, "lernt" das Kind nicht weniger zu schreien - es wird viel mehr unzufriedener, weil es sich nicht mehr verlässlich umsorgt fühlt. Für ein Baby ist es für das Überleben unerlässlich, eine feste Bindung zur Bezugsperson herzustellen - je stärker die Bindung, desto intensiver kümmert sich die Mutter und desto weniger Gefahr besteht für das Kind. Das prompte Reagieren führt daher nicht zu einem verwöhnten, sondern zu einem zufriedenen Kind.

Manche Kinder resignieren und hören tatsächlich auf mit dem Schreien - sie haben erkannt, dass ihre Bemühungen zwecklos sind und verschwenden keine Energie mehr darauf. Eine Studie zum Einschlaftraining nach Ferber hat aber gezeigt, dass auch Babys, die das Schreien aufgegeben haben, dennoch weiter stark gestresst sind.
 
 

Verwöhnen durch zu viel Tragen?

 
Kleine Menschenbabys sind Traglinge - etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung tragen ihre Kinder kinderwagenlos dauerhaft bei sich. Am Körper der Mutter wird ein Neugeborenes so transportiert, wie es das aus der Schwangerschaft kennt. Es wird rhythmisch geschaukelt, hört Mamas Herzschlag und spürt ihre Wärme. Es fühlt sich sicher, wohl und geborgen und kann jederzeit von Reizen abgeschottet werden. Regelmäßiges Tragen wirkt sich außerdem positiv auf Blähungenaus und reduziert das Schreien bei den Drei-Monats-Koliken.
 
Amazonas Baby carrying sling 450 BabytragetuchDie Idee, das Kind durch das Ignorieren seines Verlangens, hoch genommen zu werden, dazu zu bringen, weniger danach zu verlangen, ist abstrus. Denn das Bedürfnis des Kindes, getragen zu werden, ist elementar. Es wird nicht dadurch weniger, dass ich das Kind vorsätzlich frustriere und hinhalte. Stattdessen lernt das Baby: Mir wird nicht mehr zuverlässig geholfen. Ich kann mich nicht mehr 100%-ig auf meine Eltern verlassen. Die Natur hat es so eingerichtet, dass das Kind dann ein Notfallprogramm startet und versucht, die Beeinträchtigung der Bindung zu beheben, in dem es noch mehr Nähe sucht. 

Ich frage mich immer ein bisschen, was genau eigentlich befürchtet wird, wenn empfohlen wird, das Kind nicht allzu häufig hoch zu heben oder herum zu tragen. Dass es sich daran gewöhnt? Dass es nicht laufen lernt? Dass es generell motorisch nicht ausreichend gefördert wird? All das ist unsinnig, denn gerade das Herumtragen fördert die motorische Entwicklung. Durch die ständigen Bewegungen wird der Gleichgewichtssinn geschult, weil das Baby sie ausgleichen muss. Außerdem wird das Baby ständig durch Reize stimuliert - Bewegung, Berührung, Geruch - all diese sind deutlich mehr und intensiver, als wenn es irgendwo liegt. Es kommt dabei auch nicht zu einer Reizüberflutung, da sie das Kind jederzeit zurück ziehen kann. In Kulturen, in denen traditionell viel getragen wird (Afrika, Asien), durchlaufen Kinder die motorische Entwicklung sogar rascher, wie diese Studie belegt.

In den letzten Jahrtausenden wurden die Kinder ausschließlich getragen - der Kinderwagen ist erst eine Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Tragen beugt auch einem platten Hinterkopf vor. Tragen vermindert das Weinen - in einer Studie von Hunziker und Barr wurde festgestellt, dass viel getragene Kinder über den Tag verteilt bis zu 43 % weniger weinen, als die Vergleichsgruppe. Das abendliche Schreien in den ersten drei Monaten war sogar um 51 % weniger.
 

Verwöhnen durch füttern/stillen nach Bedarf?


Das Stillen an sich ist gesellschaftlich mittlerweile gut akzeptiert - zumindest so lange man kleine Babys stillt. Dass Stillen/Füttern nach Bedarf wichtig und richtig ist, hat sich leider bei den älteren Generationen noch nicht herumgesprochen. Früher wurde strikt im 4-Stunden-Rhythmus gefüttert - dass das Anpassen an den Rhythmus des Kindes weder zu Bauchschmerzen, noch zu Überfütterung führt, ist längst belegt.
 
Wer mit wissenschaftlichen Argumenten überzeugen möchte:
 

Eltern dürfen sich auch recht früh die Frage anhören: "Und - kriegt dein Kind schon was Richtiges?" Gerade Omas können es kaum abwarten, endlich das Löffelchen zu schwingen, weswegen gerade in Bezug auf die Beikosteinführung immer wieder insistiert wird. Wie bei allem anderen auch gilt: Dein Kind weiß am besten, was es braucht. Und es wird es auch zeigen. Beikostreife kann man nicht übersehen - und bis dahin kann es gut mit Milchnahrung auskommen.

Oft hilft hier die kleine Notlüge, dass man es schon versucht habe, das Kind aber kein Interesse hatte (klappt nur, wenn die Oma nicht sofort einen Löffel holt und es auf einen Versuch ankommen lässt). Bewährt hat sich auch, einfach auf den Kinderarzt zu verweisen, der wird von den älteren Generationen als Autoritätsperson in der Regel gut akzeptiert (früher wurde ja sehr vorbehaltlos den Empfehlungen gefolgt).
 
 

Verwöhnen durch Familienbett und Co-Sleeping?

 
Die wenigsten Eltern planen das Familienbett. Viel mehr wollen die meisten eigentlich, dass das Baby im elterlichen Schlafzimmer im eigenen Bett schläft. Sie haben Angst vor dem plötzlichen Kindstod und dem Überdecken des Babys und gehen davon aus, dass sich in einem Familienbett alle gegenseitig beim Schlafen stören.

Manchmal klappt das auch recht gut - meine Tochter hat die ersten Monate im Beistellbett verbracht und schlief dann noch ein paar Monate im Kinderbett in unserem Schlafzimmer. Mein Sohn hingegen dachte überhaupt nicht daran - für ihn kam nur ein Schlafplatz in Frage: direkt bei oder auf Mama. Abends ließ er sich noch durch eine Federwiegeüberlisten, aber nachts ging ohne Mamas Nähe nichts.
 
Tausende Jahre lang war es vollkommen selbstverständlich, dass Familien zusammen schliefen - dies ist auch in weiten Teilen der Welt noch immer so. Erst seit 200 Jahren hat sich in der westlichen Welt nach und nach der Anspruch durchgesetzt, dass ein Kind in seinem eigenen Zimmer oder Bett zu schlafen habe. In der Regel bevorzugen es Babys jedoch, in Mamas oder Papas Armen einzuschlummern und die ganze Nacht in ihrer unmittelbaren Nähe zu verbringen. Das entspricht ihrem natürlichem Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit und ist vollkommen normal - auch wenn uns die Gesellschaft etwas anderes suggerieren will. Für die meisten Eltern fühlt sich das Familienbett auch einfach "richtig" an - Mutter und Kind schlafen viel besser, als wenn das Kind in einem separaten Bett oder gar Raum liegt. Auch Väter arrangieren sich oft überraschend gut mit dem gemeinsamen Schlafen.
 
Die Warnung, die am häufigsten in Bezug auf das Familienbett vorgetragen wird, ist die Prognose: "Ihr kriegt das Kind ja nie wieder aus eurem Bett!" Gerne gleich verbunden mit der Erinnerung an Familie Baumann, wo der kleine Michael noch - man stelle sich das mal vor - mit 6 Jahren bei den Eltern schlief! Im Grunde kann man ganz einfach "Na und? Ist ja nicht schlimm, wir schlafen gerne alle zusammen" erwidern. Will man sicher stellen, dass das Thema sofort und nachhaltig beendet ist, kann man auch sagen: "Das hat unser Sexleben enorm bereichert!"

Besteht die Aussicht, dass der andere durch vernünftige Argumente zu überzeugen ist, sag ihm, dass das die natürliche, schon immer von Menschen praktizierte Form des Schlafens ist. Es ist durch Studien erwiesen, dass Mütter besser schlafen, die Kinder mehr trinken und dadurch besser gedeihen und die Bindung gestärkt wird. 

Zur Angst vor dem plötzlichen Kindstod möchte ich auf diesen Artikel von uns, einen weiteren von der Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen  und die Ausführungen von Herrn Dr. Herbert Renz-Polster verweisen.
 

Ab wann können die kindlichen Bedürfnisse auch mal warten?


Man kann Babys im ersten Lebensjahr grundsätzlich nicht verwöhnen - unverzügliches Reagieren auf ihre Grundbedürfnisse nach Nähe und Liebe sollten umgehend erwidert werden. Aber irgendwann im Leben kommt die Zeit, wo kleine Kinder auch mal warten können - und auch sollten. 

Mein erstes Kind - meine Tochter - war ein sehr anstrengendes Baby. Ich hatte so lange auf sie gewartet, dass ich unbedingt alles richtig machen wollte. Ganz wichtig war mir, dass sie niemals länger schreien sollte, deswegen trieb mir ihr abendliches Schreien die Schweißperlen auf die Stirn. Ich war gestresst - sie merkte das und schrie noch mehr... es war kein schönes erstes Babyjahr :-(. Aber: ich reagierte dennoch unermüdlich unverzüglich, lange Zeit. Mit etwa 18 Monaten stellte ich dann überrascht fest, dass ich ein vergleichsweise unzufriedenes Kleinkind habe - fast alle Wünsche wurden nur noch mit Jammern oder Quengeln untermalt.
 
Offenbar hatte ich es etwas zu gut gemeint und den Moment verpasst, mein Kind auch mal ein paar Sekunden warten zu lassen. In den ersten Lebensjahren sind Kinder vollkommen ich-zentriert. Das ist normal und Teil ihrer Überlebensstrategie! Im Rahmen der Autonomiephase entdecken sie dann, dass sich die Welt gar nicht ausschließlich um sie dreht und dass man im Leben Kompromisse suchen muss. Sie erfahren dabei geballt Frustration - was um so schwieriger ist, je weniger sie damit schon Erfahrungen sammeln konnten. Ich hatte den Moment verpasst, mein Kind altersgerecht auch mal kleinere Frustration ertragen zu lassen oder Wartezeiten zuzumuten. Es war gewohnt, dass unverzüglich auf Gejammer und Genörgel reagiert wurde, so dass das als geeignete Kommunikationsform klassifiziert wurde, die eigenen Wünsche durchzusetzen. Nun ist ein 18-monatiges Kind kognitiv deutlich weiter entwickelt, als ein 8-monatiges - daher ist ihm schon einiges mehr an Wartezeit zuzumuten.
 
Das "warten können" ist ein wichtiger Schritt in der Entwicklung. Kinder, die sich früh in Geduld üben können, sind meist weniger frustriert. Wie man das sanft fördern kann, darüber hat Snowqueen im Artikel Impulsives Verhalten und Ungeduld - Warum es für Kinder so schwer ist, nicht zuzuhauen und wie wir ihnen helfen können, ihre Impulse unter Kontrolle zu halten im Abschnitt "Geduldsübungen" geschrieben. Ich habe das mit meinem Sohn so praktiziert und er ist ein deutlich gelasseneres und zufriedeneres Kleinkind geworden.
 
Daher sollte man etwa ab dem ersten Geburtstag - abhängig von der individuellen Entwicklung - sanft beginnen, zwischen Bedürfnissen und Wünschen zu unterscheiden. Wünsche (Mama, komm! Mama, spiel mit mir!) können auch mal in langsam länger werdenden Zeiträumen aufgeschoben werden - natürlich nicht aus Prinzip und vorsätzlich - aber kleinere Geduldsübungen zeigen dem Kind, dass auch andere Menschen ihre Bedürfnisse erfüllen wollen.
 
Bedürfnisse (liebevolle Zuwendung, der Wunsch nach Aufmerksamkeit, Nähe, Wärme, Geborgenheit) sollten nach wie vor so weit wie möglich erfüllt werden - je zuverlässiger man das macht, um so wenige vehement wird das Kind sie einfordern. Wer darauf (für ihn nicht offensichtlich nachvollziehbar) warten muss, ist verunsichert und will sich der elterlichen Liebe wieder und wieder versichern - so dass es oft zum Kletteffekt kommt - die Kinder wollen den elterlichen Arm dann gar nicht mehr verlassen.

Mit (vom Kind eingeforderter) körperlicher Zuwendung kann man nie verwöhnen - egal ob 8 Monate alt oder 8 Jahre.
 

Ermutigung zum Verwöhnen

 
Es ist extrem wichtig, alle Bedürfnisse eines Babys verlässlich zu erfüllen. Schließlich sind diese vollkommen hilflos und darauf angewiesen, dass sich ihre Bezugsperson um sie kümmert. Je verlässlicher das geschieht um so stärker wird das Band zwischen (in der Regel) Mutter und Kind - die Bindung wird gestärkt. Das ist eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass sich das Selbstvertrauen des Kindes gut entwickelt. Zu den Grundbedürfnissen eines Babys gehört das Getragenwerden, das Stillen nach Bedarf, das Schlafen bei den Eltern und das sofortige Trösten beim Weinen.

Tritt allen gut gemeinten Ratschlägen mit Selbstbewusstsein entgegen. Die Ratschläge sind wirklich gut gemeint - man will Dich schützen. Aber: Dabei wird auf veraltetes Wissen zurückgegriffen. Kann man mit dem Gegenüber gut diskutieren, lohnt sich vielleicht der Hinweis auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Es ist ja im Grunde recht einfach erklärbar, warum man so handelt. Ist der Beratschlagende unbelehrbar, hilft ein einmaliges deutliches: "Danke, dass du dir Gedanken machst - aber ich habe beschlossen, ganz auf mein Gefühl zu hören und das sagt mir, dass es für uns so genau richtig ist!" Gelegentlich bewirkt der Hinweis: "Das hat der Arzt uns ausdrücklich so empfohlen!" wahre Wunder.
 
Lasst Euch nicht verunsichern - man kann Babys im ersten Lebensjahr definitiv nicht verwöhnen, ein Kind kann in dieser Zeit nicht ein "Zuviel" an Liebe bekommen - Erziehung kommt später. Euer Kind will Euch nicht manipulieren - es will beschützt werden. Und all die Dinge, die es verlangt, haben es jahrtausendelang zuverlässig geschützt, daher wendet es die Strategie noch immer an. Je älter es wird, desto vielfältiger werden seine Ausdrucksmöglichkeiten.
 
Je verlässlicher die Mutter reagiert, desto selbstsicherer wird das Kind und die Bindung wird immer stärker. Und das ist alles, was das Kind braucht - keine klugen Ratschläge, keine Konditionierung und keine vorsätzliche Frustrierung. Das anstrengende sofortige Reagieren wird sich im Laufe der Zeit auszahlen. Es ist nur ein Jahr, in dem dieses kleine Menschlein die Mutter fast vollständig in Beschlag nimmt - danach wird es immer einfacher werden. Dieses eine Jahr ist rückblickend so kurz, dass ich jeder Mutter nur sagen möchte: Egal, wie anstrengend es ist - genieß diese einzigartige Zeit und nutze sie, um Dein Kind zu verwöhnen :-).
 
 
© Danielle
 

 

Quellen





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